:: Deniz, Christoph und die wirren Haare

An dieser Stelle eine kleine Randbemerkung zu einem Phänomen, das mir schon öfter aufgefallen ist – nämlich wann immer ich Fotos oder Talkshowauftritte (männlicher) Intellektueller sehe. Äußern wollte ich mich dazu auch schon gelegentlich, nur irgendwie habe ich es dann immer vergessen.

Ich will hier also nicht auf den jüngsten Radau um Deniz Yücel als (inzwischen zurückgetretenen) PEN-Präsidenten eingehen – hauptsächlich, weil es mir wurscht ist; es handelt sich also um reinen Zufall, daß mich ein Bild von Yücel und Christoph Nix (wer immer das ist) im oben verlinkten Spiegel-Artikel an das Thema erinnert hat.

Beide haben nämlich etwas gemeinsam, das sie mit anderen Intellektuellen teilen, ob die nun Giovanni di Lorenzo, Peter Sloterdijk oder Richard David Precht heißen. Der Titel deutet es an: Sie sind, na sagen wir, nachlässig frisiert. Und manchmal schlecht rasiert. Und haben den Hemdkragen offen. (Wie der oben genannte Herr Nix demonstriert, müssen nicht alle Details zutreffen, aber die Aussage „Ich hab die Haare wild“ ist meist dabei; allerdings zeigt Herr Nix ein anderes, seltenes, aber nicht völlig unbekanntes Accessoire: die neckische Fliege.)

Das klingt bedeutungslos, als Kritik vielleicht sogar spießig; ist es aber nicht. Warum?

Also zunächst: Die scheinbar schlampige Frisur und das ggf. dazu passende optische Gesamtbild sind natürlich nicht hingeschlampt, sondern sorgsam inszeniert; es gibt einen Grund, daß diese Männer sich so zeigen. Sie machen damit eine Aussage.

Genauer gesagt, zwei.

Die erste: Ich scher mich nicht um Konventionen, ich bin ein Freigeist, ggf. ein Rebell; die zweite: Seht her, ich bin ein Intellektueller – ich arbeite mit dem Geist, an wichtigen Themen, die ich tiefschürfend ergründe; ich hab keine Zeit für so’n Scheiß wie Äußerlichkeiten.

Es handelt sich also um einen wohlkalkulierten sozialen Gestus; eine Form der Selbstdarstellung, mit der diese Männer sich als Angehörige einer besonderen, elitären Schicht präsentieren. Dabei verschmelzen die zwei angeführten Aussagen letztlich zu einer – der, daß sie über den engstirnigen Konventionen bürgerlicher Kleingeister stehen, weil ihr Intellekt sie über diese angepaßten Spießer erhebt.

„Wohlkalkuliert“ muß nicht heißen, daß alle Intellektuellen bewußt entscheiden, sich so zu zeigen. Es kann sich auch um unbewußte mimetische Anpassung an die übrigen Angehörigen der Gruppe handeln, der man sich zugehörig zeigen will, eine Nachahmung, über deren Gründe man sich nicht immer Rechenschaft gibt; daß es eine Gruppenuniformierung ist, mit der die Betreffenden sich auf der sozialen Hierarchieleiter einordnen, ändert das nicht.

Das klingt nun schon weniger nach spießigem Vorbehalt, aber vielleicht immer noch unbedeutend. Doch das, was mich daran eigentlich stört, ist ein weiterer Punkt.

Es handelt sich nämlich außerdem um ein männliches Privileg. Dieser Gedanke kam mir zum ersten Mal, als ich vor ewig langer Zeit Das philosophische Quartett mit dem damals noch heftführenden Peter Sloterdijk gesehen habe; der Beweis durch Gegenprobe: Man stelle sich vor, eine Marina Weisband, eine Samira El Ouassil oder was weiß ich wer würde es wagen, in einer Talksendung oder Diskussionsrunde mit in alle Windrichtugen verwehten Haaren aufzutreten, angezogen, als wäre sie morgens in den Wäschekorb gefallen und mit archäologischen Zufallsfunden wieder daraus aufgetaucht; oder Anne Will (nicht, daß ich sie für eine intellektuelle Atombombe hielte) würde sich in ihren Talksessel fläzen wie ein nasser Kartoffelsack.

„Intellektuelle“ Männer dürfen das – und signalisieren damit eben, daß sie Intellektuelle sind; daß ihr überlegener Verstand und ihr Umgang mit wichtigen, gesellschaftspolitischen Themen sie von banalen Normen ausnimmt, sie über das gemeine Volk erhebt. Ob diese Normen tatsächlich noch bestehen, ist dabei unerheblich; man geriert sich gewissermaßen post mortem entweder als Rebell gegen längst nicht mehr gültige Bekleidungsvorschriften, oder als großer Intellekt, der über solchen Dingen, bzw. ohnehin in ganz anderen Sphären schwebt. Es handelt sich also dabei auch um einen überkommenen Gestus, der fortbesteht, sein eigenes Klischee geworden ist, obwohl der Anlaß längst der Vergangenheit angehört.

Und noch einmal: Das ist zugleich männliches Privileg; weibliche Intellektuelle würden zumindest nicht ernst genommen, zeigten und verhielten sie sich so. Auch umgekehrt werden übrigens Geschlechterklischees lebendig gehalten – werden z.B. in Talkshows die Kontrahentinnen vorgestellt, gleitet die Kamera noch immer stets die Beine der weiblichen Teilnehmenden hinauf und dann an ihrer Figur entlang, ehe man das Gesicht sieht; auch das eine Form der Inszenierung, die wiederum den Männern erspart bleibt. Man läßt sie also mitreden, drückt aber zugleich aus: Der Doktortitel oder was immer sonst sie qualifiziert, zählt bei den Damen weniger als das angenehme Erscheinungsbild (Alice Schwarzer lassen wir hier mal weg).

Am Ende des Tages (von mir aus auch der Woche) handelt es sich also um eine Inszenierung, einen kalkulierten sozialen Gestus, der den eigenen Status sowohl anzeigt, als auch das recht auf diesen Status postuliert. Vergleichbar ist er vielleicht mit dem unvermeidlichen Schal, den männliche Angehörige der Kulturschickeria sich einmal um den Hals geschlungen den Rücken runterhängen lassen, während sie sich einen Panama-Hut aufs wallendes Haupthaar pflanzen (für die eigentliche Funktion eines Schals ist diese Art, ihn zu tragen, sinnlos, sogar kontraproduktiv; auch sie ist also reiner Gestus).

Ziel bzw. Aussage der Inszenierung ist letztlich, daß der Intellekt immer noch zuerst männliche Domäne ist; was Männer dürfen, dank ist Verstandes leicht verwurschtelt auszusehen, ist Frauen umgekehrt versagt; bei den einen zählt das Hirn mehr und schafft Privilegien – solche der Bekleidung z.B., auch solche im Benehmen, Hahnenkampfverhalten z.B.; die anderen müssen sich immer noch durch ihr Aussehen das Recht verschaffen, überhaupt ein paar eigene Gedanken mitteilen zu dürfen. Das Privileg der ungepflegten Erscheinung weist nicht nur den Mann als Intellektuellen aus, es verweist auch die denkende Frau auf die Plätze. Es stellt den denkergestirnten Mann über den weniger genialen Pöbel, aber eben auch über die intellektuelle Frau.

Na ja. So viel dazu. Ich wollte das bloß endlich mal loswerden, und wozu ist ein Blog sonst da, wenn man nicht auch mal ein bißchen klugscheißen kann.

Ach ja, eins noch: Daß der Trick funktioniert, zeigt mein obiger Einwand gegen meine eigene Beobachtung. Denn das Erscheinungsbild männlicher Intellektueller überhaupt zu thematisieren, wirkt spießig. Warum? Eben.

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