Als Herr Sathom neulich von der Arbeit nach Haus fuhr, schmerzend der Kopf, der Nacken, die Augen, glaubte er zunächst, letzteren ob ihrer Anstrengung nicht mehr trauen zu können, doch da war es: unübersehbar, unleugbar, unmißverständlich. Ein Plakat, darauf niemand anderes denn Herr Udo Lindenberg, einst doch immer gegen den Strom, sinnend auf Panik, singend für die Abrüstung, Reklame für die „Bild“-Zeitung zu machen sich nicht zu schade ist. Ein kluger Hut stecke immer hinter dieser Zeitung, heißt es auf dem sogar eigenhändig von ihm zu diesem Zweck gemalten Bilde – das mag klingen, als meine er sich selbst, schmeichelt jedoch zugleich so suggestiv wie frivol dem beworbenen Blatte, von dem damit implizit gesagt ist, daß es eines „klugen Hutes“ Anerkennung fände, sowie jenen, die das Blatt goutieren, können sie sich damit doch dem schlauen Promihute gleich wähnen – worüber Herr Lindenberg sich eigentlich klar sein könnte; allein dies schon eine Beweihräucherung des beworbenen Papierprodukts und zugleich dessen Anbiederung bei seiner Leserschaft, ist jedoch das Schlimmere, wer da eigentlich – und wer alles noch – bereit ist, sich jenem Boulevardblatt dienstbar zu machen. Herr Sathom war dem Herrn Lindenberg zwar noch nie sehr zugetan, ist aber doch überrascht und entsetzt, zumal über den Zeitgeist und die Einstellung, die sich in derlei äußern, von Seiten Eines, der sich früher singenderweise der Friedensbewegung antrug und auch ansonsten ein politisch bewußter, bunter Widerborst sein wollte (oder liegt’s nicht an der Einstellung, sondern daran, daß zumindest in diesem Fall tatsächlich einmal der Kopf, darauf der Hut sitzt, weniger klug war denn jener, so wie dereinst es sich verhielt mit den Hüten und Köpfen der fröhlichen Gibis, der Widersacher der unglückseligen Shadoks?). Um so mehr, als sich Herrn Sathoms Vermutung bestätigte, daß auch weitere „Promis“ sich nicht zu schade sind, sich dieser Betätigung zu befleißigen, wie man hier ersehen kann.
Was treibt diese Leute? Lesen sie nicht das hochvorzügliche BILDblog, lasen sie nicht des Herrn Wallraff Schriften, müßten sie das überhaupt, kann nicht ein Jeder, der wachen Verstandes und Anstandes ist, jederzeit sehen, was vom Gegenstand ihrer werbenden Unterstützung in der Vergangenheit getrieben wurde, in der Gegenwart noch getrieben wird? Wissen sie nicht, mit wem sie sich einlassen, oder ist es ihnen gleich? Brauchen sie das Geld so nötig? Wohl nicht, dankt doch „Bild“ auf einem später vom Herrn Sathom entdeckten Plakat Herrn Til Schweiger, daß er seine Meinung unentgeltlich zur Verfügung gestellt habe – was Herrn Sathom schaudernd ahnen läßt, es könne tatsächlich Gründe geben, sich mit diesem Blatte einzulassen, die er ausnahmsweise noch trauriger fände denn pekuniäre Gier. Denn was will man dann? Sich mit der Meinungsmaschine gut stellen? Die Gelegenheit nutzen, mal wieder im Gespräch zu sein, sie so dankbar ergreifen, daß man sich dafür auch gern sogleich des Blattes Werbeabsicht dienstbar macht? Auf daß man ein gutes Verhältnis zueinander habe, man braucht einander ja, jahaha, eine Hand wäscht die andere? Fühlt man sich gar geschmeichelt, weil „Bild“ einen nach seiner Meinung fragt?
Dabei ist Herr Sathom sogar fern davon, die Betreffenden (jedenfalls für diese Tat, je nachdem ist er ihnen, die sich in dieser Kampagne z.B. als sexistisch blamieren, aus anderen Gründen abhold) allzu sehr zu schelten, oder gar als Personen zu verdammen, denn jeder macht mal Mist, auch der Herr Sathom selbst, aber sagt mal ehrlich, Leute, habt Ihr DAS eigentlich wirklich nötig?
Auch Kritiker des Blattes, so erfährt man, sollen in der Kampagne zu Wort kommen – so sie denn teilnehmen, sind sie denn Narren?! Können sie ernsthaft glauben, ihre Kritik, als Werbung für „Bild“ vorgetragen, hätte Sinn oder fände Resonanz? Und wäre nicht vielmehr Täuschung, vermittels derer es dem Blatte aufs Hervorragendste gelingen muß, den falschen Schein zu erwecken, es sei offen für den kritischen Gedanken, um zugleich zu demonstrieren, daß dieser es nicht schert, weil ihm keiner was könne? Daß Kritik ruhig zur Eigenwerbung dargestellt werden könne, da sie ohnehin belang-, weil so folgen- wie wirkungslos sei? Welch höhnisches Triumphieren, das diese Kampagne demonstriert, und bedauerlich Jene, die naiv darauf hereinfallen und sich mit dem Reklametrick gemein machen in dem Irrglauben, sich als Kritiker des Blattes Gehör zu verschaffen. Und soll man etwa des Herrn Gottschalk Äußerung, die dem verlinkten Artikel zu entnehmen ist, wahrlich wie dort behauptet für eine „kritische“ halten? Mitnichten, meint Herr Sathom – sie bestätigt eben das Befürchtete, daß die „Kritik“ nur zugelassen werde, um zu zeigen, daß „Bild“ sich alles erlauben und alles und jeden machen (oder niedermachen) kann, daß das Blatt so unantastbar sei wie unausweichlich für jene, die in der Öffentlichkeit stehen, und gewiß seiner üblen Macht. Herrn Sathom graust’s insofern bereits vor dem angekündigten Plakat mit Herrn Gysi, und ein noch grausigerer Verdacht erhebt sich vor ihm: was, wenn unter den Kritikern(!) sogar Wallraff…? Dann kann Herr Sathom nur noch hoffen, dieser verfüge über die Klugheit, den Trick zu durchschauen und subversiv zu unterlaufen. Aber nein, Herr Sathom mag’s nicht glauben, daß dieser, der Herr Wallraff würde nie, Herr Sathom tut die Idee als Überspanntheit ab, ihm reicht’s schon, daß sogar Alice Schwarzer schon einmal aus völlig fehlgeleiteten Gründen… die tippenden Finger versagen Herrn Sathom bei dem Gedanken.
Eines jedenfalls müßte jedem „Kritiker“ der „Bild“ klar sein – daß er sich, gleich was er zu sagen hätte, damit nur vor des Blattes Karren spannen läßt. Und wie ernst es ihm mit seiner „Kritik“ sein kann, oder ob diese nur eine oberflächliche, nicht prinzipielle, nicht den wahren Abgrund wahrnehmende sei, die sich vielleicht nur ein wenig an Stil und Auftreten stört (etwas mehr Bildung, etwas weniger Meinung hätte er gern, sagt Herr Johannes B. Kerner im Fernsehwerbespot, na wenn’s nur das ist), müßte er sich selbst fragen, wenn er sich zu derlei hergibt. Und sie natürlich auch.
Nebenbei bemerkt: die so unbekümmert wie selbstsicher herausposaunte Unausweichlichkeit des Blattes, von der oben die Rede war, erfüllt natürlich vielfache Funktionen, von denen schon Herr Wallraff einst treffsicher zu singen und zu sagen wußte. Da ist zum Einen, daß niemand, der auf öffentliche Meinung zu seiner Person Wert legt oder dieser bedarf, an der Postille vorbeikomme (so daß sich zweierlei Interessen in solcher Kampagne treffen in unheiliger Allianz); zum Anderen, daß das Blatt sich auch heute noch aufspielen kann als die Instanz, die es für den kleinen Mann schon aufdeckt und richtet (weshalb es ruhig Mißstände aufgreifen und populistisch verarbeiten kann, suggeriert es doch zugleich, diese allein dadurch erledigt und gehandhabt zu haben, und bleibt so dennoch Stütze des status quo); und letztlich, meint Herr Sathom, ermöglicht es dem geneigten Publikum, sich als seiner Macht teilhaftig mit ihm zu identifizieren (auf daß denn wir alle Papst seien), was eine Mentalität bedient, die zu analysieren hier zu weit führte, weshalb Herr Sathom dazu auf Herrn Klaus Theweleits Studie der „Männerphantasien“ verweist.
Wie schnell kann einer sich verbiegen, mit etwas gemeinsame Sache zu machen, das doch jedem Menschen mit Verstand und Selbstachtung ein Greuel sein muß? Was Herrn Sathom so erschreckt – einmal mehr, obgleich er die Menschen doch kennt, und dies durchaus manchmal zu seinem Mißvergnügen – ist nicht nur, wozu die Menschen imstande sind, nämlich für derlei zu werben, sondern auch, in welchem Ausmaß die beworbene Zeitung trotz ihres Tuns hoffähig ist, wie schnell sich auch diejenigen, von denen man es kaum dächte, ihr anbiedern – sei es, weil sie glauben, es zu müssen, oder weil sie es wollen, oder weil sie es auch für Eigenreklame halten, ganz gleich, mit wem sie dazu paktieren müßten. Gewiß, die schlimmsten Tage des Blattes scheinen vorbei – dem Herrn Sathom kommt es daher eitel vor, an Rudi Dutschke zu erinnern oder den rassistisch-sexistischen Feldzug gegen Beate Uhse; aber schlimm genug ist es immer noch, und im Gegensatz zu dem, was viele Gebildete (oder solche, die sich dafür halten) gerne glauben, weiß Herr Sathom, der viel weniger Dünkel in sich trägt als sie, und sich auch mit solchen Menschen unterhält, die die „Bild“ lesen, daß diese tatsächlich glauben, und oft emotional sich davon beeinflussen lassen, was dort verbreitet wird (und es liegt Herrn Sathom auch fern, jene zu verachten, denn es sind oft sonst gute Leute; er schilt jene, die sie manipulieren). Und daß jenes Blatt so harmlos scheint und sich keines großartig negativen Aufsehens erfreut, ja sogar vielmehr einer augenzwinkernden Akzeptanz als Teil der Populärkultur, macht die Sache nicht besser – im Gegenteil, denn so kann leise in die Köpfe sickern, was doch regelmäßig einen Aufschrei auslösen müßte.
Zum populärkulturellen Aspekt verweist Herr Sathom abschließend noch auf den klugen und ebenso witzigen wie unbestechlichen Artikel des Fräuleins Judith Holofernes im BILDblog und stellt im Übrigen fest, daß das hier berichtete Geschehen für ihn nicht das Ende, sondern vielmehr leider den Ausdruck und die Quintessenz, und somit die Schande des Abendlandes vor Augen führt, des metaphorischen Landes, in dem doch angeblich die Aufklärung vonstatten gegangen sein und nicht vielmehr noch viel nötiger und entschlossener weiterzutreiben, so denn nicht bereits gescheitert sei.
P.S.: Fast komplett das Thema wechselnd, präsentiert Herr Sathom zur Aufheiterung und zum Troste nach diesem bedrückenden Thema noch Jenen, die des Französischen mächtig sind, einen Link zur ulkigen Website der Shadoks.
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