:: Schlüpfrige Superheld*innen

Manchmal kommen auch dem alterfahrenen Comicfan – sogar dem, der sich als lebenslanger Enthusiast einbildet, über Tonnen nutzlosen Sekundärwissens zur Geschichte des Mediums zu verfügen – Dinge unter, von denen er bisher nichts geahnt hat. Und manchmal sind diese Dinge ziemlich verblüffend.

Herr Sathom z.B. liest immer wieder gern den Blog The Patron Saint of Superheroes; dessen Autor Chris Gavaler unterrichtet Englisch, Kreatives Schreiben und zeitgenössische Literatur, wobei er immer wieder den Fokus auch auf Comics richtet. Gavalers Artikel sind oft sehr akademisch und verkopft, was die Analyse des Mediums und seiner Mittel angeht, aber stets interessant und aufschlußreich zu lesen (denn er zeigt Perspektiven des Blicks auf das Medium auf, die dem Laien nicht unbedingt sofort auffallen würden); in einem älteren Artikel ist Herr Sathom jetzt allerdings auf eine Info zur Geschichte der Superheldencomics gestoßen, die er bisher nicht kannte – und sich auch nicht hätte vorstellen können.

Unter dem „freut euch nicht zu früh“-Titel „A brief history of the pornographic superhero“ lernte er, daß das Genre offenbar recht dubiose Geburtshelfer hatte.

Schlechte Aussichten: Spicy Mystery Stories vom Mai 1936

Harry Donenfeld etwa, Eigentümer der National Comics Publications, des Vorläufers von DC Comics, produzierte in den 1920er Jahren vornehmlich sogenannte girlie pulps, Trivialromane also, die ihre Protagonistinnen in anzügliche Abenteuer verwickelten. Die Bezeichnung girlie meinte dabei – anders als man heute assoziieren würde – Erzählungen erotischer Natur, die allerdings kaum über das Entblößen von nackter Haut und Unterwäsche hinausgingen (Ausnahmen kamen vor); heutzutage würden sie kaum als softpornographisch gelten, wirkten damals jedoch anrüchig genug, um Donenfeld eine Anklage wegen Unzucht, und eine nur knapp vermiedene Gefängnisstrafe einzutragen.

Irgendwas ist aber auch immer: Der Tod lauert in der Kleideranprobe. Spicy Mystery Stories, September 1937

Ab 1933 verknüpfte Donenfeld mit seinem Kompagnon Frank Armer derart schwül-erotische Geschichten mit Genreliteratur, und kreierte Anthologieserien wie Spicy Adventure Stories, Spicy Detective Stories, Spicy Mystery Stories and Spicy Western Stories. Anders als die Titelbilder suggerieren, waren die Heldinnen nicht immer damsels in distress und hilflose Opfer, sondern wußten neben ihren weiblichen Reizen auch Fäuste und Pistolen zu nutzen. Allerdings nicht, ohne dabei mindestens ihrer Oberbekleidung verlustig zu gehen. Bondageszenarien waren keine Seltenheit, und gelegentlich nahmen die Übergriffe menschlich-männlicher, aber auch monströser Gegner (Riesenspinnen etc.) Ausmaße an, die heute kaum noch als politisch korrekt durchgehen würden. Dennoch: Halb ausgezogen oder nicht, konnten die Protagonistinnen ihre Bedränger stets in die Schranken weisen, mal mit, mal ohne männlichen Retter.

Spicy Detective Stories, Februar 1935

Obwohl die in den Anthologien versammelten Stories meist Pulp-Geschichten waren, also das, was man früher hierzulande „Schundliteratur“ nannte, trieben einige der Spicy-Heldinnen auch bereits in kurzen, ein- bis zweiseitigen Comics ihr Wesen, so etwa Sally the Sleuth, eine Privatdetektivin, deren Ermittlungen sie oft unter Showgirls, Revuetänzerinnen und Models führten, ihr also reichlich Gelegenheit gaben, sich zu entblößen – das, oder sie geriet in die Fänge verrückter Wissenschaftler oder sadistischer, mit Giftspritzen bewaffneter Matronen (da war es manchmal gut, daß sich an Sallys Strumpfhalter ein Pistolenhalfter verbarg).1)

Und dann war da noch „Olga Mesmer, The Girl with the X-Ray Eyes“. In Comicform in Spicy Mystery Stories abgedruckt, waren Ähnlichkeiten mit dem späteren DC-Helden Superman verblüffend. Olga verfügte nicht nur über den titelgebenden Röntgenblick (mit dem sie, wenn ich das richtig verstehe, nicht nur Mauern durchdringen, sondern notfalls auch Gegner zu Tode röntgen konnte); auch ihre enorme Körperkraft und ihre außerirdische Herkunft erinnern sehr an den Mann vom Krypton.

Olga Mesmer schmeißt mit Männern.

So weit wie Gavaler, der sie als erste Superheldin in Comicform bezeichnet, würde ich dennoch nicht gehen. Diesen Rang machen ihr mindestens zwei andere Vorläuferinnen von Wonder Woman streitig, Fantomah und The Woman in Red – erstere eine „echte“ Superheldin, vielleicht auch eine Magierin oder sogar Göttin, die zweite ein frühes Beispiel der maskierten Vigilant*innen ohne „wirkliche“ Superkräfte.

Um mal eben abzuschweifen: Man kann gewiß diskutieren, ob es sich bei beiden tatsächlich im Superheldinnen im engeren Sinne handelt; Fantomahs fehlende Entstehungsgeschichte (weder ihre Kräfte, noch ihr Hintergrund werden jemals erklärt, sie ist einfach da), ihre nahezuhe Omnipotenz, und ihre Verwandlungen in ein totenköpfiges Wesen legen eher eine Rache- oder Todesgöttin nahe.

So etwas ist mir auch schon mal passiert (war ich aber selbst schuld). – Fantomah von Fletcher Hanks.

Zudem monieren skeptische Comichistoriker das Fehlen einer Geheimidentität. Ich bezweifle allerdings, daß solch enge Definitionsgrenzen das Phänomen der Superheld*innen fassen können. Denn die Übergänge zwischen ihnen und mythischen Wesen, sogar Göttern, sind immer fließend gewesen, wie etwa Marvels Thor und Hercules zeigen, und auch Zweitidentitäten können fehlen, z.B. bei den Fantastischen Vier. Was die Woman in Red angeht, gelten auch Figuren wie Batman als „super“, ohne übermenschliche Fähigkeiten zu besitzen. Was unterscheidet die X-Men von den Mutanten der SF-Literatur? Daß sie bunte Latexkostüme anhaben? Ist Superheldentum eine Frage des Mediums – so, wie manche Historiker Pulp-Figuren wie den Shadow und Doc Savage grundsätzlich als Vorläufer, und erst Comicfiguren als „echte“ Superheld*innen betrachten, oder Superman als die Matrix, die erst alle folgenden Figuren dazu macht? Die Frage, was Superheld*innen in der öffentlichen Wahrnehmung zu solchen macht, wäre tatsächlich einmal einen eigenen Artikel wert – die Kriterien, nach den Verlage und Publikum diese Einordnung vornehmen, erscheinen um so willkürlicher, je genauer man sie betrachtet. Es wäre interessant (vielleicht auch vergeblich), ein Unterscheidungsmerkmal zu suchen, das objektiv Bestand hat.

Aber kommen wir zu einem Problem des Artikels im Patron Saint. Während dortige Beiträge sonst stets gut fundiert und recherchiert sind, enthält dieser leider neben der Frage nach der ersten Superheldin noch einige weitere Punkte, die ich durch eigene Recherche nicht bestätigen konnte und daher als mindestens fragwürdig bezeichnen muß.

Woher der Autor z.B. das Gerücht hat, Jerry Siegel und Joe Shuster hätten Superman zuerst als Softcore-Helden bei Spicy Detective unterbringen wollen, bleibt unklar – so witzig das auch wäre, wenn es stimmte, geben die Wikipedia-Artikel zu Donenfeld und Superman doch keine solche Information her, und ich konnte sie auch nirgendwo anders finden (Gavaler selbst gibt an, damalige Redakteure würden einen solchen Versuch erinnern, nennt jedoch keine Quelle). Daß Donenfeld auch noch irgendwie irgendwas mit Marvel Comics und dem Playboy zu tun gehabt haben soll, konnte ich so auch nicht belegt finden, wobei er im Artikel allerdings auch als distributor, also mit dem Vertrieb befaßt, und nicht als publisher (Verleger) genannt wird. Kann sein, kann auch nicht sein – direkt mit Timely bzw. Atlas Comics oder deren Nachfolger Marvel involviert war er jedenfalls nicht. Daß der Autor den Namen Olga Mesmer falsch schreibt (als „Messmer“), geht da noch so durch.

Andererseits zeigt Donenfelds Wikipedia-Eintrag noch eine andere, weitaus dunklere Seite des Verlegers auf: In seiner Jugend Gangmitglied, erfreute er sich offenbar auch später noch guter Kontakte ins Gangstermilieu; Partner, sogar seine eigenen Brüder, drängte er mitunter auf brutale Weise aus dem Geschäft. Auf zumindest dubiose Weise entledigte er sich auch Malcolm Wheeler Nicholsons, des ursprünglichen Gründers von National Allied Publications, und Miteigentümer von Detective Comics, Inc. – der Firma, deren Titel Detective Comics ein Jahr später mit Batman Comicgeschichte schreiben sollte. Danach vereinigten Donenfeld und sein Geschäftspartner Liebowitz National Allied Publications und Detective Comics, Inc. zu National Comics Publications, und der Vorläufer von DC war geboren. Daß ausgerechnet der moralisch lupenreine Superman und der knallharte Law-and-Order-Rächer Batman historisch einem solchen Umfeld entstammen, entbehrt allerdings nicht einer gewissen Ironie.


1) Es ist überhaupt erstaunlich, wie emanzipiert Frauen in diesen frühen Comicstrips und -heften gezeigt wurden. In den Originalstrips des Popeye-Erfinders E.C. Segar etwa ist Olivia Oel keineswegs darauf angewiesen, „Hilfe, Popeye!“ zu schreien; man hat den Eindruck, daß sie es oft eher aus Faulheit tut, denn sie ist durchaus in der Lage, Männern – u.U. auch Popeye selbst – tüchtig eine mitzugeben. Miss Victory verprügelte im Alleingang ganze Horden von Nazispionen; und Moon Girl, eine nicht zufällig an Wonder Woman erinnernde Figur (Autorin und Editorin Dorothy Wollfolk arbeitete auch an Titeln wie Wonder Woman und Supergirl), rettete auch schon mal ihren männlichen Sidekick – obwohl der selbst Superkräfte hatte – aus Situationen, die sonst typischerweise weiblichen Figuren vorbehalten waren (einmal zum Beispiel, als ihre Erzfeindin Satana(!) ihn an eine startende Rakete gefesselt hatte).


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