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:: Kolonialspiele

Hui, endlich WM. Und schon werden brasilianische Probleme Randerscheinung, weggefegt von der allgemeinen Begeisterung; scheinen auch manche Kommentatoren eher darum besorgt, ob die Polizei denn auch die Protestierenden von den Stadien fernhalten wird, als um die Gründe für das Aufbegehren. Nicht warum der Busfahrer streikt, sondern ob er den Fans damit den Spaß verdirbt, ist zur Frage der Stunde geworden.

Die Folgen der WM – Vertreibung, ins Unerschwingliche explodierende Immobilienpreise und Mieten, Naturzerstörung, Verletzung von Rechten der Ureinwohner – das soll doch bitte jetzt mal vergessen sein, wir wollen uns amüsieren. Bei mancher Olympiade, auch schon mal einem Eurovision Song Contest, haben wir es ja auch nicht anders gehalten. Was bedeuten schon Kollateralschäden am Ort unseres Vergnügens? Wenn’s mit Feuerwerk und viel Tamtam so schön ist in der Glotze, wer will sich da von ein paar Obdachlosen oder Sklavenarbeitern stören lassen?

Im vorangehenden Artikel war vom immer noch kolonialistischen Umgang mit anderen Teilen der Welt die Rede. Der gezogene Vergleich galt ebenso wirtschaftsliberalen Bestrebungen, Demokratie und staatliche Souveränität abzubauen, wie unserer eigenen Einstellung als Bürger; er lief auf die Zuspitzung hinaus, daß auch wir nun von den Vertretern des Marktes kolonisiert würden. Insofern mag er überzogen scheinen, doch sehen wir einmal, wohin er bei einer Analyse unseres Verhältnisses zur Welt, nicht nur hinsichtlich solcher Großevents, führt – jedenfalls dann, wenn wir den Begriff des „Kolonialismus“ nicht als etwas substantiell gegebenes, sondern als polemische Zuspitzung auffassen; eine allerdings, die Züge des behaupteten Phänomens verdeutlicht und deren gemeinsame Wurzeln mit dem historischen Kolonialismus aufzeigt.

Zwei Thesen hierzu.

1.) Wir denken, handeln, empfinden kolonialistisch

Unser Blick auf die Welt ist auch im Zeitalter des „Postkolonialismus“ immer noch ein kolonialistischer, imperialer. Brasilien dient uns als Austragungsort unserer patriotischen und alkoholischen Räusche, denen vor Ort Menschen geopfert werden, Bildungsmangel, Vertreibung durch explodierende Immobilienpreise, und Armut erleiden; nicht alles, doch einiges davon nur, damit unser Vergnügen dort stattfinden kann. Wir gönnen uns Spiele, zu denen tatsächlich nur wir als WM-Touristen, ggf. noch wohlhabende Einheimische Zutritt haben, während die brasilianische Durchschnittsbevölkerung dank enormer Ticketpreise, wenigstens was physische Anwesenheit in den Stadien angeht, leider draußen bleiben muß. Wie übrigens auch dafür gesorgt ist, daß nur Sponsoren rings um die Stadien Speis und Trank vertreiben dürfen. Kollateralschäden wie die Zerstörung preiswerten Wohnraums samt Vertreibung der Ansässigen nehmen wir hin – Prioritäten, nicht wahr, müssen ja schließlich gesetzt werden. Die dagegen aufbegehren, erscheinen nicht als real Betroffene, sondern als Störfaktoren, von denen wir hoffen, die Polizei halte sie nur von den Fans vor den Stadions fern. Soweit wir aber die Lage vor Ort doch mit einer gewissen Empathie zur Kenntnis nehmen, hindert uns das keineswegs am Genuß der Spiele.

Das ist kein Störfall unserer Einstellung. Es ist Normalität. Uns stört nicht, daß unsere erschwingliche Kleidung von Arbeitssklaven hergestellt wird, die seltenen Erden für unsere elektronischen Geräte, die Kakaobohnen für unsere Schokolade von solchen abgebaut und geerntet. Nehmen wir unterwegs öffentlichkeitswirksam – es kennzeichnet uns als dynamisch und gesundheitsbewußt – einen Zug von unseren PET-verpackten Mineralwässern, kümmert uns nicht, daß diese vielleicht aus privatisierten, afrikanischen Trinkwasservorkommen stammen, deren Anliegern das Wasser vorenthalten wird. Auf dieses, das sich im Privatbesitz internationaler Konzerne befindet, haben die, die an seinen Ufern wohnen oder auf dem Boden darüber, kein Recht – es sei denn, sie könnten es wie wir, durch Bezahlung, von dessen Besitzern erwerben.

Insoweit, als wir von solchen Gegebenheiten profitieren, ist nicht nur unser Blick, sondern auch unsere Praxis weiterhin kolonial; wobei sie eigentümlich prägt, daß wir als Einzelpersonen ja keineswegs wie Kolonialmächte handeln, also etwa Kolonien unterhalten müssen. Gleiches gilt für Nationalstaaten. Delegiert ist diese Aufgabe praktischerweise an international agierende Konzerne.

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