:: Sind sie die „Klima-RAF“? (Teil III: Klebrige Hände)

Die „Letzte Generation“ hat angekündigt, in den kommenden Wochen Berlin „lahmlegen“ zu wollen (als ob Berlin dabei Hilfe bräuchte); da ist es fast schon wieder gut, daß der dritte Teil dieser Serie zum Klima-Aktivismus-Serie einige Zeit auf sich warten ließ (aus den üblichen beruflichen Gründen – Personalmangel, Urlaub von Kolleginnen, und daher Arbeit, Arbeit Arbeit war Herr Sathom verhindert). So erhält das Ganze eine neue Aktualität.

Und das Thema bleibt aus schon früher genannten Gründen relevant. Vielleicht kurz zur Erinnerung: Daraus, wie eine Gesellschaft auf bestimmte Verhaltens- und Aktionsformen reagiert – was sie skandalisiert, was nicht, was sie duldet oder verdammt – kann man sehr viel über diese Gesellschaft als solche lernen; die mediale und politische Reaktion auf die Klebe-Aktionen der Klimaaktivistïnnen zeigt auf, welche Macht- und Herrschaftsstrukturen existieren, welche „Werte“ diese als maßgebend betrachten, und wie mit Kritik allgemein umgegangen wird. Das gilt für die hier schon behandelten Klebe-Aktionen in Museen eben so wir für die Straßenblockaden.

Die Vorgehensweise bleibt dabei dieselbe. Wie schon bei den Kunstaktionen geht es um diesen Katalog von Fragen:

  • Was ist eigentlich wirklich passiert?

  • Wie wird es in den Medien dargestellt (und inwieweit weicht diese Darstellung von den Tatsachen ab)?

  • Welche Reaktionen aus Politik und Öffentlichkeit erfolgen?

Ich werde im Augenblick nur abhandeln, was tatsächlich geschehen ist, und wie es dargestellt bzw. kritisiert wird. Die abschließende Analyse der oben vollmundig angekündigten „Großen Fragen“ über unsere Gesellschaft bleibt einem letzten Teil vorbehalten (von einigen Vorgriffen, soweit sie notwendig scheinen, abgesehen). Oder zwei letzten Teilen, das Ganze könnte etwas umfangreich werden. Gefragt werden wird dann auch müssen, welche Motive und Interessen einzelne Gruppen – Politikerïnnen, Medienschaffende, Öffentlichkeit – für ihre jeweiligen Reaktionen haben könnten; und ob es hierbei eher um gesellschaftliche Macht als um die Sache geht (z.B. die Frage, wer die Meinungshoheit hat – ein eher bizarrer Vorwurf lautet ja, die „Letzte Generation“ würde die öffentliche Debatte durch ihre aufsehenerregenden Aktionen kapern, was darauf hindeutet, daß ihre Gegnerïnnen es als ihr Privileg ansehen, diese Debatte zu bestimmen; also auf Konkurrenzneid oder Angst vor Machtverlust).

Also: Erstens, was ist wirklich passiert – und passiert noch?

Wie schon bei den Aktionen „gegen“ Kunstwerke zeigt eine nüchterne Analyse, daß an den gegen die „Letzte Generation“ erhobenen Vorwürfen so gut wie nichts dran ist. Sie sind entweder übertrieben oder frei erfunden, oder beruhen auf Spekulationen, was bei solchen Aktionen theoretisch geschehen könnte – wobei manche Medienakteure, z.B. die der Springer-Presse, offenbar wünschen, daß sie geschehen sein sollen. So behauptete etwa Mario Czaja (CDU) noch kürzlich im Interview, daß „Gemälde zerstört“ worden seien, obwohl das nachweislich in keinem Fall geschehen ist; ein Hinweis, daß das Narrativ von verheerenden Schäden, die die böse „Letzte Generation“ anrichte, trotz anderslautender Fakten fortgeschrieben soll. Und längst fest im Denken verankert ist (der interviewende Journalist korrigiert Herrn Czaja nicht).

Der Hauptvorwurf gegen die Straßenblockaden wiegt allerdings viel schwerer: Sie könnten – theoretisch – Menschenleben kosten, indem sie Rettungsfahrzeuge aufhalten. Manche Outlets, wie z.B. die „Bild“, ließen sich in der Vergangenheit zu der Behauptung hinreißen, das sei sogar schon passiert. Stimmt das?

Werbung

:: Gucktipp: Böhmermann zeigt’s Dieter Nuhr

Nur kurz, ehe es endlich mit der Klimaserie weitergeht (hätt‘ ich das bloß nicht angefangen): Dem Herrn Sathom geht ja der Herr Dieter Nuhr gewaltig auf den Sack; die Gründe hatte er in diesem Blog schon vor längerer Zeit ausführlich dargelegt (unter anderem, daß sich an der Person Nuhr demonstrieren läßt, wie ein konservatives, potentiell rechtes Bürgertum seinen gesellschaftlichen Vormachtanspruch rechtfertigt – durch Berufung auf eine angeblicher Bildung und Rationalität nämlich, die sich bei genauerem Hinsehen als bloßer Gestus erweisen).

Darum rieb sich Herr Sathom nicht schlecht die Augen, als er letzten Freitag das ZDF Magazin Royale gucken wollte. Die Kulisse war anders, ein Moderator kam auf die Bühne, der wie Dieter Nuhr aussah, und an der Wand stand – Nuhr im Zweiten?!?

Aber Entwarnung: Jan Böhmermann und einige andere Mitarbeiterïnnen saßen im Publikum, und das Ganze war natürlich eine Parodie. Neben Sebastian Rüger vom Duo Ulan & Bator, der dem echten Dieter nicht nur verblüffend ähnlich geschminkt worden war, sondern auch dessen Gehabe und Äußerungen geradezu erschreckend gut wiedergab, traten Parodistïnnen u.a. als Luke Mockridge und Lisa Eckhart auf (die hier als „Falk MacAllister“ und „Millie Probst“ firmierten); und wenn ich „erschreckend“ sage, dann meine ich, daß die Parodie in jedem einzelnen Fall so treffsicher im Ziel saß, daß es teilweise unheimlich wurde. Aber lustig. Und wenn einem das Lachen doch manchmal verging, dann bloß, weil die Persiflage so punktgenau traf – und Nuhr & Co. eben tatsächlich, wenn man ihre „Message“ bedenkt, nicht lustig sind.

Die Kommentare und Kritiken zur Sendung zeigen, daß die Rezensentïnnen offenbar so verwirrt waren wie Herr Sathom zunächst: Beim „Spiegel“ glaubt man, das johlende Publikum habe nur aus Statistïnnen bestanden; beim „Tagesspiegel“ offenbar, ein echtes Publikum habe wirklich gelacht. Herr Sathom wiederum entdeckte im Auditorium sowohl Mitarbeiterïnnen der Show als auch – vornehmlich ältere – Zuschauerïnnen, die irritiert drein blickten (die das aber trotzdem geschauspielert haben könnten); und war sich zuweilen nicht sicher, ob die Leute die Parodie verstanden und deshalb lachten, oder weil sie dem vermeintlichen Dieter und seinen Freundïnnen zustimmten.

Anyway. Als Parodie bzw. Satire traf das den Nagel auf den Kopf, und Herr Sathom hat sich köstlich amüsiert. Insbesondere Nuhr wird, wie der „Tagesspiegel“ schreibt, „als Konzentrat dargeboten“ – gnadenlos, entlarvend, und zielsicher getroffen. Manchmal will einem das Lachen vergehen, doch auf eine satirisch-böse Weise bleibt alles urkomisch; und das ist Satire höchster Qualität, die zuspitzt, zusticht, und schmerzt – aber zum Lachen zwingt. Deshalb der seltene, aber diesmal ausdrücklich gegebene GLOTZBEFEHL.

:: Sind sie die „Klima-RAF“? (Teil II – Tagsüber im Museum)

Wie in der Einführung beschrieben, befassen wir uns mit den Vorwürfen, die der „Letzten Generation“ wegen ihrer Museums- und Blockadeaktionen gemacht werden, damit, ob diese Vorwürfe haltbar sind, und inwiefern – und warum – sie es vielleicht nicht sind.

Fangen wir mit den Attacken in Museen an. Was ist eigentlich tatsächlich passiert? Eine Recherche ergibt, ernüchternd genug: Nicht viel. Genauer gesagt, was den Schaden angeht, fast nichts.

Seit August 2022 haben Klimaaktivistïnnen der Gruppe „Letzte Generation“ eine Reihe von Aktionen in Gemäldegalerien und Museen durchgeführt (eine Chronologie der Ereignisse findet sich auf Wikipedia). Dabei wurden unterschiedliche Substanzen – schwarze Farbe, Tomatensuppe, Kartoffelbrei – auf Gemälde Monets, Van Goghs, Klimts und anderer berühmter Künstler geschüttet.

Bzw. wurden sie nicht auf die Gemälde geschüttet. Hä?

Nein, wirklich nicht.

Auch nach einigen Wochen, die den Museen genug Zeit für Untersuchungen und Verlautbarungen ließen, scheint keines der betroffenen Kunstwerke irgendeinen Schaden genommen zu haben. Was sie auch nicht konnten, da sie unter Glas geschützt sind, so daß ihnen Tomatensuppe oder Kartoffelbrei nichts ausmachen können; was eigentlich alle Beteiligten wissen, die Aktivistïnnen zumindest wissen konnten (sieht man ja spätestens, wenn man davor steht). Die einzige Ausnahme war der Angriff auf Raffaels „Sixtinische Madonna“ in der Dresdner Gemäldegalerie (siehe hier und hier). Dort hatten sich die Aktivistïnnen an den Bilderrahmen geklebt. Da dieser leider auch antik ist, entstand tatsächlich eine Beschädigung, die restauriert werden muß. Von der Gesamtschadenssumme von 12.000,- Euro, die das Museum angibt, entfallen allerdings 7.000,- Euro nicht auf die Restauration, sondern auf die Behauptung des Gemäldegalerie, durch die folgende Schließung wären ihr entsprechende Eintrittsgelder entgangen. Nun – ich weiß ja nicht, was die da in Dresden für den Galeriebesuch verlangen, oder wie viele Leute sie an einem halben Tag mit der Planierraupe durch die Gänge schaufeln – aber die Summe erscheint mir etwas phantasievoll. Ob sie realistisch ist, oder ob da jemand eine Gelegenheit ergreifen wollte, werden jedoch die Gerichte klären müssen.

Zusammengefaßt: In keinem Fall ist eines der Kunstwerke beschädigt worden. Was wie gesagt daran liegt, daß Kunstwerke dieser Bedeutung prinzipiell durch Glas geschützt sind und auf diese Art gar nicht beschädigt werden können. Was wiederum, ebenfalls wie gesagt, eigentlich jede(r) wissen könnte.

Daraus folgt erstens, daß die Aufregung von Medien, Intellektuellen und Politikerïnnen einer Sache galt, die in Wirklichkeit schlicht nicht stattfand; daß die allgemein angeklagte Kulturbarbarei nur herbeiphantasiert wurde. Und zweitens, daß – wenigstens meiner Ansicht nach – seitens der Klimaaktivistïnnen auch keine Absicht bestanden haben kann, einen Schaden anzurichten. Denn daß die Gemälde verglast sind, gehört eigentlich zum Allgemeinwissen, war jedoch spätestens deutlich erkennbar, sobald sie vor ihnen standen. In keinem Fall jedoch haben sie versucht, zuerst das Glas zu zerbrechen, oder Flüssigkeiten wie Säure zu verwenden, die sich durch den Schutz hätten hindurchfressen können. Daß es ihnen nicht um die wirkliche Beschädigung von Ausstellungsgegenständen geht, zeigten sie u.a. auch bei einer Aktion im Berliner Naturkundemuseum: Sie klebten sich an den Haltestangen eines Dinosaurierskeletts fest – und nicht am Skelett selbst. Hätten sie einen Akt von Vandalismus am Ausstellungsstück vorgehabt, hätten sie das leicht tun können; gleiches gilt von den Gemälden.

Die Nummer mit dem Bilderrahmen würde ich auf Dämlichkeit zurückführen – daran, daß auch dieser einen historischen Wert haben könnte, wurde vermutlich nicht gedacht. Zumindest meiner Ansicht nach zeigt eine Analyse der Vorgehensweise, daß die Aktivistïnnen keine Schäden an den Werken beabsichtigten, und diese sogar zu vermeiden suchten.

:: Sind sie die „Klima-RAF“? (Spoiler: Nein)

Machen wir da weiter, wo wir letztes Jahr aufgehört haben: Aufregerthemen. Eines hatten wir ja schon; das andere waren in den letzten Monaten die Klimaproteste der „Letzten Generation“. Klimaktivistïnnen also, die u.a. „Anschläge“ (die Anführungszeichen haben ihren Grund – dazu später mehr) auf Kunstwerke verübt, und Straßenblockaden durchgeführt haben.

Ich bin leider mit diesem Thema weitaus später dran, als ursprünglich beabsichtigt; die Gründe sind dieselben geblieben, also Personalmangel, Krankheitsfälle, Arbeit, Arbeit, Arbeit. Zu guter Letzt kam dann noch dank Silvester ein weiterer dazwischen. Bringt es etwas, sich jetzt noch mit den Klimaprotesten zu befassen, nachdem die große Aufregung – von Kunstschändung war die Rede, sogar vom „Klima-RAF“ – inzwischen abgeklungen ist? Ich denke: ja.

Und zwar, weil wir aus der gesamten Affäre etwas lernen können, das weit über die Themen Klimawandel und Aktionismus hinausgeht (so wichtig das Thema Klimawandel auch ist). Etwas über unsere Gesellschaft, über Hierarchien, Klassendünkel, Machtstrukturen; über Heuchelei, Bigotterie, und wie der Fortschritt aufgehalten wird.

Denn die Machtverhältnisse und Strukturen einer Gesellschaft lassen sich sehr gut beleuchten, wenn man beobachtet, wie diese Gesellschaft auf bestimmte Herausforderungen reagiert. Und, genauer gesagt, auf welche sie reagiert, und welche sie abtut oder ignoriert. Auffällig ist z.B., daß der Aktionismus der „Letzten Generation“ so skandalisiert, sogar vor einer zukünftigen, neuen RAF gewarnt wird, während man z.B. den vereitelten Putschversuch einiger Reichsbürger mit Achselzucken abtat. Wieso werden beide Gruppen so unterschiedlich bedrohlich wahrgenommen? Warum scheint es, als ob die einen offenbar „Terroristen“ sein sollen, während man nachweisliche Terroristen mit Waffen und konkreten Plänen verharmlost? Hinzu kommt die Frage, welche Prioritäten von Medien und Mächtigen gesetzt werden, und wer sie setzt – wer z.B. entscheidet, daß ein „Angriff“ auf ein uraltes Gemälde (dem dabei gar nichts passiert) schwerer wiegt als die Zukunft der Menschheit.

Eine Analyse, die daraus Folgerungen für den Zustand unserer Gesellschaft zieht, fällt vielleicht sogar leichter, wenn es im Rückblick, und nicht inmitten der größten Aufregung stattfindet.

Gerade bei soviel Aufregung will Herr Sathom sich also einfach mal nicht aufregen. Schauen wir uns die Ereignisse, die Aktionen und deren Kritik stattdessen einmal ruhig, sachlich und systematisch an.

:: Weiterlesen

:: Pausbäckig nachgefragt – Ist das Rassismus?

Es gibt so eine Art Rassismus, der kommt pausbäckig-naiv daher und will sich gar nicht als solcher wahrnehmen; und manchmal kann man das, was in der deutschen Debatte über Migration schiefläuft, an einem einzelnen Beispiel erkennen. Sozusagen wie unter einem Schlaglicht, das diese Schieflage grell beleuchtet.

Nehmen wir etwa das am 06.01. im heute-journal geführte Interview mit der Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman. (Nebenbei: Angesichts der gestellten Fragen muß ich Frau Ataman für ihre Geduld und den konsequenten Versuch, sachlich und sogar freundlich zu antworten, bewundern. Herrn Sathom wäre irgendwann eine Ader geplatzt.) Es ging, natürlich, um die pyrotechnische Randale zu Silvester.

Daran gibt es nichts zu verharmlosen. Die Angriffe auf Polizei und Rettungskräfte sind verabscheuungswürdig und müssen hart verfolgt werden. Zugleich aber steht schon die CDU/CSU Spalier und weiß, wer es gewesen ist: Mal wieder diese verdammten Orks Migranten. Weil nicht integriert, weil Parallelgesellschaft, weil kein Respekt und nur Verachtung für den Staat usw. usf. Man fordert einen „Jugendgipfel“, will aber in Wirklichkeit eine erneute Migrationsdebatte – mit negativen Vorzeichen für die Migrierten.

Im heute-journal wurde nun also Ferda Ataman dazu interviewt. Der Ablauf ist interessant.

Auftakt: Die Mitarbeiterin der Sendung sagt, Deutschland diskutiere seit sechs Tagen über die Silvesternacht in Berlin; Frau Ataman wird gefragt, wie es ihrer Ansicht nach zur Gewaltentladung in Neukölln gekommen sei.

Hier ist die Gesprächstechnik wichtig. Denn das ist keine echte Frage, sondern eine Richtungsvorgabe. Ausschreitungen, Gewalt und pyrotechnische Exzesse gab es im ganzen Land, in allen Großstädten, z.B. Köln; es soll aber nur Berlin, speziell Neukölln, deutschlandweites Thema sein. Durch die „Frage“ wird suggeriert, die Randale hätte nur dort stattgefunden. Warum? Weil es da besonders viele Migrantïnnen gibt und man diese so als die Hauptverursacherïnnen, bzw. das Problem, ausmachen kann? Weil man eigentlich über diese Menschen diskutieren will, nicht über die Gewalt an sich? Und diskutiert wirklich ganz „Deutschland“ (so um Herrn Sathom herum hat das Thema bisher niemand angesprochen)? Aber nichts überstürzen; sehen wir weiter.

Frau Ataman distanziert sich von der Gewalt, zeigt sich jedoch von der Debatte irritiert: Statt über Stadtpolitik, Jugendgewalt und soziale Probleme zu reden, spräche man nur davon, ob man sagen dürfe, wie viele der Täterïnnen einen Migrationshintergrund hätten. Die Interviewerin fragt zurück, ob das eigentlich Irritierende nicht sei, daß es „offenbar“ eine Mehrzahl von Tätern gebe, die „zweifellos Männer mit Migrationshintergrund“ seien; und danach, wie es zu so einer Situation kommen könne.

Diese Frage sollte stutzig machen. Wie es zu dieser Situation kommen konnte? Frau Ataman hat genau das eben beantwortet: Es gibt stadtpolitische und soziale Ursachen. Entweder ist diese Antwort nicht verstanden worden, oder sie hat irgendeinen Wahrnehmungsfilter nicht passiert. Tatsächlich beharrt die Journalistin quasi darauf, daß es um „Männer mit Migrationshintergrund“ gehen soll, als hätte Frau Ataman die eigentlichen Ursachen nicht eben benannt.

Diese wiederum antwortet sachlich, daß man die genauen Zahlen deutschlandweit noch gar nicht kenne – erweitert also den Fokus auf das ganze Land – und weist darauf hin, daß in Neukölln nun einmal die Mehrheit der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat. Sie fügt hinzu, daß zu den Opfern und angegriffenen Polizei- und Rettungskräften ebenfalls überwiegend Migrantïnnen zählten. Sie erklärt also, daß es bei einer überwiegend migrantischen Bevölkerung schlicht statistisch wahrscheinlich ist, daß hauptsächlich aus Menschen mit Migrationshintergrund beteiligt sind – es verweist nicht auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Migration und Jugendgewalt. (Was uns zu der Frage zurückführt, warum man so gern und ausschließlich über Neukölln reden will und nicht über, sagen wir, Pupsdorf an der Knatter – über Orte also, die eine andere demographische Zusammensetzung haben und vielleicht überwiegend eingeborene Täterkreise.)

:: Beleidigte Leberwürste

Bevor ich zum nächsten großen „Aufreger“-Thema komme (das erste hier), muß ich einfach kurz etwas loswerden – zu einem anderen Thema, das derzeit hierzulande eher randständige Beachtung findet, aber doch ständig präsent ist.

Es geht um das milliardenschwere Subventionsprogramm der US-Regierung unter Joe Biden, das einerseits klimafreundliche Produkte und deren Hersteller und Entwickler fördern soll, und zugleich massive soziale Investitionen vorsieht.

Emmanuel Macron hat dieses Programm jetzt als „super aggressiv gegenüber europäischen Unternehmen“ (SZ) kritisiert und gewarnt, daß es „den Westen spalten“ könne; ähnliche Kritik wurde schon vor Wochen in Deutschland laut, z.B. von Christian „Handelskrieg“ Lindner. Allgemein fürchten u.a. neoliberale Kreise, daß innovative Unternehmen, die z.B. Speicherbatterien für Solaranlagen bauen, in die USA abwandern könnten. Von amerikanischem „Egoismus“ ist die Rede, von einem „Jobkiller“.

Statt sich nun in die Schmollecke zu setzen, gäbe es für das Problem natürlich eine einfache Lösung: Ebenfalls subventionieren. Die Entwicklung neuer, besserer Solartechnik fördern, statt – wie in der Ägide Merkel – die anfangs weltweit führende deutsche Solarbranche quasi über Nacht zu killen; oder, statt den Ausbau der Stromnetze und der Windkraft zu verschlafen, da mal Gas geben (fun fact: Hierzulande müssen Solarparks ausgerechnet dann abgeschaltet werden, wenn viel Sonne verfügbar ist – weil das Netz dank fehlender Stromtrassen die produzierte Energie nicht aufnehmen könnte). Und vieles mehr.

Wenn man fürchtet, innovative Firmen könnten abwandern, wieso subventioniert man sie nicht selbst, statt ihre Anträge ins Leere laufen zu lassen – beinahe, als wolle man sie regelrecht aus dem Land treiben (wie kürzlich in der Sendung quer des BR geschildert)? Lieber spielt man die Heulsuse. Die USA ergreifen plötzlich Maßnahmen, die ökologisch, wirtschaftlich und sozial vernünftig sind? Unfair!

Daher hier nur mal kurz meine Meinung: Die Amis tun zur Abwechslung einmal das Richtige. In der EU lutscht man beleidigt am Daumen, weil man es weiter falsch machen möchte.

:: Weiterlesen

:: Teile und herrsche

Ja, ja, ja, Herr Sathom muß sich (mal wieder) für eine lange Abwesenheit entschuldigen. Die Gründe dafür sind – auch wie immer – Personalmangel, Urlaube, Krankheitsfälle und daher Arbeit, Arbeit, Arbeit. Und außerdem einige kafkaeske Anwandlungen gewisser Strom- und Gasversorger, die sich alle gleichzeitig verschworen zu haben schienen, einen IN DEN WAHNSINN ZU TREIBEN.

Aber so sehr das Herrn Sathom auch aufregen mag, waren die eigentlichen Aufregerthemen der letzten Wochen ja andere. Neben Klimaprotesten in Form von Verkehrsblockaden und, ähem, Kunstaktionen – ich werde mich demnächst ausführlich damit auseinandersetzen – war das u.a. das Bürgergeld.

Und dieses Thema regt Herrn Sathom wirklich auf. Genauer gesagt, die Art seiner Behandlung – und deren Folgen. Um so mehr, als sich hier ein Muster zeigt, das auch andere gesellschaftliche Diskussionen prägt (dazu mehr am Ende des Artikels).

Ich hatte mich ja schon einmal ausführlich zum Bürgergeld, das die CDU/CSU inzwischen weitgehend entschärft hat, geäußert – doch vorangehende Debatte, etwa in Talkshows wie Anne Will, ist teils so scheinheilig und verlogen, teils so schlicht dumm und uninformiert, daß man es kaum aushält. Womit sie, wie gesagt, typisch für viele aktuelle Debatten ist.

Hauptsächlich hangelte sich diese Diskussion an der Vorstellung entlang, daß der Einkommensabstand zwischen Geringverdienerïnnen und Empfängerïnnen von Sozialleistungen zu gering würde. Und daß hart arbeitenden Menschen, die dennoch kaum über die Runden kommen, nicht vermittelbar sei, daß andere sich für fast das gleiche Einkommen angeblich nur ausruhen. Als Problem werden nicht die niedrigen Löhne, und als Verantwortliche nicht die Arbeitgeberïnnen-Lobby, sondern die angeblichen „Faulpelze“ ausgemacht. So werden jene, die trotz harter Arbeit kaum etwas haben, gegen die ausgespielt, die noch weniger, oder gar nichts haben. Und diese Aufwiegelung ist, wie manche Umfragen zeigen, offenbar erfolgreich.

Daher noch einmal: Dafür, daß Deutschland ein Land der Geringverdienerïnnen ist, können die Arbeitslosen nichts. Daß Menschen für miese Löhne unter erbärmlichen Bedingungen arbeiten müssen, ist gewollt – und damit sie das tun müssen, soll die Strafe für alle, die keine Arbeit finden (oder angeblich nicht arbeiten wollen), in noch schlechteren Lebensbedingungen bestehen. Die Alternative – besser zu zahlen, und Arbeitsplätze attraktiver zu gestalten – ist nicht gewollt. Anders ausgedrückt: Sozialleistungen sollen niedrig sein, damit die Arbeitseinkommen nicht steigen müssen.

Profiteure dieser Situation sind die Arbeitgeberïnnen und die Politikerïnnen, die auf deren Spenden hoffen; nicht irgendwelche angeblich faulen Hartz-IV-Empfängerïnnen. Doch die Lohnsklavïnnen sollen das nicht merken; ihr Zorn soll sich auf die da unten richten, denen es noch schlechter geht, damit sie gegen diese treten, statt den Blick nach oben zu richten. Und so macht man ihnen weis, die noch Ärmeren bekämen zu viel, und sie sollten wütend auf sie sein, damit sie nicht merken, daß sie selbst zu wenig bekommen (ich glaube, der alte Marx nannte das „Ausbeutung“, aber der ist ja auch aus der Mode).

Die verdrehte Darstellung und Sichtweise des Themas zeigt sich auch bei den verwendeten Begriffen. Von „falschen Anreizen“, die da gesetzt würden, ist die Rede – nun, unter einem Anreiz versteht man traditionell eine Belohnung. Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen wären solche Belohnungen. Eine Strafe – etwa die Kürzung von Hartz IV – ist kein Anreiz; daß man, wenn man artig ist, drei Peitschenhiebe weniger bekommt als sonst, keine Belohnung. Wenn also von „Anreizen“ gesprochen wird, die in Drohungen existentieller Art bestehen, ist etwas grundsätzlich durcheinandergeraten.

:: Bürgergeld oder: Die Armen gegen die Ärmsten aufhetzen

Das Bürgergeld, das Hartz IV ersetzen soll, steht vor der Tür – und schon beginnt eine altbekannte Diskussion. Oder was heißt Diskussion – sagen wir ruhig: Kampagne. Ihr Ziel ist, die Armen in der Gesellschaft gegen die Ärmsten aufzuhetzen.

Wie das geht? Nun:

Das Bürgergeld sei zu hoch, heißt es von konservativer und wirtschaftsliberaler Seite, so daß weniger Anreiz bestünde, für sein Einkommen zu arbeiten; manche würden sich da lieber in die „soziale Hängematte“ legen, und überhaupt, Menschen mit geringem Einkommen müßten erleben, daß ihre Arbeit sich nicht lohnt, daß irgendwelche arbeitslosen Faulenzer das gleiche, oder mehr bekämen.

Zunächst einmal: Das „Argument“ ist ein Witz. Mit ca. 52,- Euro mehr im Monat liegen Bürgergeld-Empfängerïnnen immer noch unter dem, was Geringverdienerïnnen bekommen (sollten). Zugegeben – in extremen Einzelfällen können sich Bürgergeld, Wohngeld und andere Zuschüsse so weit aufschaukeln, daß sie die Grenze eines niedrigen Einkommens erreichen oder sogar überschreiten; da wird sicher noch nachgebessert werden müssen. Aber darum geht es den Kritikerïnnen nicht.

Denn mal ehrlich – störten sie sich wirklich daran, daß das Einkommen von Geringverdienerïnnen zu nah an der Bürgergeld-Grenze liegt, fänden sie tatsächlich, daß „Arbeit sich wieder lohnen“ oder „Leistung belohnt werden“ muß, gäbe es eine ganz einfache Antwort auf dieses Problem: Höhere Löhne. Besonders die im Niedriglohnsektor anheben, weit über den Mindestlohn, kurz, die Angestellten in diesem Sektor angemessener, fairer bezahlen. Und, wenn Arbeit eben attraktiv sein soll: Bessere Arbeitsbedingungen schaffen; menschenwürdige, respektvolle.

Aber genau das wollen sie eben nicht. Und so erleben wir ein altes Spiel, das immer wieder gespielt wird. Die Armen, die Menschen mit extrem geringem Arbeitseinkommen, versucht man, gegen die noch Ärmeren – Arbeitslose etc. – aufzuhetzen. Seht mal, wie ungerecht, heißt es, die faulenzen da herum, während ihr euch den Rücken krumm schuftet, und doch bekommt ihr kaum mehr zum Leben; oder vielleicht nur genau das Gleiche.

Ja, aber von wem denn bekommen die Arbeitenden kaum mehr als Hilfemepfängerïnnen? So müßte die realistische Gegenfrage lauten – doch offenbar von denen, die am Lohn knausern, die nicht angemessen für ihren, von den Geringverdienerïnnen erwirtschafteten Reichtum, bezahlen wollen.

Wir erleben aktuell eine öffentliche „Debatte“, die Tradition hat und tatsächlich nur einem Zweck dient: Jene, die am wenigsten haben, gegeneinander aufzuwiegeln. Die Arbeitnehmerïnnen im unteren Einkommensbereich sollen weiterhin am Existenzminimum dahinwirtschaften, vielleicht aufstocken müssen. Sie, die am wenigsten von eben dem Wohlstand der Gesellschaft profitieren, den sie mit erarbeiten, sollen weiterhin keine gerechtere, angemessenere Beteiligung daran erhalten. Doch wer ihnen diese Beteiligung vorenthält, das sollen sie nicht merken; stattdessen sollen sie ihre Wut oder Frustration auf die da unten richten, die noch Schwächeren, und in ihnen die Nutznießerïnnen eines ihnen angetanen Unrechts sehen: Faulenzerïnnen, die etwas geschenkt bekommen.

Die Art, wie die Kritik formuliert wird, ist da manchmal verräterisch. Etwa, wenn die Tagesschau vom 14.09.22 sie so wiedergibt, daß das Bürgergeld dazu führen könne, „daß gering bezahlte Arbeit zunehmend unattraktiv wird“ – ach was. Als ob schlecht bezahlte Arbeit je attraktiv gewesen wäre. Also – wieso sollte miserabel bezahlte Arbeit „attraktiv“ sein? Gemeint ist: Sie soll alternativlos sein.

:: Wo-Oah Black Beth, Bam-Ba-Lam

So, ihr Comicfreaks. Zeit für noch eine Rezension – seid Ihr angeschnallt?

Schon vor einiger Zeit hatte ich ja im Anschluß an meinen nostalgischen Rückblick auf die Kobra-Comicserie der 1970er Jahre erklärt, daß ich beim britischen Verleger Rebellion, der sich die Rechte an den alten Kobra-Serien gesichert hat, einen Sammelband vorbestellt hatte (zur eigentlichen Rezension geht’s hier). Das Buch ist schon Anfang Juli eingetroffen, doch damals verhinderte Arbeitsstreß die Lektüre; jetzt aber ist es endlich Zeit für die versprochene Rezension von Black Beth – Vengeance be thy Name.

Wer ist Black Beth? Eine der vielen, amazonenhaften Schwertkämpferinnen, die durchs Fantasy-Genre wimmeln? Eine düstere Gestalt, wie der Name schon andeutet, und wie der Titel weiter aussagt, der Rache verschworen? Durchaus; und doch ist an dieser Heldin einiges anders, das sie weitaus interessanter macht als noch eine vollbusige Red Sonja; einiges davon zumindest schon zu ahnen bei ihrem bloßen Anblick.

Doch zunächst ein wenig zu ihrem Hintergrund – was könnte Black Beth, einen hierzulande vermutlich kaum oder gar nicht bekannten Comic, für Leserïnnen interessant machen?

Ein (beinahe) verschollenes Artefakt

Auch ehemalige Kobra-Fans dürften sie nicht kennen, es handelt sich bei Black Beth um eine Serie, die damals überhaupt nicht dort erschien (und auch nicht im britischen Pendant Vulcan). Sie war für das Horrormagazin Scream! konzipiert, während dessen kurzer Laufzeit allerdings nicht mehr veröffentlicht worden (Nachdrucke erschienen Jahre später in einem Scream! Holiday Special, der eigenartigerweise Jahre nach der Einstellung des Magazins herauskam, und als Füllmaterial in der Serie Slaine the King).

Tatsächlich existiert aus der damaligen Zeit nur eine einzige Geschichte – Beths Origin Story, eine Pilotfolge, wenn man so will; vielleicht ein Versuchsballon, um zu testen, ob Hauptfigur und Konzept beim Publikum ankommen würden. Rebellion hat diese nun Jahrzehnte später mit neuen, zeitgenössischen Stories um die wiederbelebte Schwertkämpferin zusammengefaßt.

Dafür, diesen damals erst angekündigten Band vorzubestellen, gab es drei Gründe: Erstens interessieren mich obskure, verschollene oder halb verschollene Comics grundsätzlich; zweitens erinnerte mich der Zeichenstil der neuen Abenteuer vage an die spanische Schule des 20. Jahrhunderts, wie man sie z.B. bei Carlos Giménez, dem Zeichner von Dani Futuro, findet. Ich hege ein gewisses Faible für diesen Stil, wobei ich vorab sagen muß, daß es sich wirklich um bloße Ähnlichkeit handelt – es gelingt der aktuellen Zeichnerin, die unter dem Pseudonym DaNi agiert, einen durchaus eigenen, sehr originären und faszinierenden Stil zu kreieren (Einflüsse aus verschiedensten Richtungen wird es nach Jahrzehnten der Comicgeschichte natürlich immer geben). Und drittens erweckte die Vorabwerbung den Eindruck, es bei Black Beth zur Abwechslung einmal mit einer Schwertheldin zu tun zu haben, die nicht den genretypischen Klischees entspricht; einer wirklich realistisch gezeichneten zum Beispiel, aber auch einer, die charakterlich interessant ist. Nebenbei: Daß eine Jahrzehnte lang auf Eis gelegte Figur wiederbelebt wird, spricht dafür, daß die Herausgeber ihr ein gewisses Potential unterstellen; und tatsächlich hat die Protagonistin – optisch wie erzählerisch – die Fähigkeit, einen in ihren Bann zu schlagen. Es hat einen Grund, daß ich damals sofort auf sie aufmerksam wurde.

Nun – hat sich die Bestellung gelohnt? Vorab: An sich ja. Wobei ich mit dem „Rivival“ ein kleines Problem habe, das ich allerdings mit einigen Comics der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte habe – soll heißen, weniger mit Black Beth, als mit einem allgemeinen, m.E. unglücklichen Trend. Aber der Reihe nach.

:: R.I.P. Jean-Jacques Sempé

Leider muß ich heute nun doch noch einen weiteren Nachruf schreiben: Der Zeichner Jean-Jacques Sempé, der zusammen mit René Goscinny den „Kleinen Nick“ erschuf, ist tot.

Tatsächlich kenne ich Sempé – wie sicherlich viele meiner Generation – hauptsächlich durch diese Kinderbuch-Reihe (die sich, genau genommen, auch oder sogar zuerst an Erwachsene richtet). Ich bin mit diesen Büchern aufgewachsen und sogar mit der Originalfassung Le petit Nicolas in Französisch unterrichtet worden.

Zugleich war Sempés Werk viel umfangreicher; trotz ihres zauberhaft poetischen Strichs waren seine eigenen Geschichten und Zeichnungen oft gesellschaftskritisch, entlarvten z.B die Dekadenz der französischen Elite und die hohlen Phrasen bourgeoiser Gespräche ebenso wie die aufgesetzte Munterkeit und Freundlichkeit der New Yorker Kreativszene (so in dem hervorragenden Band Air Mail, den zu besitzen ich mich wohl glücklich schätzen darf, denn die Wikipedia-Seite zum Künstler listet dieses Werk nicht mehr unter den erhältlichen Titeln). Was alles nicht heißt, daß nicht auch die „einfachen Leute“ ihr Fett wegbekamen, oder die Kleinbürger, oder die Linke. Dabei wurde Sempés Blick nie verächtlich oder menschenfeindlich. „Mensch zu sein braucht enorm viel Tapferkeit. Es ist schwer.“ sagte er der Süddeutschen Zeitung in einem Interview von 2009; die Menschen betrachtete er mit melancholischer Sympathie. Denn der griesgrämig blickende Mann, dem man auf der Straße begegnet, ist eben kein unsympathischer Miesepeter: Vielleicht bedrückt ihn alles mögliche, oder es ist nur seine Müdigkeit und die Hitze des Tages, oder sein Job – doch er muß „immer weitergehen, immer weiter. So etwas berührt mich sehr.“ Seine zerbrechlichen Helden sind, wie der Kolumnist Imre Grimm fand, in der Welt permanent überfordert; wobei, das ist Teil von Sempés anrührender wie auch beißender Darstellung, sie sich selbst in Szenen, in denen sie vor prahlerischen Monsterbauten oder Straßenschluchten winzig und hilflos wirken, für den Nabel der Welt halten – sei es aus Selbstschutz, oder aus Selbstüberschätzung.

Comic-Zeichner im eigentlichen Sinn ist Sempé nie gewesen, denn „diese kleinen Rechtecke“ waren nicht sein Ding, wie er im o.a. Interview sagte; doch ein Schöpfer von Bildgeschichten, und dann was für welchen.

Den Umfang seines Werks habe ich immer wieder einmal, doch bis heute nicht komplett erforscht; wie gesagt, war er für mich die meiste Zeit meines Lebens vornehmlich der Zeichner des „Kleinen Nick“. Wobei seine Kinderdarstellungen eine bessere Kindheit als seine eigene imaginieren sollten, das Zeichnen für ihn überhaupt eine Art des Entkommens war. So oder so hat er meine Kindheit geprägt und sicher die vieler Menschen meiner Generation, und das mit nur einem Werk; und ein soviel größeres hinterlassen. Ruhe in Frieden, und danke.


P.S. Ein schöner Abriß von Leben und Werk findet sich im Nachruf der FAZ; darüber hinaus sei auf das oben verlinkte Interview und den Wikipedia-Artikel verwiesen.

Des Herrn Sathom Meckerecke