Da sitz ich nun also in den Zeiten der Seuche zuhause – und denke mir so: Wenn mir was an der Situation gegen den Strich geht, dann ist es dieses virale Geschmuse.
Nein, ich rede nicht von Corona-Parties. (Wer macht sowas überhaupt? Möge die Gottesgeißel sie richten.) Nee, nee, was Herrn Sathom auf den Zünder geht, sind all diese Leute, die neuerdings abends auf den Balkonen stehen. Und applaudieren. Und wie die Politiker haben sie für alle, die in der Krise den Kopf hinhalten – Ärzte, Krankenhauspersonal, Kräfte im Einzelhandel – dieses schmucke Wort parat: Helden.
Wobei – machen die das eigentlich noch? Oder ist es ihnen inzwischen langweilig geworden? Demonstrative Solidarität, die sich in Beifall erschöpft, wird ja vielleicht auch irgendwann anstrengend.
Wenn nicht, stehen sie wohl immer noch allabendlich in Prenzlberg und Mitte, die Gentrifizierungsgewinner, und jubeln denen zu, die sie sonst einen Feuchten scheren, den Geringverdienern, die nicht da wohnen können, wo geklatscht wird, weil sie die Wuchermieten nicht erschwingen können,. Klatschen aus Wohnungen heraus, aus denen vielleicht gerade die Bejubelten irgendwann vertrieben wurden. Die, auf die sie sonst hinabsehen, wenn sie sie überhaupt eines Blickes würdigen, die Kassiererin im Supermarkt, für die sonst jedes Grußwort zu schade ist, das medizinische Fachpersonal, dessen Überarbeitung und Unterbezahlung ihnen seit Jahren wurscht ist, ja, da stehen sie nun und klatschen. Und sagen „Ihr seid Helden“ und huch, wie dankbar sie sind.
Ich zögere, das zu schreiben; es fühlt sich spalterisch und feindselig an in Zeiten, in denen Solidarität nottut, in denen man vielleicht anerkennen sollte, daß diese Leute – die Besserverdiener, die Möchtegerngebildeten, die Großbürger und Irgendwas-mit-Laptop-Akademiker – denen, die viel weiter unten auf der Bezahlungsleiter stehen, plötzlich Respekt zollen; aber ich kann nicht anders.
Und als einer, der selbst jobbedingt gerade weiter die Atmungsorgane zu Markte trägt, darf ich mir ja vielleicht auch erlauben, der plötzlichen Zuneigung zum Fronarbeiter nicht so recht zu glauben; gewissermaßen für all die plötzlich erwiesene Dankbarkeit undankbar zu sein.
Ich werde nämlich den Verdacht nicht los. Den Verdacht, daß jene, die da an den Fenstern und Balkonen stehen, sich vor allen Dingen selbst beklatschen, ganz gerührt von ihrer plötzlich entdeckten Gutherzigkeit; daß ihr Klatschen Eigenlob ist, bloßer Gestus, und Selbstbeweihräucherung. Vielleicht, das der böseste Gedanke, bloß die Art der Gutsituierten, diejenigen, die draußen den Kopf für sie hinhalten, anzufeuern. Daß sie all das nicht ernst meinen jedenfalls, nicht die Beklatschten meinen, sondern sich selbst; daß sie sich so zeigen, damit es gesehen werde und im Fernsehen verbreitet.
Ich kenne sie nämlich, aus verschiedensten Dienstleistungsjobs über die Jahre, aus meiner aktuellen Tätigkeit – ja, auch ich stehe auf dem Präsentierteller, sicherlich nicht so wie die Krankenhaussklaven, aber eben exponiert – kenne sie aus Begegnungen in Kiezen, die so halb gentrifiziert sind, und in denen sie sich mit dem Habitus von Kolonialherren bewegen, um den Alteingesessenen zu zeigen, wer jetzt hier der Boß ist: Der nämlich z.B. mit dem Fahrrad in die Menschentraube an der Bushaltestelle rast, weil Klingeln hat er ja nicht nötig, und sie dann im Weiterstrampeln noch beleidigt, oder in der Bäckerei erhobenen Hauptes über Verkäuferin und Proletenkundschaft steht.
Und so bin ich im Zweifel, ob irgend etwas davon echt ist. Beherrsche mich mühsam, damit dieser Text nicht zu wütend klingt; möchte eigentlich durch das Echo ihrer Beifallsstürme gehen, und zu ihnen hinaufbrüllen: Ihr Heuchler! Was sicherlich gekränkte und verständnislose Reaktionen nach sich zöge, wie man so undankbar sein kann angesichts ihres großzügig gespendeten Applauses.