Ich hatte kürzlich die derogative Verwendung von Begriffen wie „Boomer*in“ kritisiert, weil sie eine ganze Generation pauschal unter Generalverdacht einer rückständigen, erzkonservativen Haltung stellen; zugleich jedoch betont, daß solche Begriffe (wie auch der des „alten weißen Mannes“) innerhalb bestimmter Kontexte – und nur innerhalb dieser – durchaus sinnvoll seien.
Dabei hatte ich erwähnt, daß man eine merkwürdige, beinahe selbstmörderische Passivität bzw. Gleichgültigkeit gegenüber der Klimakatastrophe allerdings ganz richtig der Gruppe der „Boomer*innen“ zuschreiben kann; wenigstens ungefähr, denn in dieser Totalität ist die Aussage – wie jede totale – auch wieder falsch. Und daß dieses Phänomen einer Analyse bedürfte, wobei ich es für ein psychologisches Problem halte, und keines, das moralische Vorwürfe oder derogative Attacken lösen könnten.
Gehen wir der Sache also einmal nach.
Bestimmte Theorien gehen laut Wikipedia davon aus, daß eine „Generation“ wie die Baby-Boomer, dadurch konstituiert wird, daß
„wegen der großen Zahl Gleichaltriger im Verhältnis zu anderen Altersgruppen eine Urerfahrung der Masse stattgefunden hat, die nicht ohne Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung geblieben ist.“
Daraus ergäben sich für alle Angehörigen einer Generation (jedenfalls deren Mehrheit) gemeinsame Persönlichkeitsmerkmale. Als Nachfolger der 68er-Generation wären z.B. die Baby-Boomer eine desillusionierte Gruppe, die nicht an die Möglichkeit wirksamer gesellschaftlicher Veränderungen glaube, und sich deshalb durch Indifferenz – also Gleichgültigkeit – vor Enttäuschungen schütze.
Das scheint zunächst eine plausible Erklärung für die Wurschtigkeit meiner Generation in Klimafragen, ebenso für die Lahmarschigkeit der Politik – die „Generation Merkel“ (1954) wäre demnach eher auf den Erhalt des status quo fixiert und veränderungsskeptisch; das mag in Teilen richtig sein, scheint mir jedoch unzureichend (es erklärt z.B. nicht, weshalb manche „Boomer*innen“ den Klimawandel zwar als real akzeptieren, jedoch nicht in der Lage scheinen, ihn als Bedrohung wahrzunehmen).
Zunächst: Die Boomer*innen sind keine homogene Altersgruppe. Laut Wikipedia begann der Baby-Boom in der BRD etwa in der Mitte der 1950er Jahre und dauerte bis zum Ende der 60er; in anderen westlichen Ländern setzte er bereits in den 40ern ein. An sich handelt es sich also nicht um eine, sondern mehrere Generationen. Und während die westdeutschen 68er gemäß dieser Definition selbst keine Boomer*innen waren, konnten sie sich lange Zeit durchaus schmeicheln, gesellschaftlich vieles bewegt, und einige große Erfolge erfochten zu haben. Die Folgegenerationen wiederum müßten diese Erfolge durchaus wahrgenommen, und Veränderung als erstreitbar und möglich erlebt, und verinnerlicht haben. Und auch Boomerinnen – etwa die Angehörigen der Frauenbewegung – konnten selbst solche Erfolgserlebnisse verzeichnen. Boomer*innen sind also Zeitzeugen einer Periode, in der sich die Gesellschaft öffnete, in der kleine gesellschaftliche Gruppen die großen Debattenthemen sezen, bzw. der konservativen Gesellschaft regelrecht aufzwingen konnten, in der linke Ideen sich an den Universitäten etablierten, die Frauenbewegung erfolgreich gegen Abtreibung und ein veraltetes Scheidungsrecht stritt. Nicht gerade eine Geschichte, die sich als Erfahrung der Nutzlosigkeit eigenen Handelns, oder umfassender Erfolglosigkeit deuten läßt.
Wenn überhaupt, dürfte ein solches Erleben erst in der Ära Kohl eingesetzt haben, eines Kanzlers, dessen Regierung nach dem Motto „Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter“ (his own words) Kritik und Protest schlicht ignorierte, und so ins Leere laufen ließ. Insgesamt ist diese Zeitperiode allerdings zu kurz, um ein gemeinsames psychologisches Mindset all derer zu erklären, die nach 1950 geboren wurden.
Alle, die zwischen 1945 und 1989 geboren wurden, teilen jedoch zwei andere Erfahrungen – beide traumatisierend, und einander ergänzend. Mit der fatalen Konsequenz, daß sie die jetzige Einstellung zur Klimakatastrophe viel eher (mit)erzeugt haben dürften.