Folge 1: Freie Wähler.
Was Feuilletonisten können, kann ich schon lange – denkt sich Herr Sathom und tut der Welt ungefragt seine Eindrücke von den allgegenwärtigen Wahlplakaten kund.
Fangen wir an mit den Freien Wählern, weil zwei ihrer Plakate ihn neulich zu tiefschürfenden Betrachtungen veranlaßten.
Das erste zeigt einen Flamingo – merkwürdigerweise golden statt rosa – umgeben von ausgegrauten Schwänen, Reihern und anderem Geflügel. Neben dem anmutigen Tier steht: Freiheit. Darunter: Zu sein, was man ist.
Herrn Sathom bringt das zum Grübeln. Denn, äh – kann man überhaupt jemand anders sein, als wer man eben gerade ist? Sicher, man kann daran arbeiten, aber das wäre ein längerer Prozeß; im konkreten Augenblick hat man eigentlich nicht die Möglichkeit dazu. Zu sein, wer oder was man ist, stellt also genau genommen keine Freiheit dar – sondern eine Form von Unfreiheit. Man ist tatsächlich gezwungen, zu sein, wozu einen Sozialisation, bisherige Erlebnisse, getroffene Entscheidungen usw. formten; so daß man, derart determiniert, augenblicklich gar niemand anderes sein kann.
Kurz, daß man ist, wer man ist, kann man a) nicht ändern und und ist b) ohnehin schon ein gegebener Fakt. Was das mit Freiheit zu tun haben soll, bleibt das Geheimnis der Freien Wähler – ebenso, weshalb man sie wählen sollte, um dieses Ziel zu erreichen, das man ja, wie gesagt, schon per se erreicht hat.
Ja nee, schon klar – gemeint ist damit natürlich etwas anders. Unter all den grauen Wasservögeln ein buntes Exemplar zu sein, „man selbst“ eben, und auch so leben können; sich nicht dem Konformitätsdruck der anderen beugen zu müssen; nicht angepaßt einer Norm unterwerfen. Darum soll’s wohl gehen. Inwiefern einem die Freien Wähler dabei helfen können, sollte man sie wählen, bleibt offen. Stehen sie auf Seiten der LGBTQIA+usw.usw.- Community? Oder meinen sie Freiheit vom Maskendiktat der Impftyrannei? Sind sie neoliberal? Kurz, wollen sie etwas, dem man zustimmen würde, oder etwas, wogegen man wäre? Fragen über Fragen. Das Plakat beantwortet keine; es führt nur zu der nicht beantworteten Frage, was die Freien Wähler eigentlich wollen – bzw. täten, würden sie die Fünfprozenthürde nehmen.
Dito beim zweiten Plakat. Dieses zeigt das Konterfei eines älteren Herrn, offenbar ein Direktkandidat, und proklamiert: Mario Rhode. Freiheit. Zu sein, was man ist.
Herr Sathom weiß ja jetzt nicht, ob er sich die Freiheit wünscht, Mario Rhode sein zu können – oder was das nun wieder heißen soll. Daß wir für die Freien Wähler stimmen sollen, damit Mario Rhode Mario Rhode sein kann? Ist er das nicht sowieso schon? Oder wenn nicht, wer ist er jetzt gerade? Welcher diabolische deep state hindert Mario daran, der Mario zu sein, und zwingt ihn, wer anders zu sein, ein, hm, sagen wir vielleicht … Luigi?
Immer vorausgesetzt, Herr Sathom versteht den Satz auf dem Wahlplakat nicht völlig falsch. Denn ich bin ja nun kein Linguist, also eigentlich nicht qualifiziert, in eine tiefere semantische Analyse einzusteigen; dennoch scheint mir, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen den Formulierungen „zu sein, was man ist“ und „zu sein, wer man ist“ besteht. Anders ausgedrückt: Wenn es den Freien Wählern – wie oben vermutet – um die Freiheit geht, man selbst zu sein, müßte es dann auf ihren Plakaten nicht besser heißen, „Zu sein, wer man ist“? Wollte man z.B. wissen, welche Persönlichkeit, Überzeugungen, alternativen Lebensentwürfe einen Menschen ausmachen, würde man fragen, wer er oder sie ist; und ihm oder ihr eben die Freiheit dazu zugestehen. Was jemand ist, fragt man ja eher, wenn man wissen will, welchen ver§$%/&ckten Job er oder sie ausübt. Geht es der Partei also in Wirklichkeit um etwas anderes – meinen sie die Freiheit, Bäcker, Schuster, Fahrradliefersklave zu sein? Und nicht die, seiner Persönlichkeit gemäß zu leben? Oder ist die Parole bloß ungeschickt formuliert?
Und wenn ich schon dabei bin: Was zum Teufel soll das mit den Punkten. Freiheit, zu sein, was man ist – das ginge doch auch, also wieso diese Interpunktion. Für die Emphase? Deshalb der Punkt hinter der Freiheit? Wäre dann ein Ausrufezeichen nicht noch energischer? Und überhaupt: Wieso eigentlich Freie Wähler? Die wollen doch gewählt werden – müßten sie dann nicht Freie zur Wahl Stehende heißen oder Freie Wählbare oder was weiß ich?
Oh naja. Sicher, die Messitsch hier ist, daß die Freien Wähler halt irgendwie für Freiheit stehen. Und Selbstverwirklichung. Aber um herauszufinden, was sie wirklich anstreben, muß man ins Wahl- bzw. Parteiprogramm schauen. Und was finden wir da?