:: Occupy Wall Street

Was war das noch kürzlich für ein Medienalarm, als in London die riots wüteten; hei, da brannten die Häuser und all sowas, das machte sich natürlich gut im Fernsehen – da ließen sich mit dem Grusel des Mittelschichtlers wie dem des Mittelständlers vorm tobenden Mob fein bunte Bilder verkaufen und nebenbei der plündernde Anarcho als Schreckgespenst an die Wand pinseln, den man immer noch mehr fürchten müsse als den Finanzspekulanten an der Börse.

Zwar durchaus einige Aufmerksamkeit in Printmedien und deren Online-Ausgaben erfährt hingegen derzeit hierzulande die von den USA ausgehende „Occupy Wall Street“-Bewegung; der Fernsehberichterstattung durfte sie sich jedoch nur kurz um den dritten Oktober herum erfreuen, zumeist in irgendwelchen Magazinsendungen (letzte Woche noch einmal nachträglich bei quer), und auch dies nur anläßlich polizeilicher Übergriffe auf Demonstranten (also: Actionkino).

Seitdem ist es wieder verdächtig ruhig in der täglichen Berichterstattung wie auch im Videotext, der doch sonst jeden Fliegenschiß meldet, so wie die Ereignisse, obwohl sie bereits Mitte September in New York ihren Anfang nahmen, bis zu besagtem Polizeieinsatz geflissentlich ignoriert wurden. Und dies, obwohl die Proteste gegen eine allein von Wirtschafts- und Bankeninteressen diktierte Politik und das Auseinanderklaffen der Armutsschere zugunsten einiger weniger Profiteure bereits Mitte September in New York ihren Anfang nahmen, und obwohl sich die Bewegung mittlerweile nicht nur über die USA ausgebreitet hat, sondern auch in Europa erste Ableger bildet, etwa in Deutschland und Österreich.

Woran liegt’s? Gäbe es nicht auch hierzulande ein öffentliches Interesse, das begründen würde, Protesten gegen die Dominanz der Finanzmärkte und der Banken, gegen wachsende soziale Ungleichheit, gegen Privatisierung von Gewinnen und Vergemeinschaftung von Verlusten mehr Aufmerksamkeit zu widmen?

Aufschlußreich ist hier vielleicht ein Blick auf das, was stattdessen die Berichterstattung dominiert, was offenbar die Menschen stärker beschäftigt oder dies zumindest nach Auffassung der Berichterstatter tut (oder tun sollte). Denn es vergeht kein Tag ohne Griechenland- und Eurokrise, um weitere an EU-Staaten gerichtete Herabstufungen oder Herabstufungsdrohungen der Rating-Agenturen, und keine Nachrichtensendung ist komplett ohne den Börsenbericht, jenem Schicksalsorakel der Nationen. Es mag sein, daß die geringe Medienpräsenz der Proteste die Einstellung der Bürger widerspiegelt. Kritik an Banken und Finanzmärkten und am Primat ihrer Interessen über Demokratie und politische Gestaltung wird auch hierzulande laut, allerdings ohne Handlungsimpetus, so lang man sich mittelschichttypisch noch nicht selbst gefährdet sieht oder meint, durch Wohlverhalten der Gefahr entrinnen zu können; verärgert reagiert man nur, wenn es ans eigene Portemonnaie geht. Insgesamt ist also sicherlich eine andere Stimmung vorherrschend als in den USA, und das Interesse der Öffentlichkeit mag daher so gering sein, wie die Berichterstatter vielleicht vermuten.

Dies verweist auf einen fundamentalen Unterschied im Bewußtsein der jeweiligen Protagonisten von sich selbst und von ihrer Rolle als Staatsbürger – und als Menschen.

Dort ziviler Protest von Bürgern, sicher immer noch in der Minderheit, die klar ihre Interessen formulieren, hier die altbekannte Angststarre vor dem Diktat der Märkte, die „beruhigt“ werden müssen; dort eine Beanspruchung des öffentlichen Raums und eine Forderung nach angemessener Beteiligung (nicht einfach am Geld, sondern am Diskurs), hier vorauseilender Kadavergehorsam gegenüber den fast als metaphysische Instanzen gehandelten Marktmächten, Zorn und Haß auf die vermeintlich faulen Griechen oder den bösen Euro, kurz: die Haltung des Kaninchens, das hofft, wenn es sich nur tief genug duckt, werde der Kollege nebenan von der Schlange gefressen und nicht man selbst – so wird tagtäglich auf jeden Magenkatarrh der Börse gestarrt wie auf ein Orakel, dem man gestattet, das eigene Geschick zu bestimmen.

Der Unterschied läßt sich auch wie folgt beschreiben: dort ein sich wandelndes Bewußtsein vom eigenen Verhältnis zu politischen und wirtschaftlichen Machtinstanzen, gepaart mit einem Selbstverständnis als Bürger, der nicht nur materielle, sondern auch demokratische Beteiligung fordert, ein Strohfeuer vielleicht, oder aber auch der Beginn von etwas, das – mit Rückschlägen – immer weiter sich ausbreitet, und langsam einen fundamentalen Wandel initiiert; hier ein Verharren im Bewußtsein des bürgerlichen Untertans, der sich höheren Mächten – wie denen „des Marktes“ – unterwirft in der Hoffnung, so an deren Wohlwollen teilzuhaben, und von ihrer Mißgunst verschont zu bleiben.

In einer kürzlich von Herrn Sathom gesehenen Dokumentation über den Architekten Victor Gruen – als „Vater der Shopping Mall“ bezeichnet, wiewohl die heutigen Ergebnisse eine Pervertierung seiner eigentlichen Absichten darstellen – ging es zwar um ein anderes Thema, nämlich darum, wie in Innenstädten der öffentliche Raum zu Privatbesitz wird, den die Allgemeinheit nur noch zum Konsum nutzen darf (weshalb, wie das Kamerateam selbst erlebt, das Drehen auf vermeintlich öffentlichen Plätzen von privater Security untersagt werden kann); doch äußerte ein interviewter US-Architekt am Ende des Berichts einen Satz, den man durchaus verallgemeinern kann. Man müsse sich entscheiden, wer man sein wolle, sagte er, und schloß:

Do we want to be consumers, or do we want to be citizens?“

Die Teilnehmer und Unterstützer von Occupy Wall Street und ähnlichen Protesten haben sich entschieden, Bürger zu sein. Hierzulande hingegen ist man vielleicht noch zu sehr gewohnt, zwar nominell Bürger, vor allem aber Konsument zu sein – bestenfalls versehen mit den bürgerlichen Freiheitsrechten, im bestehenden System möglicherweise auch mal nicht zu den Beschissenen, sondern den Scheißern zu gehören, und im Straßenverkehr Geschwindigkeitsbegrenzungen als Gängelei zu empfinden. Natürlich greift der Vergleich nur teilweise, was das Konsumententum betrifft, denn die Perversion dessen, was der Bürger eigentlich sein sollte, jedenfalls könnte, ist weit umfassender, hängt jedoch mit der Befähigung zum Konsum zusammen. Wer sich selbst auf ein rein über Kaufkraft und Bankkonto definiertes Subjekt reduziert und mit dieser Rolle identifiziert, kann natürlich an Veränderung kein Interesse haben; zu sehr lockt noch die Hoffnung, beim nächsten Wertpapierkauf unter den Absahnern zu sein, auf daß man seinen Status in der miefbürgerlichen Gesellschaft durch entsprechenden Konsum demonstrieren könne. Gegebenenfalls auch mit Öko-Lifestyle-Erwerbungen.

Da kann man Veränderungen anderenorts auch nicht wahrnehmen – teils, weil sie das eigene Verhalten und Denken in Frage stellen würden, teils, weil man immerzu wie hypnotisiert auf die eigenen Ängste starrt, auf den Verlust des Wohlstands, über den allein man sich als Mitglied der Gesellschaft definiert.

Tatsächlich erweisen sich diejenigen, die da vielerorts aufstehen, als handelnde Subjekte im besten (staats-)bürgerlichen Sinn – eine Haltung, deren Gegenteil darin besteht, sich als Objekt wirtschaftlicher Interessen zu erleben und diese Funktion auch bereitwillig (oder resigniert) zu akzeptieren. Es scheint Herrn Sathom, daß gerade diese Selbstdegradierung zum Objekt auch etwas sehr deutsches ist, das durchaus nicht erst während der brutalkapitalistischen Wirtschaftsliberalisierung der letzten Jahrzehnte hierzulande entstand (diese aber womöglich beförderte) – „Wes‘ Brot ich eß, des‘ Lied ich sing“ weiß schon ein altes deutsches Sprichwort, darin gleich vielen ähnlichen Weisheiten, mit denen yours truly im Verlauf seiner an unnötigen und lästigen Ereignissen nicht armen Sozialisation traktiert wurde. Sich als bürgerliches Subjekt zu entmündigen und lieber auf Tiefkühlpizza und das neueste iDingsbums zu konzentrieren, und darin Lebenssinn und -glück zu erblicken, und zugleich hinzunehmen, daß die wirtschaftlichen Interessen einiger Weniger das Schicksal aller Bürger ganz ausschließlich diktieren, das jedenfalls ist nicht erst seit gestern vorherrschende Lebensart.

Vielleicht noch ein Nachtrag: selbstverständlich lassen sich Phänomene wie die fehlende Medienaufmerksamkeit für die Occupy Wall Street-Bewegung nie monokausal erklären. Eine weitere Ursache für die kaum bis gar nicht stattfindende Berichterstattung mag viel simpler sein: anders als bei den Londoner riots rast hier kein brandschatzender Mob plündernd durch die Straßen, gruselige, bildungsferne Migranten gibt es auch keine zu betrachten, und anders, als der am Stammtisch sich empörende Mittelschichtler sich erträumen mag, baumeln auch keine Banker von den Laternenpfählen. Tatsächlich passiert außer den anhaltenden Besetzungen und Demos eigentlich nichts, vom medialen Standpunkt aus betrachtet jedenfalls, nichts nämlich, das sensationelle Bilder liefern würde. Stattdessen, oh graus: ziviler Protest – zivil und zivilisiert, civilized eben, so wie lat. civesBürger. Kurzum: das Ganze macht wohl auch einfach zu wenig her, um der Fernsehberichterstattung zur Hauptsendezeit für würdig befunden zu werden. Was der obigen These nicht widerspricht – denn festzuhalten bleibt, daß auch weiterhin zentrales Thema der Nachrichten (Herr Sathom hat sich gerade zuvor noch durch Sichtung des heute-Journals vergewissert) die Angst vorm Diktum der Finanzgötter ist, das ängstliche Starren auf die Omen und Vorzeichen, über denen Kommentatoren zu Rettungsschirm und Notwendigkeit, die Banken mit Steuergeldern zu stützen, unheilvoll munkeln. Das Ganze untermalt, natürlich, von jenem Fließband der Apokalypse – dem Börsenticker.

Weitere Quellen (neben den im Text verlinkten):

Livestream, Tweets u.m.: http://www.livestream.com/globalrevolution (Anm.: Livestream u.U. Nicht immer zugänglich, ggf. mehrfach versuchen)

OccupyWallStreet Website: http://occupywallst.org/

taz online: http://www.taz.de/!79420/

ZEIT ONLINE: http://www.zeit.de/wirtschaft/2011-10/wall-street-proteste

Sehr viele weitere Quellen via Google u.a., YouTube schauen etc.

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