:: Ukraine, Flucht, und Rassismus (2)

Im letzten Teil ging es um rassistische Ungleichbehandlung von Menschen, die aktuell aus der Ukraine zu fliehen versuchen; darum, daß sie je nach Hautfarbe bevorzugt, oder benachteiligt werden. Doch hinter solchen Ausbrüchen verbirgt sich ein tiefer liegender, systemischer Rassismus – ein Denken, das eine Unterscheidung in Flüchtende „erster und zweiter Klasse“ überhaupt erst ermöglicht. Und das weiter verbreitet ist, viel unbemerkter bleibt, als solche Exzesse. Auch, weil es vielen von uns so normal, so zutreffend, so – plausibel erscheint, daß wir es überhaupt nicht als anstößig wahrnehmen. Darum soll es im zweiten Teil gehen (Kenntnis des ersten wird empfohlen).

Wovon reden wir hier? In journalistischen Darstellungen, Äußerungen von Politikern, und empathischer Berichterstattung zeigt sich aktuell oft ein latenter und zugleich systemischer Rassismus. Einer, der den Beteiligten vielleicht nicht einmal bewußt ist (was die Sache nicht besser macht; vielmehr zeigt, wie tief die rassistischen Klischeevorstellungen sitzen).

Beispiele gibt es zuhauf. Wie das Portal ÜberMedien kommentiert, würden Medienberichte und Interviewäußerungen implizieren, die ukrainischen Flüchtenden wären „im positiven Sinne ‚anders’“ als solche, die etwa aus Syrien oder Afghanistan kommen; oft werde betont, diese Flüchtlinge wären weiß, christlich, „wie wir“ und deshalb „zivilisiert“ (implizit: die anderen sind es nicht). Und tatsächlich – Kommentatorïnnen und Politikerïnnen arbeiten sich fast lustvoll an der Unterscheidung zwischen „uns“, den „Zivilisierten“ und „denen“, den „Unzivilisierten“ ab; finden es offenbar ganz normal, daß in den Ländern, aus denen „die da“ kommen, Kinderkrankenhäuser zerbombt werden, und die gleichen Taten, die die russische Armee auch in Syrien beging, hier in Europa aber viel schrecklicher. Sprechen sogar explizit aus, daß es, wenn es hier in Europa geschieht, schrecklicher sei (siehe ÜberMedien-Kommentar).Besonders beliebt ist auch die Betonung des „Christlichen“ als gemeinsames Moment mit ukrainischen Flüchtenden (das werden nichtchristliche Ukrainerïnnen, etwa Präsident Wolodymyr Selenskyj, der jüdischen Glaubens ist, sicher gern hören). Wie unverhohlen die Beteiligten der Krawallsendung Hart aber Fair solche Klischeevorstellungen kürzlich raushauten, verschlägt einem schon die Sprache. Daß sie es unwidersprochen taten, belegt die Plausibilität, die diese Vorurteile offenbar weithin noch haben.

Der YouTuber Beau of the Fifth Column hat das Thema dieses systemischen Rassismus in einem ausgezeichneten Video weit besser aufbereitet, als ich es könnte; z.B. hinsichtlich des Entsetzens darüber, daß so etwas „mitten in Europa“ stattfindet. Wie er treffend aufzeigt, beruht dieses Entsetzen auch darauf, daß hier Weiße so etwas anderen Weißen antun – weil es bei „zivilisierten“ Europäern – anders als bei den „Unzivilisierten“ da unten – verwundert. Herrn Sathom erinnert das an die berühmte Frage, wie Deutschland, das „Land der Dichter und Denker“, so eine Scheiße wie das Nazireich hervorbringen konnte. Daß das verstört, zeigt eben auch, daß wir barbarisches Verhalten bei weißen „Kulturmenschen“ beunruhigend, bei Nichtweißen, bei Tutsi und Hutu zum Beispiel, dagegen als völlig normal empfinden. Weil es unserer Vorstellung von diesen Menschen entspricht.

Ich kann dem kaum etwas hinzufügen. Daß die „Argumente“, die eine Einteilung Geflüchteter in Flüchtlinge erster und zweiter Klasse rechtfertigen, rassistisch sind, würde ich dennoch gern an drei Gedankenexperimenten aufzeigen.

Nummer Eins: Stellen wir uns vor, zwei Personen flüchten aus einem brennenden Haus. Die eine ist „weiß“, die andere „schwarz“. Die weiße Person wird sofort medizinisch versorgt, auf Rauchvergiftung untersucht etc.; die schwarze jagt man mit Fußtritten zurück ins Feuer. Mit der Begründung: Sie solle gefälligst löschen; offenbar sei sie zu faul oder feige dazu. Klingt weit hergeholt? Gerade so wird aber argumentiert. Wie Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale vom 04.03. erwähnt, ist die Neue Züricher Zeitung sich z.B. nicht zu blöd für die Formulierung, diesmal handele es sich um „echte“ Flüchtlinge. Diese Sichtweise findet sich jedoch häufig.

Man lobt und bewundert – zu Recht – den Mut der ukrainischen Männer, die sich den Invasoren entgegenstellen. Das wurde jüngst gelegentlich verglichen mit dem „Versagen“ der regulären afghanischen Armee, die gegenüber den Taliban die sprichwörtliche Flinte ins Korn geworfen, und sich einfach überrennen lassen habe. Hui, was waren nicht auch unsere Bundeswehr-Ausbilderïnnen, wenn man sie hernach interviewte, von den afghanischen Kollegïnnen so enttäuscht. Da kann man diesen Feiglingen das Recht, jetzt auch noch nach Europa fliehen zu wollen, schon mal absprechen.

Klingt erstmal plausibel, nicht? Ich meine, wie konnten die nur, wo sie doch vom Westen jahrelang so hervorragend ausgebildet wurden? Womit sie die Mühe all dieser braven Ausbilderïnnen schlecht vergolten haben? Nun … Der zweite Blick macht manchmal schlauer.

Gedankenexperiment Nummer Zwei: Man stelle sich vor, man hätte einen Gegner, der mit vorsintflutlichen Luntenflinten kämpft. Man brächte nun den verbündeten Truppen bei, diesen Feind mit Laserpistolen zu bekämpfen. Und dann würde man verduften und die Laserwaffen mitnehmen. Während man den Ausgebildeten nur einen Haufen Musketen da läßt, mit denen sie gerade nicht umgehen können.

Ausgebildet wurde das afghanische Militär nämlich in der Kriegsführung des Westens. Das heißt, mit Satellitenüberwachung, ferngesteuerten Drohnen, Luftaufklärung. Als die US-Streitkräfte abzogen, haben sie das für diese Art der Kriegsführung nötige technische Equipment aber mitgenommen – und die Afghanen quasi mit leeren Händen zurückgelassen. Tatsächlich hat die afghanische Armee die benötigte Technologie nie erhalten – sie blieb Eigentum insbesondere der USA, und verschwand mit deren Truppen.

Die Taliban wiederum führen einen asymmetrischen Krieg, der sich auf Kenntnis des Geländes verläßt – und für genau diese Art Kampf, der keinerlei technischen Schnickschnack voraussetzt, wurden die afghanischen Truppen eben nicht ausgebildet.

Und es kommt noch besser: Weil Donald Trump den Truppenabzug bereits ein Jahr vorher vollmundig ankündigte, hatten die Taliban alle Zeit der Welt, sich als Zivilisten getarnt im ganzen Land auszubreiten, zahllose Ortschaften zu infiltrieren; zuletzt bereits überall zu sein. Genau genommen hatten sie das Land schon zurückerobert, bevor der erste Schuß gefallen war.

Es waren also kaum die Afghanen, die an ihrer fehlgeleiteten Ausbildung schuld waren; oder daran, daß die klammheimliche Invasion der Taliban bei westlichen Diensten niemandem auffiel – oder, falls sie auffiel, die politischen Entscheiderïnnen nicht kümmerte. Die übrigens jahrelang eine korrupte Regierung stützten, für die man sich als Soldat ja vielleicht auch nicht abmurksen lassen will.

Warum erscheint und die Erzählung vom feigen Afghanen, der darum gar kein Recht auf Flucht und Asyl habe trotzdem so plausibel? Insbesondere, wenn sie als Vergleich mit dem „tapferen“ Europäer daherkommt? Könnte das mit rassistischen Vorurteilen gegen diese Menschen zu tun haben?

Noch einmal: Der Mut und Widerstandswille der Ukrainerïnnen ist bewundernswert, und ich bewundere ihn mehr, als ich sagen kann (man muß sich nur mal vorstellen, was in Deutschland los wäre – wir wären längst erledigt). Rassistisch ist das Narrativ, das an diesen Mut geheftet wird, um in öffentlichen Debatten erneut zu rechtfertigen, daß man die Menschen in „gute“ und „schlechte“ Geflüchtete einteilt – je nach Hautfarbe.

Nummer Drei: Man hört derzeit auch immer mal wieder, ein Unterschied in den Fluchtbewegungen bestünde darin, daß ja nur die Frauen und Kinder aus der Ukraine fliehen, während die Männer zurückbleiben; demgegenüber wären die Männer, die aus Kriegsgebieten im nahen oder mittleren Osten, oder in Afrika, fliehen, Feiglinge. Warum bleiben sie nicht vor Ort und kämpfen mit der Waffe in der Hand gegen ihre jeweiligen Tyrannen oder Invasoren, gegen Assad oder die Taliban? Verglichen mit den ukrainischen Frauen seien das doch wirklich die schlechteren Flüchtlinge. Auch das klingt erst einmal plausibel. Außer … Wir schauen einmal auf die Kurden. Ja, genau die Kurden, die der Westen im Stich gelassen hat, nachdem sie gegen den IS die Kastanien aus dem Feuer geholt haben. Das Bild schwer bewaffneter kurdischer Kämpferinnen gehörte zu dieser Zeit zu jeder Reportage, die etwas auf sich hielt. Bei den Kurden kämpfen die Frauen wie selbstverständlich mit; verteidigen wie die Männer mit der Waffe in der Hand ihre Region, ihre Lebensweise, ihre Freiheit.

Wenn nun jemand argumentieren würde: Wieso bleiben die ukrainischen Frauen eigentlich nicht im Land, um wie die Männer gegen die Russen zu kämpfen? Wenn derjenige sagte, daß diese Frauen kein Recht hätten, zu fliehen, daß sie ihre Männer und ihr Land im Stich lassen; daß sie, verglichen mit den Kurdinnen, feige wären; dann wäre er zunächst einmal ein Lügner. Denn viele ukrainische Frauen bringen nur ihre Kinder in Sicherheit, um dann sehr wohl ins Land zurückzukehren und den bewaffneten Kampf aufzunehmen. Doch auch in Bezug auf die, die nicht zurückkehren, würde der Betreffende ganz zu Recht auf breiter medialer Front mit dem Vorwurf des Zynismus, der Empathielosigkeit, sogar der Grausamkeit niedergewalzt. Oder noch schlimmer: Was, wenn dieser Jemand sagte, die Menschen, die vor den Nazis aus Deutschland geflohen sind, viele davon ja wohl doch Männer, hätten dableiben und den bewaffneten Aufstand proben sollen? So aber hätten sie feige ihre Mitbürger verraten, und die Demokratie, und diejenigen jüdischen Menschen, die zurückbleiben mußten? Auch solch ein „Argument“ würde berechtigterweise als unmenschlich und abscheulich betrachtet.

Warum aber finden wir es dann gegenüber männlichen Zivilisten mit nichtweißer Hautfarbe gerechtfertigt? So sehr, daß man in Sendungen wie Hart aber Fair derartigen Unsinn daherschwadronieren kann, ohne daß es überhaupt jemandem als anstößig auffällt? Daß das so ist, darin liegt der Rassismus.

Und hier schließt sich der Kreis. Daß uns all diese Scheinargumente zunächst einmal plausibel erscheinen, liegt daran, daß sie zu unseren Vorurteilen passen. In unsere – vielleicht unbewußt gehegten – Vorstellungen davon, wie „die da“ sind.

Das Ganze wird besonders beschämend, wenn man sich eine weitere Ungleichheit vor Augen führt. In Syrien hat Putins Armee den Krieg gegen Zivilisten sozusagen trainieren können, ohne daß der Westen ähnlich geschlossen und solidarisch aufgetreten wäre; ohne, daß man Flüchtlinge ebenso willkommen heißen würde. Und wie reagieren die Syrer? Künstler und Bevölkerung bekunden Solidarität und Mitgefühl mit den Ukrainern; ohne jede Häme à la „jetzt seht ihr mal, wie das ist“. Das ist großartig. Daß wir sie als Kriegsopfer „zweiter Klasse“ behandeln, eher nicht. Vor diesen Leuten müßten sich manche hiesigen Kommentatoren schämen.

Noch einmal: ich sage nicht, daß man den flüchtenden Ukrainerinnen nicht jede erdenkliche Hilfe geben sollte; ich meine nur, daß die Ungleichbehandlung mit anderen Geflüchteten (sofortige Arbeitserlaubnis hier, Arbeitsverbot dort etc.) Kennzeichen einer zynischen, doppelgesichtigen Heuchelei ist. Dahinter steht ein Narrativ – nein, mehr als das, eine tief verwurzelte Zwangsvorstellung –, der zufolge Weiße grundsätzlich zivilisiert, kultiviert, edel und gut seien; Menschen anderer Hautfarbe hingegen ebenso grundsätzlich barbarisch, kulturlos und primitiv. Dabei fällt die Erzählung vom gemeinsamen „Kulturkreis“, dem man angehöre, schon in sich zusammen, wenn man bedenkt, daß die derzeitigen Bombardements ukrainischer Zivilisten, Krankenhäuser, Wohngebäude von Weißen durchgeführt werden. Doch dieser Widerspruch wird nicht einmal wahrgenommen – weil diese Vorstellung so tief sitzt, daß sie als Selbstverständlichkeit gilt.

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4 Kommentare zu „:: Ukraine, Flucht, und Rassismus (2)“

  1. Böhmermann zitieren ist immer schon schlecht……und wer sagt, dass er lieber einen Ukrainer als einen Schwarzen aufnimmt, der zufällig in Kiew studiert, der ist einfach nur ehrlich. So ist nun mal das Leben. Schwarze leben eben lieber in schwarzen Wohnvierteln, Chinesen bei Chinesen und Europäer mit Europäern. Gleich und gleich gesellt sich eben gerne. Mann kann erst dann alle gleich behandeln, wenn man erkennt, dass sie verschieden sind.

    1. Zu behaupten, Böhmermann zu zitieren, sei per se schlecht, ohne das zu begründen, ist schon an sich keß. Und daß jemand ehrlich zugibt, Rassist zu sein – denn das tut, wer bezüglich der Aufnahme so argumentiert wie Du – ändert nichts daran, daß genau das eben Rassismus ist. Der wird nicht besser dadurch, daß man ihn unverblümt heraushängen läßt.
      Was Sprüche wie „gleich und gleich gesellt sich gern“ oder „so ist nun mal das Leben“ angeht: Junge, Junge. Solche billigen Platitüden hab ich lange nicht mehr gelesen. Gibt’s die grad irgendwo im Ramschverkauf?
      Der Schluß des „Arguments“ – man könne erst alle gleich behandeln, wen man erkenne, daß sie ungleich sind – setzt dem Blödsinn allerdings die Krone auf. Oder der Heuchelei: Gemeint ist ja wohl, daß die „Gleichbehandlung“ in Bevorzugung der Einen, und Benachteiligung der Anderen bestehen soll: weil dann alle „gleich“ insofern behandelt werden, daß man mit ihnen gleichermaßen gemäß der Kriterien dieses eigenen Rassismus umgeht.

      1. [Kommentar gelöscht. Persönliche Beleidigungen werden in diesem Blog nicht geduldet.]

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