In seiner Rede anläßlich der Anti-“PEGIDA“-Demo in Dresden äußerte Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich am Samstag vieles, dem man nur zustimmen kann. Weltoffen, tolerant, mitmenschlich sei Dresden, mit der Kraft zur Integration aller in dieser Gesellschaft ausgestattet; ein Appell an grundlegende Werte, der ehrlich gemeint wirkte.
Herr Sathom hat dennoch, im Licht des kürzlich hier gesagten, einen Einwand. Es wäre begrüßenswert, wenn sich die Gesellschaft angesichts des Zerrspiegels, den ihr „PEGIDA“ vorhält, auf die aufgezählten Tugenden besinnen würde; doch mitmenschlich und integrationsstark zeigt sie sich wohl schon seit Jahren eher nicht – gegenüber Migranten und einheimischen Sozialabsteigern. (Und da Tillich auf die kulturellen Errungenschaften Dresdens anspielte: gerade im Jubeltrubel bunten Kulturlebens werden diejenigen, die es als billige Arbeitskräfte an Garderoben, am Einlaß oder in der Sicherheit erst ermöfglichen, oft genug übersehen und untergepflügt.)
Weite Teile der Gesellschaft überantwortet man seit Langem gleichermaßen dem Verrecken; hat sie, Mitbürger gleich welchen ethnischen und kulturellen Hintergrunds, aufgegeben, überläßt sie achselzuckend ihrem Schicksal. Wenigstens, bis sie negativ auffällig werden.
Doch läßt man Menschen verkommen, darf man sich nicht scheinheilig verwundern, als was für „Tiere“, manchmal verroht, manchmal radikalisiert, vielleicht emotional und intellektuell erodiert, sie dann zuletzt aus ihren Löchern zu kriechen scheinen. (Aber: daß sie kaum mehr als Tiere seien, hat man wohl schon vorher beschlossen; schön, wenn man sich dann dadurch bestätigt sehen darf, daß sie sich auch wie welche benehmen.)
Was soll Herr Sathom etwa davon halten, wenn er irgendwelchen Fernsehberichten entnimmt, daß die NPD in Ostdeutschland mit Kinderfesten und allerlei Ringelpietz auf Menschenfang geht – und es der evangelischen Kirche und anderen „Anständigen“ erst daraufhin einfällt, sich auch mal ein bißchen um die zu kurz gekommenen zu kümmern? Mitmenschlich, integrationsfähig, das hieße, es vorher zu tun – um der Sache selbst willen; ehe die Betroffenen zum Objekt eines Gezerres zwischen Demokratiefeinden und trägen Wohlstandbürgern werden.
Diese Art der Gesellschaft, mit Menschen umzugehen, die nicht in etablierte Schemata passen oder aus ihnen herausfielen, entspringt einem menschenverachtenden Denken; die Rhetorik, die das Handeln gegenüber solchen Ausgegrenzten vorbereitet und begleitet, auch. Hat man sie dann an den Rand der Gesellschaft treiben lassen, nein, sogar aktiv getrieben, wirft man ihnen vor, dort angeschwemmt zu liegen. Es paßt zu diesem Kreislauf der Menschenverachtung, daß ausgerechnet Hartzkanzler Schröder in den letzten Tagen einen „Aufstand der Anständigen“ forderte.
Die „Anständigen“? Es sind oft genug sie – die sich nun als Verteidiger hehren Anstands in die Brust werfen – welche die Unanständigen erst erzeugten; sie fortwarfen wie Müll. Das sollte man bedenken, ehe man sich mokiert, was da im Dreck herumkriecht.
Unsere Gesellschaft hat nicht die Kraft der Integration der Muslime schon deswegen weil diese sich jeder Umarmung verweigern
Der Monotheismus führte und führt die Menschen in die Konfrontation er ist edurch die Priesterkaste für deren MACHT erfunden
Ich würde da in mehrfacher Hinsicht widersprechen.
Zunächst einmal kann man Abstrakta – Ideen, Religionen, Lehren wie „den“ Islam oder meinetwegen den Hegelianismus – ohnehin nicht integrieren, sondern nur Menschen. Und ja, deren Integrationsfähigkeit hängt auch davon ab, welchen Ideen sie anhängen, und wie radikal sie diese vertreten; insbesondere, wie radikal feindselig diese Ideen gegen andere Menschen gerichtet sind. Allerdings können Menschen ihre Ansichten ändern (eine unpersonale Entität, ein So-und-so-ismus, kann das nicht). Alle Muslime verallgemeinernd zusammenzufassen als „den Islam“ (den es nicht gibt, sondern teils sehr divergente Ausformungen), und gegen reale Alltagserfahrung pauschal ihre Nichtintegrierbarkeit zu behaupten, halte ich für verfehlt. Das ist etwa so, als würde man dem „Weltgeist“ vorwerfen, daß er nie zum Kuscheln vorbeikommt: eine falsche Forderung an den falschen Adressaten.
Zweitens denke ich, daß sich die genannten Vorhalte an monotheistische Religionen auch gegen jede polytheistische Religion vorbringen lassen. Oder vielmehr: gegen bestimmte ihrer Anhänger, je nach deren Lesart ihres Glaubens, und ihrer Einstellung zu Anders- oder Nichtgläubigen. Die Zuspitzung auf den Monotheismus ist verfehlt. Sie ignoriert zudem politische, ökonomische und historische Faktoren, die einzelne Gläubige zu bestimmten Zeiten toleranter, oder intoleranter werden lassen, und ist somit geschichtsblind – denn sie unterstellt ein unveränderliches „Wesen“ jeder Religion, das unabhängig von den religiösen Subjekten existiert.
Was nun den Pantheismus betrifft, den man noch anführen könnte, faßt dieser die Erscheinungen des Kosmos als naturgegebene Monaden auf; also etwa einen „Nationalcharakter“ als unveränderliche, prädeterminierte Eigenschaft. Sofern diese Monaden ethnisch oder nationalistisch geprägt sind, insbesondere eine naturgegebene Einheit bestimmter geographischer Regionen und Völker postulieren, sind sie notwendig fremdenfeindlich und kaum geeignet, Integration zuzulassen. Das um so mehr, je rigider den Monaden oder „Naturgesetzen“ normative Kraft zugestanden wird, also z.B. Gesellschaft, Herrschaftsverhältnisse, Geschlechterrollen etc. als deren Ausdruck verstanden werden.
„PEGIDA“ betreffend: Was immer die einzelnen Teilnehmer motiviert (und das mögen teilweise berechtigte Gründe sein), die Gefahr einer „Islamisierung des Abendlandes“, die sie schon durch ihre Namenswahl als Hauptanliegen kennzeichnen, existiert schlichtweg nicht. Sich unter einem irrigen Motto zu sammeln, muß man ihnen zumindest vorhalten. Die Integrationsunfähigkeit der Gesellschaft wiederum, von der im Artikel die Rede ist, hat nicht spezifisch etwas mit Integration von Muslimen zu tun, sondern ist viel allgemeiner; sie gilt Armen, Sozialabsteigern, und – trotz aller derzeitigen Lippenbekenntnisse – auch Migranten.