:: Der Mensch ein Monstrum: The Walking Dead (V) – Rezeption

Nach längerer Pause nähern sich die Wandelnden Toten nun endlich der Zielgeraden. An den Stationen ihres Weges konnten wir bisher feststellen, daß die Serie immer wieder auf ein spezifisches Menschenbild rekurriert, bestehend in der Behauptung, daß jeder Mensch (nicht nur der untote) eine potentielle Gefahr darstellt. Die Serie konstruiert dabei Situationen, die feindseliges Mißtrauen gegenüber Unbekannten gerechtfertigt erscheinen lassen, sogar dazu legitimieren, mit Fremden ggf. zuerst nach dem Motto „Jeder ist sich selbst der Nächste“ zu verfahren, bevor sie es können. Das in Dialogsequenzen immer wieder aufgegriffene Thema der „Wirklichkeit“ wird dabei hauptsächlich so behandelt, als gäbe dieses Menschenbild den Zustand/die Verfassung des Menschen auf allgemeingültige, über die Situation der Zombiekatastrophe hinaus zutreffende Weise wieder. Anders ausgedrückt, beharren tragende Figuren der Serie darauf, daß menschliche Bestialität nicht der aktuellen Lage geschuldet, sondern immanente Natur des Menschen sei. Ob die Autoren der Serie damit bewußt eine Botschaft propagieren wollen, blieb unklar, da sie immer wieder Brüche einbauen und sich der ständige Rekurs auf die feindselig-paranoide Auffassung vom Wesen des Menschen auch anders erklären ließ.

Wie wird TWD nach allem bisher gesagten nun tatsächlich rezipiert? Als solche „Botschaft“, daß der Mensch von Natur aus böse sei? Als daraus gelesene Rechtfertigung für eigenen Zynismus? Als nichts davon?

Es ist schwierig, hier ein zuverlässiges Gesamtbild zu erstellen; die zahllosen Online-Rezensionen und Diskussionen würden eine umfangreiche empirische Recherche bedingen, zeigen allerdings bei kurzem Überblick, daß die Zuschauer die Ereignisse der Serie völlig unterschiedlich interpretieren.

Die Rezeption fällt also deutlich auseinander, besonders was die Konfrontation der Gruppe um Rick mit der Zivilisation Alexandrias, und Ricks Reaktion auf diese angeht.

Während ein deutschprachiger Rezensent der Auffassung ist, daß die Alexandrier vollkommen unfähig sind, und sich wundert, wie sie überhaupt überleben konnten, sind Kommentatoren im englischsprachigen Blog io9 z.T. der Auffassung, daß es der traumatisierte Rick ist, der an der neuen Umgebung scheitert; eher an der Figur Rick als an einer möglichen „Message“ orientiert, wird etwa festgestellt, daß Rick „ has been crazy for a while“, was die Konfrontation mit Alexandria lediglich offenbar mache. Andere Kommentatoren verweisen darauf, daß Rick zunächst keinen Versuch macht, den Alexandriern zu erklären, weshalb sie ihre Lebensart ändern müßten, sondern sie einfach zu hintergehen plant – für einen „Realisten“, der die Situation besser versteht als die Einwohner, ein ausgesprochen dysfunktionales Verhalten. Zuletzt findet sich in einem Kommentar die Auffassung, daß Gesellschaft wirklich nur Schein sei – der allerdings auf einem Vertrag Aller basiert, so zu tun, als ob wir gute Menschen wären. Ricks Beharren auf einer anderen Wirklichkeit deutet er jedoch nicht so, daß er den naiven Alexandriern überlegen sei, sondern vielmehr als Versagen, als Unfähigkeit, diesen Vertrag erneut einzugehen. (Herrn Sathoms Lieblingskommentar in diesem Thread lautet übrigens: „Have a Snickers, Rick – You’re like Rick when you’re hungry“.)

Die deutsche Rezension ist dabei auch insofern interessant, als sie uns auf das bereits behandelte Thema der inszenierten Realität zurückbringt. Denn dem o.g. deutschen Rezensenten zwar fällt auf, daß die Alexandrier angesichts ihrer Unfähigkeit und Feigheit „mehr Glück als Verstand“ gehabt haben müssen, um bisher zu überleben; er faßt dies als Bestätigung auf, daß Rick & Co. im Recht sind, statt zu bemerken, daß die Autoren der Serie mit Alexandria eine ausgesprochen unwahrscheinliche Gesellschaft in die Landschaft setzen. Im Kontext der Zombiekalypse, wie sie bisher in der Serie beschrieben wurde, kann es Alexandria wie gesagt eigentlich nicht geben; gerade wenn die Sichtweise Ricks und seiner Leute zuträfe, müßte die Safe Zone längst ausgelöscht worden sein. Alexandria ist das perfekte Beispiel für den als Realität zugerichteten Schein, der bereits besprochen wurde – es existiert entweder nur, um zu beweisen, daß der zivilisierte/“gute“ Mensch dem „wilden“/zynischen Realisten unterlegen ist; oder, falls die Autoren keine solche These im Sinn hatten, um Konfliktpotential, und damit Spannung zu schaffen.

Gerade in der Welt, deren „Wirklichkeit“ Alexandria beweisen soll, ist Alexandrias Existenz unmöglich – Verweis darauf, daß es bloßes Konstrukt ist, ein Paradoxon.

Da der Rezensent die Künstlichkeit der ihm präsentierten Welt hier nicht reflektiert (was ihm in anderer Hinsicht durchaus gelingt), akzeptiert er das Versagen der Alexandrier als Beweis ihrer Unterlegenheit gegenüber der „Scheiß auf Menschlichkeit“-Ideologie Ricks. Er realisiert nicht, daß ihre „Dummheit“ von den Autoren zu bestimmten Zwecken inszeniert wird; daß es die Einwohner des Ortes nur zu diesem Zweck gibt.

Alexandria ist eine Unmöglichkeit, die man nur akzeptiert,

  1. wenn man entweder Ricks Menschenbild nicht mehr hinterfragt, oder
  2. sich von den aufwühlenden Konflikten in der Safe Zone über deren unmögliche Existenz hinwegtäuschen bzw. davon ablenken läßt (suspension of disbelief nennen Autoren die Kunst, den Zuschauer vergessen bzw. übersehen zu lassen, daß etwas Geschildertes nicht sein kann).
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