Ist vielleicht schon Einigen gelegentlich passiert: Man liest ein kluges (oder auch weniger kluges) Zitat, das auf Facebook oder in anderen Netzwerken emsig geteilt wird – „Der Mensch benutzt nur zehn Prozent seines Gehirns“, „Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre“, oder „Ich weiß, das ich nichts weiß“ – das wahlweise Albert Einstein, Sigmund Freud, Sokrates oder anderen Koryphäen zugeschrieben wird. Manchmal drücken diese Zitate eine Botschaft oder Haltung aus, der man zustimmen kann, indem man sie weiterreicht; irgendeiner Lebensphilosophie, politischen Einstellung, Life-Hacking-Ideologie. Etwas, das der eigenen Auffassung entspricht, und das man verbreiten will. Sie zu teilen, gibt auch Gelegenheit, sich selbst als ebenfalls klug, wenn nicht weise darzustellen (oder sich dafür zu halten).
Es gibt nur ein Problem, und das eher oft als selten: Die zitierten Personen haben das nie gesagt.
Ein schönes Interview in der Süddeutschen Zeitung beleuchtete kürzlich dieses Phänomen, das sogar einen Namen hat („Kuckuckszitate“); der Anlaß: Ein angebliches Zitat von Loriot, passend zur Corona-Krise. Der Satz „In Krisenzeiten suchen Intelligente nach Lösungen, Idioten suchen nach Schuldigen“ stammt von irgendwoher, nur nicht vom Meister.
Herrn Sathom, der Kuckuckszitate liebt und sich immer freut, wenn er eines am Wickel kriegt, ist dieses besonders deswegen aufgefallen, weil es – hier kommen wir zurück auf die oft enthaltene Botschaft – eine neoliberale Agenda zu verfolgen scheint. Warum? Nun – angesichts einer Viruspandemie nach Schuldigen zu suchen, ist allerdings eitel; bloß ist das Zitat so formuliert, daß es sich auf jegliche Krise anwenden läßt. Und das gewiß nicht ohne Absicht. Denn durch seine Formulierung als allgemeine „Lebensweisheit“ gehalten, erlaubt es, auch bei eindeutig menschengemachten Krisen, Kritik an Verantwortlichen grundsätzlich als Idiotie abzutun. Wie praktisch, wenn man bei Bankenkrisen oder Konzernpleiten jede Frage nach Verursachern, oder strukturellen Ursachen, als Unfug abtun kann; oder die Verursacher, die die Folgen der von ihnen mithergestellten Krise auf andere abwälzen, z.B. durch Sparzwänge oder Massenentlassungen, auch noch als Ärmelhochkrempler darstellen – die „Intelligenten“, die nach Lösungen suchen, während die anderen aus Dummheit nach einem Schuldigen buddeln.
Man mag den Verdacht für übertrieben halten; aber dabei sollte man mehrere Punkte bedenken. Erstens muß irgend jemand dieses Zitat in dem Wissen, daß es nicht von Loriot stammt, lanciert haben. Es ist ziemlich undenkbar, daß die erste Person, die es in Umlauf brachte, an die Existenz einer solchen Aussage Loriots „glaubt“, ohne sie je von ihm gehört, oder gelesen zu haben. (Soweit verfolgbar, stammt das Zitat aus Italien, wo es einem ganz anderen Komiker zugeschrieben wurde; wer es ins Deutsche übersetzte, muß also zumindest den angeblichen Urheber bewußt ausgewechselt haben.) Zweitens ist es nicht unüblich, Zitate und Aphorismen (Aphorismus: Die Kunst, dummes Zeug nach Lebensweisheit klingen zu lassen) zu bemühen, um eigenen Positionen oder Thesen eine geborgte Autorität zu verleihen. Dahinter steht das Bestreben, einer eigenen Agenda oder Weltanschauung höhere Weihen zu verschaffen; und zugleich zu suggerieren, daß eine unabhängige Instanz diese Sichtweise verträte, und nicht nur man selbst. Zitatforscher Gerald Krieghofer z.B. weist im Interview selbst darauf hin, daß ein bestimmtes, fälschlich Dante Alighieri zugeschriebenes Zitat, sehr beliebt auf Managerseminaren sei. (Ein anderes, offenbar in Manager-Ratgebern beliebtes Zitat, das Herrn Sathom einfällt – „Wenn dein Pferd tot ist, steig ab“ – soll von den Ureinwohnern Nordamerikas stammen. Herrn Sathom würde es nicht wundern, wenn die noch nie was davon gehört haben.) Die Methode ist also nicht neu, und wird immer wieder gerne angewandt, von „Leben bedeutet Veränderung“ (beliebt in Texten von Mieterhöhungen) bis zu „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ (whatever the fuck das heißen soll). Überhaupt das Leben, damit ist immer was. Kein Ponyhof ist es auch.
Schönes Thema. Der Herr Sathom war die Tage generell wohl wieder fleißig.
„Das Dumme an Zitaten aus dem Internet ist, man weiß nie ob sie echt sind oder erfunden“ (Albert Einstein) 😉
Apropos amerikanische Ureinwohner. Das berühmte Öko-Zitat „Erst wenn jeder Baum gefällt…(etc etc.) …werdet ihr merken dass man Geld nicht essen kann“ soll so auch nicht wahr sein.
Mein Lieblings-Fake-Zitat ist angeblich von Voltaire: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen“
Jo, ich hatte teils coronabedingt etwas mehr Zeit. *g* Ich kann aber nicht versprechen, daß ich diesen Veröffentlichungsrythmus durchhalten kann bzw. sehe jetzt schon, daß es wieder spärlicher werden wird (bloß hoffentlich nicht so spärlich wie zuletzt).
Ja, der Einstein. Was der nicht alles übers Internet wußte. Ein zitierfähiges Genie halt 😉