:: Spieglein, Spieglein am Kioskstand

Oder: Herr Sathom exemplifiziert einige zuvor gemachte Ausführungen.

Yours sincerely fiel im Nachhinein anläßlich des „Spiegel“-Titelthemas der gerade endenden Woche (dazu unten mehr) nämlich auf, daß die von ihm bereits früher erwähnten Vertraulichkeiten zwischen „Spiegel“- und Axel-Springer-Verlag eigentlich ein wunderbares Exempel darstellen, geeignet, das von ihm kürzlich behandelte Thema hinsichtlich aller damit zusammenhängenden Punkte einmal beispielhaft darzustellen. Denn was haben wir hier?

Zunächst als prototypischen Vertreter des „Qualitätsjournalismus“ ein Magazin, den „Spiegel“, welcher trotz einiger Risse im Lack vielen wohl immer noch als Urgestein und Inbegriff investigativen Journalismus, ja der Presse- und Meinungsfreiheit und Demokratie an sich gilt; ein Ruf, den das Blatt vornehmlich seinen Veröffentlichungen der 60er und 70er, gern auch 80er Jahre, insbesondere jedoch der „Spiegel-Affäre“ verdankt, die zum Prüfstein dafür wurde, ob in der jungen Bundesrepublik Pressefreiheit herrsche oder die Medien schikaniert werden können. Kurzum, ihrem – dereinst wohlverdienten – Ruf nach eine echte Qualitätspublikation, ein Markstein der Aufklärung. Dies ein Beispiel für eben jene Patina der etablierten, als seriös geltenden Medien, von der Herr Sathom sprach –  ein Leumund gegründet auf frühere Taten, dem gerecht zu werden sicher viele Mitarbeiter auch heute noch bemüht sind, der jedoch andererseits, verankert in der Öffentlichkeit Bewußtsein, jedwede Veröffentlichung des Blattes per se als seriös, sachlich, kompetent und unabhängig von Interessen – sei es von verlegerischer Seite, sei es in Gestalt persönlicher Motive oder Vorurteile der schreibenden Journalisten – gelten und wahrnehmen läßt. Drum kann der Ruf, einmal im öffentlichen Denken installiert, zum Vehikel diverser Interessen werden, so man ihn nutzt, bestimmte Inhalte an Mann und Frau zu bringen, denn siehe, steht’s im „Spiegel“, schon findet es Beachtung, setzt einen Signal im Gewirre öffentlicher Debatten, gilt als wichtig und des Magazins Standpunkt dazu wenn nicht als von vornherein richtig, so doch immerhin als unbedingt zu beachten. Der Ruf eilt dem tatsächlichen Inhalt voraus, und des Inhalts hohe Qualität wird so von vornherein unterstellt, und was im Blatte steht, als Wahrheitskündung empfunden – wiewohl statt dessen Prüfung des Inhalts an erster Stelle zu stehen hätte, und die Beantwortung der Frage, ob der Leumund noch angemessen, davon abhängig zu machen.

Was sehen wir nämlich in jüngerer Zeit? Nun, etwa Kollaborationen und Kooperationen zwischen „Spiegel“- und Axel-Springer-Verlag, die sich sicherlich auch dem Umstand verdanken, daß die Herrscher beider Häuser sich privat gut leiden mögen, und welche so weit gehen, daß Publikationen beider Verlage sich gleichzeitig derselben Themen annehmen, ja gar parallel zueinander versuchen, den gesellschaftlichen Diskurs zu beeinflussen – dergestalt etwa, daß sie gemeinsam gegen die Rechtschreibreform Front machen und andere auffordern, ihrem Beispiel Folge zu leisten (letztere eine Reform, welcher Herr Sathom ganz und gar abhold ist – was nicht heißt, daß ihm konzertierte Aktionen, welche Zweifel an der Unabhängigkeit der beteiligten Medien aufkommen lassen, deswegen nicht schwer im Magen lägen). Daß man weniger unfreundlich übereinander schreibt als ehedem, verwundert angesichts dessen kaum noch. Der Erfolg solcher Unterfangen mag bescheiden bleiben, die Absicht ist gleichwohl erkennbar; kurzum, es zeigt sich, nicht alles ist qualitätsjournalistisches, lediglich dem hehren Berufsethos verpflichtetes Gold, was von altersher glänzt.

Woher beziehen wir jedoch die kritische Fragen aufwerfenden Informationen, etwa jene zu eben genanntem Zusammenwirken? Von anderen „Qualitätsmedien“, dem Berliner „Tagesspiegel“ und dem NDR-Medienmagazin „zapp“ etwa, die hier tatsächlich ihrem Auftrag gerecht werden und die Öffentlichkeit aufklären. Dies ein Exempel dafür, daß eine vielfältige, breitgefächerte, professionelle Presse eben doch von Nöten sei, man nur mit „Bürgerjournalismus“ nie und nimmer auskäme (Aufklärung über die Interessengemeinschaft, um die es hier geht, könnte auch im Internet nur von Journalisten geleistet werden – „Bürgerjournalisten“ etwa könnten Kampagnen unterschiedlicher Medien mit gleicher Stoßrichtung zwar bemerken, aber von den Hintergründen sich kaum Kenntnis verschaffen). Das nächste mal mag’s ja gar wieder der „Spiegel“ sein, der für notwendige kritische Aufklärung sorgt. Allerdings: naiv, wer dabei übersieht, daß natürlich hier die im jeweiligen Moment kritisch berichtenden Publikationen dies über Aktivitäten der Konkurrenz tun, also ein Interesse haben, deren Tun zu beobachten und offenzulegen. Daran ist nichts Unrechtes – doch muß man dies, so meint Herr Sathom, stets im Hinterkopf behalten. Denn bei anderer Gelegenheit ist es vielleicht das Medium, dem man zuvor die kritische Berichterstattung verdankte, welches man scharf im Auge behalten sollte; persönliche Vorurteile, Denkstereotypen, Abneigungen und teilweise Kenntnismängel der publizierenden Journalisten spielen nämlich ebenso wie redaktionelle Leitlinien, entlang derer die Deutung und Erklärung des als Realität dargestellten stattzufinden habe, allüberall eine Rolle (was die redaktionelle Einflußnahme angeht, soll sie nicht einmal generell unterstellt werden, ist auch an sich schwer nachzuweisen, doch bei vielen Blättern in ihrem Wirken wahrnehmbar). Nie darf der kritische Geist vergessen, daß er es auch bei Pressemitarbeitern stets mit Menschen zu tun hat, die ihre eigenen Interessen verfolgen, manchmal (wohl sogar häufiger) ohne, daß sie dies reflektierten und in böser Absicht täten. Gut, wenn sie einander kritisch im Auge behalten – doch wehe, behält man sie nicht allesamt genau so in demselben.

Die Konkurrenz der Medien untereinander ist also wie gesagt nichts Unrechtes, sondern gar wohltätig, ermuntert sie doch die Medienmacher zur kritischen gegenseitigen Begutachtung. Das geschmähte Internet aber vollbringt nun eine Leistung für Diskurs und öffentliche Diskussion, welche Print- und TV-Medien allein nie zustande bekämen, auch und schon gar nicht, wenn sie zwar im Internet veröffentlichten, über die Weiterverbreitung ihrer Verkündigungen jedoch weitaus mehr Kontrolle hätten, als dies aktuell der Fall ist – eine Kontrolle, die sie allerdings gern hätten. Erst das Web nämlich macht die diversen veröffentlichten Nachrichten und Meinungen, die Stimmen und kritischen Gegenstimmen fast allen, also über den jeweiligen Leserkreis hinaus einer weitaus breiteren Öffentlichkeit zugänglich, als dies in Vorinternetzeiten der Fall war. Es macht Veröffentlichungen wie die obigen auch jenen kund, die den „Tagesspiegel“  vielleicht sonst nicht lesen, die betreffende „zapp“-Folge verpaßten, ja womöglich selbst nur Springer-Gazetten konsumieren; es ermöglicht es allen, die Zugang zum Netze haben, sämtliche Nachrichten, Meinungen und Kommentare zu vergleichen, einander mitzuteilen und zu diskutieren (was den Vertretern des „Qualitätsjournalismus“ als „Abschreiberei“ und bloße Kommentierung ein Dorn im Auge ist). Daß da infolge dessen der Marmor der Unfehlbarkeit und Unbestechlichkeit mancher Presseorgane bröckelt, ist unausweichlich und manchen ihrer Macher sicher ein Dorn im Auge; daß ein echter Diskurs, eine viel breitere öffentliche Debatte ermöglicht wird, als würden einzelne Leserschaften jeweils nur selektiv bestimmte Blätter oder Fernsehsendungen wahrnehmen, kann zudem jenen nicht recht sein, die, sich als Meinungs-„Macher“ verstehend, darum konkurrieren, wer Diskurs und öffentliche Wahrnehmung bestimme, wer dabei einen Vorsprung habe und die meiste Aufmerksamkeit für sich reklamieren könne. Allein dem Ego mancher dieser Macherseinwollenden mag dies unliebsam aufstoßen, von jenen, die handfeste Interessen verfolgen, einmal ganz abgesehen; jedenfalls um ihre Möglichkeit, ihre Stammleserschaft zu beeinflussen, qua Ausweitung derselben ihre Meinungsmacht zu festigen, und verdank ihrer Auflagenhöhe sich Werbeeinnahmen zu verschaffen, sehen sich jene, die so zu verfahren lang gewohnt sind, betrogen. So schelten sie die im Internet Publizierenden, die ja in ihrer Mehrzahl durchaus nicht Pressemeldungen komplett kopieren, sondern zitieren, kritisieren, in Frage stellen, pauschal allesamt „Abschreiber“, „Kommentatoren“ (merke: nur wer dafür bezahlt wird, darf kommentieren), das Werk anderer ausbeutende Klaumichel. In Wirklichkeit aber wirkt das Internet hier als Korrektiv dessen, was sonst, von „Meinungsmachern“ bestimmt, ein sehr verzerrter Diskurs wäre (und es vor des Netzes Existenz wohl, obschon unbemerkt, auch war). So ist das Internet eben, wie sich beispielhaft hier zeigen läßt, für wirklich aufklärenden, pluralistischen Diskurs unabdingbar. Denjenigen, die sich als alleinige Garanten solchen Diskurs verstehen und darstellen möchten, insgeheim jedoch diesen Diskurs auch manipulieren können wollen, muß es daher ein lästiger Konkurrent sein. Unreguliert und evasiv wie es ist, ermöglicht es überhaupt erst die totale, freie Information. Ohne Gegengewicht, wie etwa dem einer demokratischen Presse, wäre dies fatal, jedweder Propaganda Tür und Tor geöffnet – ohne Internet jedoch wäre die Herrschaft der marktführenden Presse total, und deren Tun der rationalen Kritik entzogen. Dieses Gleichgewicht der Kräfte versuchen etablierter Journalismus und Verlage aktuell durch geforderte Regulierung auszuhebeln, diffamieren darum nicht nur das Internet als Ort sinnlosen Geplappers, sondern gehen auch Staat und EU darum an, als Machtinstitutionen ihnen einseitig ein Primat zu verschaffen (siehe unten). Wie erinnert’s doch an selige Zeiten, da autoritäre Staaten zensurierten, wer was und ob überhaupt publizieren dürfe – nur daß einmal mehr merkantile Rechte dazu herhalten sollen, heute zu begründen, was dereinst einfach Ideologie und Machtwillkür sich verdankte. Herr Sathom denkt wie gesagt bei sich, daß die Freiheit und Zugänglichkeit der Information, diese Eigenschaft des Netzes, in bestimmten Presseorganen Publiziertes auch über deren eigentliche Leserschaft hinaus bekannt zu machen, es zur allgemeinen Diskussion zu stellen, diese eigentliche Leistung für den gesellschaftlichen Diskurs, welche das Internet erbringt, den Vertretern der „Qualitätsmedien“ manchmal sogar prinzipiell gar nicht so genehm sein könnte – denn es hebelt eben die vordem vorhandene Möglichkeit aus, bei einer übersichtlichen Klientel Meinungen zu „machen“, konfrontiert die eigene Leserschaft mit anderen Informationen und Sichtweisen, als der eigenen Hauspostille entnehmbar, macht sie derart gewahr, was anderswo geschrieben wird (und wer kauft schon sämtliche Zeitungen, um derlei abzugleichen); zeigt aber dadurch auch den Mangel auf, der daraus für die eigene Diskurs- und Diskussionsfähigkeit entsteht, daß man eben mit einem Printmedium oder dem Mainstream-TV nur limitierte Informations- und Meinungsbildungsquellen zur Hand hat.

Der Kreis von Herrn Sathoms kleinem Exemplifizierungsreigen nun schließt sich, wenn „Der Spiegel“ in seiner Ausgabe 33 für die Kalenderwoche gleicher Zählung titelt: „Netz ohne Gesetz – Warum das Internet neue Regeln braucht“. Hier findet sich so ziemlich alles, was man beispielhaft dafür vorbringen mag, daß „Qualitätsmedien“ die Garanten rein sachlicher, nicht tendenziöser, interessenunabhängiger Berichterstattung gar nicht immer so sehr sind. Daß sie der beobachtenden Kritik Dritter, eben auch der Internetnutzer, bedürfen, auf daß sie nicht manipulativ agieren können, wie sie wollen.

Betrachten wir zunächst die Interessenlage: der „Spiegel“-Verlag nämlich gehört wie auch die Axel Springer AG zu den Unterzeichnern jener berüchtigten Hamburger Erklärung, die Teil des Feldzuges der Verlage wider das Internet ist. Den Verfassern dieses Pamphlets, Verlagen und Interessenvertretern wie dem Zeitungsverlegerverbandes BDZV, geht es nun zwar um eine Zügelung frecher Kopisten, welche, ohne den Lizenzzehnten zu entrichten, Inhalte „kommerziell“ weiterverbreiten (wobei aber anzugeben, wer jene Kopisten denn konkret seien, keiner der Beteiligten imstande oder willens ist, siehe obiges Link); daß es aber kein Zufall sei, daß der medial etwa von der „Bild“ begleitete Bohei um die Erklärung zeitgleich stattfindet mit Angriffen, die das Internet allgemein als gesetzlosen Verbrechertummelplatz darstellen, und ferner auch keiner, daß ebenso parallel Kampagnen laufen, welche eine fiktive Scheidung zwischen „Qualitätsinhalten der Verlage“ und Ramschinhalten im Internet vornehmen, dies ist eine These, die Herr Sathom weiter unten zu erörtern gedenkt. Die Forderung nach Regulierung des Netzes jedenfalls ist sicherlich ein Anliegen, für welches es durchaus auch einige vernünftige Gründe gibt, wobei Ausmaß und Umsetzung solcher Kontrolle zu diskutieren wären, ein Anliegen, dessen blattbetitelnde Präsentation im Fall der genannten „Spiegel“-Ausgabe jedoch unsere analytische Aufmerksamkeit verdient.

Als Aufmacher, allein damit zum wichtigsten Thema der Woche (oder dieser Wochen, oder aktuell überhaupt) deklariert, stellt diese nämlich bereits dadurch einen Versuch dar, eine bestimmte Bedeutung des Themas zu suggerieren. So setzt das dergestalt titelnde Blatt kraft seiner qua etabliertem Ruf gesicherten Leitfunktion für die öffentliche und mediale Debatte jenes Thema als Gegenstand hervorragender Bedeutung ein, der hohes öffentliches Interesse heischt, wobei die gewünschte Richtung der Diskussion im Titel auch schon festgenagelt wird.

Bereits erwähnte Titelzeile ist in diesem Zusammenhang ganz wunderbar. Die Headline an sich – Netz ohne Gesetz (daß sich das auch noch keck reimt, lassen wir mal beiseite) – dabei schon einmal ein suggestiver Schwindel, denn was außerhalb des Netzes straf- oder zivilrechtlich relevant ist, ist es auch darinnen, der beschworene rechtsfreie Raum also Fiktion; geschickt formuliert und von schönster rhetorischer Manipulationskraft aber gibt sich der Untertitel (wie Sprache eingesetzt, wie formuliert wird, zumal von Professionellen, ist nie bedeutungslos): „Warum das Internet neue Regeln braucht“. Da spricht man uns an mit autoritativem Gestus des sicher Wissenden, und ebensolcher Pose, und teilt uns in derselben mit, was sein muß; das Internet braucht neue Regeln, so viel steht schon einmal von vornherein fest. Das „Warum“ wird uns im Inneren des Heftchens sicher noch erklärt werden, ist jedoch allein durch die Formulierung schon sekundär geworden. Der Umstand selbst ist – als sei er ein Naturgesetz – schon festgestellt, suggeriert die Zeile, diejenigen, welche qua überlegener Kompetenz so befunden haben, werden uns zu Belehrenden nur noch mal eben nachtragen, weshalb – was wiederum, auch das kündigt der Satz implizit an, unzweifelhaft gelingen wird, denn das „Warum“ steht ebenso zweifelsfrei fest wie die Aussage insgesamt, muß nur noch pro forma vorgetragen, nicht aber erst noch  diskutiert werden (anders ausgedrückt: ob das Internet neue Regeln braucht, muß gar nicht erst mehr geklärt werden). So suggeriert man sprachlich, daß die eigene Auffassung Ausdruck einer Tatsache sei, die ganz sachlich, doch auch mit unangreifbarer, kompetenzgeborener Autorität festgestellt wird – vergleichbar etwa damit, wie die neoliberale Rhetorik „dem Markt“ in jedem Nebensatz naturgesetzliche Qualitäten zuschreibt. (Wer des Herrn Sathom Folgerung nicht ganz schlüssig findet, überlege kurz, wie anders es sich anhörte, schriebe man „Braucht das Internet neue Regeln?“ oder „Weshalb wir finden, daß das Internet neue Regeln braucht“ – der Vergleich macht’s vielleicht klarer: hier Erörterung der Frage, dort Kennzeichnung der eigenen Meinung wäre dies, und nicht, wie real auf dem Titelblatte stehend, Verkündigung des angeblich unabweislich Notwendigen.)

Clever auch die rote Unterlegung des Wörtchens „neue“, signalisiert man doch damit, was bisher an Regeln vorhanden, reiche nicht mehr, Schärferes müsse herangeschafft werden.

Das Titelbild selbst nun allerdings läßt sich auch nicht lumpen, hui, da explodiert’s und kracht’s, wurschtelt alles durcheinander, kurzum, es herrschen, führt man dem Leser im wahrsten Sinn des Wortes vor die Augen, Anarchie, Chaos, wildes Durcheinander. Ein Tohuwabohu, über welchem so wie einst der Geist der Elohim über den Wassern nun derjenige der Qualitätsjournalisten schwebt. Mehr noch: tummeln sich doch, sieht man genauer hin, allüberall auf jenem Bilde nackte Pixelweiblein, manche lasziv sich darbietend, eins sinnlos eine Rakete reitend, ein anderes, die ganze Grausigkeit dessen, was im Netze vorgeht, im Wortsinne entblößend, rechts oben in des Machwerks Ecke darniederliegend, hingerafft die Glieder von sich streckend, wie im Todeskampf verdreht (allerdings welches Leid ihm nun geschah, ob’s vielleicht doch noch lebt (Herr Sathom will’s ja hoffen), oder gar nur seinen Sexrausch ausschläft, vermag Herr Sathom der Darstellung nicht zu entnehmen). Kurz, alles, wovon klein Fritzchen schon immer wußte, daß das Internet allein daraus besteht, ist dargeboten in jenem apokalyptischen Gemälde, davon einem Hieronymus Bosch die Augen getränt hätten ob so viel höllischem Drunter und Drüber. So finden sich, zusammengefaßt in visuellem Gleichnis und lediglich zwei Sätzen Weltdeutung, Faktenschaffung, Realitätsproduktion komprimiert, und einzig wünschenswerte Entwicklung noch gleich mitskizziert – ein wahres Meisterstück.

Man verstehe Herrn Sathom nun nicht falsch: im Internet gibt es vielerlei Abscheuliches und Kriminelles, die widerliche und verabscheuungswürdige Kinderpornographie etwa; fern sei es daher von Herrn Sathom, pauschal völlige Regellosigkeit und Anarchie zu propagieren. Doch sind es die Propagandisten der grundsätzlichen Internetverdammung, welche ihrerseits pauschal alles, was ihnen am Netz – und dies eben auch aufgrund eigener Interessen – nicht paßt, zu einem Amalgam zusammenmischen und verrühren, und übelstes Verbrechertun (ja, Herr Sathom meint Tun, nicht –tum) mit Anderem, das ihnen unlieb ist, unsachlich gleichsetzen. So kann man sehr fein mehr Kontrolle fordern und bei der Gelegenheit solche auch dahingehend, daß sie eigenem Nutzen frommt, zu installieren suchen – wenn der „Pädophile“ (ein Irrsinnsbegriff, denn von echter philia kann bei den so Genannten wohl keine Rede sein) einem das Gleiche gilt als Agent von Anarchie und Chaos wie jeder beliebige Blogger, warum dann nicht alle gleichermaßen an die Kette legen.

An dieser Stelle scheint Herrn Sathom eine kurze Erläuterung angebracht für diejenigen, die den Eindruck gewinnen, er würfle einiges durcheinander: natürlich besteht inhaltlich ein Unterschied zwischen Anwürfen der Vertreter des „Qualitätsjournalismus“, das Internet sei ein Hort der Seichtigkeit und unverläßlichen Information (wobei unterschlagen wird, daß von Boulevard- bis Anspruchpresse deren Produkte dies oft ebenso sind), der als Kritik getarnten sensationslüsternen Berichterstattung über pornographische und violente Exzesse mancher ekler Spinner im Netz, und den Bemühungen der Verlage, qua „Hamburger Erklärung“ und anderer Umtriebe zu suggerieren, kommerzielle und nichtkommerzielle Informationsanbieter im Web klauten ihnen dauernd ihre Inhalte. Jedoch ist augenfällig, daß Verlage und für sie schreibende Personen unisono aufs Netz einschlagen, permanent versuchen, das gesamte Internet in Mißkredit zu bringen, und sich selbst als Informationslieferanten positiv davon abzusetzen – so daß das Ganze schon durchaus wie eine konzertierte Aktion einer ganzen Branche wirkt, die lediglich „argumentativ“ von diversen Seiten angreift. Dabei gehen Vorwürfe, die von unterschiedlichen Seiten zu kommen scheinen, durchaus ineinander über – etwa wenn den Netzkommentatoren im Rahmen einer Anzeigenkampagne (siehe dazu mit weiterführenden Links hier) der „Süddeutschen Zeitung“ von „Qualitätsjournalisten“ nachgesagt wird, sie könnten ja nur von Anderen und voneinander abschreiben, um ihr Schreiben qualitätslos zu zeihen, ein Anwurf, der natürlich wiederum den Verlegervorwurf des Klauens berührt – und diesen in der Wahrnehmung derer, die beide Vorwürfe zur Kenntnis nehmen, scheinbar stützt, hören sie es doch von verschiedener Seite. Was nun die Inhalte betrifft: wenn Vertreter des Zeitungsverlegerverbandes BDZV von „Qualitätsinhalten“ reden, derer sich Dritte bedienen, dann greifen sie dabei natürlich auf Schlagworte der Qualitätsdebatte zurück, auf Klischees, denen zufolge Qualität eben nur von den Verlagen (und umgekehrt: von diesen nichts als Qualität) geliefert werde. Kurzum, es handelt sich um die Attacke einer Branche, einer, die vielleicht wahrhaftig kränkelt und nun einen Sündenbock sucht, wobei sich Verleger und Journalisten gegenseitig die argumentative Munition liefern. Wenn also Herrn Sathoms Ausführungen so wirken, als scheide er nicht hinreichend zwischen inhaltlich divergierenden Vorwürfen, so liegt’s einfach daran, daß diese tatsächlich verrührt worden sind zu einer unbekömmlichen Nebelsuppe, einem pauschalisierenden Amalgam, darin er navigieren muß, das jedoch eben nicht von ihm angerichtet ward, sondern von Jenen.

Sehr schön analysiert übrigens den „Spiegel“-Artikel der Herr Stefan Niggemeier und zeigt dabei auch auf, wie da „Argumente“ durcheinandergemauschelt werden (etwa wenn erst von Kämpfern gegen Kinderpornographie erzählt und dann sofort anschließend die „Piratenpartei“ als die „andere Front“ (also die den Bekämpfern jener Schandtaten gegenüberstehende?!) genannt wird.

Zurück zum Thema aber: die Erörterung der Frage, ob und welcher Regularien das Internet bedarf, mag im Inneren des akteullen „Spiegel“-Heftes durchaus ausgewogener erfolgen, seitens redlicher Journalisten ganz interessenfrei gestaltet sein (was noch zu prüfen bleibt –  siehe unten); das Titelbild aber, und das ist wichtig, allüberall zur Schau gestellt und wiederholt an Kiosken gesehen, erzeugt einen bestimmten Eindruck, der sich im Hinterkopfe festsetzt, selbst wenn man des Blattes qua Kauf nicht einmal habhaft wird. Mit anderen Worten: die Botschaft jenes Titelbildes zieht weitere Kreise, als es die Lektüre des Artikels selbst tun dürfte. Und darin unterscheiden sich die Cover auch hochangesehener Publikationen – des „stern“ (der gern bei noch so vagem Anlaß mit nackten Leuten titelt) und anderer etwa – durchaus nicht von einer „Bild“-Titelzeile. Diese wie jene legen oft schon fest, was Sache sei, was diskursgewichtiges Thema, und wie es sich mit dieser oder jener Angelegenheit verhalte, wie sie zu bewerten sei. Daran ist nicht immer Falsches, Aufmerksamkeit heischen gehört zum Geschäft, dem kritischen, medienkompetenten Leser aber sollte dies bewußt sein – auf daß seine Appetenz nicht allein ob dessen, wes er flüchtig ansichtig ward, bereits gesteigert ist, bestimmte Angelegenheiten im suggerierten Licht zu sehen. Denn so funktioniert’s immer – bereits durch Titel und deren Gestaltung wie Formulierung, durch Herausstellen bestimmter Themen, werden quer durch den Blätterwald der „Qualitätsmedien“ Zeitgeist- und Diskussionstrends gesetzt, der Brutalkapitalismus gehyped und dann geprügelt, die 68er dito, Freuds Psychoanalyse scheinbar demontiert und später rehabilitiert, Luther und Darwin zu Säulenheiligen gemacht (bis es irgendwann wieder opportun scheint, mal aufzuzeigen, daß deren Weste auch nicht fleckenlos frei war von jeder Widersprüchlichkeit), und was dergleichen mehr die letzten Jahre los war. Die Regenbogenpresse begnügt sich dieweil damit, vermittels ähnlicher Methoden die althergebrachten Stereotypen nicht der Vergessenheit anheim fallen zu lassen, prangert die „Sozialschmarotzer“ an, fragt rhetorisch, was „die da oben“ sich noch alles mit uns erlauben werden, oder wieso „er“ frei rumlaufen darf. Sowohl für Aufmacher und tatsächlichen Inhalt aber gilt: wenn mehrere Verlage mittels ihrer jeweiligen „Qualitätspublikationen“ auch noch wie zufällig an einem Strang ziehen und dabei unisono singen, somit suggerieren, bestimmte Ansichten zu bestimmten Themen seien derzeit allgemein common sense, hei, wie fein läßt’s sich da mogeln.

Man kann sich nun wohl fragen, welche Motive eine Rolle spielen bei der Gestaltung jenes Titelbildes (bzw. Auswahl desselben oder Formulierung der Auftragsvergabe, man verwechsle nicht die Entscheider mit dem Künstler) wie auch der Formulierung der darauf prangenden Schlagzeile; wiewohl es auch berechtigt ist zu fragen, weshalb das so Aufmerksamkeit heischende Aufgreifen des Themas gerade jetzt erfolgt, da schon beschriebene Kampagnen laufen. Da mögen bei der Titelgestaltung bzw. –entscheidung in Wort und Bild Interessen eine Rolle spielen, das Internet zu mobben, vielleicht auch eigenes unreflektiertes Klischeedenken, oder das Bestreben, an die typische Mischung aus Angstchimären und lüsterner Geilheit des Bürgertums zu appellieren, um das Machwerk tüchtig zu verkaufen; es mag bewußte Absicht dahinter stecken oder nur ein Mangel an Reflektion, gepaart mit dem berufskrankhaften Bedürfnis, eine knackig-eingängige, das Thema reduzierende Schlagzeile zu liefern; was es auch sei, es spricht in jedem Fall gegen den angemaßten Anspruch der „Qualitätsmedien“, sachlich und objektiv zu berichten, und sich manipulativer Methoden zu enthalten, der eigenen Selbstempfehlung also, vermittels derer man vom Internet sich abzugrenzen strebt.

Der Artikel selbst nun, der sich in der genannten „Spiegel“-Ausgabe dem Thema „Internet“ widmet, ist in der Tat nicht nur allein schon anders überschrieben als das Heftlein selbst („freiheit@unendlich.welt“), sondern durchaus zwiespältig zu bewerten, was sich auch in den im Netz auffindbaren Kommentaren widerspiegelt, als deren Quellen neben der schon genannten niggemeierschen Herr Sathom u.a. folgende vorfand: SPIEGELblog (offenbar eine Kopie des ehrenwerten BILDblog, von der Herr Sathom noch nicht recht weiß, was er von ihr halten soll; weitenteils beschränkt man sich hier auf die Wiedergabe eines Verrisses des „Spiegel“-Artikels bei MMnews); Freigeisterhaus (hier findet man den Artikel trotz einiger Bedenken „interessant“ insofern, als er die Absurditäten und Hilflosigkeit mancher regulierungswütiger Forderungen aufzeigt, und auch tatsächliche orwellsche Bedenklichkeiten, die bereits wirtschaftlichen Schnüffelgelüsten mancher Anbieter entsprangen, benennt); Meedia; Netzpolitik.org; Handelsblatt Weblog (dort bitte den Artikel „Verwirrung vor dem Spiegel“ vom 10.08.2009 aufsuchen – soweit Herr Sathom erkennen kann, sind die Artikel nicht direkt verlinkbar. Hübsch süffisant fand er übrigens hier den Kommentar zu einer irrwitzigen  Äußerung der Spiegel-Redakteurin Kerstin Kullmann im „ZDF morgenmagazin“ (YouTube-Video dort). Diese nämlich ist der Meinung: „Kinderpornografie, Gewaltdarstellung – all das, was im echten Leben nicht möglich ist, scheint im Netz zu gehen (Hervorhebung von Herrn Sathom)“. Aha, findet der Herr Sathom, Kinderpornographie existiert also überhaupt nicht real, na was für eine Erleichterung. Zu solchen Fehlleistungen kann man sich versteigen, wenn man das Böse allein im Internet verortet sehen will, dort dann aber hallo.

Sehr hübsch zu guter Letzt auch dieser Blog-Eintrag, der darauf verweist, daß der „Spiegel“ in seinem Artikel die Datensammelei und Weiterverwendung von Daten selbst nach Austritt seitens solcher Anbieter wie „facebook“ zwar geißelt, aber auf SPIEGEL ONLINE selbst betreibt. Denn die Inhalte, die Nutzer dem SPIEGEL ONLINE-Projekt „einestages.spiegel.de“ zur Verfügung stellen können, darf SPIEGEL ONLINE laut Nutzungsbedingungen  zeitlich und räumlich unbegrenzt honorarfrei nutzen, verbreiten und verfielfältigen, ja sogar vermieten (also kommerziell nutzen). Auch Beendigung der Mitgliedschaft bei einestages.spiegel.de ändert nichts daran, daß die Inhalte dort veröffentlicht werden können, ein Anspruch auf Löschung besteht ausdrücklich nicht. Mitglieder, welche das Spiegel-Projekt – das eine Art kollektiven Gedächtnisses werden soll – unterstützen, räumen also SPIEGEL ONLINE  das Recht ein, ihre Inhalte in alle Ewigkeit zu nutzen (wobei die AGBn dahingehend uneindeutig sind, ob dies ebenfalls für kommerzielle Nutzung außerhalb von einestages.spiegelde gilt, also etwa für Vermietung). Wie war das noch mit diesen Lizenzgebühren da?

Auch Herr Sathom seinerseits steht dem Artikel ambivalent gegenüber. Gewiß ist er nicht so platt wie’s Titelbild (weshalb dieses dennoch zu kritisieren ist, wurde ja bereits erörtert), allein, er wirft grad eingangs mit allerlei Horrorklischees um sich, um den Leser auch gleich recht einzustimmen und „wissen“ (= irgendwie dumpf spüren) zu lassen, was vom Internet zu halten sei: „Verbrechen, Schmutz und Schund“ ziehe dieses geradezu an (implizit: es muß eine inhärente Seelenverwandtschaft, einen Magnetismus geben zwischen Netzbenutzern, Abschaum und Gelegenheit zu kriminellem und perversem Tun), ja, es „wuchert“ dort ein „Pilzgeflecht aus Intrigen, Täuschung, und Terror“ (welche baudelairesche Poesie, zu der das Thema den Verfasser inspiriert, Herr Sathom könnte sie kaum übertreffen: „Pilzgeflecht“, herrlich, man sieht sie förmlich, die übel faulend alles durchziehenden, zersetzenden Rhizome des abscheulich schimmelnden Gewächses). Kritisches zu den Zensurbestrebungen ist jedoch auch zu vernehmen, dann aber wieder auch Berechtigtes über Gefahren der Überwachung, der Datenspionage zum kommerziellen Zwecke, die dem Netz als solchem eigen sind, und auch Hinweise darauf, wie schwierig internationale Gesetzesregularien zu finden wären. Insgesamt aber bleibt der Eindruck, daß – bedenkt man die Pilze, nicht wahr – das Internet irgendwie was Ominöses ist, dem gegenüber Kontrollversuche bisher hilflos sind, so daß das Böse dort sein Wesen treibt, und vielleicht im facebook oder bei google auf Deine intimsten Geheimnisse lauert.  Letzten Endes erweist sich, meint Herr Sathom, die scheinbare Ausgewogenheit als beliebiges Sammelsurium von Fakten- und Vorurteilsschnipseln, zusammengekleistert zu einem unausgegorenen Elaborat, das gerade ob seiner Uneindeutigkeit einen gefühlten Eindruck vom Netze erzeugt, der mit dessen Realität nichts mehr zu tun hat. So oder so, um’s noch mal klar zu sagen: der Artikel ist nicht das Problem, was hier zum Exempel vorzuführen war ist, wie unbenommen desselben das Titelblatt selbst zum Propagandainstrument gemacht wird, gedacht, einen allgemeinen Eindruck zu erzeugen, eine Stimmung, die vielleicht über die der „Spiegel“-Leserschaft sogar hinausgeht (Partygespräch: „Neulich stand ja auch im Spiegel…“); was sich auch gerade daran erweist, daß der so gestaltete, marktschreierische Titel mit dem eigentlichen Artikel nur insofern zu tun hat, als man zwar doch nicht konkret erfährt, weshalb „das Internet“ neue Regeln braucht, aber mit einem unbestimmten Gefühl zurückgelassen wird, irgendwie gehe es da ganz schrecklich zu, und irgendwas müsse halt von irgendwem gemacht werden). Ob nun um des Kaufanreizes willen oder aufgrund bestimmter Verlagsinteressen (s.o.) solch Tamtam, oder weil die für des Titelblatts Gestaltung oder Auswahl Verantwortlichen selbst eigenen Vorurteilen aufsaßen, ist sogar nebensächlich – in jedem Fall zeigt’s auf, wie wenig sich hinter dem Seriositätsanspruch des „Qualitätsjournalismus“ oft verbirgt. Herr Sathom, der hier Verlagsinteressen nicht unterstellen will (vielleicht ist’s nur der Versuch, auf einer aktuellen Diskussionswelle möglichst spektakulär mitzuschwimmen), findet’s immerhin keinen Zufall, daß solch ein Aufmacher gerade jetzt erscheint.

So finden wir denn hier alles, was zuvor angesprochen ward, in allerschönster Parade angetreten und exemplifiziert: Anspruch und tatsächlichen Zustand des „Qualitätsjournalismus“, Notwendigkeit sowohl der Presse wie des Internets, den Versuch, letzteres einseitig zu denunzieren, die teils dahinterliegenden Interessen, die ganze verquaste Debatte.

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2 Kommentare zu „:: Spieglein, Spieglein am Kioskstand“

  1. Es ist wie immer wohltuend zu lesen, wie Herr Sathom seine Bandwurmsätze zu kunstvollen Gedankennetzen spinnt. Ich bin (gerade geschriebenen Wortes) auch dem Bandwurmsatz nicht abhold (harhar), eine große Schwäche.

    Was den Spiegel angeht, so kam mir beim Anblick des Titelbildes dennoch nur ein Gedanke: „So ein Quatsch, als ob es keine Gesetze gäbe, die auch im Internet gelten würden.“

    Ich unterstelle dem Spiegel ohnehin keinen Qualitätsjournalismus, aber der K(r)ampf der sogenannten etablierten Medien gegen das Internet ist schon bizarr. Ich frage mich, ob die überhaupt merken, wie sie bei der Generation Internet (die auch ältere Semester umfasst, ich mache das ja auch schon fast von Anfang an mit) jegliche Glaubwürdigkeit verlieren.

    1. Herr Sathom ist beruhigt, daß seine aus verschlungenen Fäden geknüpften Wortteppiche die Gedanken wohl doch noch klar zutage treten lassen, die er hineingewoben.

      Was den Verlust der Glaubwürdigkeit betrifft, kann Herr Sathom betreffs dessen, was manche Journalisten und Verlage merken oder mit ihrem Tun zu erreichen hoffen, nur sich am Kopfe kratzend spekulieren. Der „Spiegel“ bringt ja nach wie vor auch immer wieder Lesenswertes, dann wieder Solches wie hier, und die Attacke gegen das Internet ist wiederum nur ein Beispiel einer allgemeinen Medienkampagne, die mit vielerlei Unglaubwürdigem argumentiert. Offensichtlich ist ja, daß jene, die so handeln, ihre Glaubwürdigkeit gerade außer jeden Zweifel stellen, und zugleich die der im Internet publizierenden in Mißkredit bringen wollen – jedoch nicht dadurch, daß sie ihrem eigenen Anspruch gemäß handelten, sondern indem sie sich bemühen, mit dem Nimbus der über jeden moralischen und intellektuellen Zweifel erhabenen, unfehlbaren wie unbestechlichen Journalisten und deren publizistischer Vertreter sich zu umgeben, jenen Mummenschanz eigener Fiktion dem Leservolke als Realität unterzujubeln. Kurzum, ein mythisierendes Bild von per se gegebener Kompetenz und Seriosität aufzurichten, das Bild eines fiktionalen „Qualitätsjournalismus“ an sich, mit sich selbst als Inkarnation von dessen Idealen. So daß man ihnen ungeprüft alles glauben könne, weil sie Journalisten und Verleger sind, der Eigenschaften des Qualitätsjournalismus unhinterfragbar teilhaftig, dieweil man alles im Internet Veröffentlichte ebenso ungeprüft verwerfen müsse.

      Letzten Endes heißt das, das Internet als solches zu verunglimpfen, mal die Blogger als Quatschköpfe, mal das große Ganze als Hort des Schreckens und der kriminellen Machenschaften darzustellen, was Letzteres der erörterte Artikel tut. Herr Sathom meint, daß tatsächlich das Internet als solches, als Kommunikationsmittel, der anvisierte Feind ist. Sicher gibt’s im Netz grundsätzlich ethisch Anzulehnendes wie auch viel Unfug, Manipulationsversuche der öffentlichen Meinung durch Lobbyisten, virale Information – doch diese kommen eben auch in den etablierten Medien zum Zuge (daß alle Medien Ziel manipulativer Bestrebungen sind, zeigt wunderbar dieser aufgeflogene Versuch, die öffentliche Meinung durch gefälschte Forenkommentare wie auch Leserbriefe zu manipulieren; weitere Einzelheiten dazu auch hier). Jedoch: der Internetbenutzer ist medienkompetenter, ausgefuchster, quellenkritischer als der Medienkonsument ehedem, kann derlei durchschauen (außer, er ist ganz blöd und fabuliert von Illuminaten, Ufos und dem Jahr 2012 – aber solches wie auch das Stammtischgeseier irgendwelcher Nazis gibt’s auch ohne Netz); und ist somit nicht so anfällig für Meinungsmache, was manchen ein Dorn im Auge sein mag.

      Was, spekuliert Herr Sathom, die Verlage mit ihren althergebrachten Vertriebswegen vielleicht viel eher fürchten: daß Journalisten wie Schriftsteller auf die Idee kommen möchten, ihre Elaborate über’s Netz selbst zu vertreiben, wie schon manche Musikgruppen es tun, ohne daß als Zwischenhändler man sie noch abschöpfen könnte. Daß self-publishing funktioniert, bewiesen ja schon im Printbereich in den USA erfolgreiche Comics wie beispielsweise „Spawn“. Dies Modell muß nicht für jeden passen – es mag umgekehrt Journalisten und Autoren geben, die sich mit derlei Geschäftlichem verständlicherweise nicht befassen möchten, und vielleicht fürchten, ohne die infrastrukturelle Hilfe der Verlage – von der Werbung bis zum Vertrieb – nicht bestehen zu können; allein, auch dafür ließen sich andere Dienstleister sicherlich finden (es zeugt von einer gewissen Starre der Verlage, sich des Netzes als Vertriebsweg noch nicht versichert zu haben – das schmuck gebundene Buch, vom Lektor lesbar gemacht, die am Frühstückstisch goutierbare Zeitung mit praller Sonntagsausgabe, sie sind zudem ja auch nicht vom Aussterben bedroht – doch warum nicht mehr print on demand, warum nicht mehr Flexibilität). Dies mag auch ein Motiv sein, das Netz als Gefahr für Urheberrecht und Autoreneinkommen zu verdammen, und zugleich das darin Publizierte minderer Qualität zu zeihen. Und angstbetrieben mögen manche, die die Verlage als Garanten für ihr Auskommen sehen, in deren Liedchen einstimmen.

      Natürlich sind solche Annahmen über die Motivlage monokausal; Berichten wie dem des „Spiegel“ mag auch das Bedürfnis von Autoren oder Redakteuren zugrunde liegen, sensationslüstern mit Ängsten zu spielen und damit Geld zu machen, man mag tatsächlich auf einem Auge blind sein, was die Fähigkeit angeht, zu erkennen, wann man nicht mehr glaubwürdig wirkt, oder man glaubt gar selbst an das Bild, zu welchem man durch die Brille der eigenen Vorurteile das Recherchierte verzerrt sieht. Dieser und anderer Interessen und Fehleinschätzungen mag es diverse geben.

      Eindeutig scheint Herrn Sathom jedoch, betrachtet er alle wider das Netz gerichteten Ergüsse in der Gesamtschau, daß man seitens der Netzschmäher pauschal sich selbst mit einem Mythos der Unabdingbarkeit und fraglosen Glaubwürdigkeit umgeben möchte, und das Internet pauschal mythologisierend verdammen möchte – was eben den Versuch darstellt, eine gemutmaßte Konkurrenz ganz total zu erledigen, und sich selbst zugleich als per se einzige Instanz der Wahrheitsfindung (Journalisten) und seriösen Publikation (Verlage) zu (re-) installieren. Daß man unglaubwürdig ist, merkt man vielleicht, daß einem eine Konkurrenz erwachsen ist, auf jeden Fall, doch will man’s beheben, indem man eben solch irrationalen Mythos als Allheilmittel sich und dem Publikum, einem magischen Elixiere gleich, verabreichen will. (Herr Sathom, der Monokausalität ebenso abhold wie der Verschwörungstheorie, glaubt hierbei allerdings nicht an ein branchenübergreifendes Komplott bestimmter Verleger und Journalisten (will die Möglichkeit von Absprachen im Einzelfalle jedoch auch nicht völlig ausschließen); aber er glaubt an die selbstorganisierende Kraft branchentypischer Vorurteile, Ängste, Stereotypen, Reflexe, Selbststilisierungsmythen und Unfähigkeit zur Selbstkritik, die, nur ansatzweise oder gar nicht reflektiert, eine bestimmte Stimmung samt Feindbild entstehen lassen.) Das Traurige ist, daß man, indem man so offensichtlich halbgar und unglaubwürdig gegen das dunkle Reich des Internet hetzt und auch sonst nicht vor seiner eigenen Türe kehrt, auch denjenigen Angehörigen der Journalistenzunft schadet, die ernsthaft und redlich ihr Handwerk verrichten, und die es ja auch zur Genüge gibt (wie’s so ist: auf der Meinungsseite der letzten Sonntagsausgabe des „Tagesspiegel“ las Herr Sathom einen Text zum traurigen Thema Kindesmißhandlung, wie er ihn so reflektiert und gedanklich wie emotional tiefgehend lange nicht gelesen, und gar nicht erwartet hätte; und direkt nebst diesem einen kurzen, bestürzend dümmlichen Kommentar zur Wirtschaftslage, der implizierte, nachdem der Staat nun Unsummen in Banken und Wirtschaft gepumpt habe, solle er doch wieder alle so machen lassen, wie sie wollen, und sich fein aus der Wahrnehmung der Interessen aller Bürger zurückziehen; kurz, die feudalkapitalistische Deregulierungsnachtigall trapst schon wieder. Es hat eben jede Medaille zwei Seiten; uns aber will man glauben machen, die etabliert journalistische habe nur eine, und die funkle wie eitel Elfenspeichel).

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