Herr Sathom stolperte kürzlich beim Zappen und New Avengers-Gucken mehrfach über einen Trailer des Senders arte, darin derselbe seine Summer of the 80ies-Serie bewarb, und stutzte ob der kurz zwischen der unvermeidlichen Madonna und anderen Ikonen der Zeit aufflackernden Erscheinung eines seltsamen Mannes, Klaus Nomi geheißen, von welchem eine der Sendungen handeln sollte. Vage wehte es Herrn Sathom an – ein Gefühl wie das einer verschwommenen Erinnerung, als rühre das Erscheinungsbild des Seltsamen, mit zu V-förmiger Frisur gelierten Haarspitzen und ebenfalls dreieckigem Outfit, gar selbst so zugespitzt geschminktem Mündchen, an etwas einst Gesehenes und Vergessenes, seltsam bekannt, doch nicht einzuordnen. Mehr zufällig sah Herr Sathom dann wirklich die ausgestrahlte Dokumentation The Nomi Song (Wiederholungstermine unten), und siehe, tatsächlich: der Pubertät noch nicht entronnen hatte Herr Sathom ihn einst gesehen, zu Beginn jener 80er, kurz paradierend über den Fernsehschirm, wahrscheinlich in einer Folge der Bananas oder der Formel 1, sicher zu des Herrn Sathoms Eltern ungläubig-belustigtem Entsetzen. Nur bruchstückhaft erreichte dieses Sängers Ruhm, nachdem er von den USA aus Frankreich erobert, auch hiesige TV-Schirme, ehe ein zu frühes Ende ihn der Welt entriß als eines der ersten Opfer jener damals noch mysteriösen, unheimlichen neuen Krankheit, die für Entsetzen und Gerüchte sorgte; so bruchstückhaft, daß ein Thomas Gottschalk (wohl anläßlich eines Auftritts in „Na sowas“, vermutet Herr Sathom angesichts einer Referenz im deutschsprachigen Wikipedia-Artikel), frech grinsepitternd damals schon, dreist dem Publikum weismachen konnte: „Wir haben ihn entdeckt!“ (nun ja, vielleicht in der Art, wie nach europäischer Lesart Kolumbus Amerika, und andere Europäer sonstwelche Gegenden „entdeckten“, wiewohl deren Bewohner diese ja an sich schon vorher gefunden hatten. So man dies gelten läßt, warum auch nicht jene „Entdeckung“ des bis dahin im Lande der Nachzügler Unbekannten).
Herr Sathom, zunächst nur einige Minuten zuschauen wollend, um den mysteriösen Charakter einordnen zu können, verblieb gebannt vor dem flimmernden Schirm. Die Dokumentation der kurzen Karriere des falsettsingenden Kontertenors, beginnend in der schrillen New Wave-Szene New Yorks, ward ihm zur Zeitreise zurück zu Bekanntem wie auch damals nur randständig Wahrgenommenem, ließ jene Zeit ihm wieder auferstehen.
Die Dokumentation selbst zeigt in Interviews mit ehemaligen Weggefährten und –gefährtinnen, Videoclips, Mitschnitten von Auftritten und vielerlei mehr den Weg des Klaus Nomi (des bürgerlicher Name hier keine Rolle spielen soll, denn Nomi war er, der wollte er sein) von den ersten Auftritten in bizarren Clubs, daselbst sein Gesang hartgesotten zynischen, supercoolen New Wave-Gestylten die Tränen in die Augen steigen ließ, sie schüchtern machte ob der außerirdisch androgynen Gestalt der Kunstfigur, zu der er sich umgeschaffen; erzählt, wie er zusammen mit einigen Unentwegten seine Show entwickelte; zeigt ihn als Liebenswerten, der doch vergeblich nach Liebe strebte; zeigt ihn, ohne zu denunzieren, zugleich als Einen, der narzißtisch übersah, daß seine kreativen Helfer durch Bühnenchoreographie, Kostümdesign und Erstellung von Liedtexten mit am Wesen Nomi schufen, als Einen, der – so die Vermutung eines, der ihn früher kannte – wohl wirklich glaubte, alles am Nomiwesen, jener android elfenhaften Gestalt, schaffe er durch sein bloßes Wollen selbst. Sie zeigt, wie David Bowie, trendjagend aufmerksam geworden auf den durch Flüsterpropaganda Berühmten, den zu sehen sich in New York Menschenschlangen um Häuserblocks wanden, ihn kontaktierte und mit ihm in Saturday Night Life auftrat, versprach, in man werde von ihm hören, und sich nie mehr meldete – eine Episode üblen Beigeschmacks, als habe der stets nach Neuem suchende Altmeister sich nur kurz zu eigenem Nutzen schmücken wollen mit jenem, der (meint Herr Sathom) außerirdischer und darin authentischer war, als Bowie selbst je zu sein hoffen konnte. Schildert auch, wie das Musikbusiness zuschlug (noch eine „Entdeckung“): wie großes Geld per Plattenvertrag winkte, dieweil Bosse, die Nomis Musik und Auftreten nicht verstanden, ihn auf wenige, wiedererkennbare Klischees reduziert auftreten ließen, umgeben von angeheuerten Musikern und Tänzerinnen, zwischen denen er allein seltsam und fremdartig leuchtete; wie seine früheren Mitstreiter plötzlich ohne Mitteilung aus dem Rennen waren, abgehängt, der Texter seiner Stücke dieselben auf Schallplatten wiederfand ohne Nennung seines Namens oder irgendeine Entlohnung. Verschweigt nicht Enttäuschung und Zorn jener Menschen, aber auch nicht, wie es zuende ging – wie, als es schien, nun komme der große Durchbruch, nachdem die Plattenfirma ihn in den USA und Frankreich groß herausgebracht, das Ende in Einsamkeit zuschlug in Gestalt jener Seuche, die damals schreckerregend die Welt überfiel, von einer sensationslüsternen Presse „Schwulenkrebs“ genannt. Offen bekennen die Weggefährten, wie sie ihn im Krankenhaus nicht aufsuchten – teils ob noch immer schwelenden Grolls, teils aufgrund der Angst vor dem Unheimlichen, dessen Ansteckungswege unbekannt und so mysteriös waren wie alles andere an ihm.
Anrührend und versöhnlich endet dennoch der Film; mit der von eben jenem Texter geschilderten Episode um das erste Mal, da er Nomi in einem New Yorker Club sah. Herr Sathom will diese Episode nicht verraten, die voll und ganz zeigt, wie sehr der ätherische Künstler aus einer anderen Welt, und trotz der geschilderten Ambivalenzen menschlicher war als manch anderer. Nur so viel sei verraten: nach dem Auftritt, da selbst die coolsten Szenegänger ihm nur scheu begegneten, als sei er von einer Glocke elektromagnetischer Strahlung gleich einem Energieschutzschirm umgeben, sprach nur ein Kind, Tochter der Freundin jenes Erzählers, ihn an: ob er ein Marsmensch sei. Was dann geschah, was er zur Antwort gab? Das müßt Ihr Euch schon selber ansehen, Leute. Wiederholt wird das Ganze von arte am 13.07. (leider in der Nacht zum 14.07. um 3:00 Uhr) und 21.07., und Herr Sathom rät und legt’s ans Herz: seht es an oder werft die Recorder an, und wer noch einen hat, ein altes VHS-Teil, soviel Stil muß sein.
Nomi, findet Herr Sathom, war eine Figur ganz der frühen 80er – sphärisch, kosmisch, halb Roboter, halb Alien, halb Hermaphrodit, und doch sehr menschlich, auch tragisch allzumal. Was aus ihm hätte werden können – ein zweiter Bowie, ein zweiter Michael Jackson, ein nach kurzem Aufstieg steil Abgestürzter, eine nur noch sich selbst reproduzierende Klischeemaschine wie so manche Hagens und Lindenbergs, oder ein ewig Neues Schaffender – man weiß es nicht und könnte nur eitel spekulieren. Jedenfalls: die Reise zurück in jene Zeit, da einer oder mehrere – jedenfalls bis zu einem gewissen Punkt – dank eigener Kreativität mit Eigenem, nicht aufgrund von Trendanalysen schablonenhaft Geklontem, mittels Casting-Shows auf kurzen Erfolg Hingebasteltem, ihren Weg machen konnten, war dem Herrn Sathom eine vielleicht nostalgische, jedoch nichtsdestoweniger schöne Rückfahrt in jene Zeit seiner Jugend, da bei allem echten oder gespieltem Zynismus irgendwie alle noch nicht ganz so abgekocht waren wie heute.