Der Schaden ist getan. Das EU-Parlament hat am Dienstag der umstrittenen Richtlinie zur Reform des digitalen Urheberrechtsschutzes zugestimmt. Doch diese Entscheidung gefährdet nicht nur die Meinungsfreiheit oder ein freies Netz, schafft neue Zensurmöglichkeiten, wie viele fürchten; was ihr vorausging, reicht weiter, und tiefer.
Na ja. Hallo mal wieder.
Ich weiß, es ist schon geraume Zeit her, daß Herr Sathom sich geäußert hat, aber Lebensumstände, Arbeitsstreß, etc., etc., bla, bla, bla. Diese Situation hat sich aktuell nicht unbedingt so wahnsinnig verändert. Ich hoffe dennoch, demnächst einiges aufarbeiten zu können, das die letzten Monate zurückstehen mußte, aber als Thema immer noch unter den Nägeln brennt; man wird sehen.
Das hier z.B. sollte an sich nur ein kurzer Verweis auf eine hervorragende Linksammlung lesenswerter Artikel zum Verhalten der Befürworter der EU-Richtlinie werden; inzwischen, von den Ereignissen überholt (wegen siehe oben), sind doch einige Worte mehr erforderlich.
Ja, es geht um die berühmt-berüchtigten Artikel 11 und 13, um Upload-Filter, darum, daß Verlage ihre Pfründe sichern, und die von ihnen oft erbärmlich entlohnten, eigentlichen Urheber als Ausrede vorschieben wollen; doch eben auch um die Befürworter der Richtlinie, die sich nicht nur kritikresistent zeigten, sondern auf schon beinahe verleumderische Weise ihre Gegner als „Mob“ bezeichneten, oder sie als ferngesteuerte Strohpuppen der GAFA abtun wollten – wenn sie nicht gleich unterstellten, es bloß mit haufenweise bots zu tun zu haben. Das bildblog (keine Verbindung zur „Bild“-Zeitung, eher im Gegenteil) hat noch kurz vor dem Parlamentsbeschluß einige Artikel zusammengetragen, deren Lektüre auch im Nachhinein lohnt (auch wenn einer davon etwa so lang ist wie meine sonstigen Elaborate). Besonders witzig: der Verweis auf eine neue Twitter-Meme um Axel Voss, den ahnungslosen Entscheider par excellence, dessen dummdreiste Wortmeldungen ihn zum Anti-Chuck Norris machen könnten. Alles andere muß als eher beunruhigend bezeichnet werden.
Beunruhigend, weil das Verhalten der Befürworter des Gesetzes einem Muster folgt, das auch in anderen Bereichen gesellschaftlicher Diskussion um sich greift. Ob es um den Urheberschutz geht oder um die „Fridays for Future“-Demos klimabesorgter Schüler, haben politische und wirtschaftliche Macht offenbar eine neue Methode entdeckt, mit der sie im Schulterschluß auf Kritik reagieren: Eine Mischung aus Falschdarstellung und Verleumdung bis hin zum offenen Mobbing. Da wird mit herablassender und beleidigender Häme auf Greta Thunberg und die Schülerdemonstranten reagiert; da werden Andersdenkende als Marionetten irgendwelcher dunklen Mächte dargestellt (die Schulkinder sollen an den Fäden der NGOs zappeln, die Netzaktivisten an denen von Google und YouTube); da scheint es, als wollten führende Politiker und Lobbyvertreter so ein neues Genre der Verschwörungstheorie aus der Taufe heben, die der Mächtigen anstelle der Ohnmächtigen nämlich. Und da paart sich offensichtliche Inkompetenz mit überheblicher Selbstgerechtigkeit, was verheerende Rückschlüsse auf den moralischen Zustand der politischen Klasse nahelegt.
Zu all diesen Verhaltensweisen fügt sich eine weitere, die sich auf anderen Feldern äußert. So z.B. im jüngsten Feldzug der Konservativen gegen gemeinnützige Vereine, die ihnen nicht in den Kram passen (bis hin zur Forderung, Gemeinnützigkeitskriterien zu ändern bzw. aus dem Gesetz zu entfernen, um Umweltverbänden den Spendenhahn abzudrehen – während Vereine, die nicht mißliebig sind, trotz immerhin zweifelhafter Gemeinnützigkeit verschont werden).
Zusammen genommen ergeben diese, auf den ersten Blick disparaten, Vorgänge in verschiedenen Bereichen doch ein zusammenhängendes Bild: Das eines neuen, sehr aggressiven Umgangs mit Kritik, bei dem jedes Mittel recht ist; eines massiven Vorgehens – um nicht von einem Feldzug zu reden – gegen Kritiker, das, bedenkt man die verbalen Tiefschläge mancher Politiker gegen Schulkinder(!), auch die zivilisatorische Verrohung billigend in Kauf nimmt. Die Entschlossenheit, Andersdenkende mundtot zu machen, soll vielleicht gerade dadurch demonstriert werden, daß man vor Verächtlichmachung und falscher Verdächtigung nicht zurückschreckt. Motto: „Von den Populisten lernen, heißt siegen lernen“.
Der Schaden, befürchten einige Autoren und Autorinnen der o.g. Artikel, ist jedenfalls schon angerichtet – ein Schaden für die Demokratie, ihre Institutionen, das Vertrauen einer ganzen Generation. Und er entspringt einer Art plötzlicher Gegenrevolution – einer von oben, einer der Mächtigen gegen die Frechgewordenen. Daß sich auch Femistinnen und LGBTI-Leute bald warm anziehen können, hat AKK ja schon wenig subtil durchblicken lassen.
Es sind dies Aspekte einer Gesamtentwicklung, denen ich mich demnächst jeweils im Einzelnen zu widmen hoffe, außer die Zeit und der Job, na, man sieht’s ja schon wieder. Also schauen wir mal.
P.S.: In diesem Post vergleicht das bildblog zwei Fotos auf der Website von „Bild“; das erste wurde später gegen das zweite ausgetauscht, vielleicht, weil auf dem ersten ein Protestschild zu sehen ist, das darauf hinweist, daß die eigentlichen Urheber/innen eher von den Verlagen (hier: Axel Springer) abgezockt werden als von Kids, die irgendwelche Memes posten. Man kann sich fragen, ob derartige kritische Hinweise – also solche, die Fotos oder ggf. auch längere, zitierte Textpassagen verwenden – nach der Urheberrechtsreform noch ohne Weiteres möglich wären (vermutlich wären sie legal, könnten aber an Upolad-Filtern scheitern). Die Methode, über privatwirtschaftliche Rechtsmittel Kritik auszuhebeln, ist übrigens nicht neu: Man denke an das Vorgehen gegen Whistleblower wegen des Verrats von Geschäftsgeheimnissen, oder gegen Journalisten, denen wegen kritischer Berichterstattung Geschäftsschädigung vorgeworfen wird.
P.P.S.: Vor dem EU-Parlament feierte nach der Entscheidung ein Häufchen Künstler, die tatsächlich glauben (ich laß jetzt mal die Verdächtigung, es könnte sich um gekaufte Claqueure handeln, weg), die Richtlinie würde ihnen nutzen – so, als würden sie überhaupt interessieren; viel Spaß damit. Daß sich prominente Kreative für die Richtlinie stark machten, verwundert dabei nicht – anders als z.B. viele, sogar relativ erfolgreiche Schriftsteller/innen, die einen Brotjob machen müssen, um quasi „nebenher“ schreiben zu können, werden sie von den Verlagen bevorzugt behandelt.