:: Rede nicht wider Eckart von Hirschhausen, aber wider das, was er vertritt

Der Herr Sathom guckt gerne Ottis Schlachthof, um sich an den lustigen Kaspereien, die daselbst von fröhlichen Kleinkünstlern zum Vortrag gebracht werden, zu erfreuen; so schaltete er auch dieses Wochenende wieder frohen Mutes das TV-Gerät ein und wählte den Sender des Bayernlandes, in freudiger Erwartung. Doch wehe – auf trat dort als Zweiter der lustige Eckart von Hirschhausen, „Arzt der Nation“ und notorischer Zwangsoptimist, und des Herrn Sathom gute Laune war dahin. Der Herr Sathom mag ihn nicht, den Herrn von Hirschhausen, und dieser tat auch bald sein Bestes, den Herrn Sathom erneut in dieser Haltung zu bestätigen. Weil der Herr Sathom ein Miesepeter ist und Herr von Hirschhausen Quell eines unbezwingbaren Optimismus? Nichts dergleichen. Der Herr Sathom ist selber in seinem Herzen Optimist, sonst meckerte er nicht, denn ihn treibt die Hoffnung, daß das Eine oder Andere, was er von sich gibt, ein paar kleine kritische Gedanken in die Köpfe der Menschen säe, daß sie sich weiter selbst aufklären mögen, und sei es im Widerspruch gegen des Herrn Sathom Ansichten. Es sind andere Gründe, die den Herrn Sathom dem Arzte der Nation abhold machen.

Der Herr von Hirschhausen ist nämlich ein Vertreter jener scheinbar lebensbejahenden, jedoch in Wirklichkeit die Menschen, die so ihre Nöte haben, zutiefst geringschätzenden Ideologie, die erstmals in den 80ern des letzten Jahrhunderts ihre üblen Wurzeln in die Herzen der Menschen schlug: des „Don’t worry, be happy“-Tums. Fröhlich bekennt er denn auch, kaum auf der Bühne, sein Lieblingsbuch (oder eines seiner Lieblingsbücher, der Herr Sathom erinnert sich nicht exakt, weil ungern an die Szene) sei die „Anleitung zum Unglücklichsein“ des Herrn Paul Watzlawick, eine schmähliche Schrift jener Jahre, die jeden, der nicht mit einem Dauergrinsen durch die Gegend hüpft, gleich aus welchem Grund, schlicht der Dämlichkeit verdächtigt und ihm – was immer ihm widerfahren sei – unterstellt, wenn er unglücklich sei, sei er nur selbst schuld, weil eben ein Idiot. Die Verdienste Herrn Watzlawicks will der Herr Sathom dabei gar nicht bestreiten; doch unangenehm war ihm stets bei der Lektüre oben genannten, populistischen Pamphlets – das komplexe psychodynamische Prozesse auf in übersimplifizierten Gleichnissen darstellbare Dummheiten reduziert – der Eindruck, der Autor hebe sich über die Menschen als leicht durchschaubare, lediglich kognitiven Irrtümern verhaftete Mechanismen, die mit ihren Irrungen und Nöten nicht so recht ernst zu nehmen sind; eine Haltung, die zumindest auf Leser genannten Machwerks stets irgendwie abzufärben scheint.

Ist etwas falsch daran, lebensbejahend und optimistisch zu sein? Wohl nicht – wenn man es denn wirklich ist. Die Ideologie, die Herr von Hirschhausen verkündet und darin des verstorbenen Herrn Watzlawick Büchlein folgt, hat jedoch in Wirklichkeit mit beidem weniger denn nichts zu tun. Sie hat sich über lange Jahre in den Köpfen ausgebreitet wie ein Hirnparasit aus einem billigen Science-Fiction-Film, und dazu geführt, daß gerade jene, die unter etwas leiden, mit Totschlagargumenten leicht zurückgewiesen werden können. Und daß sie, statt Trost zu finden, der es ihnen ermöglichte, bald wieder selbst zu lachen, mit Fußtritten in ihr Elend zurückgewiesen werden. Die „Don’t worry, be happy“-Denkweise ist überhaupt nicht dazu gedacht (noch dazu geeignet), Menschen durch Belehrung dazu zu verhelfen, weniger unglücklich zu sein; sie dient nur denen, die gerade besser dran sind, auf die weniger Glücklichen mit Fingern zeigen zu können, sich besser und klüger zu dünken und sich dadurch einzureden, einem selbst könne derlei nicht passieren. Denn daß es einem schlecht geht, ist nur Folge einer eigenen Dummheit, bestenfalls ein kognitiver Irrtum, schlimmstenfalls Beweis einer grundsätzlichen Lebensuntüchtigkeit, da kann man nichts machen, Sie suchen den Haustürschlüssel am falschen Platz, Sie sind eben doof. Diese These muß man nur lange genug medial und via Feuilleton gehörig verbreiten, et voilà. Wie, was, Ihnen geht es nicht gut, Sie haben Krebs? Das tut weh und außerdem finden Sie es doof, daß Ihre Verwandten Sie damit allein lassen? Na hör’n Sie mal. Seien sie ein bißchen optimistischer und nerven Sie mich nicht damit, dann werden Sie von selbst gesund und wenn nicht, waren Sie wohl doch nicht lustig genug und sind darum selbst schuld. Was sagen Sie, Sie haben Ihren Job verloren, die Ehefrau ist auf und davon, und Sie stehen vor dem Nichts? Na also hören Sie, wenn Sie dann noch so eine Fresse ziehen, ist es ja kein Wunder, daß Sie nicht gleich morgen wieder einen Managerposten und eine neue Partnerin an Land ziehen. Und Sie da drüben, was ist mit Ihnen los? Traumatische Kindheit? Na dann denken Sie doch nicht immer dran, dann dauert auch die Therapie nicht so lange (überhaupt brauchen Sie nur deshalb eine, weil Sie denken, daß Sie eine brauchen, das nennt man „selbsterfüllende Prophezeiung“, hahaha).

Herr Sathom behauptet übrigens nicht, daß Herr von Hirschhausen derlei Unbarmherziges sage, polemisiert jedoch nur wenig, denn als Konsequenz des Be-Happy-Denkens ist ihm derlei durchaus schon – mal mehr, mal weniger unverschämt gemein, auch in den Medien – begegnet. Immerhin: im Rahmen einer „Bild“-Serie, die Herr von Hirschhausen verfaßte, fand sich im Februar die Abildung eines „Hedonimeters“, vermittels dessen man sein Lächeln nachmessen könne; erst bei Werten „über Null“, hieß es dort, dürfe man auf die Menschheit „losgelassen“ werden, anonsten habe man die Umwelt vor Ansteckung (siehe unten) zu schützen. Lustigerweise ging es im konkreten Artikel um „wahre Freunde“; Herr Sathom fragt sich, ob er dies so zu verstehen hat, daß solche einander in seelischen Nöten nicht beistehen sollten, sondern man sich gerade vor diesen besser verstecke und im Geheimen leide, bis man wieder gemeinsam grinsen kann (was ja dann sicher auch einfach so geht).

Aber wo waren wir – ach ja. Überhaupt die „selbsterfüllende Prophezeiung“ – noch so ein Totschlagbegriff. Nicht, daß es derlei nicht gäbe (das Börsenleben, das uns die aktuelle Krise bescherte, ist reich daran, aber siehe, auch an sich nicht erfüllenden, denn die sogenannte „Blase“ ist ja eine übermäßig optimistische Prophezeiung, die irgendwann an der Realität scheitert, und keine pessimistische, was ist denn da los, die Welt steht Kopf) – aber nicht alles, was als eine abgehakt und damit mal eben als Dämlichkeit abgetan wurde, ist auch eine (das Abtun scheint ohnehin viel eher der Zweck dieses Begriffs als die korrekte Analyse eines Prozesses). Feinerweise liefert Herr von Hirschhausen bei seinem Auftritt gleich ein Beispiel dafür, was er unter einer selbsterfüllenden Prophezeiung versteht, wobei er unfreiwillig die falsche Verwendung des Begriffs selbst demonstriert. Herr von Hirschhausen meint nämlich, Warnungen vor Benzinknappheit würden, weil die Leute infolge der Warnung so viel Benzin kaufen, die Knappheit erst herbeiführen (Vorsicht also, wer da vor Folgen der Ausplünderung natürlicher Ressourcen warnt, er ist nun als pessimistischer Erfüllungsprophet entlarvt). Nein, Herr von Hirschhausen, möchte der Herr Sathom ausrufen – das Benzin wird weniger, und wird bald alle sein, weil das Erdöl weniger und bald alle sein wird, und das passiert durch die Förderung ganz von selbst, egal ob man’s vorab ahnt oder in blindem Optimismus leugnet. So ist das nämlich, jaja. Wenn Sie einen Teller Suppe leer essen, ist die Suppe irgendwann weg, auch ohne daß Einer daneben stand und pessimistisch auf den Suppenschwund hinwies. Was Sie da präsentieren, ist nur eines dieser wohlfeilen, jedoch um so unzutreffenderen Gleichnisse, an denen billige Lebenshilfe-Schmöker vom Ramschtisch so reich sind. Aber ach, der Herr von Hirschhausen kann den Herrn Sathom ja nicht hören. Selbst wenn das TV-Gerät des Herrn Sathom, sonst ein feines Stück Technik, in beide Richtungen übertragen könnte, er hörte es nicht. In seinen Ohren tosen nämlich der Applaus und das Gelächter derer, die sich qua Identifizierung mit solcherlei Rede für die Besseren und Klügeren halten können, und sich sicher auf der Seite derer wissen, denen nichts Schlimmes geschehen kann. Und die auch wieder gelernt haben, was man Einem sagt, der einen vielleicht oberflächlichen, vielleicht auch existentiellen Kummer oder Schmerz hat: Don’t worry, be happy – aber vor Allem, rutsch mir. Ehe ich mich noch bei Dir anstecke. Und auch Herr von Hirschhausen – der damit auch einmal mehr jeden, der etwas Kritisches zu sagen hat, als lediglich self-fulfilling prophecies verbreitenden Dümmling denunziert hat – ist happy.

Der Herr Sathom möchte allerdings Herrn von Hirschhausen explizit nicht irgendeines Zynismus oder der absichtlichen Verächtlichmachung unglücklicher Menschen zeihen, oder sonst einer bösen Absicht – er hat vielmehr, auch aus Interviews, den Eindruck gewonnen, Herr von Hirschhausen meine ehrlich, in seiner Philosophie den Stein der Weisen für etwas mehr Zufriedenheit im Leben entdeckt zu haben. Partiell, wenn es um unsinnige Nörgeleien oder kleine Wehwehchen geht, mag er da sogar recht haben. Den Herrn Sathom stört aber die allgemeine Ideologie, in die sich Herr von Hirschhausen – sei’s auch ungewollt – damit einfügt und sie unterstützt, und die oft sehr bösartig und gemein sein kann. (A propos allgemein: wie alle sehr erfolgreichen, garantiert zu Lachern führenden Schenkelklopfer – etwa Witze über Lehrer, denen vor einer Weile der verdienstvolle Hagen Rether in „Neues aus der Anstalt“ eine wie immer scharfsinnige Abfuhr erteilte – sind auch Witze aus dem „Be Happy“-Schubfach vor Allem durch eines gekennzeichnet: sie beruhen auf einer allgemein geteilten, aber blödsinnigen Annahme (richtig, das nennt man „Vorurteil“, setzen, 100 Punkte)). Leider jedenfalls, gute Absicht unbenommen, bewegt sich Herrn Hirschhausens Argumentation, kalauernd vorgebracht, auf dem Niveau jenes gesunden Menschenverstandes, der eigentlich Blitze aus dem Himmel herniederfahren und die Steine sprechen lassen müßte, gäbe es einen Gott. Das ist immer noch besser als die zynisch-gehässigen Schenkelklopfer eines Dieter Nuhr, jedoch kein Humor – sondern nur ein Lachen aus Selbstzufriedenheit.

Übrigens mal ernsthaft: das oben Gesagte mit der Ansteckung kommt nicht von ungefähr. Bereits die frühen Aufklärer, darunter Kant höchstselbst (der Herr Sathom empfiehlt zu diesem Thema übrigens das wunderbare Buch von Böhme & Böhme, „Das Andere der Vernunft“) vertraten die Auffassung, das Mitleid sei schädlich, weil man sich damit am Leid und sogar an körperlichen Krankheiten anstecken könne. Daran ist nun insofern etwas Wahres, als übermäßige Identifikation psychisch und sogar psychosomatisch schaden kann, und bestimmte Persönlichkeitstypen andere Menschen auch emotional beherrschen können, indem sie deren Empathiefähigkeit ausnutzen (sie quasi in ihren Sumpf hineinziehen); jedoch: Empathie und bewußte Selbstbewahrung schließen einander nicht aus. Dazu allerdings muß man die Empathie den bewußten, vernunftgeleiteten Erkenntnisvermögen hinzugefügt haben, anstatt sie – wie es die emotionsparanoiden Frühaufklärer taten – rigide abzustreifen und ins Niemandsland des Irrationalen zu verbannen. So daß man zu der Erkenntnis fähig ist, welche Zuwendung ein anderer Mensch braucht, und welches Ausmaß einem selbst und dem Anderen nur schadet. Die Empathiefeindlichkeit – ja die regelrecht phobische Angst vor der Empathie, ausgelöst durch deren Verbannung ins der Vernunft entzogene Reich des Irrationalen – zieht sich spätestens seit der Entstehung des protestantisch-pietistisch gefärbten Bürgertums durch die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, und scheint dem Herrn Sathom unmittelbar in Zusammenhang zu stehen mit der Härte und Verachtung, mit der diese Gesellschaft den Unglücklichen begegnet (und verachtet man nicht immer am Anderen, was man an sich selbst fürchtet – etwa, einmal schwach zu sein oder werden zu können?). Gerade hierzulande, wo angeblich so gern gemeckert wird, fand der Herr Sathom zugleich immer schon eine fast aggressive Forderung vor, es dürfe einem ja nicht schlecht gehen (man dürfe also die Anderen nicht mit dem Ansinnen nerven, daß sie Empathie zeigen mögen), vielmehr müsse man auf Kommando gute Laune haben können; einhergehend mit der Unterstellung, man sei immer unfröhlich, sobald man es nur ein einziges Mal ist („sei doch mal fröhlich“ ist der unerträglich dumme Spruch, in dem sich Forderung und Unterstellung verdichten; eine ähnlich Äußerung wie „sei spontan“). Daß es so Vielen dann doch schlecht geht, mag daran liegen, daß ihnen eben nie Einer zuhört, und sie ob der Zurückweisung in diesem Zustand verharren müssen (Selbstmitleid, noch so ein Schimpfwort, benötigt ja an sich nur, mit wem sonst keiner Mitleid hat). Zumal mangels empathischer Zuwendung die Betreffenden sich dauerhaft unverstanden fühlen und weiter und weiter von dem sprechen müssen, das sie belastet (wobei vielleicht, wo sie über Unwesentliches nörgeln, dieses das eigentlich Belastende nur verdeckt, weil man dieses nicht in Worte fassen kann und daher auf allgemein zu äußern erlaubte und anerkannte Anstöße verfällt). Weil das Belastende ja nicht aufhört, wenn es nie auf Widerhall trifft, und sich fortwährend äußert in dem vergeblichen Versuch, einmal doch gehört zu werden. Wo empathische Zuwendung helfen könnte, sich aus Zuständen des Unglücks zu lösen, indem sie einfach Kraft gibt (was verlangt, daß sie sich nicht identifiziert, nicht co-abhängig wird, weil die Empathie bewußtes Erkenntnisvermögen ist und solchen irrationalen Mechanismen nicht unterliegt), wird sie statt dessen verweigert und verweist den Unglücklichen in sein Unglück zurück; und siehe da, dem ist ja nicht zu helfen. Das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung, Damen und Herren.

Wohlgemerkt: es ist nicht alles falsch an der Idee des positiven Denkens, noch an der der selbsterfüllenden Prophezeiung, im Gegenteil; worüber der Herr Sathom sich hier mokiert, ist die trivialisierte, vulgarisierte Form, in welcher diese Ideen Eingang in die populäre Westentaschenpsychologie gefunden haben, und wie sie von ihren ignoranten Anhängern vertreten werden. Wie sie als leere Floskeln und Schlagworte dahergebetet werden, um nur ja keine Nähe aufkommen zu lassen, und weiter um sich selbst kreisen zu können; wie sie – theoretisch bestenfalls halb verstanden – kaum wirklich von jemandem praktiziert, jedoch von Allen sich als Leistung angerechnet werden, um sich selbst als diejenigen sehen zu können, die alles richtig machen, während es falsch nur die Anderen machen. Wehe, diese setzen nur an, von einem Problem zu reden – Probleme gibt es nicht und hat man nicht, nur Lösungen, außer Du bist das Problem, und noch ehe die Sache auch nur ansatzweise umrissen ist, bist Du mit ein, zwei Totschlagfloskeln mundtot gemacht. Die Details, mit denen einer hadert, muß sein Gegenüber gar nicht kennen, will es auch nicht – es hat zwei Bücher vom Grabbeltisch gelesen oder drei dümmliche Zeitschriftenartikel, und weiß sofort, was mit einem los ist. Selbst auch nur halb bei Bewußtsein durchs Leben stolpernd, aber sich im Besitz der tiefsten Menschenkenntnis wähnend, wird es den Anderen kurz abfertigen, er denke eben negativ oder leide an selbsterfüllenden Prophezeiungen – eine Aussage, die ihm in dieser Pauschalität gar nichts nützt. In dieser Form sind beide Ideen, an sich nützlich, zum Mittel der Selbstinszenierung und Abfertigung des Gegenübers geworden, weiter nichts. Und so funktioniert auch Herrn Watzlawicks Buch: welchem depressiven Menschen nützte es etwas, keinem (und ist es nicht seltsam, daß im Zeitalter des positiven Happydenkens immer mehr Menschen depressiv werden?), nur seinen leicht zu beeindruckenden Lesern, sich für sonstwie schlau zu halten, weil komplexe psychologische Zusammenhänge zu albernen Gleichnissen (etwa von Betrunkenen, die ihren Haustürschlüssel bei der Laterne suchen, weil da Licht ist, obwohl sie ihn woanders verloren haben) reduziert werden, die jeder Narr zu verstehen meint. Welch Hochgefühl, vermag doch ein jeder, der diesen Schmöker halb verdaut hat, ein Kommunikationswissenschaftler zu sein wähnen.

Das bildungsbürgerliche Ideal der Perfektibilität des Menschen, an sich ein aufklärerisches, potentiell ein emanzipatorisches, früh verkommen zum Ideal der größtmöglichen opportunistischen Anpassungsfähigkeit, lebt in dieser heruntergekommenen Form auch davon, sich besser als die Anderen zu dünken, weil man besser überall durchflutscht, und dort, wo man vielleicht lediglich Glück hatte, sich unreflektiert zu schmeicheln, eben „besser“ zu sein; die Herablassung, wenn nicht Verachtung gegenüber denen, die „dümmer“ scheinen, schmeichelt zusätzlich der eigenen Selbstüberschätzung. Und beide Ideen sind zu Vehikeln dieser überheblichen Arroganz geworden.

Und ein Letztes (ja, der Herr Sathom war wieder mal schwatzhaft): die angebliche pessimistische Miesepetrigkeit der Deutschen ist dem Herrn Sathom, der lange in Armut gelebt hat, gerade unter armen Menschen oder solchen, die es verdammt schwer haben, ihre Kinder durchzubringen, absolut nie begegnet. Also gerade bei Jenen nicht, die nach allgemeinem Vorurteil angeblich dauernd mies drauf und selbst schuld sein müßten, daß sie es schwer haben. Der Herr Sathom fand dort vielmehr stets Mut und Bereitschaft zu gegenseitiger Hilfe vor. Er fand diesen Negativismus vielmehr gerade bei jenen besser betuchten Bürgern und Feuilletonisten, in deren Rede gleichzeitig die Happy-Forderung allgegenwärtig war (dasselbe gilt für den angeblichen „Neid“ der sozial schwächeren Schichten. Der Herr Sathom muß beispielsweise immer lachen, wenn in Talk-Shows Schauspieler und andere Prominente sich über Neid in der Gesellschaft beschweren, der ihnen sicher nicht von ihrem Publikum entgegengebracht wird, das ihnen ja Geld in die Tasche steckt, während sie realen Neid tatsächlich vermutlich nur aus ihrem unmittelbaren Umfeld kennen). Der Herr Sathom glaubt – nein, er ist sicher – daß die Happyideologie ein ausgemachter Schwindel ist, der verschiedensten gesellschaftlichen Zwecken dient, und daß dieser Schwindel sicher nicht zufällig in Zeiten des Yuppietums wiedergeboren wurde, und in solchen der New Economy und des Neoliberalismus sich verbreitete; ist diese Mentalität (zumal als Dauerforderung in die Hirne gebrannt) doch nicht nur ein feines Mittel, jedwede Kritik als Miesepeterei, und jede Äußerung von Unglück über, oder gar Scheitern an den Umständen als persönliches Versagen abzutun, sondern auch eines, gesamtgesellschaftliche Umstände als solche jeglicher rationalen Kritik zu entziehen und ein Heer unsolidarischer, zum Gut-drauf-sein verdonnerter, aber ohne Rückhalt auf sich selbst zurückgeworfener Einzelkämpfer heranzuziehen, die man dann als Arbeitsuchende um so leichter in der Tasche hat. Daß die Philosophie des „Be happy“ gerade in dieser Zeit so fröhliche Urständ feierte und vom Zielpublikum so gern gefrühstückt wurde, hat etwas mit dem zu tun, was Habermas einst als „erkenntnisleitende Interessen“ bezeichnete, aber das erklärt der Herr Sathom jetzt nicht, er hat für diesmal genug genörgelt.

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