Der Fall Mollath dürfte inzwischen hinlänglich bekannt sein; das Beharren der Behörden darauf, daß ein Mann, dessen Behauptungen sich inzwischen wenigstens in Teilen als zutreffend erwiesen, dennoch halt verrückt sei, ebenfalls. Ein Antrag auf Wiederaufnahme von Mollaths Verfahren wurde kürzlich vom Landgericht Regensburg zurückgewiesen; dies bezieht sich allerdings nicht auf die Verhältnismäßigkeit des damaligen Urteils oder die Frage, ob eine Gefährlichkeit Mollaths bestanden habe, oder noch besteht; diesbezüglich steht eine Prüfung durch die Vollstreckungskammer in Bayreuth noch an.
Das Ausharren Mollaths in der Psychiatrie geht also weiter. Zugegeben: die Sachlage ist einigermaßen kompliziert; nach wie vor wird von verschiedenen Fraktionen ein Versagen der Gerichtsbarkeit geleugnet oder behauptet; teils wird der Vorwurf erhoben, Mollaths Behauptung von Schwarzgeldgeschäften bei einer großen Bank sei nicht nachgegangen worden, weil er als geisteskrank abgestempelt war, während andere Journalisten, Politiker oder Kommentatoren die inzwischen erfolgte Bestätigung einiger Vorwürfe Mollaths teils herunterspielen, teils den Eindruck zu erwecken versuchen, dies ändere trotzdem nichts daran, daß der Mann in die geschlossene Psychiatrie gehöre.
Geht man bei der Recherche Hinweisen nach, die eine der Positionen bestätigen, finden sich bald solche, die sie widerlegen oder relativieren; folgt man diesen, sind sie teils ebenfalls schnell entkräftet, oder schlicht nicht nachprüfbar (auffällig ist allerdings, daß manche „Mollath-Gegner“ gern zirkelschlüssig argumentieren, oder auch zugestehen, daß teilweise im Prozeß gegen Mollath schludrig gearbeitet wurde, jedoch darauf beharren, daß dies am richtigen Ergebnis nichts ändere). Herr Sathom traut sich daher in der Sache, soweit sie den tatsächlichen Geisteszustand Gustl Mollaths betrifft, nach all der Zeit immer noch kein Urteil zu.
Geboten wird allerdings einiges: Gutachter, die den Klienten nie gesehen haben, stufen ihn als gemeingefährlich ein, und sobald ein Gutachter zum gegenteiligen Urteil kommt, wird eben ein weiteres Gutachten eingeholt; ein anfangs mit dem Fall betrauter Richter erklärt, Mollath hätte im Fall eines Geständnisses wohl Bewährung bekommen (was dies in Bezug auf Herrn Mollaths angebliche oder tatsächliche psychische Verfassung bzw. Gemeingefährlichkeit bedeuten soll, entzieht sich Herrn Sathoms juristischem Laienverstand; will man ihm erzählen, der Delinquent hätte nur zugeben müssen, daß die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zutreffen, statt darauf zu beharren, man wolle ihn unglaubwürdig machen, woraufhin das Gericht dann einen vielleicht bloß besonders schlauen Irren hätte laufen lassen? Oder will man nahelegen, daß man als Unschuldiger vielleicht besser zugibt, was man nicht getan hat, um von deutschen Gerichten nicht in die Klapsmühle geschickt zu werden?); prozessuale Fehler werden per Salamitaktik eingeräumt, aber im gleichen Atemzug für unbedeutend erklärt, so daß sie eine Neuberwertung bzw. Neuverhandlung nicht nötig machten; personale Beziehungsgeflechte am Prozeß beteiligter Personen werden bekannt, und auch das ändert nichts.
Ein lustiges Diagramm der Gutachterei im Fall Mollat zeichnete übrigens Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig in Neues aus der Anstalt vom 25.06.2013 (etwa ab Minute 09:50); sehenswert an der Gesamtsendung eventuell auch die Seitenhiebe auf die psychiatrische Freude am Kreieren neuer Diagnosen und Störungen (siehe dazu auch unten).
Die Debatte um Mollath setzt sich zusammen aus populären antipsychiatrischen Ängsten einerseits, und vollmundigen Versicherungen, daß alles irgendwie in Ordnung sei, andererseits; das Mauern der Instanzen allerdings ist unleugbar. Der apologetische Charakter der meisten Äußerungen, die Mollaths Einweisung in eine Anstalt verteidigen, ist ebenfalls nicht zu übersehen. Gerade die nicht unmittelbar Prozeßbeteiligten scheinen sich hier gern in den erwähnten Zirkelschlüssen zu ergehen: Mollath sei gemeingefährlich und psychisch gestört, weil er Autoreifen zerstochen habe; daß er es gewesen sein muß, der die Reifen zerstach, werde dadurch bewiesen, daß er gemeingefährlich und psychisch gestört sei. Einer Bewertung der Begründung des ursprünglichen Urteils – Freispruch und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus – wird sich Herr Sathom als Nichtkriminalist hingegen tunlichst enthalten. Von den Konfliktparteien wird die Urteilsbegründung weitgehend so behandelt, wie sie je nach Interessenlage möchten.
Der springende Punkt ist wohl ein anderer. Dreh- und Angelpunkt der ganzen Angelegenheit ist letztlich die Schwarzgeldaffäre. Beziehungsweise, daß Mollath u.a. eben von einer solchen berichtete, die ihm beständig als Wahnidee (allerdings nicht als die einzige) ausgelegt wurde. Für Mollaths Unterstützer stellt sich dies beispielsweise so dar, daß dieser Affäre nicht nachgegangen wurde, da man den Angeklagten als wahnsinnig abstempelte, oder daß die ursprüngliche Anzeige gegen ihn erfolgt sei, um ihn zu diskreditieren. Die bestätigten Vorwürfe sind ihnen also Aufhänger für alle weiteren Verdachtsmomente. Umgekehrt müssen die Behörden auf einem Wahnsinn Mollaths so lange wie möglich beharren, oder diesen Wahn wenigstens möglichst unterstreichen; anders können sie kaum rechtfertigen, daß sie der Möglichkeit einer solchen Affäre eben nicht nachgingen: der Vorwurf sei ihnen aufgrund des sonstigen Geisteszustandes bzw. Verhaltens des Angeklagten eben entschuldbar als unglaubhaft erschienen, oder nicht hinreichend belegt gewesen, um Ermittlungen einzuleiten. Die Frage, ob die Einweisung gerechtfertigt war, wird daher für alle Seiten überhaupt erst durch den Umstand wichtig, daß nach jetzigem Kenntnisstand Mauscheleien tatsächlich stattfanden (deren Ausmaß nach Quellenlage aber ebenfalls schwierig einzuschätzen ist, und von den jeweiligen Protagonisten auch unterschiedlich dargestellt wird).
Konstatiert werden muß in all der Verwirrung allerdings, daß das Mittel der Psychiatrierung mißliebiger Stänkerer durchaus schon zum Einsatz kam – in Fällen wohlgemerkt, in denen eine psychische Störung nicht vorlag. Versucht wurde dergleichen nachweislich etwa im Fall mehrerer Steuerfahnder, die als paranoid diagnostiziert und zwangspensioniert wurden, nachdem sie beharrlich dagegen protestierten, von bestimmten Fällen abgezogen worden zu sein. Der Gutachter, der die Beamten auf Betreiben von deren Vorgesetzten entsprechend eingeschätzt hatte, wurde später wegen vorsätzlicher Falschbegutachtung verurteilt, was wiederum auf ein Funktionieren der juristischen Instanzen hinweist; kurios anmuten muß allerdings, welche Störungen er diagnostizierte: paranoid-querulatorische Entwicklung sowie Anpassungsstörungen. Die Symptome der letzteren sind dabei so beliebig, daß im Grunde jeder, der mal einen Tag lang nicht so gute Laune hat, als anpassungsgestört gelten darf. Wichtiger als die Symptomatik jedoch erscheint etwas anderes: die wertende Begrifflichkeit, die hier von Ärzten für klinisch-psychiatrische Diagnosen verwendet wird. Der Querulant – ein schon wegen seiner Vorgschichte problematischer Begriff – und der Anpassungsgestörte werden durch sie schon per Bezeichnung als Abweichler von einer wünschenswerten Norm, sei es aus bösem Willen, sei es aus einem inhärenten Mangel, gebrandmarkt. Diese Norm ist dabei häufig eine gesellschaftlich definierte, keine objektive – Auffassungen, was als Querulantentum gilt, sind kultur- und zeitabhängig.
Der gelegentlich zu hörende Vorwurf, die Psychiatrie bemühe sich, nahezu jeden menschlichen Gemütszustand in ihren Zuständigkeitsbereich zu ziehen, entbehrt nicht einer gewissen Grundlage; was um so bedauerlicher ist, als sich dadurch Menschen, die tatsächlich leiden – vielleicht an Burnout, oder an posttraumatischem Streß – dem Verdacht irgendwelcher Klugscheißer ausgesetzt sehen, sie hätten eigentlich gar nichts. Womit nebenbei auch die Dimension gesellschaftlicher Ursachen für seelisches Leiden in beiden Fällen ausgeblendet wird: die einen behaupten, die Auswirkungen zerstörerischer Arbeitsbedingungen ließen sich ja wieder wegmachen, die anderen, es gäbe eh keine.
Besonders fatal: hätten die betroffenen Steuerfahnder nicht weiterhin Widerstand geleistet, wäre man mit den Falschgutachten und der Zwangspensionierung möglicherweise durchgekommen; vermieden wurde dies nur, weil die Betroffenen sich gerade so verhielten, daß sie gemäß gängiger Diagnosen als gestört gelten könnten – nämlich „querulatorisch“. Ausgrechnet ein Verhalten, das sich als Ausdruck einer Störung deuten ließe, erweis sich für sie also als realitätsangemessen (wobei sie natürlich den Vorteil hatten, sich in rechtlichen Fragen besser auszukennen als ein Laie wie Mollath, der vielleicht unangemessen reagiert).
Es wäre interessant, gelegentlich zu untersuchen, ob solche Diagnosen zunehmen, und ob sie, oder auch der Fall Mollath und die Steuerfahnder-Affäre, in Zusammenhang mit einem erhöhten Konformitätsdruck in der Gesellschaft stehen; ob sie Ausdruck einer Tendenz sind, oder ob es sich um isolierte Einzelphänomene handelt. Denn daß Abweichungen von willkürlich festgesetzten, immer enger werdenden Normen, schlichter Ungehorsam, erfolge er nun aus moralischen Gründen oder aus Pflichtgefühl, oder wirklich auch nervige Charakterzüge mancher Mitmenschen hinreichende Gründe für eine zeitlich unbegrenzte Einweisung in nette, ruhige Erholungsheime werden, kann sich eine freiheitliche Gesellschaft nicht leisten. Immerhin:
Eines allerdings können zukünftige Mollaths aus der ganzen Geschichte auch lernen: das nächste Mal einfach die Klappe halten, die Beweise – soweit man welche hat – einfach klammheimlich an alle Medien schicken, et voilà – ist man Edward Snowden. Bloß sitzt man nicht einmal auf irgendeinem Flughafen fest statt in der Anstalt, wenn man anonym bleibt; und kann in aller Ruhe zusehen, wie die Beschuldigten purzeln. Vorausgesetzt, an der Sache ist was dran.