Würde jemand hungrigen Menschen noch das letzte Stück Brot nehmen? Jemand, der selbst durchaus genug zu essen hat? Nun, so weit würde es vielleicht niemand treiben; ähnlich weit aber, das geht schon. Man kann es sogar mit der großen Geste Weltverbesserers tun – und sich dafür selbst feiern. Man muß dazu nur ein Start-Up gründen; und bereit sein, dort zu wildern, wo Lebensmittel Bedürftigen zugänglich gemacht werden.
Es folgt ein Lehrstück in Kapitalismus.
Einem Artikel der „Berliner Zeitung“ vom Montag (auch online verfügbar) zufolge haben Start-Ups begonnen, die wichtigste Ressource der Tafeln für Bedürftige anzugreifen: Lebensmittel.
Daß deren Verschwendung ein Problem darstellt, läßt sich nicht leugnen. Immerhin ein geringer Teil dessen, was sonst wegen vermeintlicher Mängel weggeworfen würde, erreicht wenigstens arme und an der Armutsgrenze lebenden Menschen, indem es vom Handel gespendet, und von Tafeln günstig oder kostenlos abgegeben wird.
Die Berliner Tafel verteilt laut o.g. Artikel monatlich 660 Tonnen Lebensmittel an Menschen, die sich sonst kaum ausreichend ernähren könnten – und deren Zahl steigt: Allein unter Senioren soll im letzten Jahr ein Anstieg um 20 Prozent verzeichnet worden sein.
Es ist ein System dringend gebotener, wenn auch marginaler Hilfe – und selbst diese geringfügige Linderung bestehender Not gerät in Gefahr, wenn wirtschaftliche Interessen ins Spiel kommen; wenn das verfügbare „Angebot“ an überschüssigen Lebensmitteln Konkurrenten auf den Plan ruft, die aus dem „Essensmüll“ auf eine Weise Profit zu schlagen versprechen, die Finanzinvestoren aufhorchen läßt.
Enter the Start-Up.
Einige solche Unternehmen haben begonnen, dem Handel Lebensmittel abzunehmen, die dieser sonst wegwerfen oder den Tafeln als Spende überlassen würde; stattdessen werden sie dann stark rabattiert in eigenen Filialen verkauft. Das Unternehmen Sirplus (Sirplus – Surplus – verstehste?) residiert in Berlin; ein weiteres, Matsmart aus Schweden, wird demnächst auf den deutschen Markt drängen. Unterstützt von finanzstarken Investoren, z.B. dem Ikea-Konzern, will die Firma auch in andere europäische Länder expandieren. Besonderer Service: Es wird auch nach Hause geliefert.
Nun muß das keine dramatischen Folgen für die Versorgung Bedürftiger und Mittelloser haben. Man könnte hoffen, daß eine Koexistenz beider Verwertungsformen möglich ist. Der Expansionsdrang der betreffenden Unternehmen allerdings läßt nichts Gutes erwarten – und tatsächlich spürt die Berliner Tafel, so laut „Berliner Zeitung“ deren Vorsitzende, bereits einen Spendenrückgang. Die Start-Ups bieten dem Handel weitaus attraktivere Konditionen; dieser kann die Ware an sie weiterverkaufen, statt sie zu verschenken, was ihn auch steuerlich begünstigt.