Willkommen im Blog, das verbitterte Selbstgespräche führt. 😎 Solche kann man allerdings auch zu Mehreren veranstalten, und dann können sie ganz lustig werden, wie am Sonntag mal wieder der „Presseclub“ bei Phoenix demonstrierte. Thema war das neue Integrationsgesetz. Außer dem von der taz entsandten Teilnehmer fanden’s alle einigermaßen geil. Herr Sathom will hier gar nicht en detail auf die Sendung eingehen; ihm fiel bloß anläßlich ihres Themas und mancher Äußerung dazu etwas auf, das die gesamte aktuelle Debatte kennzeichnet.
„Fordern und Fördern“ steht auf dem Banner, das über dem Gesetz weht. Und he, klingt das nicht irgendwie vertraut? Richtig – es ist eben die Parole, mit der die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze übers Volk gebracht wurden. So ein Zufall.
Herr Sathom formulierte hier schon früher einmal den Verdacht, daß die Vorurteile, die Zuwanderern und einheimischen „Sozialschwachen“ (also: den Armen) entgegenschlagen, weitgehend dieselben sind. Wirft man einen Blick auf die Prämisse des neuen Gesetzes und die begleitende Propaganda derjenigen meiden, die es begrüßen, kann man den Eindruck gewinnen, daß hier tatsächlich sehr ähnlich, wenn nicht identisch argumentiert wird.
Indem man den Schlachtruf der Agenda 2010 wieder aus der Mottenkiste holt, übernimmt man deren implizite Unterstellung – gefordert und sanktioniert werden muß, denn ohne Arschtritt kommen diese faulen Versager nicht in die Gänge. Überhaupt ist das „und“ zwischen den F-Worten ein Schwindel; um Forderung plus Förderung geht es nicht. Daß man fordert, ist die Förderung; wenigstens in vielen Köpfen. Die Gef…ten brauchen den Tritt nämlich.
Wer einmal mit Hartz-Jobbern zusammengearbeitet und von ihren Erfahrungen gehört hat, oder seine Gewerkschaftszeitung liest, weiß hingegen, daß ihre Rückkehr auf den Ersten Arbeitsmarkt nicht an ihnen scheitert, die per Androhung von Leistungsentzug in Knochenjobs für minimalen Stundenlohn gezwungen, oder zu idiotischen Schulungen geschickt werden. Sondern daran, daß diese Rückkehr gar nicht gewollt ist. Die Bereitstellung eines Sklavenheers, das der Staat entlohnt, ist ein Geschenk an die Wirtschaft (u.a. lebt eine ganze Branche von Kursanbietern davon). Der Schwindel, es läge an den Ausgebeuteten, daß diese auch nach Jahren nicht zurück in „richtige“ Arbeit gelangen, verleumdet diese, um den Zusammenhang zu vertuschen.
Nun funktioniert dieser Trick immer weniger, je mehr Menschen sozial abrutschen und die Wirklichkeit des Hartz-Daseins selbst erfahren; doch bei den Zuwanderern wird der Mummenschanz wieder angelegt. Vielleicht, weil man hofft, mit dieser Gruppe erfolgreich verfahren zu können, wie damals mit den als „Sozialschmarotzer“ gebrandmarkten. Bei denen zieht das nicht mehr so richtig – aber prima, jetzt hat man neue Sündenböcke, auf die man den Unmut der Menschen lenken kann. Siehste, nicht der Bänker frißt dir die Wurst vom Brot, sondern der Flüchtling. Und wie damals der Sozialhilfeempfänger ist er durch das Vorurteil von vornherein diskreditiert, unglaubwürdig und damit mundtot gemacht; kann aufgrund seiner Lage kaum am Diskurs teilnehmen und sich praktischerweise nicht äußern; so daß man herrlich über ihn reden (und richten) kann, statt mit ihm. Wie eben einst und meist auch jetzt noch die Armen. In Polit-Talkshows zum Themen wie Hartz IV, „bildungsfernen Schichten“ etc. gehörten ja auch immer ganz bestimmte Leute nicht zur Gesprächsrunde – die nämlich, um die es ging. Andere saßen da und erklärten, was mit diesen Leuten nicht stimmt. Sie selbst hatten und haben zum Thema gefälligst nichts zu sagen – bloß Thema zu sein. Dieser Mechanismus wird nun in der Flüchtlingsfrage wieder angeschmissen.
Die Methode ist die bewährte – für die „Lösung“ des Problems werden die Betroffenen verantwortlich gemacht, indem man sie zu Verursachern erklärt. Schuld am Vorkommen von Armut sind die Armen, so die Botschaft damals; schuld am Integrationsproblem sind diesmal nicht fehlende Angebote z.B. von Sprachkursen oder fortdauernde Fremdenfeindlichkeit, an der jede Eingliederungsbemühung von Zuwanderern zerschellt, sondern – die Zugewanderten. So wie die Hartzer und Niedriglöhner nicht systemproduziert sind, sondern selbst schuld, haben sich eben auch die Einwanderer seit Jahrzehnten aus purem, bösen Willen jeder Integration verweigert und sich ihre Parallelgesellschaften gebastelt, und nicht etwa, weil man sie ständig zurückgewiesen hat. Und, na klar: Bildungsunwillig sind beide Gruppen; nicht etwa durch ein System, das Kinder von Gutverdienern bevorzugt, von Bildung ausgeschlossen.
Dank des Generalverdachts kann man so wunderbar fordern und (k)ein bißchen fördern – das Urteil über diejenigen, die auf der Strecke bleiben, ist im Gedanken, den Gesetz und konservativ-mediale Begleitmusik subtil transportieren, schon enthalten: „Selbst schuld“. Die, denen Integration mißlingt, haben versagt – nicht das System. So wie einst auch die Agenda 2010 Gleiches denen unterstellte, deren (Re-)Integration in den Ersten Arbeitsmarkt scheiterte.
Daß es Integrationsprobleme wie kriminelle Clans oder neuerdings „Antänzer“ gibt, soll hier gar nicht geleugnet werden. Aber wißt Ihr, Leute, dis kommt von dis. Läßt man Einheimische jahrelang zum Verrecken im Dreck liegen, werden sie – schlimmstenfalls – Nazis; behandelt man Zugewanderte eine nun schon viel längere Zeit wie Dreck, basteln sie sich eben ihre Parallelgesellschaften. Der Globalverdacht und das Herumgemurkse mit nicht vorhandenen Sprachkursen werden dieses Kind aber auch nicht wieder aus dem Brunnen holen.
Die Vertreterin der „Zeit“ sprach im Presseclub von einem „Selbstgespräch“, das die Gesellschaft gerade führe, und wollte mit dem Begriff wohl eine notwendige Richtungsebatte bezeichnen. Nur ist ein Selbstgespräch eben keine Diskussion. Jetzt wie einst sitzen wieder jene, die über Schwächere verfügen und deren Schicksal entscheiden, unter sich beisammen, und reden über die da unten; versichern einander in ihrer sozialen Seifenblase, daß sie schon am Besten wüßten, was denen draußen zu geschehen habe. Insofern hatte die Dame mehr recht, als sie ahnte – ein wunderschöner Freudscher Ausrutscher.