:: Zwei Arten von Freiheit (Nachtrag zu „Corona-Dummonstranten“)

Ich hatte ja kürzlich an dieser Stelle über die Motive von „Hygiene-Demonstranten“ spekuliert, von Menschen, die die Einschränkungen des öffentlichen Lebens im Zuge der Corona-Krise ablehnen; und hinter deren angeblicher Sorge um die Grundrechte einen stattdessen ausschlaggebenden Narzißmus vermutet. Eine Einforderung des Rechts also, sich rücksichts- und verantwortungslos verhalten zu dürfen.

In einem Kommentar des philosophie Magazins mit dem Titel „Maskuliner Trotz“, der mir inzwischen unterkam, denkt Autor Philipp Hübel über einen weiteren Aspekt nach: Daß dem Konflikt zwischen Befolgern und Gegnern der Schutzregeln zwei unterschiedliche Konzepte von „Freiheit“ zugrunde liegen. Kurz gefaßt, bedeute für Liberale und Wähler rechts der Mitte „Freiheit“ eine solche von jeglichem Zwang; dies sei ein „negativer“ Freiheitsbegriff (gekennzeichnet durch die Abwesenheit von etwas, Zwängen nämlich). Demgegenüber hätten Progressive und links der Mitte orientierte Menschen eher ein „positives“ Verständnis von Freiheit; sie hielten ein staatliches Eingreifen für nötig, um auch den Schwächeren der Gesellschaft eine freie Entfaltung zu ermöglichen.

Der Ansatz ist durchaus bedenkenswert; besonders, weil er sich auf andere Themenkomplexe übertragen läßt. Ein Beispiel: In einer komplett deregulierten Wirtschaft, die Unternehmen und Finanzmarkt-Reichen geradezu anarchische Freiheit gestattet, würde der Staat komplett darauf verzichten, Arbeitsgesetze, Krankheitsregelungen, Verbraucherschutzgesetze, Mietendeckel etc. zu erlassen. Für die Mehrheit der Bevölkerung würde dies bedeuten, unter beliebig hochgeschraubten Anforderungen und völlig ungeschützt vor arbeitgeberlicher Willkür ihre gesamte Zeit darauf zu verwenden, mit ununterbrochener Arbeit den explodierenden Mieten hinterher zu fronen. Für diese Mehrheit hieße das, faktisch (unabhängig von formal zugesicherten „Grundrechten“) in einem zustand der Sklaverei zu leben – also in völliger Unfreiheit. Dies um so mehr, als die einzige Tätigkeit, zu der ihnen Zeit bleibe – Arbeit – sie hindern würde, sich politisch zu informieren, zu engagieren, ggf. zu opponieren (sei es aus Zeitmangel an sich, oder dank körperlicher und geistiger Erschöpfung).

Man mag konstatieren, daß wir diesen Zustand infolge jahrzehntelanger, neoliberaler Lobbyarbeit bereits teilweise erreicht haben; unabhängig davon zeigt das Beispiel, daß eine gewisse Grenzsetzung der Freiheit bestimmter gesellschaftlicher Gruppen – besonders der mächtigeren darunter – notwendig ist, um auch alle anderen Gruppen am Gut der Freiheit teilhaben zu lassen.

Hübl verortet das liberale, „egoistische“ Freiheitskonzept vornehmlich bei Männern; das muß zu meinen eigenen Beobachtungen, daß auch Frauen auf den sogenannten „Hygiene-Demos“ vertreten sind, keinen Widerspruch darstellen. Beide Beobachtungen betreffen unterschiedliche Situationskontexte: Einmal die Demos mit ihrem gemischten Publikum, das andere Mal – in der Schilderung Hübls – das Verhalten von Einzelpersonen im Alltag (offen aggressiv den Sicherheitsabstand nicht einhalten, spöttisch-aggressives Verhalten gegenüber denen, die es tun). Hier mögen sich Männer tatsächlich auffällig egoistischer verhalten (meiner eigenen Wahrnehmung würde das sogar entsprechen). Auch die diagnostizierte Rolle der politischen Haltung stellt keinen grundlegenden Widerspruch dar; das Freiheitskonzept des Neoliberalismus/Konservatismus läßt sich durchaus als narzißtisch deuten (oder, wie Hübl es ausdrückt: Trotz).

(Ebenfalls interessant: „Wessen Freiheit?“, dito philosophie Magazin, Claus Dierksmeier.)

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