Archiv der Kategorie: Gelesen

:: Comic-Tipp: Henrietta Achilles macht Feierabend

Wir gehen in die Zielgerade: Nachdem die ersten zwei Bände der Serie A House Divided von Haiko Hörnig und Marius Pawlitza hier, und der dritte Band hier besprochen wurden, kommen wir zum abschließenden Band 4: The Lost Daughter.

Wieder gilt: Da es wegen des deutschen Urheberrechts schwierig ist, Bildzitate zu zeigen (aussagekräftige jedenfalls), hier noch einmal die offiziellen Leseproben zu Band 1, Band 2, Band 3 und Band 4. Und erneut die Warnung: Die Proben zeigen jeweils den Beginn jedes Bandes; das erzeugt natürlich Spoiler, wenn man die vorherigen Bände nicht kennt. Besonders die Probe von Band 4 kann dazu führen, daß man – ungefähr – weiß, womit Band 3 endet (minus einer weiteren Entwicklung ganz zum Schluß).

Wie auch immer – die Bewertung war bisher positiv, für den dritten Band mit der leichten Einschränkung, daß Charaktermomente zu kurz kommen; bisher jedenfalls hatte ich A House Divided mit großer Freude gelesen. Wird der Abschluß der Saga dem gerecht?

Das Ende ist das Ende ist das Ende

Leider muß Herr Sathom sagen, daß er von diesem Band – zumindest von dessen zweiter Hälfte und dem Schluß – doch ein wenig enttäuscht ist. Das kann teilweise auch an ihm liegen. Denn er – also ich – hat in seinem Leben schon Tonnen von Fantasy, Science-Fiction und anderer Genreliteratur gelesen und auch zahllose Filme aus diesen Bereichen konsumiert; und ihm fällt immer häufiger auf, daß er finale, „überraschende“ Wendungen, sogar ganze Handlungsverläufe, fast immer voraussehen kann. Nicht, weil ich so schlau wäre; sondern weil ich so viele Erzählungen kenne, und mit den handwerksüblichen Erzähltechniken so vertraut bin, daß mein Gehirn fast automatisch (beinahe) jeden Schluß errät. Im vorliegenden Fall war mir die wahre Identität der „Verräterin“ – quasi der vermeintlichen Oberschurkin – bereits in Band 2 klar, und nach der Lektüre von Band 3 hatte ich eine ziemlich klare Vorstellung davon, wer der „Mystery Character“ ist, der sich bis dahin für eine andere Person ausgegeben hatte. Ich freue mich ja immer, wenn man mich mit etwas Originellem überrascht, hoffe sogar jedes Mal, daß ich mich irre, doch diesmal war es nicht so – die, vielleicht überraschend gemeinten, Enthüllungen am Ende der Story überraschten keineswegs. Wie gesagt – leider ist das ein Problem, das offenbar von zu langer Fanlaufbahn herrührt und nicht zwingend einen Mangel der vorliegenden Geschichte darstellt, aber … Manchmal langweile ich mich dieser Tage halt. Andererseits richtet sich A House Divided ja an jüngere Leserïnnen mit weniger verstopften Köpfen, weshalb dieser Kritikpunkt vernachlässigbar ist.

Daß ich Enden à la „Alle sehen ihre Fehler ein und versöhnen sich“ etwas klischeehaft finde, ist ein rein subjektiver Einwand; wieder gilt: Die Bücher richten sich an Kinder und Jugendliche, und da paßt das wieder.

Einige Mäkeleien

Aber kommen wir zu den echten Kritikpunkten.

Eine kleine Bemerkung vorab: da ich Spoiler vermeiden will, bleiben einige hier geäußerte Kritikpunkte vielleicht schwer nachvollziehbar; ich hoffe, die richtige Balance gefunden zu haben und weder zuviel zu verraten, noch zuviel unklar zu lassen. Falls etwas unklar bleibt: Mea Culpa.

Also: Die Action ist in der ersten Hälfte des vierten Bandes weiterhin furios und serviert einige Höhepunkte, sowohl spannungstechnisch als auch visuell; alle bisher etablierten Figuren haben beim Kampf zwischen den Belagerten und den Steinmonstren etwas zu tun, so daß das gesamte Figurenensemble zu seinem Recht kommt. Leider führt das auch zum wiederholten Einsatz einer Technik, die man als squeecore bezeichnet – Spannungsmomente, die fast sofort entschärft werden, von Charakteren, die noch in höchster Not einen kessen Spruch auf der Lippe haben. Das scheint seit einigen Jahren in Mode zu sein, ersetzt vielleicht das früher auch oft überstrapazierte Mittel des comic relief, kommt hier aber etwas zu oft vor. Die Figuren wirken dann manchmal weniger wie fühlende, denkende Charaktere denn wie Sprechpuppen für coole One-Liner. Dennoch ist dieser Teil, der etwa die Hälfte des ersten Bandes einnimmt, nicht „schlecht“; er ist ausgesprochen spannend, witzig und gruselig.

:: Comic-Tipp: Henrietta Achilles hat (noch mehr) Ärger

Gut. Kommen wir zu etwas Schönem zurück.

Nach der Überblicks-Rezension zur Serie A House Divided von Haiko Hörnig und Marius Pawlitza und deren erste zwei Bände geht es hier um Band 3, The Winter of Walking Stone; der abschließende Band 4 wird in Kürze besprochen.

Vorweg noch einmal ganz kurz: Die ersten zwei Bände, Ein gefährliches Erbe und Ein Licht in der Dunkelheit, erschienen bei Carlsen; dann verschwand die Serie aus unerfindlichen Gründen plötzlich, um beim US-Verlag Lerner Publishing wieder aufgelegt, und mit zwei weiteren Bänden zuende geführt zu werden. Über einen Zeitraum von ca. fünf Jahren war also hierzulande nichts mehr zu hören. Inzwischen haben Hörnig und Pawlitza allerdings per Kickstarter-Kampagne Geld gesammelt, um eine neue, deutsche Gesamtausgabe herauszubringen – wann und wie diese erscheinen wird, ist allerdings noch unklar (siehe dazu mehr in der vorangegangenen Rezension).

Da es wegen des deutschen Urheberrechts schwierig ist, Bildzitate zu zeigen (aussagekräftige jedenfalls), hier noch einmal die offiziellen Leseproben zu Band 1, Band 2, Band 3 und Band 4. Faire Warnung: Die Proben zeigen jeweils den Beginn jedes Bandes; die für Band 2-4 enthalten natürlich Spoiler, wenn man die vorherigen Bände nicht kennt. Besonders die Probe von Band 4 kann dazu führen, daß man – ungefähr – weiß, womit Band 3 endet (minus einer weiteren Entwicklung ganz zum Schluß).

Soviel dazu; Herr Sathom hatte ursprünglich die Carlsen-Ausgabe gekauft und sich inzwischen Band 3 und 4 der englischsprachigen Lerner-Ausgabe (The Winter of Walking Stone und The Lost Daughter) besorgt. Halten diese, was seine begeisterte Erinnerung an die ersten beiden Bände hoffen ließ?

Back in Style

Wie schon erwähnt hatte ich sofort begonnen, mit fliegenden Fingern sozusagen, im dritten Band zu lesen – und das, obwohl ich mir ja eigentlich vorgenommen hatte, zuvor die ersten beiden Bände noch einmal zu lesen, um meine Erinnerung aufzufrischen.

Und wie ebenfalls erwähnt, war ich dennoch sofort wieder „drin“ – in der Handlung, bei den Hauptfiguren, von Handlung und Charakteren in Beschlag genommen. Was zunächst für die Qualität der ersten beiden Bände spricht, denn dazu müssen einem die Hauptfiguren sehr ans Herz gewachsen sein, die wesentlichen Handlungsereignisse nach so langer Zeit noch lebendig vor Augen stehen – und das Leseerlebnis selbst in positiver Erinnerung sein, und sich eben deshalb in der Erinnerung festgesetzt haben.

Jedenfalls gelingt es dem dritten Band, einen sofort wieder in den Lauf der Ereignisse hineinzuziehen. Auf einen witzigen und dialogtechnisch gelungenen Anfang, der sofort wieder für die Charaktere einnimmt, folgt eine traurig-melancholische Abschiedsszene: Henriettas neue Freundïnnen, die einst verfeindeten Markgrafen-Soldaten und die Räuberbande, müssen Lebwohl sagen. Henrietta hat kaum Zeit, sich ihrer plötzlichen Einsamkeit bewußt zu werden, denn eine sich rasch aufbauende Bedrohung gefährdet das Haus, seine Bewohner, und das Dorf. Die Handlung wird unvermittelt spannend, sogar unheimlich; bedrohlich. Solche – manchmal schnell wechselnden – Stimmungen zu erzeugen und, bei mir jedenfalls, sofort die entsprechenden Gefühle wachzurufen, gehört zu den großen Kunststücken, die dem Kreativteam immer wieder gelingen.

:: Comic-Rückblende: Henrietta Achilles hat Ärger

Und was für welchen. Eben noch eine Waise und vernarrt in die Abenteuerbücher über eine Heldin namens Virginia Sly, entpuppt sie sich plötzlich als Erbin eines geheimnisvollen Onkels, von dessen Existenz sie bisher nichts wußte; eine Kutsche holt sie vom Waisenhaus ab und bringt sie in ein Dorf, dessen Bewohner nicht alle von ihrer Ankunft begeistert scheinen (aber sehr bemüht so tun). Es stellt sich heraus, daß ihr Onkel ein berühmter und zugleich bei Vielen unbeliebter Zauberer war, dessen Anwesen sie geerbt hat – und gewisse, damit verbundene Schwierigkeiten … große Schwierigkeiten.

So begann 2016 bei Carlsen die Serie A House Divided von Haiko Hörnig (Text) und Marius Pawlitza (Illustration). Die erste Ausgabe fiel mir zufällig in die Hände, denn eine Freundin und Lehrerin hatte sie im Rahmen eines Buchprojekts ihrer Schule bei sich zuhause. Nach einigem Herumblättern beschloß ich, das Buch zu kaufen, und setzte den Entschluß gleich in den nächsten Tagen um. Die Geschichte begeisterte mich so, daß ich die Fortsetzung kaufte, die 2018 erschien. Und dann, nachdem dieser ebenso großartige Band mit gleich zwei, so unheilvollen wie und spannenden, Cliffhangern endete, war plötzlich – Schluß.

Trotz Ankündigung für 2020 kein dritter Band. Nach starkem Start war A House Divided plötzlich, so spur- wie geräuschlos, verschwunden.

So was kommt vor

Eine brüchige Publikationshistorie von Comics ist nicht selten. Und nicht immer kennt man die Hintergründe: Trotz Recherche ist mir nicht gelungen, herauszufinden, was da los war. Lag das Problem beim Carlsen-Verlag, oder bei Verfasser und Zeichner, bekamen die beiden vielleicht ein besseres Angebot, oder war Carlsen mit den Verkaufszahlen unzufrieden, obwohl A House Divided bei Erscheinen recht positive Kritiken erntete? Ich erfuhr nur beim Comichändler meines Vertrauens, daß weitere Bände wohl bei einem amerikanischen Verlag erscheinen sollten. Zeitgleich verschwand die bis dahin online verfügbare Webcomic-Version. Ich harrte und hoffte (und nervte die Leute beim Groben Unfug) also noch eine Weile, aber A House Divided, das mit einigem Zuspruch begonnen hatte, blieb verschwunden.

Bis mir das Ganze kürzlich wieder einfiel und ich mal online nachsah, was nun ist. Und siehe da: Die zwei nächsten, abschließenden Bände sind in den USA bei Lerner Publishing erschienen. Und lassen sich über den Buchhandel zum Glück auch hierzulande bestellen (Lerner selbst liefert nicht direkt nach D). Übrigens liegen bei Lerner alle Folgen, auch die erste und zweite, in englischer Übersetzung vor – und in den USA bekam die Serie glühend positive Kritiken, z.T. von prominenten Comic-Künstlerïnnen, deren Strips auch hierzulande erscheinen. Nur mal so nebenbei bemerkt, Carlsen.

Leseproben gefällig?

Comic-Rezensionen ohne Bilder sind ein Schmerz im A…, aber das Urheberrecht hierzulande ist auch eins. Zum Glück gibt es auf der Website von Autor und Zeichner, pengboom.de, Leseproben für jeden Band (allerdings englischsprachig), die einen Eindruck von Illustrationen und Storytelling vermitteln. Hier sind die Links zu Band 1, Band 2, Band 3 und Band 4. Faire Warnung: Die Proben für Band 2-4 enthalten natürlich Spoiler, wenn man die vorherigen Bände nicht kennt; tatsächlich würde ich empfehlen, die Probe von Band 4 nicht zu lesen, weil man dann – ungefähr – weiß, womit Band 3 endet (minus einer weiteren Entwicklung ganz zum Schluß).

Ein erster Eindruck

Aber wie ging es mir nun mit der Fortsetzung, die ich endlich in Händen hielt?

Nun – eigentlich wollte ich noch einmal in aller Ruhe die ersten zwei Bände lesen, ehe ich die neuen in Angriff nehme; immerhin waren Jahre vergangen, und ich wollte mich zuerst wieder auf den Stand der Dinge bringen. Aber irgendwie komme ich anscheinend in ein Alter, in dem ich mich wieder wie ein Kind an Weihnachten fühle, wenn ein bestellter Nerd-Artikel eintrifft, und blätterte stattdessen sofort los.

:: Die Phantome des Herrn Sathom (Zauberstern-Rezensionen, die Dritte)

So, letzte Runde. Nach der Rezension von Phantom Nr. #6 des Zauberstern Verlags hier ein Überblick über die Hefte #1 – #4 (Nr. #5 und #7 liegen mir nicht vor). Kurz zur Erinnerung: Zauberstern veröffentlicht seit letztem Jahr wieder großformatige Phantom-Comics, die ähnlich wie die in den 1970ern und 80ern bei Bastei erschienenen Hefte im Magazinformat gehalten sind; mehr dazu hier. Jetzt aber in medias res (hochgradige Spoiler-Warnung!):

He did the Mash … The Monster Mash

Die Hefte #1 und #2 sind ein gemischter, aber vielversprechender Anfang. In einer Fortsetzungsstory, die sich über beide Ausgaben erstreckt, begegnet das Phantom niemand geringerem als Frankensteins Monster.

Zeichnerisch ähnelt der Stil dem von Mike „Hellboy“ Mignola, ohne dessen Niveau zu erreichen; die visuelle Umsetzung – besonders die Darstellung des „Monsters“ – und die atmosphärische Gestaltung sind dennoch weitgehend gelungen, weisen aber merkwürdige Brüche auf (Tipp für angehende Comic-Künstlerïnnen: Wenn ihr keine Tiger zeichnen könnt, baut keine in eure Geschichte ein). Insgesamt ist die visuelle Umsetzung jedoch professionell und unterstützt die tragische Story hinreichend.

Letztlich handelt es sich bei „Der Geist und das Monster“ um eine gelegentlich völlig irre, aber keineswegs schlechte Geschichte. Sie hat starke Momente und Szenen, streift schwierige Themen – z.B. Fragen der Schuld, Identität, und einer toxischen Vater-Sohn-Beziehung –, ohne diese über das für eine Actionstory verträgliche Maß zu vertiefen, und sie weckt wirkliche Empathie mit der Kreatur. Das Ende ist, nun, ich will das Ende nicht spoilern, aber diesem rührseligen alten Knacker hier hat’s gefallen. Da verzeiht er auch ein, zwei logische Brüche, die unabhängig von der deutschen Fassung in der Geschichte stecken (Bösewicht verschleppt Phantoms Freundin und das Monster ans andere Ende der Welt, Phantom eilt zur Rettung, Dialog (sinngemäß): „Wie hast du uns gefunden?“ – „Ich bin das Phantom, ich kann sowas.“).

Das gilt auch für einen kleinen redaktionellen Fuck-Up: In Heft #1 wird im letzten Bild von Seite 11 ein Satz beendet, der vorher nirgends angefangen wurde – auf einer Seite, die ansonsten keinen Dialog oder Begleittext, und auch keine leeren Sprechblasen oder Textkästen enthält. Was da los war und warum es niemand auf redaktioneller Seite bemerkte, ist mir ein Rätsel (dito, ob das ein Problem der Übersetzung oder ein schon im Original vorhandener Fehler ist).

Interessant ist auch die Darstellung von Phantoms Lebensgefährtin Diana, die keineswegs das wehrlose Heimchen gibt: Sie kann durchaus Bösewichten eins mit der Schrotflinte mitgeben oder sich aus Handschellen befreien, und sie begegnet dem „Monster“ Adam furchtlos, mit Empathie und Respekt. Und sie hat am Ende die Idee, die zum oben angedeuteten Ende führt. Diese selbstbewußte und kompetente Darstellung ist ein weiterer Pluspunkt der Story.

In beiden Ausgaben finden sich außerdem zwei in sich abgeschlossene Sonntagsseiten-Stories des Phantom-Erfinders Lee Falk. Ich muß gestehen, daß beide erzählerisch und inhaltlich nicht mein Fall sind – das gilt durchaus nicht für alle von Falks Stories, z.B. nicht für die sehr frühen, die in den 1980ern in der Sprechblase abgedruckt wurden; doch die vorliegenden, in denen Phantom beide Male Frieden zwischen Menschen und anderen Völkern stiften muß (einmal Fischmenschen, einmal „Riesen“, vermutlich aber durchaus etwas groß geratene Menschen), sind eher betulich-belanglos geraten und höchstens für Hardcore-Fans interessant. Spannend wäre allerdings, die Entwicklung von Falks Originalstories einmal nachzuvollziehen, um zu sehen, ob es sich hierbei um Zufall oder eine erzählerische Entwicklung des „späten“ Lee Falk handelt.

Terroristenjagd rund um die Welt

In Heft #3 beginnt eine Fortsetzungsgeschichte der US-amerikanischen Moonstone-Produktion. Da sie sich über die Ausgaben #5 und #6 erstreckt und damit die „Hauptlast“ des bisher veröffentlichten Materials trägt, verdient sie besondere Aufmerksamkeit. D.h. Herr Sathom wird da noch nachliefern müssen. Leider war nämlich Heft #5 nicht mehr erhältlich (yours truly wird es bestellen müssen), so daß mir ein wesentlicher Teil der Geschichte fehlt. Dennoch läßt sich bereits einiges sagen.

:: Nicht totzukriegen: Der Wandelnde Geist!

Ich neige manchmal zu Impulskäufen. So auch vor einigen Wochen – der betreffende Artikel war mir schon einige Zeit früher aufgefallen, und eine Mischung aus Neugier, Nostalgie und beschwingter Feierabendlaune ließ mich diesmal zugreifen. Es handelt sich um ein Comicheft, das in den 1970er Jahren vom Bastei-Verlag vertrieben wurde, und das nun offenbar bereits seit letztem Jahr wieder die Kioske unsicher macht; den Älteren wird der Titel dieses Beitrags schon verraten haben, wer darin herumspukt. Ja, es ist Phantom – The Ghost Who Walks!

Den zu spät geborenen, um Phantom noch zu kennen (bzw. denen, die den letzten Artikel nicht gelesen haben), muß ich das vielleicht erklären. Lee Falks The Phantom, entstanden 1939, handelt von einem Superhelden – äh, nein, Dschungelhelden – oder … also … na ja, vom Phantom eben. Ein Verteidiger des Guten, gekleidet in einen hautengen Anzug, das Gesicht stets hinter einer Maske verborgen, der im Urwald des fiktiven Landes Bangalla für Gerechtigkeit sorgt; eine Mischung aus maskiertem Vigilanten à la Batman, einem Urwaldhelden wie Tarzan, dabei umgeben von einem Mythos – ein Geist, angeblich ein Unsterblicher, dessen scheinbare Übernatürlichkeit jedoch rational erklärt wird (der Anschein der Unsterblichkeit entsteht dadurch, daß jeweils der erstgeborene Sohn die Mission des Vaters fortsetzt).

Phantom war stets eine Figur, der etwas Uneindeutiges anhaftet – weder ein „richtiger“ Superheld noch ein tarzanesker Urwald-Abenteurer, zudem ein Held, der nicht wirklich in der ersten Reihe der Comichelden mitspielte, die Spider-Man (damals in Deutschland Die Spinne) oder Superman hießen; von dem jedoch eine gewisse Faszination ausging, die ihn im Nostalgie-Sektor von Herrn Sathoms Hinterkopf fest verankerte. Ironischerweise kann beides denselben Grund haben – kann, so vermute ich, diese uneindeutige, schwer einzuordnende Widersprüchlichkeit des Phantoms seinen geringeren Erfolg (wenn auch nur hierzulande, und das nur angeblich) ebenso erklären wie seine Faszination.

Tja, also Phantom wieder – diesmal von Zauberstern Comics, einer Sparte des Hörspielproduzenten Zauberstern, und deutlich in Anlehnung an Basteis Phantom-Magazine unserer Kindheit gestaltet. Ist es gut? Diese Frage zerfällt in drei Teile: Erstens, befriedigt es den nostalgischen Wunsch, damalige Lesestunden nachzuerleben? Zweitens, sind das Artwork, die erzählerische Qualität als solche, ganz unabhängig vom Nostalgie-Faktor qualitativ akzeptabel oder sogar hochwertig? Und drittens, liefert es darüber hinaus einen inhaltlichen Mehrwert – genügt neben der visuellen Umsetzung auch der Inhalt den Ansprüchen eines Publikums, das über keine nostalgische Bindung an die Figur verfügt?

Nun – schauen wir rein.

Zaubersterns Phantom

Das Phantom-Magazin des Zauberstern-Verlags druckt Erzählungen der skandinavischen Fantomet-Serie neben älteren, noch von Phantom-Erfinder Lee Falk geschriebenen Zeitungsstrips ab; hinzu kommen neuere Phantom-Stories des amerikanischen Verlags Moonstone und der australischen Frew Publications. Die Serie zeigt uns also Versionen des Phantoms und seines Mythos, die in unterschiedlichen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten entstanden, wobei bisher ein Zeitraum von den 1990ern bis in die 2000er bzw. 2010er abgedeckt wurde.

Ich bin nicht sicher, ob ich das unter Marketing-Gesichtspunkten für ein Erfolgskonzept halte. Da die Comics aus unterschiedlichen Jahrzehnten und Ländern stammen (wobei die weltweiten Lizenznehmer in der Ausgestaltung ihres Phantom-Kosmos gewisse Freiheiten genießen), dürften die Darstellungen des Phantoms und seiner Welt, und die Stellung der Geschichten in nicht nur einer, sondern verschiedenen Kontinuitäten, z.T. widersprüchlich geraten. Auch zeichnerische Qualitätsmerkmale gerade älterer Stories müssen nicht immer heutigen Standards entsprechen. Andererseits kann der Vergleich verschiedener Versionen der Figur natürlich reizvoll sein. Damit dürfte sich diese Publikation allerdings hauptsächlich an Liebhaberïnnen und Sammlerïnnen wenden, die an solchen Aspekten Interesse haben; ein neues, jüngeres Publikum fürs Phantom zu gewinnen, stelle ich mir bei dieser Herangehensweise dagegen schwierig vor. Solche Leserïnnen erwarten vielleicht eine eindeutige Kontinuität. Ein Held, eine ihn umgebende Welt sogar, die sich ständig ändern, erleichtern es nicht gerade, sich auf sie einzulassen. Comics für Jugendliche bieten für gewöhnlich eine Identifikation mit den Heldïnnen an; der hier verfolgte Ansatz verlangt jedoch geradezu eine gewisse Distanz, eine Anerkennung der Fiktionalität des Helden und eine Freude daran, ihn aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten.

:: Comic-Kritik: Jörg Buttgereits Captain Berlin

Puh. Ich glaube, das wird ein Comic-Monat. Und warum nicht? Sommer, Urlaub, Comics lesen – so wir früher in den Schulferien. Das Leben kann gut sein.

Meine Erinnerungen an Sommertage im Schatten eines Apfelbaums beziehen sich hauptsächlich – wenn auch nicht ausschließlich – auf Marvel-Comics, und was wäre da eine bessere Reminiszenz als Jörg Buttgereits Superheld Captain Berlin?

Wer Buttgereit ist, muß ich hoffentlich nicht erklären (ansonsten lest’s hier nach); für unsere Zwecke reicht es, zu wissen, daß er ein absoluter Fan von Trash und trivialer Unterhaltung ist. Seine Kunstfigur Captain Berlin feierte ihr Debüt in einem 1982 in West-Berlin gedrehten Kurzfilm; ihm folgten ein weiterer Film sowie Hörspiele und ein Theaterstück. Der Comic entstand eigentlich als Beigabe zur DVD-Veröffentlichung dieses 2007 entstandenen Theaterstücks, Captain Berlin vs. Hitler, und ging 2013 in Serie.

Das damals am Hebbel-Theater aufgeführte Stück wird uns noch kurz beschäftigen; doch wer oder was ist nun eigentlich Captain Berlin, und was kann er?

Captain B. – der als Cape eine Berlinflagge trägt – ist zu Beginn der Geschichte ein vom deutschen Widerstand erschaffener Supersoldat, der Adolf Hitler ausknipsen soll; das klappt nicht so ganz (ein gewisses Bombenattentat kommt dazwischen), und nach einigen Irrungen und Wirrungen (die ich hier nicht verraten will) landet er in Japan, wo er durch den Atombombenabwurf von Hiroshima verstrahlt wird (also Captain Berlin, nicht Hitler). Sein veränderter Metabolismus absorbiert die Strahlung, und erst jetzt wird er von einem eher an Captain America erinnernden Vigilanten mit gesteigerten menschlichen Fähigkeiten zu einem „echten“ Superhelden, der u.a. fliegen kann.

Was ihn jedoch eigentlich von anderen Helden unterscheidet, ist sein enorm verlangsamter Alterungsprozeß – dieser ermöglicht es Buttgereit und seinem Team, den Captain durch alle Jahrzehnte hindurch an wesentlichen Ereignissen in der Mauerstadt, und später Hauptstadt, teilhaben zu lassen. Das geschieht nicht immer chronologisch – die einzelnen Hefte springen jeweils in die Zeit, in der eine Story spielen soll; das läßt Rätsel und Lücken in der Biographie des Helden, die den Fans Gelegenheit zum Rätseln geben, und von den Autoren nach und nach aufgefüllt werden. Womit es sich nicht eigentlich um Handlungslücken handelt – eher um ein Mittel, Spannung aufzubauen, und zugleich eines, das den Autoren ermöglicht, immer die Geschichten zu erzählen, auf die sie gerade Lust haben. Und diese Lust merkt man den Stories an, die Geschichten machen Freude, weil die Macher welche hatten.

Uns so verhindert Captain Berlin mal ein frühes Attentat auf Rudi Dutschke, begegnet dann einer Parodie auf Nicholas Cage, oder bekommt es mit Aleister Crowley zu tun – stets im Kampf gegen seine Erzfeinde, die Altnazis Ilse von Blitzen und Otto Todt, die von Robotern über Schwarze Magie bis zu Zombies alles aufbieten, was die Gruselkiste hergibt.

Die für ein solches Projekt geeigneten Mitstreiter hat Buttgereit bei Weissblech Comics gefunden – einem Verlag, in dessen Programm nicht nur einige trashig-splatterige Horror-Comics vorkommen, sondern auch ein weiterer Superheld namens Zombieman und diverse vollbusige Heroinen, die sich von der Steinzeit bis in die ferne Zukunft durch diverse, manchmal pornographische Szenarien kämpfen.

Ich will hier nicht verhehlen, daß ich einen Teil des Verlagsprogramms, jedenfalls die „erotischen“ Titel, für pubertären Schrott halte – eben das übliche Zeug für „Erwachsene“, deren Persönlichkeitsentwicklung irgendwann einen Auffahrunfall erlitten hat. Das paßt zu einem manchmal nervigen Gehabe der Verlagsleute, die wie kichernde Halbwüchsige darauf hinweisen, daß dieser oder jener Comic – hihihi – vielleicht spießige Normalos schockieren könnte (übrigens: daß ich in diesem Beitrag aufs Gendern verzichte, liegt daran, daß bei Weissblech (fast) nur Männer aktiv sind). Andererseits scheinen die Horrorcomics teilweise recht intelligent, und bürsten sogar gelegentlich etablierte Handlungsklischees gegen den Strich; ein gemischtes Vergnügen also.

Das gilt allerdings nicht für Captain Berlin. Hier führt die – durchaus augenzwinkernde – Liebeserklärung an den Trash, gepaart mit Nostalgie für entsprechende Produkte, zu ausgezeichneten Ergebnissen. Was wiederum Weissblech zum richtigen Partner für Buttgereit macht, der diese Liebe eindeutig teilt. Das äußert sich nicht immer so deutlich wie in der Story Der schreckliche VHS-Mann, in der ein Superschurke die Berlinerïnnen durch Strahlen dazu bringt, sich wie die amoklaufenden Zombiehorden aus Videofilmen zu verhalten; zieht sich aber deutlich spürbar durch viele Geschichten.

:: Comic-Kritik: Spirou oder die Hoffnung Band 1 – 4

Es ist Sommer 2022, ich habe Urlaub, und ich habe endlich den letzten Band der vierteiligen Comicreihe Spirou oder die Hoffnung gelesen; es war eine lange Reise, seit die Serie 2018 begann – ja, vier Jahre lang, und die Reise hat sich gelohnt. Zeit für eine Rezension.

Vielleicht zuerst eine Erklärung: Spirou oder die Hoffnung ist u.a. das Resultat einer Tendenz, die sich schon länger im frankobelgischen Comicmarkt etabliert hat; nämlich die Schaffung von Hommagen, teilweise auch Umdeutungen alter Helden und Heldinnen. Unabhängig davon, ob Serien noch laufen oder nicht, nehmen sich unterschiedliche Autorïnnen und Zeichnerïnnen der bekannten Figuren an, um ihre eigene Version dieser Ikonen zu schaffen. Diese Neufassungen laufen außerhalb der „normalen“ Serien (meist unter dem Übertitel Le Spirou de …, Le Valerian de … etc., bei Carlsen auf deutsch meist als „Spezial“). Sie kommen manchmal als Hommage daher, wie Ralph Königs jüngstes Lucky Luke-Album, manchmal aber auch als komplette Neufassung oder Umdeutung. Der kommerzielle Hintergrund ist natürlich der, daß die betreffenden Serien entweder offiziell eingestellt sind und man anders kein neues Material herausbringen kann, oder daß sie, falls sie noch laufen, so oft „modernisiert“ wurden, daß inzwischen erwachsene Fans sie nicht wiedererkennen (während die Originalfolgen heutzutage altbacken oder überholt wirken). Man will also erwachsene Leserïnnen, Nostalgikerïnnen, vielleicht auch neue Fans ansprechen, die mit dem alten Material nichts anfangen könnten.

Im Fall von Spirou und Fantasio äußert sich das so, daß manche Autorïnnen und Zeichnerïnnen voll auf der Retroschiene fahren. Z.B. verlegen Schwartz & Yann mit Die Leopardenfrau und Der Meister der schwarzen Hostien die Abenteuer der beiden Helden zurück in die Nachkriegsjahre, nah an ihren Ursprung (Spirou entstand 1938, also ein Jahr vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs); der Zeichenstil imitiert nicht direkt den von Spirou-Erfinder Rob Velter, sondern wirkt wie eine moderne Fassung des Strichs des sehr frühen Franquin, und damit zugleich authentisch und aktuell.

An sich bin ich kein Freund solcher Aktivitäten. Verlagsseitig drückt sich darin (auch) ein inzwischen typisches, kapitalistisches Ausschlachtungsinteresse aus, das noch den letzten Tropfen Leben aus jedem Gut herausquetschen will; das gewissermaßen das neoliberale Mantra von Erfolgs-Coaches umformuliert zu „Wenn dein Pferd tot ist, steig nicht ab“. Was sich z.B. auch im Bereich von TV-Serien und Filmfranchises zeigt (wo es uns in jüngerer Zeit ein so erbärmliches Schauspiel wie Star Trek: Picard beschert hat). Das Ganze ist dennoch mehr als ein bloßes Geschäftsmodell; denn es gibt Kreativen Gelegenheit, ihren Enthusiasmus für ikonische, vielleicht in der Kindheit geliebte Figuren auszudrücken und der eigenen Phantasie freien Lauf zu lassen. Manchmal stecken echte Begeisterung, und gute Ideen dahinter; wenn das der Fall ist, kann man sich nur freuen.

Die Ergebnisse solcher Experimente fallen also unterschiedlich aus – manchmal sind sie ganz amüsant, manchmal interessant; und manchmal großartig. Womit wir endlich zu Spirou oder die Hoffnung kommen.

Autor und Zeichner Émile Bravo unternimmt hier ein gewagtes Unterfangen: Er verlegt die Abenteuer von Spirou und Fantasio in die Zeit der deutschen Besatzung Belgiens – in den zweiten Weltkrieg. In eine sehr düstere Zeit also, die eine angemessene Erzählweise und Perspektive verlangt; wobei aber andererseits die Markenzeichen der Serie – Abenteuer und Humor – doch zu ihrem Recht kommen müssen.

Dieser Spagat gelingt ihm mit Bravour. Was den Humor angeht, ist er stellenweise deutlich schwarz und makaber: Im ersten Band herrscht im Hotel, in dem Spirou als Page arbeitet, eine Bombenstimmung, und Fantasio – der hier teilweise noch unbeherrschter, prahlerischer und dabei inkompetenter erscheint als in Franquins frühen Erzählungen – ist auf skurrile Weise mitverantwortlich für die Eroberung der belgischen Festung Eben-Emael durch die Deutschen; dennoch gelingt es Bravo, Tragik und Leid zu zeigen, ohne sie durch den Humor abzuschwächen, vielleicht auch, weil dieser Humor eine bittere, doch gerade darum mitfühlende Note erhält.

:: Bietet die Ukraine russischen Soldaten Asyl?

Okay, das ist vielleicht wichtig; wichtig genug, daß man es – z.B. auf sozialen Medien – verbreiten sollte.

Offenbar bietet die Ukraine russischen Soldaten, die sich ergeben, fünf Millionen Rubel und zudem Straffreiheit oder sogar Asyl an (die Quellen stimmen hier nicht ganz überein; laut diesem Video von Beau of the Fifth Column soll es sich um ein Asylangebot handeln, laut tagesschau.de um Straffreiheit; Asyl für desertierende russische Truppenangehörige hat der Tagesschau zufolge allerdings auch die Partei Die Linke gefordert).

Wichtig: Die Soldaten müßten angeblich das Wort „Million“ sagen, wenn sie sich ergeben, um in den Genuß dieses Angebots zu kommen.

Wenn das stimmt – und ich denke, der Bericht der Tagesschau genügt, um die Nachricht zu verifizieren – wäre das allerdings in der Geschichte des Krieges ein einmaliger Vorgang. Als nie dagewesene Vorgehensweise ist es brillant, und gegenüber den gegnerischen Soldaten ungeheuer human. Es bezeugt einen Großmut, der mindestens so viel Bewunderung abnötigt wie der Widerstandswille der Ukrainerïnnen.

Ich meine auch nicht, daß diese Menschlichkeit an die russischen Soldaten verschwendet ist. Man muß bedenken, daß unter ihnen viele Wehrpflichtige sind, die offenbar über die Angriffsabsichten belogen wurden – d.h. genau wie gegenüber dem Westen, wurde auch ihnen gegenüber behauptet, sie würden nur an einem Manöver teilnehmen, bis der Einmarschbefehl kam. Wir reden hier von jungen Menschen, die sich jetzt in einer Situation wiederfinden, mit der sie nicht gerechnet hatten, und etwas tun sollen, das sie nie beabsichtigten. Insofern stimme ich Beau zu, auch wenn ich weniger optimistisch bin, was die Effektivität angeht (Soldaten, die das Angebot annehmen, müssen z.B. vielleicht Repressalien gegenüber ihren Familien fürchten). Dennoch ist es ein Versuch, der gewagt werden sollte; sei es, weil hier die Menschlichkeit einen kleinen Sieg davonträgt, sei es, weil es wenn schon nicht die angreifenden Truppen, so doch wenigstens deren Moral schwächt. Daß Die Linke verlangt, den Betreffenden Asyl in Deutschland zu gewähren, ist m.E. daher ebenfalls eine Forderung, die man umsetzen sollte.

Wie auch immer. Der Tagesschau-Bericht schränkt ein, daß man aktuell nicht prüfen könne, ob die genannte Geldsumme wirklich ausgezahlt wird; ich konnte auf die Schnelle keine weiteren belastbaren Quellen finden, werde aber Ausschau halten.

:: Die Hoffnung und ihre Feinde

Es gibt ja manchmal hoffnungsvolle Nachrichten. Wie weit die Hoffnung trägt, ist eine andere Frage. Der Haken ist oft leider – auch hier wieder – das Profitinteresse globaler Konzerne; einen weiteren setzt die Bereitschaft mächtiger Regierungen, dieses Konzerninteresse vor alles andere zu setzen – auch vors Allgemeinwohl.

Diesmal betrifft es die Pandemie. Wird sie ein Ende finden – wenigstens „endemisch“ werden? Oder impfen wir uns weiter gegen immer neue Corona-Varianten, bis der sprichwörtliche Arzt kommt? Vor Allem aber: Wie eigentlich soll die Pandemie eingehegt werden, wenn sich die reichen Länder – die G7 zumal – und die Pharmaindustrie weiterhin weigern, Impfstoffe patentfrei für den globalen Süden herzugeben? Einer der Hauptgründe, daß die Pandemie noch herrscht, und immer neue Varianten hervorbringt, besteht laut Fachleuten ja auch darin, daß weite Teile der Bevölkerung des „globalen Südens“ noch immer kaum geimpft sind. Daß sich ärmere Länder die teuren Vakzine nicht leisten können. Und das, während wir uns schon den dritten Booster gönnen (oder es wenigstens können, soweit wir keine Verschwörungsspinner sind) – dem aber der vierte, fünfte usw. folgen müssen, weil im Süden des Globus eben ständig neue Varianten entstehen. Die Pandemie ist global, kann also nur global bekämpft werden; den G7-Regierungen scheint der Profit einzelner Pharmakonzerne allerdings wichtiger.

Es gibt nun, wie angedeutet, dieser Tage zwei hoffnungsvolle Nachrichten. Die eine, von der ich zuerst auf meinem derzeitigen Lieblingschannel auf YouTube gehört habe, stammt ausgerechnet von der U.S. Army. Diese hat, wie es scheint, ein eigenes Vakzin entwickelt, das einen echten „Game Changer“ darstellen könnte – auch und gerade, was die Bekämpfung zukünftiger Varianten angeht. Das Besondere an diesem Impfstoff ist, daß er ein „Pan-Coronavirus-Vakzin“ darstellen könnte, eines also, das gegen alle – auch zukünftige – Virusvarianten wirkt. Wie das im Einzelnen funktioniert, kann hier nachgelesen werden; da dieses sogenannte SpFN oder spike ferritin nanoparticle COVID-19 vaccine offenbar Nanopartikel verwendet, bin ich auf die Verschwörungstheorien, die wir dann kriegen, allerdings mal gespannt.

Derzeit befindet sich SpFN noch in der Testphase an Menschen; die weitere Entwicklung bleibt also abzuwarten. Daß es die Endlosschleife der Impfungen beendet, ist allerdings nicht zu erwarten: Wenn ich die dahinter stehende Nanotechnologie richtig verstehe, ist es keine Einmalimpfung gegen alle zukünftigen Virusvarianten, ließe sich aber sehr leicht an solche anpassen. Ob der Impfstoff patentfrei zugänglich gemacht wird, steht in den Sternen. Sollte das der Fall sein, würde dies – zusammen mit der „zukunftsoffenen“ Architektur der Impfpartikel – allerdings bedeuten, daß Impfdosen billiger, und leichter herzustellen wären. Immerhin etwas.

Damit wären wir bei der zweiten Hoffnungsmeldung.

:: Gebildete Menschenverachtung

Guten Tag.

Willkommen bei der Sendung mit dem Herrn Sathom. Heute: Wie stellt man es eigentlich an, sich und die eigene soziale Schicht als elitär und überlegen darzustellen, Angehörige anderer sozialer Gruppen dagegen abzuwerten – und zugleich so zu tun, als täte man das nicht, und sei sogar selbst das Opfer von Vorurteilen? Insbesondere dann, wenn einem Kritik am eigenen Standesdünkel entgegenschlägt?

Da hilft uns ein vor einiger Zeit in der taz erschienener Artikel; er kann als Beispiel für die Anwendung dieser Methode dienen. Wobei man diese auch in anderen Meinungskommentaren meist bürgerlicher Medien immer wieder mal findet.

Unter dem Vorwand, die machtpolitischen „Kalküle des Kanzlers“ Olaf Scholz zu behandeln, führt uns die Autorin der taz-Kolumne einige dieser Tricks vor. Für Faulpelze, die keine Quellen lesen wollen: Sie handelt im Wesentlichen davon, daß Olaf Scholz sich angeblich anschickt, in populistischer Manier abwertende Vorurteile über eine selbstgerechte, woke Elite zu verbreiten, um die „Kleinen Leute“ hinter sich zu bringen. Wenigstens müht die Autorin sich redlich, einen entsprechenden Vorwurf an ziemlich dünnen Haaren um drei Ecken zu zerren. Übrigens: Ich bin gewiß kein Fan von Olaf Scholz, weder vor der Wahl noch jetzt; aber um seine Person geht es auch gar nicht. Im genannten Meinungskommentar übrigens auch nicht. Sondern eben darum, die bürgerlich-neoliberale Schicht als ausschließlich positive Kraft darzustellen, der ein zurückgebliebener Stammtischmob gegenüber steht. Wobei alle „Elitären“ eben durch die Bank als gut, alle Anderen ebenso blockartig als „schlecht“ dargestellt werden.

Wie geht sie nun dabei vor, und was können wir daraus lernen, falls wir sowas auch mal machen wollen?

1.) Vermeiden Sie offenen Klassismus.

Schreiben sie nicht, daß die Angehörigen ärmerer, oder bildungsbenachteiligter, Bevölkerungsschichten dumm geboren sind; das ist, was Thilo Sarrazin tun würde. So wie er die soziale Benachteiligung auf genetische Minderwertigkeit zurückzuführen, wäre schon kein Klassismus mehr, sondern das, was der französische Soziologe Didier Eribon „Sozialrassismus“ nennt. Das wäre plump und ein bißchen politisch unkorrekt. Schreiben sie also z.B., wie die taz-Autorin: „Die Rede ist viel von sogenannten normalen Menschen, in Abgrenzung gegen die Eliten und im Kern damit gegen jenes [sic!] aufgeklärte bürgerliche Klientel, das Grüne und FDP repräsentieren.“

Puh. Dieser Satz leistet eine Menge Arbeit. Zerlegen wir die mal in ihre einzelnen Schritte.

Erstens: Behauptet wird die Existenz einer Elite; anders als bei Verschwörungstheoretikern ist diese allerdings positiv besetzt, besteht nämlich aus „aufgeklärten“ Leuten. Die Grünen und die FDP repräsentieren diese Leute; die Wählerschaft beider Parteien stellt also diese Elite. Die ist bürgerlich, also wiederum identisch mit dem Bürgertum. Bürgerlich = aufgeklärt = Grüne & FDP, das in eins gesetzt macht die gesellschaftliche Avantgarde aus. Der Umkehrschluß: Wer nicht zu dieser Klientel gehört, ist nicht aufgeklärt, das Gegenteil von Elite. Dieses negative Vorurteil gegenüber den „sogenannten normalen Menschen“ muß jedoch nicht eigens ausgesprochen werden – es ergibt sich implizit aus dem Gesagten. Der Trick also: Die Betonung der eigenen Vorzüge transportiert immer auch ihr Gegenteil, die Abwertung der Anderen; nur muß man dann nicht daherkommen wie ein böser Menschenverächter. Damit wären wir bei:

2.) Arbeiten Sie mit Implikationen.

Also: „Statt die da unten sind blöd geboren und moralische Versager“ lieber „Die da oben sind gebildet, aufgeklärt und moralisch überlegen“, und den Rest der Phantasie von Leserin und Leser überlassen. Aus Scholz‘ – zugegebenermaßen plump jovialer – Behauptung, Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hielten sich nicht für „was Besseres“, flicht die Autorin den Verdacht, hier würden Vorurteile gegenüber einer „elitären neuen Mittelklasse“ geschürt, einer, die sich auf Kosten der Arbeitenden bereichere und einen „woken“ Lebensstil diktiere.