Heute auf dem Spielplan: Guttenberg und kein Ende, und ganz unten auch noch Neues zur beliebten „Bild“-Werbekampagne.
But first things first: Hat Herr Sathom es vorausgesagt? Er hat es vorausgesagt. Gut, zugegeben – schwierig vorherzusehen war’s nicht, bedurfte weder prophetischer Gaben, noch hätte dazu irgendwer den Kaffeesatz konsultieren müssen: kaum einen Tag nach dem Rücktritt Karl-Theodor zu Guttenbergs setzt sich die Weißwäscherei fort.
Im SAT.1-Text vom 02.03.11 liest Herr Sathom, daß auf die TED-Frage, ob Guttenbergs Rücktritt richtig gewesen sei, 87,2% der mündigen Bürger (ja, eh klar) mit „Nein“ antworteten. Repräsentativ ist das Ganze freilich nicht; eine EMNID-Umfrage (siehe hier) liefert ein ausgeglicheneres, teilweise für jeden Menschen von klarem Verstand jedoch immer noch bestürzendes Bild, etwa wenn sich 59% der Befragten „menschlich nicht enttäuscht“ zeigen (aber na gut, vielleicht heißt das ja nicht, daß sie Schummelei läßlich finden, sondern sie einfach erwarteten?). Und auch eine bekannte Berliner Boulevardzeitung (Herr Sathom meint, es sei Springers B.Z. gewesen, will’s aber nicht beeiden, da er nur am entsprechenden Aufsteller vorm Zeitungsladen vorbeirauschend dies wahrnahm) ließ sich nicht lumpen: „Adel verzichtet“ titelte man dort gleichentags neben dem Bild eines gesenkten Hauptes abgelichteten Freiherrn, und stilisierte den längst überfälligen (und aus Herrn Sathoms Sicht scheinheiligen) Rücktritt damit zur großmütig-noblen Geste des tragikgeschüttelten Edelmenschen. Auch des Edlen Widersacher wurden flugs mit Dreck beworfen: weiter unten sieht man den bei irgendeiner Gelegenheit in grinsender Pose mit ineinandergelegten Händen fotografierten Jürgen Trittin neben der Überschrift: „Wie seine Gegner sich die Hände reiben“. So ein Schurkenpack, möchte der emotionalisierte Leser da sicher rufen und kocht bestimmt vor gerechter Empörung.
Übrigens: auf den Titel „Adel verzichtet“ war die Süddeutsche Zeitung schon einen Tag früher gekommen (siehe hier). Ähem.
Die Krone allerdings setzte die Kanzlerin dem Ganzen auf.
Und zwar, indem sie das Verhältnis von Moral und Anstand zum Geschehenen in ihrer Verlautbarung zu den Guttenberg-Kritikern auf den Kopf stellte (siehe hier): „Soviel Scheinheiligkeit und Verlogenheit war selten in Deutschland“ wagte sie zu zürnen, worauf Herr Sathom nur antworten kann – ja, aber auf welcher Seite, Madame Merkel? Und wenn Sie dann tatsächlich die Stirn haben, fortzufahren, Sie und ihre Gesinnungsgenoss(inn)en müßten sich „von niemandem erklären lassen, was Anstand und Ehre in unserer Gesellschaft sind“, dann muß Ihnen Herr Sathom entgegenhalten: au contraire, ma chère. Zumal der Vorwurf, es sei bei alledem um parteipolitische und nicht etwa wissenschaftliche Interessen gegangen, die nichtpolitischen Kritiker – und zwar gerade die Wissenschaftler darunter, beispielsweise jene, die einen offenen Brief an Sie, Frau Merkel, sandten – mal eben als inexistent ausblendet bzw. durch Verleugnung ihres Anliegens einmal mehr verhöhnt.
Daß die Kanzlerin so reden muß, ist klar – denn nicht nur protegierte sie den gekreuzigten Erlöser bis zuletzt, nein, mit seinem Abtreten ist der Union auch der todsichere nächste Kanzlerkandidat abhanden gekommen, so daß angesichts akuten Personalmangels die einzige Chance der CDU/CSU für kommende Bundestagswahlen darin besteht, auf der irrationalen Sympathiewelle der Guttenberg-Fans zu surfen und sich damit – auch in Person von Frau Merkel selbst – jenen Verwirrten mittels der bewiesenen Nibelungentreue für den nächsten Urnengang zu empfehlen.
Und wie weiland Jesus soll auch der Herr Guttenberg nach kurzer Frist wieder auferstehen –schon gibt es Rückkehrrufe: „In einer offenen Gesellschaft hat jeder eine zweite Chance verdient“, läßt sich da laut ZDF-Text (Seite 123 am 02.02.11) etwa der wirtschaftspolitische Sprecher der Union, Joachim Pfeiffer (CDU) vernehmen. Herr Sathom hat dazu bereits gesagt und wiederholt es gern: wenn denn echte Einsicht und Reue demonstriert wird, jederzeit, und gern auch eine dritte, vierte usw.; allein genau dies ist hier ja nicht der Fall, Herr Guttenberg soll weitermachen dürfen, obwohl er weder einsieht noch eingesteht, sondern weiterhin beschönigt, so daß, was hier verlangt wird, das Prinzip der zweiten Chance ganz verkehrt und auf den Kopf stellt: sie soll nämlich nach dem Motto vergeben werden, daß es wurst sei, was einer getan hat, was es über ihn aussagt und ob er es wieder täte (daß also Zukünftiges ebenfalls wurst bleiben solle, so es denn anfiele).
Herr Sathom ist angesichts all dessen froh, daß die an Guttenberg in den letzten Wochen geübte Kritik zeigt, daß hierzulande eben doch noch keine völlig berlusconischen Verhältnisse herrschen: anders als im bananenrepublikanischen Italien (des Zustand zu erreichen aber hierzulande viele eifrig anstreben) kann hier ein politischer Medienstar mit massivem Rückhalt des Boulevards eben doch nicht mit Allem durchkommen. Noch funktioniert der Diskurs, die öffentliche Kritik, funktioniert insbesondere auch die Gegenöffentlichkeit des Internet wenigstens einigermaßen.
A propos Berlusconismus: Herr Sathom schließt mit einem Hinweis auf das NDR-Medienmagazin ZAPP vom 02.30.11, dessen Beiträge online unter www.ndr.de/zapp eingesehen werden können und das zudem von 3Sat am 03.03. um 12:30 Uhr und vom NDR am 04.03. um 02:40 wiederholt wird (Spieldauer ca. 30 min). Interessant darin ein Beitrag, der aufzeigt, welche persönlichen Beziehungen zwischen Guttenberg, „Bild“s Kai Diekmann und einer gewissen Anna von Bayern (Guttenberg-Biografin und Redakteurin bei „Bild am Sonntag“, auch aufgetreten als Fürsprecherin des Noch-Ministers bei „Menschen bei Maischberger“) bestehen, und wie die Inszenierung und Heldenstilisierung eines Herrn Guttenberg seitens eines gewissen Konzerns medial funktioniert(e); ebenso interessant und den Herrn Sathom ziemlich verärgernd außerdem die Geschichte über die empörende Art, auf welche die Macher der „Bild“-Werbekampagne (Sie wissen schon, „Ihre Meinung zu Bild, Herr Dracula?“) mit der lobenswerten Judith Holofernes („Wir sind Helden“) umsprangen, als diese sich schriftlich weigerte, bei dem Blödsinn mitzumachen – indem sie nämlich das Ablehnungsschreiben einfach als Anzeige veröffentlichten. Womit wir wieder beim Thema „Anstand“ wären, und wer welchen hat – und wer nicht.
P.S.: Die Anfrage der Agentur Jung von Matt und den Antwortbrief haben „Wir sind Helden“ hier veröffentlicht.