:: Bootstrap Theory: Münchhausen und die Medien

Es gibt manchmal Begriffe, über die stolpert man in einem Artikel, den man aus irgendeinem Anlaß liest; die Begriffe bleiben hängen, man recherchiert sie – und gelegentlich beschert einem das ein Aha-Erlebnis; oder einen griffigen Terminus für etwas, das man selbst schon beobachtet hat, aber nur beschreiben konnte.

Neulich lese ich also diese Worte: „Bootstrap Theory“. Wasdasdenn. Nun, es ist eine Theorie, die u.a. ein wenig Licht auf die Frage wirft, ob es so etwas wie „gesteuerte Medien“ oder gar eine „Lügenpresse“ gibt (Antwort: „Nein, aber …“). Wo ich über den Begriff gestolpert bin, kann ich leider nicht mehr erinnern oder herausfinden – alles, was ich kürzlich gelesen und im Verdacht hatte, habe ich vergeblich danach durchsucht. Na, was soll’s.

Also, was sagt die „Bootstrap Theory“, bzw. was ist „Bootstrapping“? Das Verb bezieht sich auf die Redensart „Sich selbst an den Schnürsenkeln (bootstraps) herausziehen“. Diese wird oft fälschlich auf eine Erzählung des Barons Münchhausen zurückgeführt, der sich selbst und sein Pferd darin aus dem Sumpf zog – allerdings an den Haaren, nicht den Schnürsenkeln.

Laut englischsprachiger Wikipedia findet der Begriff u.a. in der Kybernetik Anwendung, um selbstreferente Systeme zu beschreiben. Beispielsweise werden C-Compiler (Programme, die die Programmiersprache C für den Computer in Binärcode verwandeln) selbst in C geschrieben, so daß sich die Sprache gewissermaßen selbst an den Schnürsenkeln herbeizieht. In einem weiteren Sinn kann Bootstrapping sich auf das Booten eines Computersystems beziehen: Ein fest installierter Softwarekern lädt das Betriebssystem in den Speicher, das dann übernimmt und weitere Treiber startet, sich also quasi selbst lädt.

Ebenfalls verwendet wird der Begriff Bootstrapping bzw. Bootstrap in der Wirtschaft (Finanzierungsmethoden), der Biologie, der Linguistik und anderen Bereichen – und eben auch in der Medienkritik.

Bootstrapping in den Medien

Was meint Bootstrapping, auf mediale Berichterstattung bezogen? Die deutsche Wikipedia enthält mehrere Artikel zum Bootstrapping, deckt aber – anders als der englischsprachige Einzelartikel – bestimmte Anwendungen (noch) nicht ab, etwa die biologische und die medienbezogene. Halten wir uns also an den englischsprachigen Eintrag.

Beim Bootstrapping wird zunächst wird eine bestimmte Behauptung, ein Weltdeutungsmuster (z.B. Hufeisentheorie) oder eine Meme als angeblicher Fakt postuliert. Das erfolgt meist innerhalb eines geschlossenen Kreises von Journalistïnnen, die z.B. demselben Verlag angehören oder anderweitig vernetzt sind; es kann aber auch aus einem anderen Kreis, etwa von Historikerïnnen oder Lobbyistïnnen ausgehen, sofern diese Zugang zu Medienmacherïnnen und somit die Möglichkeit haben, ihre Behauptung öffentlich zu machen. Durch Wiederholung – entweder seitens der Urheberïnnen selbst, oder indem journalistische Artikel einander zitieren oder aufeinander verweisen – entsteht der Eindruck, es handele sich bei der Behauptung um ein in den Medien allgemein verbreitetes und akzeptiertes „Wissen“. Wichtig für erfolgreiches Bootstrapping ist dabei, daß irgendwann auch Medien außerhalb des ursprünglichen „Verursacherkreises“ dieses „Wissen“ übernehmen, es zitieren, sich darauf beziehen usw.; gelingt das, wird es auch in der Öffentlichkeit irgendwann als selbstverständlich akzeptiert. Die allgemeine Verbreitung der „an den Schnürsenkeln herbeigezogenen“ Behauptung – bzw. ihre ständige Wiederholung – gilt zuletzt als ihr Beweis.

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