:: Das Kapital in Zeiten von Corona

Die Corona-Krise ist nicht nur eine des Gesundheitswesens oder der Bedrohung durch eine äußere Gefahr (hier eine Krankheit), sondern auch eine des Kapitalismus. Denn daß das Gesundheitswesen vieler Länder – in unterschiedlichem Ausmaß – unter der Zahl der Infektionen zusammenbrechen könnte (oder es tat), verdankt sich vor Allem einer neoliberalen Gesundheitspolitik, die jahrzehntelang auf Privatisierung, Einsparung (z.B. von Notfallbetten) und Profitmaximierung gesetzt hat.

So kritisierte die deutsche Ausgabe von Le Monde Diplomatique schon am 9./10.04.2020 unter dem Titel „Marktlogik und Katastrophenmedizin“, daß die Diskussion um das Flachhalten der Infektionskurve eben auch damit zusammenhängt, daß nicht genügend Behandlungsplätze für Schwerkranke vorhanden sind; diese wurden infolge der Privatisierungen von Krankenhäusern eingespart.1) Zugleich würden aber auch und gerade Journalisten die „kritische Schwelle“, die nicht überschritten werden dürfe, als „quasi gottgegeben“ akzeptieren, statt zu reflektieren, daß die niedrige Zahl an Behandlungsplätzen Ergebnis politischer Entscheidungen ist. Oder anders gesagt: Journalisten und Politiker (denkt Euch das *innen) akzeptieren einen von Marktlogik diktierten Zustand (Medizin muß profitabel sein) als schlicht naturbedingt – ähnlich, wie sie „den Markt“ oder „den Aktienindex“ eher wie Naturgewalten wahrnehmen, als von Menschen konstruierte Gebilde. An den Umstand, daß nicht genügend Intensivbetten vorhanden sind, knüpfen sie eine Diskussion um flachgehaltene Infektionskurven und ethische Entscheidungen darüber, wer im Extremfall noch behandelt werden könne, und wen man dem Tod überlassen müsse – ohne zu reflektieren, warum Betten fehlen: Das ist eben so.>

Das Problem wurde auch in der ZDF-Sendung Die Anstalt vom 05.05. behandelt: Privatisierungen und neoliberales Profitdiktat sorgten dafür, daß der Klinikbetrieb zunehmend auf gewinnbringende chirurgische Eingriffe ausgerichtet wurde, während für die Behandlung weniger lukrativer Erkrankungen Plätze fehlen – auch und gerade als Vorsorge für den Katastrophenfall, obwohl Fachleute seit Jahren warnen, daß im Zuge der Globalisierung Pandemien unausweichlich werden. (Interessant, welche Rolle dabei in Deutschland die Bertelsmann-Stiftung spielte, die bei dieser Umgestaltung die Politik beriet; um so mehr, als die Stiftung weiterhin als gemeinnützig gilt, während mißliebigen Organisationen wie attac wegen Einflußversuchen auf die Politik seit einiger Zeit die Gemeinnützigkeit aberkannt wird.)

Die Folgen solcher Politik sind verheerend: Von elf Krankenhausbetten pro tausend Einwohner (1980), so die Monde, sank die Zahl auf sechs im Jahr 2020; in Italien existierten 1980 für „schwere Fälle“ 922 Betten pro 100.000 Einwohner, inzwischen nur noch 275. Bereits der Normalbetrieb gleiche einer „Katastrophenmedizin“, was zu Überlegungen führe, eine „Altersgrenze für den Zugang zur Intensivversorgung festzulegen.“

Womit ein weiterer Punkt angesprochen wäre: die ethische Debatte. Wer soll, „wenn alle Stricke reißen“, noch behandelt, wer dem Tod überlassen werden? Wer geopfert, wenn die Kapazitäten nicht ausreichen? In Frankreich ist bereits die Rede von „Kriegsmedizin“, also einer Situation, in der Ärzte und Ärztinnen wie im Lazarett entscheiden sollen, welcher Soldat noch zu retten, und welcher leider zum ehrenvollen Tod bestimmt ist.

In den ärmeren europäischen Ländern wurde dieser Punkt erreicht (und nicht nur dort; wenn man der Monde glauben darf, dann zeitweilig auch im Elsaß); in Deutschland gab es in den üblichen Politquasselrunden immerhin schon Überlegungen, ob und inwieweit man medizinischem Personal bei solchen Entscheidungen durch vorgefertigte Richtlinien „helfen“ könne. Auch bei diesen Diskussionen fiel Herrn Sathom immer wieder auf, daß die „ethische Notlage“ als eben schicksalsgegeben wahrgenommen, die Hintergründe ihres Entstehens nicht überdacht werden.

Obwohl Gutachten seit Jahren vor einer Pandemie warnten, die in der globalisierten Welt unvermeidlich sei, wurde das Gesundheitswesen in fast allen westlichen Demokratien auf Profit getrimmt, auf die Durchführung gewinnbringender Behandlungen bei Vernachlässigung der Vorsorge für den „Fall der Fälle“. Massive Kürzungen bei Bettenbestand und Personal, einseitige Ausstattung der Kliniken, Gesundheit und Pflege als Ware, diese Prinzipien, bisher nicht hinterfragbar, rächen sich nun.


1) Texte der deutschsprachigen Monde Diplomatique sind in deren Online-Archiv frei verfügbar; allerdings mit Ausnahme der jeweils letzten drei Ausgaben, womit die hier gemeinte Ausgabe aktuell noch nicht freigeschaltet ist.

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