:: Extremismusverdacht

Herr Sathom hat neulich eine Karikatur gesehen. Aus dem Hörer eines am Telefon sitzenden Mannes klingt es: „Dieses Gespräch wurde abgehört und ist für sie kostenlos.“; blöde grinsend sagt der Betroffene: „Geil!“.

Das Verhältnis eines Teils der Bevölkerung zu staatlicher Überwachung beschreibt dies vermutlich zutreffend. Ein paranoides Sicherheitsbedürfnis, unterstützt von der dummdreist-pausbäckigen Vorstellung, wer sich nichts zuschulden kommen lasse, hätte ja nichts zu befürchten (und im Umkehrschluß: wer protestiere, habe wohl etwas zu verbergen), verleitet sicherlich viele dazu, Maßnahmen wie das jahrelange Abfassen von Handydaten durch die Berliner Polizei (s.u.) zu billigen. Daß diese Haltung naiv ist, zeigt die Anwendung eben dieser Methode, der sich die Berliner Polizei seit 2008 bediente, um Autobrandstifter zu ermitteln, auf Teilnehmer an Anti-Nazi-Demos in Dresden im Jahr 2011 (siehe hier).

So oder so – der Konflikt zwischen Überwachung und Datenschutz wird aktuell wieder kontrovers diskutiert. Ob es um das Ermitteln von Handyverbindungsdaten durch die Polizei geht, um Berliner Autobrandstifter zu fassen (was in keinem Fall gelang – der einzige ermittelte Verdächtige wurde zuletzt anders gefaßt), um das Versagen des Verfassungsschutzes gegenüber dem Rechtsterrorismus, um die Überwachung von Abgeordneten der Linkspartei durch den Verfassungsschutz, oder um den für die Berliner Polizei in Entwicklung befindlichen „Staatstrojaner“ – das Thema ist allgegenwärtig, überschattet von dem öffentlich kaum wahrgenommenen EU-Projekt INDECT, das eine umfassende Überwachung und Zusammenführung sämtlicher Daten aller Bürger ermöglichen soll (Herr Sathom berichtete).

Es gibt – soviel belegen Alltagsgespräche, die Herr Sathom führt – eine verbreitete Bereitschaft, staatliche Überwachung zu billigen (wie weit verbreitet diese Bereitschaft tatsächlich ist, läßt sich allerdings kaum eruieren; Herr Sathom fand keine jüngere oder aktuelle Statistik dazu als einen Artikel bei heise/Telepolis von 2004).

Welche Blüten die Extremismusfurcht in einer geeigneten (oder von den Verantwortlichen für geeignet gehaltenen) öffentlichen Stimmung unter Berufung auf Überwachungsmaßnahmen treiben kann, zeigte nun in der vorletzten Woche ein Bericht des Medienmagazins ZAPP des NDR.

Diesem zufolge unterstützte das Bundesfamilienministerium finanziell und durch ein Vorwort von Ministerin Kristina Schröder eine Schulbroschüre, die – an Lehrer und Schüler ausgegeben – für das Thema Linksextremismus „sensibilisieren“ soll. Als linksextremistische Publikation genannt wird in dieser Broschüre u.a. die linke Tageszeitung „Neues Deutschland“ (Darstellung des ND auf Wikipedia hier).

Eine Bewertung des ND kann durchaus zwiespältig ausfallen – der Vorwurf des „Linksextremismus“ erscheint dem Verfasser überzogen, mag für viele aber vielleicht plausibel sein, da dem Blatt in konservativen Kreisen noch der Ruch des früheren Zentralorgans der DDR-SED anhängen dürfte; das Blatt bezeichnet sich als „sozialistisch“, Berichterstattung und Kommentare sind natürlich kapitalismuskritisch, meistenteils kenntnisreich und reflektiert, wobei manche Leserbriefe und selten auch Artikel nach Herrn Sathoms Auffassung allerdings noch davon zeugen, daß deren Verfasser sich einen autoritären, aber versorgenden Staat zurückwünschen und deshalb angesichts der Fuckups des Kapitalismus in beinahe Schnitzlersche Häme zurückfallen. Unabhängig davon mutet ein auf Anfrage von ZAPP nachgeschobenes Argument der Ministerin, weshalb die Zeitung so eingeordnet werde, kurios an: sie würde in Verfassungsschutzberichten erwähnt.

Die Pointe: diese Berichte würden nicht existieren, so ZAPP zunächst. Zudem leugneten das Bundesamt für Verfassungsschutz und Länderbehörden, daß das „Neue Deutschland“ überwacht oder als linksextremistisch eingestuft würde.

Letzteres ist definitiv zutreffend. Was die Nennung des ND in solchen Berichten selbst betrifft, hat allerdings auch die Zeitung selbst inzwischen – verweisend auf einen Brief von Schröders Pressesprecher an den NDR – diese bestätigt. ZAPPs Aussage, daß die Feststellung einer Nennung des ND in VS-Berichten durch die Ministerin falsch sei, wurde inzwischen aus dem online gestellten Video der Sendung entfernt.

Allerdings: die Verfassungsschutzbehörden, in deren Berichten das ND erwähnt wird, erklären erneut, daß die Nennung „nur der Vollständigkeit halber“ (Bayern) in einer „tabellarischen Übersicht über das Umfeld der LINKEN“ erfolge, oder daß das Blatt „kein Beobachtungsobjekt“ sei (Hessen). Der niedersächsische  Verfassungsschutzbericht listet laut ND selbiges als reine Informationsquelle über die LINKE auf – so wie auch die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, die deswegen wohl kaum als linksextrem gelten wird.

Man mag einwenden, daß eine Überwachung oder auch eine Einstufung als linksextrem durch die Verfassungsschützer vielleicht dennoch stattfindet – in diesem Fall müßte sie jedoch, da sie ja abgeleugnet wird, so geheim sein, daß das Familienministerium kaum davon wissen, geschweige denn etwas darüber auf Anfrage mitteilen könnte (und mehr als die Nennung in VS-Berichten wird ja auch nicht behauptet – damit aber die Einstufung als linksextrem gerechtfertigt).

Zwar muß eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht noch keineswegs auf eine Überwachung mit „nachrichtendienstlichen Mitteln“ hindeuten, doch ist dies wenig bekannt; die Behauptung einer Erwähnung in Berichten des Dienstes dürfte daher geeignet sein, der Mehrzahl der Rezipienten eine derartige Beobachtung zu suggerieren. Ebenso wie sie den Eindruck vermitteln dürfte, daß der Verfassungschutz das ND tatsächlich als linksextreme Publikation betrachtet.

In Zusammenhang mit der aktuellen öffentlichen Debatte und der Frage nach einer zustimmenden Haltung der Bevölkerung zu staatlicher Überwachung gebracht, hat die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen behauptetem Linksextremismus und einem Auftauchen in VS-Berichten daher eine besondere Qualität. Denn ob es sich dabei nun um eine Fehleinschätzung der Bedeutung solcher Erwähnungen handelt (die allerdings auf oberflächliche Kenntnisnahme der Berichte verwiese) oder um politisches Kalkül: der Umgang mit dem Thema „Überwachung“ erhält hier eine neue Wendung. Aus dem Argument, Personen, Organisationen etc. müßten überwacht werden, wenn sie eine Gefahr – z.B. für die freiheitlich-demokratische Grundordnung – darstellen, wird in einer Art von Umkehrung die Diskreditierung einer Institution – hier einer medialen – durch Erwecken des Eindrucks, sie würde überwacht: durch die Feststellung, das ND würde in Berichten der Verfassungsschutzbehörden genannt, will man belegen, daß eine Gefährdung – eben durch Linksextremismus – von ihm ausgehe. Oder man stellt diesen Zusammenhang auch selbst her, glaubt an ihn, da er ins Weltbild paßt.

Das besondere an der ministerialen Verteidigung der Broschüre ist also dies: würde man gewöhnlich eine Überwachung mit dem Verdacht des Extremismus rechtfertigen oder fordern, wird hier eine behauptete – zumindest suggerierte – oder selbst geglaubte Überwachung als Beweis für einen angeblich faktisch vorhandenen Extremismus präsentiert. Die Entscheidung, ob hier nach einer Ausflucht gesucht, schlampig recherchiert oder bewußt kalkuliert wurde, ist zwar kaum zu treffen; daß so argumentiert wird, läßt jedoch zwei Interpretationen zu. Die eine: daß mit einer ganz bestimmten Einstellung der Adressaten gerechnet wird, einer Einstellung nämlich, aufgrund derer sich Letztere mit dieser Auskunft zufrieden geben werden, weil sie annehmen, wenn jemand überwacht wird, dann müsse dies zwangsläufig auf eine tatsächlich vom Objekt der Beobachtung ausgehende Gefahr hindeuten. Die Alternative: daß man im Familienministerium tatsächlich selbst an einen solchen Zusammenhang glaubt, naiv die Erwähnung im VS-Bericht mit einer Einstufung als extremistisch gleichsetzt. Letzteres würde allerdings auf eine gewisse Unkenntnis und ein Denken in stereotypen, simplizistischen Bahnen hindeuten.

Die Herstellung eines solchen Zusammenhangs kann leicht zu Rufschädigung führen – zur vielerorts anzutreffenden Einstellung, wer sich nichts zuschulden kommen lasse, bräuchte auch keine Überwachung fürchten, gesellt sich schließlich leicht die Stammtischweisheit, daß wo Rauch sei, sich auch ein Feuer finde. Sie kann aber auch fehlgeleitete Solidarisierungen sich zu Unrecht verfolgt glaubender nach sich ziehen.

Was bedeutet dies in einem allgemeineren Zusammenhang?

Wie in den früheren Artikeln über INDECT in diesem Blog bereits erörtert, sind Überwachung und Datenschnüfflei auch deshalb problematisch, weil von ihnen ein Anpassungs- und Konformitätsdruck ausgeht (dafür, daß Menschen sich normenkonformer verhalten, wenn sie sich überwacht wissen, existieren zumindest empirische Indizien). Gefährlich für eine freie Gesellschaft sind nicht nur die Überwachungsmechanismen als solche, sondern weit mehr noch die Kriterien, nach welchen entschieden wird, was eine Abweichung von der Norm darstellt, von wem dementsprechend Gefahr ausgeht, wer stärker überwacht, oder gegen wen Maßnahmen eingeleitet werden müssen. Die Einschränkung der persönlichen Freiheit hängt dabei weniger von der Überwachung als solcher ab, sondern davon, wie eng die Normen gefaßt sind, denen das Individuum zu entsprechen hat, um nicht als potenziell gefährlich zu gelten – gemäß der INDECT-Kriterien (siehe frühere Artikel) könnte dies bereits der Fall sein, wenn man auf dem Weg zur Arbeit nicht stets den selben Weg nimmt. Die Kriterienliste für INDECT zeigt, wie schnell eng gesetzte Parameter jede Abweichung von einer willkürlich festgesetzten Norm Personen als potenzielle Gefahrenquelle erscheinen lassen können; womit die Frage akut wird, wer solche Kriterien und Parameter festsetzt, und nach welchen Maßstäben dies geschieht. Letztlich bestimmen hier Welt- und Menschenbild der Überwacher, wie sich Menschen unter den Augen allgegenwärtiger Beobachter dann noch verhalten dürfen, ohne unter Generalverdacht gestellt zu werden. Und je rigider und enger die Grenzen sind, innerhalb derer die Überwacher Verhalten als zulässig erachten, desto größer wird der Zwang zur Selbstzensur für die Überwachten. Die Akzeptanz der Überwachung jedoch hängt ab von dem Ausmaß, in dem Bürger sich bedroht fühlen.

Aussagen wie die von Frau Schröder sind einem gesellschaftlichen Klima, in dem ein Gefühl allgemeiner Bedrohung dazu führt, daß Bürger Überwachung teilweise wünschen und akzeptieren, fatal. Denn sie appellieren an jene Grundstimmung der Angst, die Überwachung als wünschenswert erscheinen läßt, und an das Bedürfnis der Bürger, die Quelle diffus empfundener Gefahr vorgeführt und benannt zu bekommen. Folgen wie die, wenn in Zeiten der Mißernte jemand „Hexerei!“ ruft, sind in unserer Gesellschaft nicht mehr zu befürchten – schwerwiegende Konsequenzen für die Betroffenen kann derlei dennoch nach sich ziehen.

Falls die Ministerin eine behauptete politische Einstellung mit einer angeblichen Überwachung zu begründen versucht, ließe dies zumindest vermuten, daß sie darauf spekuliert, Journalisten (und nach deren Berichterstattung auch andere Bürger) wären bereit, eine stattfindende Überwachung (oder das Gerücht einer solchen) als Beleg für tatsächliches Fehlverhalten, unerwünschte Einstellungen oder sogar vorhandene Gefahr zu akzeptieren. Liegt kein solches Kalkül vor, müßte man anehmen, daß sie selbst kurzschlüssig Nennungen in VS-Berichten überbewertet, und überzogene Folgerungen bezüglich der Einstellung oder Gefährlichkeit der vermeintlich beobachteten zieht.

Ersteres hieße, daß auf eine Mentalität der Bürger gesetzt wird, die im Angesicht vorhandener Überwachung bereitwillig davon ausgeht, wer gezielt observiert (und ggf. mit Sanktionen belegt) wird, müsse zwangsläufig auch gefährlich von einer Norm abweichen, die durch das Überwachungssystem repräsentiert wird. Also: wen die Staatsmacht im Auge hat, der wird schon Dreck am Stecken haben. Letzteres hingegen würde bedeuten, daß eine entsprechende Mentalität im Ministerium selbst anzutreffen ist, verdank eines klaren Feindbildes: das sind doch Linksextremisten, laß mal gucken, was der VS üder die schreibt, ach ja, die erscheinen irgendwo im VS-Bericht, ja klar werden die dann wohl überwacht, also haben wir recht: die sind Linksextremisten. In einer Zeit, in der eine flächendeckende Überwachung immer mehr den Bereich spekulativer Fiktion verkläßt und real zu werden droht, weist beides auf ein für Demokratie und Pluralismus nicht ungefährliches Denken hin; zur dystopischen Vision einer Gesellschaft, deren Mitglieder selbst private und intime Gespräche im Bewußtsein einer stets anwesenden, normgebenden Autorität paranoid zensieren, gesellt sich entweder das Streben der Vertreter dieser Autorität, den tatsächlichen oder angeblichen Tatbestand der Überwachung als Ausweis für die Richtigkeit des Brandmarkens von Personen, Organisationen und Institutionen als gefährliche Abweichler und Außenseiter anzuführen, oder anderenfalls die Paranoia der Verantwortlichen selbst, die sie für einen vorgefaßten Verdacht überall Bestätigung finden läßt.

Daß die Normen immer rigider werden, etwa Bestrebungen existieren, mißliebiges politisches Engagement in die Nähe von Terrorismus zu rücken, wurde in diesem Blog bereits diskutiert; die Gefahr ist also keineswegs nur hypothetisch. Werden Maßnahmen wie etwa eine Überwachung von Skype-Gesprächen Realität, wird aus dem Kindermärchen vom lieben Gott, der alles sieht und in sein Buch einträgt, bizarre Realität – wird aber das zirkelschlüssige Argument, daß der Überwachte erwiesenermaßen suspekt sei, eben weil er ja überwacht werde, allgemein akzeptiert, dann werden die Überwacher und die Inhaber der Normengebungshoheit über eine Autorität verfügen, die den bärtigen alten Knaben vor Neid erblassen lassen dürfte. Der Kinderalptraum als Lebensrealität – und alle sind artig.

Quellen:

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