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:: Alle Jahre wieder – Neujahrs-Special

Nochmal wegen dieser Weihnachtsbaumgeschichte.

In solchen Fällen sind natürlich zwei Fragen interessant. Erstens, wie gelangt eine solche Info – „unsere Kita hat dieses Jahr keinen Weihnachtsbaum“ – überhaupt an die Medien? Und zweitens, warum wird sie, eine Lappalie eigentlich, von diesen Medien dann wie ein Problem von nationaler Tragweite behandelt?

Die erste Frage läßt sich relativ leicht beantworten. Zwar haben sich auch die Eltern der betreffenden Kita-Kinder hinterher über die große Aufmerksamkeit und teilweise die Drohungen und Haßmails beschwert; einzelnen Äußerungen in den Medien kann man aber entnehmen, daß nicht alle mit dieser Entscheidung glücklich waren. Es ist also wahrscheinlich, daß jemand aus dem Kreis der Eltern die Geschichte an bestimmte Medien „durchgesteckt“ hat.

Die zweite Frage ist interessanter. Warum wird das zu einer landesweit verbreiteten Story? Eine Hamburger Kita entscheidet, dieses Jahr keinen Weihnachtsbaum zu haben, und hatte in den vergangenen Jahren mal einen Baum, mal nicht – ist das von öffentlichem Interesse? Von politischer Bedeutung? In irgendeiner Weise bedeutend, also berichtenswert? Man könnte als Redaktion ja durchaus entscheiden, daß diese Lappalie keinen Nachrichten- bzw. Neuigkeitswert hat, oder wenigstens nur eine Randnotiz wert ist. Warum also nehmen sich große Medien dieses Themas an und blasen es dermaßen auf? Warum wird die interne Entscheidung einer einzelnen Kita nichts als lokale Nebensache, sondern als Thema von deutschlandweitem, gesellschaftlichem Interesses gehandelt?

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:: Die wahre „Sprachpolizei“

Guten Tag.

Zunächst eine kurze Erklärung, warum Herr Sathom in letzter Zeit nicht gebloggt hat – mit schönen Grüßen an alle „Querdenkerïnnen“, Impfgegnerïnnen und Covid-Leugnerïnnen: Corona existiert. Ja, es ist wahr – nachdem ich mich drei Jahre lang erfolgreich gedrückt habe, hat die Seuche mich doch noch fast zwei Wochen lang aufs Lager gestreckt. War jetzt nicht verheerend schlimm, aber auch nicht soo lustig, und darum halt. In diesem Sinne:

Da sind die Bastarde.

Naja. Weitere, damit in keinerlei Zusammenhang stehende Nachrichten: Nachdem Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein das Gendern in Schulen, Behörden etc. bereits seit einiger Zeit verboten haben, geht es jetzt in Hessen weiter. Im Rahmen der Koalitionsgespräche zwischen SPD und CDU heißt es in einem Sondierungspapier, man wolle „festschreiben“, daß staatliche und öffentlich-rechtliche Institutionen wie Schulen, Universitäten, oder Rundfunkanstalten auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichten sollen. Das geht, wie schon vorherige Verbote, nicht ohne Widerstand ab – ob und inwieweit sie überhaupt rechtlich bindend sind, ist dabei strittig. Oft hängt es vom Anwendungsbereich ab; zweifelhaft ist z.B., ob man Journalistïnnen, auch bei den Öffentlich-Rechtlichen, das Gendern überhaupt verbieten kann – oder ob Schülerïnnen ggf. gegen schlechtere Benotungen klagen könnten (Schülerïnnen, die in ihren Texten gendern, können in den bisher betroffenen Ländern mit Punktabzug bestraft werden).

Offiziell beruft man sich bei solchen Vorstößen gern auf den „Rat für deutsche Rechtschreibung“. Der allerdings hatte 2021 lediglich das Gendern aktuell nicht empfohlen, wenngleich darauf hingewiesen, daß die Schaffung einer geschlechtergerechten Sprache durchaus eine gesellschaftliche Aufgabe sei; zu keinem Zeitpunkt hat der Rat – der als zwischenstaatliche Institution mit deutscher, österreichischer, schweizerischer und liechtensteinerischer Beteiligung ohnehin nichts verbindlich bestimmen kann – zum Ausdruck gebracht, daß man nicht gendern dürfe oder es verboten gehöre.

Doch warum ist das wichtig?

Guten Tag, wird sind die Hessische Sprachpolizei

Konservative und ganz rechte Kreise fabulieren gern von einer woken oder politisch korrekten „Sprachpolizei“, die ihnen allerhand verbietet. Rassistische Soßenbezeichnungen; frauenfeindliche Formulierungen; und, na ja, was man halt sonst noch gern so daherredet: „Nichts darf man mehr sagen“. Armer Thomas Gottschalk.

Tatsächlich ist jedoch das Gegenteil der Fall. Niemand verbietet, das Z-Wort für die rote Plempersoße zu verwenden, geschweige denn, daß eine „Sprachpolizei“ kommt und dich verhaftet, wenn du es doch tust – nur mußt du, wenn du es benutzt, eben mit Kritik und Widerspruch rechnen. Also damit, daß die Anderen von ihrer Meinungsfreiheit ebenso Gebrauch machen, wie du.

Aber: Beim Gendern ist es tatsächlich etwas komplizierter – wenn auch nicht so schlimm, wie es rechte oder konservative Medienoutlets darstellen. Das betrifft das Gendern an Universitäten. Hier geben viele Unis in Deutschland mittlerweile vor, daß eine genderneutrale Sprache erwünscht sei – daß es zu Punktabzügen oder schlechteren Noten führt, wenn Studentïnnen nicht gendern, beschränkt sich aber auf Eigenmächtigkeiten einzelner Dozentïnnen oder Fachbereiche. Die Uni selbst darf, als staatliche Institution, hier gar keine Pflichtvorgaben machen – wobei diese aber in bestimmten Fächern sogar rechtmäßig sein können (Hochschulen dürfen für schriftliche Arbeiten formale Kriterien festlegen, etwa verpflichtende Zeilenabstände, Schriftgrößen oder Ränder, und Genderschreibung kann in diese Kategorie fallen, wenn sie fachrelevant ist).

Um es klar zu sagen: Obwohl ich selbst wild drauflos gendere, halte ich einen „Genderzwang“ für falsch. Ein Genderverbot jedoch ebenfalls. In beiden Fällen werden formale Kriterien vorgeschoben, um eine Haltung zu bestrafen – eine Meinung.

:: AfD-Erfolge erklärt: Der schäbige Rest (II)

So. Hier nun der Abschluß des Versuchs, den Erfolg der AfD zu erklären (siehe bisher hier, hier und hier).

Wir geraten hier auf ein Feld, das mit den oberflächlich wahrnehmbaren Motiven – Zukunftsängste, latenter, gesellschaftlich noch immer salonfähiger Rassismus usw. – zunächst nichts zu tun zu haben scheint. Ein gewisser Nationalismus schimmert jedoch auch hier durch. Allerdings in einer fast harmlos wirkenden Form – als Selbstzufriedenheit. Klingt merkwürdig? Nun … (dreht sich eine Fluppe). Paff, paff … Lassen Sie mich erklären.

Historische Altlasten

Ein Großteil dessen, was unseren Wohlstand gefährdet, den derzeitigen wie den zukünftigen, ist selbstgemacht. Die anstehenden Krisen waren absehbar, haben sich über Jahre hinweg aufgebaut; doch die Warnzeichen wurden ignoriert.

Eine Ursache dafür ist eine Stimmung, die sich nach dem Mauerfall in ganz Deutschland breit machte – und breit machen trifft es durchaus; sie äußerte sich in einem Umherstolzieren mit dicker Hose und geschwellter Brust, innderdeutsch gegenüber den „Ossis“, international als neu erstarktes, gelegentlich das Ausmaß von Größenwahn erreichendes Selbstbewußtsein.

Die Herablassung, die Verachtung, mit der während der Finanzkrise über die Griechen gesprochen wurde, ist ein typisches Beispiel. Die Deutschen gaben sich als fleißiges, strebsames und pflichtgetreues Volk, ganz anders als die „Pleitegriechen“; etwa um die Zeit herum, als ein Spardiktat der griechischen Bevölkerung viel Leid brachte, wurde stolz der Satz „Jetzt auf einmal wird in Europa Deutsch gesprochen“ verkündet (hinterher, als es Kritik gab, gerade aus Griechenland, hieß es beleidigt, die Auflagen seien doch gesamteuropäisch entstanden; nur vorher wollte man es ganz allein gewesen sein, der als gestrenger Oberlehrer ganz Europa auf Kurs gebracht hatte, wenigstens dem eigenen Wahlvolk gegenüber – vielleicht in dem Glauben, außerhalb Deutschlands würden die Parolen nicht wahrgenommen).

Das Dumme daran: Die Selbstzufriedenheit dieser Jahre führte zum Stillstand. Dazu, sich selbst ständig auf die Schultern zu klopfen und dabei wichtige Reformen in den Bereichen Bildung, Digitalisierung und Einwanderung (Fachkräfte, nicht wahr) zu versäumen. Wirtschaftlich lief’s ja prima, für die Reichen wenigstens – warum sollte also nicht alles bleiben, wie es ist?

Die anderen sollten ihre „Hausaufgaben machen“, war damals oft zu hören; doch gleichzeitig haben die Deutschen ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Sie hielten es nämlich nicht für nötig. Man glaubte an den eigenen, automatischen Welterfolg; den Lohn dafür, eben nichts anderes zu tun, als „deutsch“ – zu sein.

So hat man die Zeichen nicht gesehen; saß bräsig und selbstgefällig herum, während Infrastruktur verfiel, Verkehrswesen und Schulsystem veralteten, und hat nebenbei die Digitalisierung verschlafen. Deutschland führte doch wirtschaftlich in Europa! Klar: Wir „führten“, weil wir uns zum Niedriglohnland machten; weil das billige Exporte ermöglichte; weil das u.a. auch die Wirtschaft anderer europäischer Länder schädigte. Von der Verarmung von Teilen der eigenen Bevölkerung ganz zu schweigen.

Kurz: Lief doch super, nicht wahr? Statistisch wenigstens – Deutschland, ein „reiches Land“ laut BIP. Daß das so bleiben würde, gerade wenn man nichts tat, ergibt sich notwendig aus dieser nationalistischen Selbstzufriedenheit. Denn was uns glauben gemacht wurde, was wir glauben wollten, waren ganz andere Gründe für diesen Erfolg – nämlich, daß wir als „Volk“ so fleißig und strebsam waren, nicht wie die anderen Faulpelze da, und daß das gewissermaßen ethnische Qualitäten seien, angeboren, inhärent, die uns eine Art verdienten, naturgewollten Dauererfolg bescheren würden.

Währenddessen hatten andere an E-Autos getüftelt, ihre digitale Infrastruktur auf Vordermann gebracht, oder auf Förderung ausgerichtete, sozial gerechtere Schulsysteme am Laufen; sorgten dafür, daß der Bildungsstandard der breiten Bevölkerung höher war als in Deutschland. Wir aber hielten fest am Verbrenner, am Fax, an einem Schulsystem, das ein Relikt wilhelminischer Zeiten ist. Und blieben auch in anderen Bereichen, zahllosen, in den Stillstand vernarrt. So hatten deutsche Betriebe zwar viel an den Schulabgängerïnnen herumzumäkeln und generell keine Lust, selbst auszubilden; aber ausländische Fachkräfte wollte man auch nicht so wirklich. Sie sollten am Besten, weil man ihre Abschlüsse opportunerweise nicht anerkannte, erstmal für Dumping-Löhne fronen; und durften sich darüber hinaus über eine stets frei flottierende Fremdenfeindlichkeit freuen.

:: Geschichte wiederholt sich nicht. Sie reimt sich.

Ein Nachtrag zu zwei kürzlich veröffentlichten Artikeln.

Im letzten der Erklärungs-Artikel für den Erfolg der AfD hatte Herr Sathom die These aufgestellt, daß das Erstarken der politischen Rechten sich auch einer jahrzehntelangen, falschen Politik verdankt – einer, die rechtem Gedankengut gestattete, in der Bevölkerung fortzudauern und sich zu verbreiten. Als Ursache machte er dabei aus, daß man Vertreterïnnen rechter Positionen zu lange entgegenkam, um zu vermeiden, daß sie parlamentarisch erstarken – damit aber nur erreichte, daß sie den Eindruck gewinnen mußten, mit ihren Positionen zum anerkannten Mainstream, zu den Inhabern der Deutungshoheit und der gesellschaftlichen Macht, zu gehören. Daß man ihr Ideengut somit also am Leben erhielt, und sie stärkte. Und daß der momentane Rechtsruck auch aus der Enttäuschung herrührt, plötzlich – im Zuge der Globalisierung und progressiver Bewegungen – nicht mehr gesellschaftlich dominant sein zu sollen.

Noch etwas früher wurde ein anderer Aspekt beleuchtet – der, daß das bewußte Schüren von Angst und Wut rechte Positionen stärkt; insbesondere dann, wenn bürgerliche Parteien wie die CDU/CSU versuchen, darin mit der AfD zu wetteifern.

Betrachten wir diese beiden Punkte einmal zusammengeführt. Wir sehen dann einmal mehr, daß Geschichte sich vielleicht nicht wiederholt, aber reimt.

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:: AfD-Erfolge erklärt: Der schäbige Rest (I)

You do not turn a tiger into a vegetarian by continuing to feed it steak.
– Beau of the Fifth Column

Herr Sathom hatte zuletzt versucht, einige der Gründe für den Erfolg der AfD zu erklären – jedenfalls das, was er für die Gründe hält. Diese Erklärungen bezogen sich allerdings auf die aktuelle Situation, z.B. die Vielfalt der Krisen, und allgemeine sozialpsychologische Phänomene. Dieser Erklärungsversuch läßt jedoch Lücken. Gesellschaftliche Phänomene haben niemals nur eine Ursache. Sie sind multikausal – beruhen also auf Ursachenbündeln.

Wie schon erwähnt, fällt es rechtskonservativer und rechtsextremer Propaganda leicht, an schon bestehende Empfänglichkeiten, z.B. rassistische Vorstellungen, anzuknüpfen. Aber woher rühren diese? Wie können sie, 78 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes, noch wirken – trotz aller angeblicher „Aufarbeitung“? Das zu klären, erfordert einen Blick in die jüngere Geschichte.

Die These dabei: Daß die Rechte in Deutschland einen solchen Erfolg haben kann, hat tiefer gehende Wurzeln – solche, die sich durch alle Nachkriegsjahrzehnte ziehen. Der Schatten der Nazis ist nie verschwunden, ein Potential, stets bereit, wieder zu wachsen; er wurde am Leben erhalten durch eine verfehlte Politik, gescheiterte Kommunikation, und – anders als Rechte gern behaupten – eher zu wenig, als zu viel Aufarbeitung. Es sind diese Fehler, die uns jetzt einholen.

Ich möchte das anhand von zwei Beispielen demonstrieren.

(Und nein, ich vergesse die DDR nicht, auch wenn ich mich im Weiteren auf die alte Bundesrepublik, und Gesamtdeutschland nach dem Mauerfall, konzentriere; da ich aber nicht dort gelebt habe, kann ich aus eigener Beobachtung nur etwas zur diesbezüglich falschen Politik der Bundesrepublik sagen. Was die DDR vor 1989 angeht, wäre ich auf Vermutungen angewiesen, die Beobachtungen aus der Nachwendezeit entstammen.)

Nichts rechts von der CSU: Der Kardinalfehler

Neonazis, die in der Bundesrepublik jüdische Friedhöfe schändeten oder andere Verbrechen begingen, konnten bis in die 1980er Jahre auf milde Richter hoffen. Politik, Medien und Justiz waren schnell damit bei der Hand, die meist jugendlichen Täter in Schutz zu nehmen – sie seien betrunken gewesen, hätten nur provozieren wollen, nicht gewußt, was sie da taten. Es gebe, hieß es immer wieder, keinen ideologischen Hintergrund. Diese Leute seien also nicht wirklich Antisemiten; und keinesfalls Nazis.

Der Wunsch nach Verharmlosung, sogar Leugnung, erstreckte sich sogar auf eindeutige Terroranschläge. Als nach dem Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 feststand, daß nicht die RAF verantwortlich zeichnete, sondern ein junger Neonazi, sollte dieser unbedingt ein geistig verwirrter Einzeltäter gewesen sein – offensichtliche Verbindungen zur nazistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ wurden nie völlig aufgeklärt. Noch im Vorfeld des Anschlags hatte der damalige CSU-Kanzlerkandidat und bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß die Wehrsportgruppe öffentlich verharmlost und den damaligen FDP-Innenminister für deren Verbot wütend attackiert (u.a. hatte Strauß lange „jede von der WSG ausgehende Gefahr bestritten“ und noch im März 1980 gefordert, deren Gründer „in Ruhe zu lassen“).

Franz Josef Strauß. Bei diesem Namen müssen wir kurz verharren. Strauß prägte den berühmten Satz, rechts von der CSU dürfe es in Deutschland keine politischen Parteien geben.

Was soll das heißen?

Vogel-Strauß-Politik à la Franz Josef

Es handelt sich um die Idee, man könnte ein neues Erstarken des Nazismus in der BRD verhindern, indem man denjenigen, die dazu tendieren würden, eine „politische Heimat“ bietet. Eine weniger laute Alternative, die jedoch die grundlegenden Einstellungen dieser Menschen – Rassismus, Homosexuellenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit etc. – bedient. Und dabei nicht von „Rassenschande“ o.ä., sondern von harmlosen Dingen wie Heimatliebe, Tradition, Leitkultur redet. Zugleich wurde als Hauptfeind der Kommunismus bzw. Sozialismus ausgemacht und grundsätzlich als gefährlicher betrachtet – ein Banner, unter dem man die Verteidigerïnnen und die rechten, potentiellen Gegnerïnnen der Demokratie immerhin vereinen könnte (und eine, in Zeiten des Kalten Krieges und der RAF, nicht ganz abseitige Gefahreneinschätzung).

:: Kulturkampf statt Problemlösung: Angstmache als Propaganda

„Fear is the mind-killer.“
Frank Herbert, Dune

Reden wir über einen Punkt, der im letzten Artikel schon angesprochen wurde. Einen, der jedoch eine eigene Betrachtung verdient – eine etwas eingehendere.

Zur Wiederholung: Laut Umfragen von Infratest dimap gaben nach der Landtagswahl in Bayern 85% der AfD-Wählerïnnen an, es sei ihnen egal, daß die Partei als rechtsextrem gälte, so lange sie nur „die richtigen Themen“ anspreche; in Hessen waren es 80%.

Was sind nun die „richtigen Themen“?

Daten von Infratest dimap zeigen ebenfalls, daß 55% der Personen, die bei den bayrischen Landtagswahlen für die AfD stimmten, Zuwanderung als größtes Problem betrachten. Deutschlandweit tun dies laut ARD Deutschlandtrend immerhin 44% der Bürgerïnnen.

Die „richtigen“ statt der wichtigen Themen

Andere Themen folgen erst mit großem Abstand. Man muß sich das einmal klarmachen: Deutschland steht vor gewaltigen Herausforderungen; der Klimawandel wird in den kommenden Jahren der Bevölkerung, der Landwirtschaft und damit der Lebensmittelversorgung, der Wirtschaft allgemein verheerende Schäden zufügen; und dennoch gilt er nur 18% der Befragten als wichtiges Problem. Andere, brennende Themen wie Armut und soziale Ungerechtigkeit (13%) und die wirtschaftliche Lage (11%) liegen ebenfalls weit abgeschlagen am Ende der Skala. Und das, obwohl es um die Wirtschaft nicht zum besten steht – auch deshalb, weil konservative Politik in den letzten Jahren bei zukunftsträchtigen Technologien, mit denen in den kommenden jahrzehnten das große Geld gemacht werden wird, geschlafen oder blockiert haben (z.B. Solarzellenproduktion und E-Autos).

Die Themen Wohnen und Mieten erreichen sogar nur 5%, während die Wohnungsnot weiterhin zunimmt. Die Bildungskrise kommt unter den Problemen, die die Menschen beschäftigen, nicht einmal vor.

Man muß sich vor Augen führen, was für Prioritäten diese Wählerïnnen setzen. Die genannten Themen bedürfen dringender Lösungen – sollten uns unter den Nägeln brennen. Sie zu ignorieren, oder auch nur zu vernachlässigen, bedeutet, zukünftigen Katastrophen Tür und Tor zu öffnen; einen wirtschaftlichen Niedergang des „Standorts Deutschland“ herbeizuführen; sozialen Sprengstoff anzuhäufen. Doch weder die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich, noch die Wohnungsnot in den Städten, nicht einmal der drohende Untergang der Menschheit erreichen annähernd den Umfragewert dieses Themas: Zuwanderung.

„Umfragesieger“ ist eine „Bedrohung“ die, vergleicht man Zuwanderungszahlen mit der aktuellen Bevölkerung von über 83 Millionen Menschen, vergleichsweise vernachlässigbar ist.

Macht man sich das also klar, klar, was die wirklichen Probleme sind, muß man sich fragen: Wie kommt es zu einer solchen verzerrten Setzung von Prioritäten?

Aber, aber Herr Sathom – steht es wirklich so schlimm? Sind diese anderen Themen wirklich so viel wichtiger, und müssen wir gleich die „Katastrophe“ an die Wand malen?

Nun – hier ein Beispiel, um klar zu machen, wie fatal die Lage wirklich ist. D-Land leidet bekanntlich unter Fachkräftemangel. Bleibt die Bildungssituation so miserabel wie jetzt, woran eine verschlafene Digitalisierung der Schulen, allgemein zu niedrige Mittel für Bildung, und ein veraltetes Schulsystem beitragen, werden wir diese Fachkräfte wohl kaum bekommen, wenn wir diese Probleme weiterhin nicht angehen. Abgesehen davon: Selbst wenn AfD-Anhängerïnnen noch so viel poppen, würde ihr Nachwuchs erst in 18 Jahren so weit sein, eine Ausbildung zu machen – und dann aus diesem, wie gesagt maroden, Schulsystem kommen. Gleichzeitig werfen AfD, CDU/CSU und Freie Wähler mit einer fremdenfeindlichen Propaganda um sich, die ausländische Fachkräfte kaum ermutigen wird, sich hier anzusiedeln. Denn, fun fact: Diese Leute informieren sich natürlich über potentielle Aufnahmeländer, ehe sie losziehen.

:: Was ihr wählt ist was ihr seid

Man hört es immer wieder: Viele AfD-Wählerïnnen seien doch gar nicht rechtsextrem. Sondern Menschen, die diese Partei nur aus Unzufriedenheit wählen, aufgrund wirtschaftlicher Nöte, oder allgemein aus Protest. Um denen da in Berlin einen „Denkzettel“ zu verpassen. Die Häufung der Krisen und die chaotische Ampel-Politik halt, da platzt manchen Leuten die Ader. Man dürfe sie deswegen doch nicht in die „rechte Ecke“ stellen. Jaa, die AfD selbst, da gibt es radikale Positionen, aber die Wählerïnnen? Bitte doch nicht alle über einen Kamm scheren und mit der Nazi-Keule draufhauen.

Diese Darstellung war kürzlich erst, im Vorfeld der Landtagswahlen in Hessen und Bayern, wieder in Umlauf, ist es aber auch sonst immer wieder. Die Wählerïnnen der AfD selbst verteidigen sich damit, oft empört über den Vorwurf, rechtes Gedankengut hegen zu sollen; aber auch Dritte eilen geschwind herbei, um sie in Schutz zu nehmen.

Mit dieser Darstellung gibt es nur ein Problem.
Sie ist nämlich Bullshit.

Man kann ja behaupten, man sei selbst nicht rechtsextrem, und dabei beleidigt gucken – das ändert nichts daran, daß man einer rechtsextremen Partei ins Parlament verhilft; und ihr damit ermöglicht, ihren rechten Parolen ggf. Taten folgen zu lassen. Für diese rechtsextreme Politik ist man dann auch verantwortlich. Ganz gleich, ob man sie befürwortet oder (angeblich) nicht.

Was für Taten das wären, sagen uns AfD-Politikerïnnen ständig ganz offen ins Gesicht. Sie tun es überall und jederzeit, laut und deutlich – niemand kann also behaupten, nicht gewußt zu haben, wen er da wählt.

Das gilt natürlich auch für Politik einer rechten Bundesregierung, sollte die AfD z.B. bei der nächsten Bundestagswahl den nötigen Erfolg haben. Dann würde es richtig gefährlich.

Es gibt zahllose Zitate von Björn Höcke und anderen AfD-Politikerïnnen, die keinen Zweifel daran lassen, daß sie nicht nur rechtsextreme, menschenverachtende Positionen vertreten, sondern mehr als willens und bereit sind, diese nach einer Regierungsbildung auch – wenn es ein muß, mit brutaler Gewalt – durchzusetzen. Gewalt, die sich nicht „nur“ gegen Migrantïnnen, Homosexuelle oder sonstige Minderheiten richten würde; sondern auch gegen Andersdenkende, die als weiße, heterosexuelle „Normalmenschen“ eigentlich zum „Volk“ gehören. Höcke nennt das einen „Aderlaß“, bei dem man „leider ein paar Volksteile verlieren“ werde, die „zu schwach oder nicht willens sind“, um etwa Massendeportationen von Migrantïnnen kritiklos hinzunehmen.

Rechte Politik ermöglichen, aber selbst nicht rechts sein wollen

Solche und andere Zitate finden sich zuhauf, z.B. hier, hier und hier. Daß die AfD rechtsextreme Positionen vertritt, und daß sie diese Positionen auch – nötigenfalls mit Gewalt – durchsetzen will, sagt sie uns bei jeder Gelegenheit. Sie verheimlichen es nicht einmal. Jede(r) kann das also wissen. Und muß sich schon fragen lassen, wie man nicht rechts stehen kann, wenn man „aus Protest“ eine solche Partei wählt, und nicht. z.B. die Linke.

Wenn also Leute die AfD wählen, sich aber strikt dagegen verwahren, selbst rechts zu stehen; wenn es sie sogar empört, mit Nazis gleichgesetzt zu werden; dann gibt es dafür nur drei mögliche Erklärungen:

  1. Diese Leute sind sehr wohl Rechte bzw. Nazis und lügen bloß.

  2. Diese Leute wählen AfD, weil ihnen der Umstand, daß die AfD bei erster Gelegenheit einen Nazi-Terrorstaat errichten würde, egal ist.

  3. Sie sind tatsächlich so dumm, eine Partei zu wählen, deren Ziele sie gar nicht kennen, weil sie glauben, die würde halt irgendwie irgendwas besser machen.

Herr Sathom fürchtet, wenn er den Blick rückwärts in die deutsche Geschichte richtet, daß die zweite Gruppe die zahlenstärkste ist – und bei kommenden Wahlen ausschlaggebend werden könnte. Er vermutet, auch im originalen „Tausendjährigen Reich“ dürfte sie die Mehrheit gestellt haben.