Herr Sathom hatte zum Jahreswechsel wieder so eine Diskussion am Silvestertisch und dachte:
Hach, wie gut, daß es Russia Today gibt.
Was war das irritierend die letzten Jahre. Als wir merken mußten: unsere seriösen Qualitätsmedien sind das gar nicht immer, liefern oft zur Information die Weltdeutung im Sinne der bestehenden Herrschafts- oder Gesellschaftsordnung gleich mit; stellen Dinge einseitig dar, vertreten unisono eine Blockmeinung – Herrschaftsmeinung, die den herrschenden Klassen genehme eben; sangen das Loblied des Sozialabbaus, des Kapitalmarktes, der allem innewohnt und es gottgleich zum Besten regelt, weshalb die immer ärmer werdenden selbst schuld sind, und der wohlbestallte Bürger in der Mitte der Gesellschaft siedelt, dieweil die an den „Rändern“ – denn das impliziert die Rede von der „bürgerlichen Mitte“ – als Bürger gar nicht zählen. Weshalb sie auch nicht gefragt werden, und man in Talkshows über Hartz-IV-Empfänger redet, aber nicht mit ihnen.
Doch nun wird alles anders!
Vorbei die Zeit der Verwirrung; zuende auch die Zumutung, ständig kritisch zu hinterfragen, was man da liest oder sieht, und überlegen zu sollen, woher das kommt – etwa daher, daß auch Journalisten voreingenommen sind, oft derselben gesellschaftlichen Schicht entstammen und deren Weltsicht unkritisch teilen? In der Kommunikation mit anderen Mitgliedern ihrer in-group einander ihre Vorurteile bestätigen? Die Nachricht in ihr festliegendes, oft nicht bewußt reflektiertes Weltbild einsortieren, sie gemäß aktueller Denkklischees deuten? Manchmal einfach auch schlampig recherchieren, oder voneinander abschreiben? Wäre alles denkbar. Daß gerade ein gemeinsames Weltbild die Berichterstatter prägt, dafür war ja erst kürzlich die antigewerkschaftliche Angstmacherei angesichts der Lokführer- und Pilotenstreiks mit ihrem munteren Rückfall in 90er-Jahre-Rhethorik ein anschauliches Beispiel. Kurz, da kommt einiges zusammen, und eine einzige Ursache, ein lenkender Schuft, ist nicht immer auszumachen.
Doch mit solch komplexen Wirrnissen müssen wir uns nicht länger plagen. Nicht länger solch vertrieselte, von Fall zu Fall unterschiedlich gehäkelte Ursachenknäuel aufknoten. Endlich, endlich ist die Welt wieder einfach, und aufs Beste erklärt.
Die Medien sind gesteuert! (Aha!) Doch nun enthüllt uns eine über jeden Zweifel erhabene Instanz endlich die Wahrheit! (Hurra!) Der dürfen wir endlich wieder ungeprüft alles glauben! (Uff!)
Und ist ja auch alles hochplausibel:
Wenn wir – „der Westen“ – nun doch nicht die Guten sind, dann müssen es wohl „die Russen“ sein. Zumal die ja überhaupt nicht dieser Tage Transsexuellen das Autofahren verboten haben. Und muß wohl bei ihnen auch der Hort der holden Tatsachen wohnen, dieser aber Russia Today sein, wo nur Edelmenschen arbeiten, und selbstlos, unermüdlich, Töpfe voll eitel Wahrheitshonig über uns ausgießen. Und weil das so ist, hörte man in unseren unseren durchkorrumpierten Westmedien ja auch ü-ber-haupt nichts vom Folterbericht der CIA, und laufen auf 3sat auch gar keine kapitalismuskritischen Dokumentationen – während RT ganz offen zeigt, wie in der heiligen Rus marodierende Banden mit dem Segen der orthodoxen Kirche Homosexuelle foltern und Videos davon online stellen, die Polizei die Täter aber nicht identifizieren kann, obwohl die freudig ihre Rüssel in die Kamera halten und ggf. die einzigen Bewohner des dörflichen Tatorts sind.
Wie schön: ehe man sich mühsam durch den Mediendschungel quält, Meinungen vergleicht, Quellen prüft, gesellschaftlichen Entwicklungen analytisch begegnet, vielleicht mal ein paar politologische oder soziologische Bücher liest (Tipp: Eva Herman schreibt die nicht), kann man doch auch einfach entscheiden, daß unsere Medien eben durch die Bank lügen – weil nämlich Obama und Merkel morgens bei SZ und „Zeit“ anrufen und den Redakteuren in den Block diktieren,welche Meldungen erwünscht sind. Sofern die Illuminaten das nicht gleich selbst erledigen, statt solche Politmuppets vorzuschicken.
Lästige Wahrnehmungen wie die, daß auch Westmedien immer wieder kritisch berichten; daß der britische Guardian mutig, gegen Regierungsdruck, Edward Snowdens Enthüllungen publizierte; daß gerade die als „gesteuertes“ Leitmedium geschmähte SZ eben auch einen kapitalismuskritischen Heribert Prantl hat; daß immerhin offen berichtet wurde vom Schwindel der Biowaffen in Saddam Husseins Bastelkeller; all diesen lästigen Quatsch weiß der Erleuchtete, dem die Welt dank RT wieder eine geordnete ist, beiseite zu wischen. So was passiert unfallshalber, erklärt er, und dauert grad, bis wieder „der Maulkorb“ verhängt wird; oder er nimmt es einfach gar nicht zur Kenntnis. Auch der Widerspruch, daß die – sonst durchaus aufklärerischen und klugen – Insassen der „Anstalt“ in der letzten Sendung vor Jahresende so froh wie unbekümmert suggerierten, RT betreibe wenigstens im Gegensatz zur SZ richtigen Journalismus, und daß sie das im bösen ZDF auch dürfen, stört ihn nicht im Geringsten.
Darum hält er sich auch nicht damit auf, zu bestimmten Debatten auch andere europäische, oder gar US-amerikanische Medien zu konsultieren. Schieflagen der deutschen Berichterstattung und Talkshow-Welterklärung, die einem uniformen mindset der deutschen Medien entspringen, machen auch diese bereits sichtbar (wie etwa in der Debatte zum Beschneidungsurteil). Aber das würde ein zu pluralistisches Bild der Westmedien zeichnen. Lieber sucht man sich ein unfehlbares Orakel.
Denn neeein, das staatsfinanzierte RT ist natürlich kein Propagandainstrument; wäre ja noch schöner. Dann müßten wir uns ja klar machen, daß keine Seite ausschließlich „gut“ oder „böse“ ist; daß in der Ukraine alle beteiligten Machtblöcke ihre Interessen auf Kosten der ukrainischen und russischen Zivilbevölkerung verfolgen; daß auch die Erklärungen für fuck-ups der Westmedien, die Herr Sathom hier ja auch schon geißelte, etwas komplizierter sind als im Kasperltheater, wo der Teufel Hörner hat, damit man weiß, er ist der Böse. Kurz, wir müßten ständig, wie der alte Kant mal formulierte, den Mut haben, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen. Und wie ist das doch, wenn es dazu schon keines Mutes wie zu Inquisitionszeiten mehr bedarf, furchtbar anstrengend.
Da ist es einfacher, sich um 180 Grad zu drehen. Waren vorher wir die ausschließlich Guten und „die“ eben die Bösen, ist’s jetzt halt andersrum; alle Ukrainer gelten plötzlich als Nazis, und Greueltaten werden natürlich nur an den Separatisten verübt, nie von ihnen. Und das Feinste: statt ständig aufmerksam beobachten und kritisch hinterfragen, Quellen auswerten zu müssen, weiß man sich jetzt wieder qua Identifikation mit einer unfehlbaren Instanz auf Seiten des Guten; im Vollbesitz der einen, lichten, lauteren Wahrheit. Hat endlich wieder den Durchblick! Weiß bescheid – das heißt, darf „wissen“, was einem in den Kram paßt. Gut, daß die Welt wieder sauber aufgeteilt ist in schwarz und weiß; man selbst auf der richtigen Seite. Bloß glauben muß, was aus der einen Quelle stammt, und an die Suppe aus der anderen eben nicht. Weiteres Denken: endlich wieder unnötig.
Wie da selbst Leute, die sich dem aufklärerischen Geist verschrieben haben, diesen in letzter Zeit manchmal diskreditieren, indem sie einseitig in eine populäre Kerbe hauen (ja, Herr Sathom guckt euch an, Anstaltsbetreiber), ist zumindest besorgniserregend.
Auch der heitere Herr Pispers irrt (selten, aber kommt vor), wenn er – etwa im Programm „Bis neulich 2014“ – zumindest suggeriert, „die Medien“ würden bestimmte Nachrichten in irreführender Absicht machen. Gewiß gibt es in den höheren Verlagsetagen auch Drahtzieher, die politischen Agenden folgen; sicher beeinflussen PR-Agenturen und Lobbyisten Themenwahl und Weltdeutung; gewiß gibt es sogar propagandistische Kampagnen (wer hat z.B. in den letzten Jahrzehnten Arbeitslose und „Sozialschmarotzer“ diffamiert, daß die Balken knirschen?). Doch die Mehrzahl der „Medienmacher“, Journalisten, Kommentatoren, Feuilletonisten, deuten die Welt ganz von sich aus gemäß ihrer schichtspezifischen Dressur. Manche von ihnen mögen als Chefredakteure einer politischen Agenda folgen, in Absprache mit Kumpels aus anderen Verlagen handeln; Kommentatoren dem Geltungsdrang frönen, gesellschaftliche Entwicklungen anstoßen und steuern, oder die Politik vor sich hertreiben zu wollen. Und, ja: Manche lügen. Dagegen kann man aufklärerisch anreden; die Lösung kann jedoch nicht darin bestehen, sämtliche Journalisten – vom Chefredakteur bis zum Fußvolk mit Mikrophon – per Verschwörungstheorie zu einem abgestimmt handelnden Netzwerk zu erklären, und vor allem: einfach die Instanz zu wechseln, der man nun unkritisch alles von den Lippen abliest; von der man nun glaubt, sie sei unfehlbar, lauter in ihren Absichten, und jedes ihrer Worte licht und wahr.
Wenigstens den Leuten von der heute-show ist mal was anderes eingefallen: angeregt durch Bilder von Bildern aggressiven, schon ansatzweise gewaltbereiten Verscheuchungsverhaltens der PEGIDA-Demonstranten gegenüber ARD-Journalisten, schickten sie kurz vor Jahresende den billigst als RT-Mitarbeiter verkleideten Carsten van Ryssen zur Demo, dem die Teilnehmer trotz eines so eindeutig vorgetäuschten russischen Akzents, daß Herr Sathom Ohrenpilz bekam, bereitwilligst Auskunft gaben. Natürlich entstammen auch die gezeigten Interviewmitschnitte einer Auswahl (aber im Ernst: wollt Ihr euch sowas drei Stunden lang geben, Folks?); aber wie sich da mancher um Kopf und Kragen redet im Glauben, zum einzigen Wahrheitssender des Planeten zu sprechen, ist dennoch entlarvend.
Jedenfalls: die Dinge sind ein bißchen komplizierter, Leute; einfach bloß bei den „Guten“ und „Bösen“ die Hüte auszutauschen, um mal eine idiotische Metapher aus dem Reich des Meetinggeschwafels aufzugreifen, reicht da nicht.
Und, ach ja – Herr Sathom stimmt allem, was die Macher der „Anstalt“ in letzter Zeit zum Thema Flüchtlinge sagten, aus tiefstem Herzen zu. Er fragte sich bloß neulich: wo doch jetzt wir die Bösen sind und Putin & Co. die Guten, wie viele syrische Flüchtlinge nimmt Rußland da eigentlich auf? Man hört so gar nichts.
Schön, das verschweigen wohl wieder bloß die bösen Westmedien, und RT ist einfach zu bescheiden, um deswegen Wind zu machen.
Diese guten Menschen!