:: Assange, der Unsichtbare

Kürzlich erhielten die Philippina Maria Ressa und ihr russischer Kollege Dmitri Muratow, mutige, investigativ arbeitende Journalistinïnnen, den Friedensnobelpreis – zu recht. Doch in einem Artikel der Kontext:Wochenzeitung stellt Autor Wolfram Frommlet eine heikle Frage: Warum eigentlich wurde ein anderer Aufdecker dunkler Geheimnisse völlig ignoriert, der derzeit unter Bedingungen, die man durchaus als Folter bezeichnen kann, in Großbritannien einsitzt – Julian Assange?

Die Frage mag zunächst unangemessen scheinen, eine Art Whataboutism – eine Mäkelei, die außer Acht läßt, daß die Preisträgerïnnen sich ja auch durchaus verdient gemacht haben; doch Frommlet verlangt keineswegs, daß Assange den Preis an ihrer Stelle hätte erhalten sollen, sondern fragt: Wenn man den Preis teilen konnte, um zwei Personen zu berücksichtigen, warum dann nicht auch dritteln?

Klar – es gibt immer noch mehr Leute, die unter Lebensgefahr Journalismus betreiben, und man kann eben nicht alle auszeichnen (oder den Preis vierteln, achteln, usw.); dennoch legt der Autor seinen Finger in eine offene Wunde. Die nämlich, daß Assange nicht nur beim Nobelpreis übergangen wurde, sondern daß sein Schicksal – Preise hin, Preise her – von den westlichen Medien weitgehend ignoriert wird. Und das, obwohl er unter Bedingungen festgehalten wurde und wird, die laut dem UNO-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, durchaus als eben das gelten können: Folter. Und obwohl mittlerweile Belege dafür existieren, daß die CIA unter Trump plante, Assange in London zu entführen, oder gleich dort zu ermorden.

Gewiß: Es ist nicht so, daß überhaupt nicht berichtet würde; und viele Ärzte- und Journalistenverbände verwenden sich für Assange. Und keinesfalls kann es hier darum gehen, die Verdienste der diesmaligen Preisträgerïnnen zu schmälern. Nicht nur insofern hat der Kontext-Autor einen unglücklichen Aufhänger gewählt; denn ein Vorwurf, daß die westlichen Medien, auch und gerade die Öffentlich-Rechtlichen, das Thema ignorieren würden, wäre eindeutig falsch. Das zeigt sich schon daran, daß es sich bei den hier verlinkten Quellen immerhin auch um Berichte dieser Medien handelt. Doch es fällt schon ein merkwürdiges Ungleichgewicht in der Berichterstattung auf, etwa zwischen der über den Fall Navalny und den von Assange, oder andere bedrohte und verfolgte Journalistïnnen. Assange, so konstatiert der Autor im Anschluß an die britische Zeitung Independent, sei „erfolgreich als Paria dämonisiert“ worden; ein Aussätziger, an den – wie auch an Edward Snowden – niemand rührt oder denkt. Die mediale bzw. journalistische Aufmerksamkeit auf Fälle wie den Navalnys und den Assanges ist jedenfalls deutlich ungleich verteilt.

Woran liegt das? Daß nach den umfangreichen Enthüllungen zu den Vergewaltigungsvorwürfen gegen Assange noch irgendwer in journalistischen Zirkeln nicht weiß, daß es sich um eine orchestrierte Verleumdungsaktion der schwedischen Behörden handelte, ist kaum vorstellbar; ebenso könnten alle informierten Fachleute längst wissen, daß Assange, den sie während seines Aufenthalts in der Ecuadorianischen Botschaft gern als zunehmend irren Waldschrat mit wucherndem Bart zeichneten, durch seine Isolation (und Kameraüberwachung seitens einer privaten Sicherheitsfirma) in diesen Zustand getrieben wurde.

Einige Verdachtsmomente.

Zunächst einmal: Assange ist kein Engel. Er hat durchaus fragwürdige Charakterzüge, und auch die Rolle von WikiLeaks bei Trumps Wahl im Jahr 2016 ist durchaus dubios – doch das ändert nichts daran, daß die Art, wie Assange behandelt wird, an sich falsch ist. Mit niemandem, absolut niemandem, dürften rechtsstaatlich organisierte, westliche Demokratien, die diese Bezeichnung verdienen, so umgehen, Nur: Er läßt sich nicht zum lupenreinen Medienhelden stilisieren, hat insofern, was Überschriften und Aufmacher angeht, einen geringeren „Wert“, und zwar einen durchaus finanziell geringeren, als andere Personen.

Zweitens: Die Übeltäter sind hier eben keine autokratischen oder diktatorischen Regimes, sondern – Verbündete. Während jede Kritik an Rußland, China usw. berechtigt ist (auch wenn Hardcore-Altkommunisten das nicht wahrhaben wollen), gelten z.B. Schweden und Großbritannien (weniger die USA) immer noch als die „Guten“, denen man unrechtsstaatliches Verhalten nicht zutrauen will – oder das jedenfalls nicht offen äußern. Hier mag eine Betriebsblindheit am Werk sein, die dunkle Flecken auf der der eigenen Weste oder der enger „Freunde“, nicht sehen will. Oder ein Wahrnehmungsfilter, der bei der redaktionellen Entscheidung, was „wichtig“ ist und was nicht, das eine eher ein-, das andere ausblendet.

Aber da ist noch ein weiterer Verdacht, der etwas widerlicher ist; der mir aber trotzdem nicht aus dem Kopf gehen will.

Streng genommen könnte man nämlich drauf hinweisen, daß Assange eigentlich gar kein Journalist ist. Er gehört nicht zur eigenen Zunft; ist eher Whistleblower, Informant, als journalistischer Auswerter. Nun engagieren sich Journalistïnnen zwar durchaus immer wieder für den Schutz von Whistleblowerïnnen, kritisieren Gesetze die diese gefährden, etc.; doch eines unterscheidet Assange von diesen Informantinnïnnen, die der Branche so am Herzen liegen.

Man könnte also spekulieren, daß Assange oder Snowden den Journalistïnnen aufgrund einer Art „Herdeninstinkt“ weniger wichtig, weniger nah als „echte“ Berufskollegïnnen sind. Doch das wäre die harmlose Variante.

Die andere ist etwas untergründiger: Hier hätte es etwas mit Geld zu tun. Denn während andere Whistleblowerïnnen ihre Informationen den Medien übergeben, hat Assange es gewagt, eine Plattform zu gründen – WikiLeaks – an die sie sich auch wenden können; und die sie, nach Prüfung (über deren Qualität man streiten kann), dann selbst veröffentlicht. Und zwar allgemein für jedermann zugänglich – ohne Umweg über Presse oder TV. Für die dann natürlich die – auch finanziell lukrative – Verwertung ausfällt.

Die Existenz einer solchen Plattform, die der Öffentlichkeit direkten Zugriff auf solche Informationen bietet, stellt für Journalistïnnen und Verlage also allerdings ein Problem dar – nämlich ein wirtschaftliches. Vorbei ist es unter diesen Bedingungen mit der exklusiven Story, die nur das eigene Medium, der eigene Rechercheverbund hat; vorbei mit dem karrierefördernden Scoop für einzelne Journalistïnnen.

Kurz, was Assange mit WikiLeaks (mit)gegründet hat, eine alternative Plattform, auf der Whistleblowerïnnen ihre Informationen ohne Umweg über journalistische Outlets veröffentlichen können, ist – ein Konkurrenzunternehmen.

Man kann argumentieren, daß WikiLeaks mittlerweile fast bedeutungslos geworden ist; doch dieser Abstieg hängt maßgeblich mit der Stigmatisierung des Mitgründers Assange zusammen. Da die Medien ihn stets mit der Plattform identifiziert haben, das Publikum Assange und WikiLeaks als ein und dasselbe wahrnimmt, befördert seine Stigmatisierung auch die Plattform ins Aus. Diese Personalisierung erweist sich also jetzt als nützlich, wenn man WikiLeaks als unliebsamen Konkurrenten loswerden möchte.

Daher dieser letzte Verdacht – kann das Desinteresse der Medien auch damit zusammenhängen, daß Assange ins Abseits zu stellen, auch sein Machwerk ins Abseits drängt; und es dort hält? Oder einfach damit, daß man ihm den bloßen Versuch, es zu etablieren, immer noch nachträgt?

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