Immer mehr alte Heroen treten ab. Wer die eigene Biographie in welcher Weise prägte, in welchem Ausmaß der oder die Betreffende das eigene Lebensgefühl wiedergab oder beeinflußte, bestimmt das Gefühl des Verlusts sicherlich mit; so treffen ihre Tode unterschiedlich intensiv. Nach Leonard Cohen mußte kürzlich auch Greg Lake beklagt werden; Fans bestimmter Musikrichtungen mögen das heftiger betrauern als andere, die mediale Wahrnehmung mag je nach Star-Status variieren. Manche gehen vielleicht kaum bemerkt. Robert Vaughn etwa, sein Ableben überschattet von dem Cohens, erfuhr weniger Aufmerksamkeit, und war doch vielen Zeitzeugen der 70er und 80er Jahre vermutlich das vertrautere Gesicht. Für sie alle gilt: Immer markiert ihr Scheiden auch das Schwinden einer Zeit. Vergangen ist sie ohnehin; doch die sich an den Zeitgeist, die Stimmung dieser Jahrzehnte erinnern, müssen sich mit jedem Tod getrennter von denen wissen, die mit den alten Gesichtern, Filmen oder Büchern nichts mehr verbinden. Herr Sathom findet leider erst jetzt die Muße, an die folgenden Protagonisten ihrer Zeit zu erinnern; zwei verspätete Nachrufe.
Am 04.12.2016 verstarb Marcel Gotlieb, Comicfans – älteren zumindest – bekannt unter dem Künstlernamen Gotlib.*
Es fällt schwer, dem einigermaßen angemessenen Nachruf des Tagesspiegels noch etwas hinzuzufügen; was Gotlibs Werk ausmachte, die deformierenden Mutationen, die seine Figuren im zustand der Überraschung oder Hysterie durchlebten, findet dort ebenso Erwähnung wie die Rolle, die Marcel Gotlieb für die Entwicklung der französischen Comicszene spielte: Als Mitbegründer des Verlags L’Echo des Savanes und der Zeitschrift Fluide Glacial half er, das satirische, auch sexuell weitgehend tabufreie Erwachsenencomic (das sich allerdings wirklich an Erwachsene richtete, statt bloß Pornographie für pubertierende Knaben zu bieten) diesseits des Atlantiks zu etablieren. Nachtragen müßte man vielleicht, wie nachhaltig sein visueller und erzählerischer Stil spätere Künstler beeinflußte. Gotlibs Ausdrucksmittel setzten sich in der Comic-Ikonographie fest, so daß heutige Zeichner sie vielleicht zitieren, ohne den Ursprung des einen oder anderen zu kennen (etwa, wenn überraschte Charaktere ein übergroßes und ein winzig zusammengeschurrtes Auge zur Schau tragen); ähnlich wie Claire Bretéchers allgemeiner Zeichenstil, der etwa Ralf König und Franziska Becker beeinflußte, hat Gotlibs Art der Darstellung ihre Spur im Genre hinterlassen. So zeigt sich sein Einfluß auch im frühen Werk von Philip „FIL“ Tägert (dort einmal sogar mit der Fußnote „Pfiffig, was? Wie von Gotlib.“ referenziert), was sich übrigens auch von Édika und Nikita Mandryka sagen läßt, die der deutschen Leserschaft in den achtziger Jahren durch das Magazin U-Comix bekannt wurden; umgekehrt mögen Zeichner des amerikanischen MAD-Magazins, besonders Don Martin, ihrerseits Gotlib inspiriert haben.
* Als bürgerlicher Name wird in der französischen und englischen Wikipedia „Gottlieb“ mit Doppel-t angegeben; deutsche Quellen, nicht nur Wikipedia, verwenden grundsätzlich nur ein t, während französische uneinheitlich vorgehen. Herr Sathom kann nur vermuten, daß es sich bei Gottlieb um den ursprünglichen Familiennamen handelte, der später, vielleicht vor dem Hintergrund der Familiengeschichte (Verfolgung durch die Nazis und Ermordung des Vaters im KZ), zu Gotlieb romanisiert wurde. Der Ausstellungstext des Musée d’art et d’histoire du judaïsme, der den Familiennamen der Eltern mit zwei t angibt, scheint darauf hinzudeuten. ▲