:: Hörtipp: „Putin-Versteherïnnen“ und andere mediale „Expertïnnen“

Genau – wie ist das eigentlich mit vermeintlichen „Expertïnnen“, die in Talkshows, als Interviewpartnerïnnen der Printmedien, als Verfasserïnnen von Büchern und Meinungsartikeln regelrecht herumgereicht werden – diesen Leuten, die man immer wieder antrifft, wenn es um bestimmte Themen geht?

Wie gut ist es eigentlich um deren Sachkenntnis und Objektivität bestellt – und wie stark kann es einen Diskurs verzerren, wenn sie ihn allgegenwärtig prägen, vielleicht aber heimlich einer eigenen Agenda folgen – oder einfach nicht so kompetent sind, wie ihnen unterstellt wird?

Eine Frage, die weit über das Thema „Putin-Versteherïnnen“ und Ukrainekrieg hinausgeht, welches sich jedoch sehr gut eignet, dieses Thema exemplarisch zu erörtern. Denn vor dem Überfall auf die Ukraine gab es einflußreiche Personen – nicht nur Sahra Wagenknecht, sondern auch Leute z.B. aus dem christdemokratischen Umfeld – die sich für Putins Standpunkt stark machten, und gleichzeitig jede Kriegsabsicht des Diktators „lupenreinen Demokraten“ abstritten; genau wie Militärexpertïnnen, die noch fünf Minuten vor dem Einmarsch sicher waren, es würde keinen geben, und fünf Minuten danach, die Ukraine würde in drei Tagen fallen. Tatsächlich kann man im Rückblick zeigen, daß manche putinverstehende „Expertïnnen“ jahrelang Lobbyarbeit für Rußland machten – und dabei teils eigene wirtschaftliche Interessen, oder die Interessen privatwirtschaftlicher Lobbies verfolgten.

Wie kann es zu solchen Verzerrungen der öffentlichen Debatte kommen, und welche Rolle spielen die von Redaktionen ausgesuchten „Expertïnnen“, die dieser Debatte ihren Stempel aufdrücken, bestimmte Meinungen und Einschätzungen in den Vordergrund rücken?

Das untersucht der Podcast „Im Reich der Putin-Versteher – Schieflage in der Russland-Berichterstattung“ des Deutschlandfunks. Allerdings – und das macht den „Mehrwert“ des Beitrags aus – beleuchtet das Gespräch zwar den konkreten Fall russischer Interessenvertretung, zeigt dabei aber Mechaniken auf, die allgemein die Expertïnnensuche der Medien prägen – und dabei durchaus problematisch werden können. Man erfährt also einiges, das generell für die Auswahl vermeintlicher Expertïnnen, und für deren Auswirkungen auf die öffentliche Debatte, gilt.

Zu den Punkten, die der Podcast-Beitrag beleuchtet, gehört z.B.:

  • Nach welchen Gesichtspunkten werden Gesprächspartnerïnnen ausgewählt, die dann öffentlich zu Wort kommen?
  • Geht es dabei wirklich immer nur um deren Sachverstand, oder vielleicht eher um bereits vorhandene Bekanntheit bzw. einen „Ruf“ derjenigen (nach dem Motto: „Der war schon in zwanzig Talkshows, den nehmwa wieder“)? Setzt man bei Bekanntheit einfach automatisch Kompetenz voraus, ohne sie zu prüfen? Wird der Einfachheit und Schnelligkeit halber auf bekannte Namen und Gesichter zurückgegriffen, nach denen man nicht lange suchen muß?
  • Und welche Rolle spielt Legitimation – also das Kalkül, daß sich jemand dem Publikum glaubwürdig als „Expertïn“ präsentieren läßt? Wiegt dieser Aspekt vielleicht oft schwerer als die Frage, ob tatsächliche Sachverstand vorliegt?
  • Führt das Bedürfnis nach „Ausgewogenheit“ dazu, daß man manchmal Personen zu Wort kommen läßt, nur weil sie eine scheinbar kontroverse Meinung vertreten? (Oder, möchte Herr Sathom hinzufügen, weil so etwas für Streit, und damit für Quote sorgt?)
  • Wie gelingt es manchen Leuten, quasi „Berufsxpertïnnen“ zu werden – sich also durch Veröffentlichungen, oder in den Sozialen Medien, als Fachleute zu verkaufen (und sich so bei Journalistïnnen zu empfehlen)?
  • Welche eigenen, und durchaus nicht rein sachlichen Ziele verfolgen Expertïnnen manchmal – z.B., wenn sie zugleich die Agenda von Wirtschaftsverbänden, von neoliberalen Propagandistïnnen, oder handfeste eigene wirtschaftliche Interessen vertreten (z.B. weil man gleichzeitig irgendwo Aktien, einen Vorstandposten, oder einen Beraterïnnenjob hat)?

Manche Informationen, die man dem Beitrag entnehmen kann, überraschen nicht wirklich; man hat sich das schon gedacht, oder es anderswo als Kritik gehört. Andere sorgen durchaus für ein „Aha“-Erlebnis: Ist es z.B. nicht merkwürdig, daß manchmal, abhängig vom Thema, ein und dieselbe Person – z.B. in Geschichtsdokumentationen – abwechselnd als „Psychologïn“, „Kulturwissenschaftlerïn“ oder „Historikerïn“ vorgestellt wird? Und das gelegentlich sogar innerhalb derselben Sendung? Eine Auswahl, die per Untertitel suggerieren soll, daß diese Person für die in jeweils gerade gestellte Frage der/die perfekte Ansprechpartnerïn sei, auch wenn sie tatsächlich, nun, eigentlich bloß schon ihr Leben lang hauptberuflich durch Talkshows tingelt.

Wie gesagt führt der Beitrag das anhand der Putin-Versteherei vor, die auch Hauptthema bleibt; Herr Sathom findet aber, daß das Phänomen der medialen Expertïnnensuche, und dessen Probleme, auch allgemein sehr schön darstellt werden. Daß der Diskurs bezüglich Rußlands schnell „von der Wirtschaft gekapert“ wurde, daß also vermeintlich unabhängige Expertïnnen eigentlich Konzerninteressen vorantrieben, dürfte z.B. auch für andere gesellschaftliche Diskussionsfelder gelten (Mindestlohn, Hartz IV, Wohnungsnot usw.).

Hat man sich schon länger mit dem Thema befaßt, erfährt man vielleicht nichts Neues, aber wer sich interessiert und manchmal gewundert, aber noch nie hinter die Kulissen geschaut hat, dürfte hier einen guten Einstieg finden. Insofern: Hörenswert.

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