:: Germanwings-Absturz: Mediale Perversionen

Es ist ekelerregend. Name und Wohnort des Copiloten der abgestürzten Germanwings-Maschine werden im Fernsehen genannt, Bilder des Hauses seiner Eltern gezeigt; Sendungen wie „Brisant“ laden Passanten ein, sich ins Mikrophon zu erregen, daß hier einer nicht nur sich selbst, sondern noch 149 andere umgebracht hätte. Lediglich auf Phoenix – einem Sender, der allerdings ebenfalls schon gestern aller Welt mitteilte, wie der Mann hieß und wo seine Angehörigen leben – darf ein Psychiater darauf hinweisen, daß weder die gefundenen Krankschreibungen noch die Aufzeichnungen des Stimmrecorders irgend etwas eindeutig belegen. Was aber niemanden hindert, weder Presse noch Publikum, sich wie Aasgeier um dieses Nichts zu versammeln. Und die Angehörigen des Copiloten aller Welt auszuliefern, zum Anstarren mindestens, vielleicht auch Schlimmeres, Schmähung, Bedrohung.

Der Mann könnte ebenso gut eine Grippe gehabt haben, im Cockpit kollabiert sein. Macht nichts – diverse Boulevardpostillen wissen nicht nur: das ist der „Amok-Pilot“; sie haben außer dem Namen auch gleich sein Foto titelseitengroß parat. Damit Nachbarn und Bekannte der Familie auch Bescheid wissen und sich daran freuen können. Wie das medienkritische BILDblog berichtet, hat ein gewisses hiesiges Blatt die Ereignisse sogar als „Ritualmord“ des Copiloten durchschaut.

Von der „seriösen“ Berichterstattung unterscheidet sich all dies jedoch nur im Duktus. Mit pausbäckiger Unschuldsmiene verfahren die öffentlich-rechtlichen Medien ebenso, begleitet von der ständigen Versicherung, es nicht tun. Die Journalisten jeder Couleur kennen keinen Anstand – wie der oben verlinkte Artikel ebenfalls berichtet, belagern sie das Haus der Eltern des Copiloten, horchen Nachbarn aus, betreiben eine Hetzjagd. Veröffentlichen in ihrem Eifer statt dem Bild des Unglücksfliegers das eines Unbeteiligten – nicht er erste Fall, man denke an Winnenden –, dessen Bekanntenkreis dann heimgesucht wird. Gipfel der Perversion: trauernden Mitschülern – Kindern – wird von der Meute Geld dafür geboten, vorformulierte Sätze in die Kamera zu sprechen.

Wie bereits am Mittwoch, unmittelbar nach dem Absturz, als sämtliche Medien mangels konkreter Informationen ununterbrochen berichteten, daß sie derzeit nichts zu berichten hätten; betonten, daß sich Spekulationen verbieten würden, um dann munter drauflos zu spekulieren, sensationsträchtige Möglichkeiten anzudeuten, spektakuläre Hintergründe zu suggerieren („. . . aber ich muß trotzdem nochmal fragen, Herr Experte, könnte da vielleicht . . .“ – nein, müßt ihr nicht, bzw. warum „müßt“ ihr eigentlich – oder wollt ihr nur, obwohl ihr nicht müßtet; nicht solltet?) – gerade so führt man nun die Hinterbliebenen des mutmaßlichen Unglücksfliegers vor. Die dürfen sich nicht nur mit der Möglichkeit auseinandersetzen, daß ein Mitglied ihrer Familie den Absturz herbeigeführt haben könnte (sofern es eben, was noch nicht belegt ist, absichtlich geschah); sondern auch damit, daß sie weltweit dem gaffenden Blick der Meute ausgeliefert werden. Noch einmal: in Anbetracht einer Möglichkeit; nicht einmal, auch wenn das nichts besser machte, eines Beweises.

Ob der Copilot fahrlässig Gesundheitsprobleme ignorierte oder, wie alle Sensationsgierigen landauf, landab wissen wollen, Suizid mit angeschlossenem Massenmord beging, spielt keine Rolle für den schäbigen Umgang mit seinen Angehörigen. Rechtfertigt nicht, sie verantwortungslos zum Glotzobjekt all der müßigen Gaffer zu machen, denen das Unglück nur Ausreden für die Befriedigung ihres Voyeurismus liefert; denen, die auch bei einem Auffahrunfall stehen bleiben und luchsen, ob sie nicht einen Blick auf Blut oder Gekröse erhaschen.

Noch widerlicher ist, daß auch die Passagiere, die Opfer, dabei mißbraucht werden. Was da bei Straßeninterviews das gesunde Volksempfinden in die Mikrophone blökt, zeugt weder von echtem Mitgefühl noch ehrlicher Empörung. Der geheuchelten Anteilnahme, der (auch sich selbst) vorgespielten Erschütterung, die jede neue Informationslücke gierig aufsaugt, werden die Opfer zum Vehikel dazu, sich selbst als mitleidend, mitfühlend zu stilisieren; zur Ausrede, nach einem Verweis pro forma auf die Toten, sofort über den Schurken am Steuerknüppel zu phantasieren, in Bestrafungswünschen post mortem zu schwelgen. Ein Mechanismus, der ähnlich bei Berichten von Kindermorden greift: kaum so lange verweilt der Gedanke wirklich beim Opfer, daß es ausreichenden Anlaß für wohltuende Vorstellungen davon liefert, was man mit dem Täter gern so alles anstellen würde.

Hier ist der vermeintliche Täter dem Rachegelüst entzogen, das ohnehin meist aufgestauten Zorn maskiert, aus zahllosen Frustrationen entstanden, der mit dem jeweiligen Anlaß seiner Entladung in keinerlei Zusammenhang steht; ziellos wuchert, endlich dann, wenn es irgendwo knallt, auf einen Schuft gerichtet werden darf. Wenigstens hat man hier noch seine Familie, die nun herhalten muß, und sei es nur, indem man sie durch Bloßstellung abstraft. Oder kann noch einmal auf den Toten eintreten, gleich stellvertretend für alle diese Verrückten, ein Glück, sie kommen nicht ganz so leicht davon.

Die bösen Medien also mal wieder? Nicht so einfach, Herrschaften. Denn die Medienmacher spekulieren nicht zu Unrecht auf ein Publikum, das die Gelegenheit freudig begrüßt, sich als Unfalltourist zu ergehen, und sich dabei noch als zu den Guten gehörig zu gerieren. Und so wird die Familie des Copiloten vorgeführt, über Wahnsinn des Mannes spekuliert, lüstern in Leichnamen gestochert; alles in dem Gefühl, es aus rechtschaffener Empörung zu tun, einer der Anständigen und Ehrbaren zu sein – der aufrichtig Erschütterten.

Man ist klüger geworden seit den Tagen, da die Medienmeute um die Gladbecker Geiselnahme herumlungerte; gibt sich verhaltener, jedenfalls außerhalb des Boulevards. Die Komplizenschaft zwischen den Medienmachern und ihrem Publikum dauert dennoch fort, wobei schamlos, maßlos, mitleid- und gnadenlos den Opfern gegenüber, auch die Fratze des Zuschauers all ihre Häßlichkeit zeigt.

Es regte sich, gleich zu Beginn des medialen Spekulationsamoks, auch Widerstand; hier etwa, auch auf Facebook und Twitter, und allgemein in medienkritischen Blogs. Allein das relativiert den Eindruck einer ganz und gar verkommenen Öffentlichkeit. Die Verwertungsmaschinerie – den Schlachthausbetrieb, der Opfer und Angehörige zu Unterhaltungsware erniedrigt – hält es nicht auf.

Manchen, auch das eine Relativierung, darf ihre Betroffenheit wirklich geglaubt werden; die des Bundespräsidenten etwa, über den der Verfasser sonst wenig Gutes zu sagen weiß, wirkt ehrlich. Es wäre zu hoffen, daß er Recht hat, wenn er die Trauer um die Opfer als Zeichen dafür nimmt, daß wir in einer „Gesellschaft von Menschen“ leben, nicht bloß von „funktionierenden Wesen“. Ein ehrbarer Gedanke.

Aber die Maschine; die Maschine. Sie läuft, und wird das nächste Mal wieder laufen.

 

Eines noch.
Die demonstrative, öffentliche Trauer dieser Tage – nützt sie den Angehörigen eigentlich? Raubt sie ihnen nicht vielmehr der Möglichkeit, um ihre Toten zu trauern, indem sie diese zum öffentlichen Gut, dem Gegenstand der angeblichen Trauer Aller macht? Nimmt sie den Familien und Freunden ihre Lieben nicht ein zweites Mal – endgültig, als die Ihren nämlich?

Denn die da alle zu trauern behaupten (oder ihre gespielte Trauer öffentlichkeitswirksam vor sich hertragen) – sie kennen weder die Opfer, noch die Hinterbliebenen. Ihre Trauer ist – zumindest häufig – Anmaßung, zu der sie kein Recht haben; ist sentimental verlogene Identifikation mit den Angehörigen, kitschige Selbststilisierung, und insofern übergriffig. Sie vergemeinschaftet die Toten, macht sie zum Gegenstand der Bedürfnisse des Publikums, und reißt sie damit ein zweites Mal aus dem Schoß ihrer Familien, aus ihrem Freundeskreis.

Mitgefühl – ja. Unterstützung – unbedingt. Aber bitte nicht diese Erniedrigung zu einem weiteren Unterhaltungsmehrwert.