:: Die Weizenlüge

Oder: Wie man eine Krise – in diesem Fall Krieg – als Ausrede nutzt, um die eigene politische Agenda durchzusetzen.

Arbeitsbedingt bin ich zwar einige Zeit lang nicht zum Bloggen gekommen, weshalb der konkrete Anlaß (Medienberichte) für diesen Artikel schon etwas zurückliegt (siehe dazu und zur erzwungenen Sommerpause auch hier); aber da er sich gut eignet, die Methode zu illustrieren, mit der in solchen Fällen vorgegangen wird, veröffentliche ich ihn dennoch (zumal die beschriebene Kampagne sicher weiterhin läuft).

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs nämlich pushen konservative Politiker und Agrarlobby – kürzlich gerade wieder der Bauernverband, aber auch Hersteller von Düngemitteln und Pestiziden – verstärkt eine Idee. Sie lautet: Massiver Ausbau der Intensiv-Landwirtschaft. Flächen, die bisher zwecks Umwelt- und Artenschutz von der Landwirtschaft freigestellt waren, sollen wieder bewirtschaftet werden – nämlich, um Weizen anzubauen. Und zwar in industriellen Ausmaß; es sollen also alle Beschränkungen für den Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden, die in den letzten Jahren mühselig eingeführt wurden, wieder fallen. Natürlich nur vorübergehend (im Klartext: Wenn die Krise vorbei ist, sieht man mit neuen Ausreden weiter).

Das ökologische Desaster, das daraus folgen würde, kann man sich vorstellen. Das längst katastrophale Artensterben unter Insekten und Vögeln würde ebenso verstärkt wie der Klimawandel, wie die Gefährdung des Grundwassers, wie Bodenverdichtung und damit langfristige Unfruchtbarkeit. Das alles – so die Rhetorik – tritt angesichts der dringenden Notwendigkeit, so zu handeln, in den Hintergrund. Denn: Es gilt, Hungerkatastrophen, vor Allem in der sogenannten „Dritten Welt“, abzuwenden.

Tatsächlich klingt die Begründung zunächst plausibel. Bedingt durch den russischen Angriffskrieg liegen Tonnen von Weizen in der Ukraine fest, die nicht auf den Weltmarkt gelangen, weil die russische Schwarzmeerflotte den üblichen Export auf dem Seeweg verhindert. Der ukrainische Weizen fehlt also schon an sich auf den Weltmärkten; zudem treibt diese Lieferlücke die Preise hoch. Ärmere Länder, zumal in Afrika, können sich also den dringend benötigten Weizen nicht leisten, sofern er überhaupt auf den Markt kommt (erschwerend kommt hinzu, daß einige andere Weizenproduzenten, z.B. Indien, sich angesichts der Lage entschlossen haben, ihren Weizen aktuell nicht zu exportieren, sondern zu horten).

Daraus stricken die Befürworter ein moralisches Argument; eines , das sich zunächst tatsächlich unabweisbar anhört. Wer sich nämlich jetzt sträubt, lautete es, die von der EU bereits abgesegnete Linie umzusetzen, sei mitverantwortlich für Hungertod und Massensterben. So warf der AfD-Abgeordnete Stephan Protschka etwa kürzlich dem Landwirtschaftsminister Cem Özdemir – den man nicht mögen muß – vor, er sei „Schuld für [sic!] die Bilder der hungernden Kinder aus Afrika“.

Ich weiß gerade nicht, was mich an dieser Äußerung mehr aufregt – die pausbäckige Blödheit, mit der hier ein Klischee reproduziert wird, mit dem man sonst Kinder zum Aufessen bewegen will, die semantische Unfähigkeit (ist Herr Özdemir schuld am Hunger der Kinder, oder Schuld an den Kindern, oder schuld an den Bildern von diesen Kindern, die er ja wohl nicht selbst geknipst haben wird?) oder die geheuchelte Moralität – denn das Moralargument scheint unabweisbar, ist jedoch in Wirklichkeit besonders perfide, wie sich noch zeigen wird.

Okay. Was hat das mit dem eingangs genannten Thema zu tun? Nun – zwei Dinge. Erstens, was hier als Maßnahme gefordert wird, trüge zur Problemlösung überhaupt nicht bei; und zweitens, es werden ganz andere Ziele verfolgt, als die behaupteten. Also – was passiert hier?

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