:: Wo-Oah Black Beth, Bam-Ba-Lam

So, ihr Comicfreaks. Zeit für noch eine Rezension – seid Ihr angeschnallt?

Schon vor einiger Zeit hatte ich ja im Anschluß an meinen nostalgischen Rückblick auf die Kobra-Comicserie der 1970er Jahre erklärt, daß ich beim britischen Verleger Rebellion, der sich die Rechte an den alten Kobra-Serien gesichert hat, einen Sammelband vorbestellt hatte (zur eigentlichen Rezension geht’s hier). Das Buch ist schon Anfang Juli eingetroffen, doch damals verhinderte Arbeitsstreß die Lektüre; jetzt aber ist es endlich Zeit für die versprochene Rezension von Black Beth – Vengeance be thy Name.

Wer ist Black Beth? Eine der vielen, amazonenhaften Schwertkämpferinnen, die durchs Fantasy-Genre wimmeln? Eine düstere Gestalt, wie der Name schon andeutet, und wie der Titel weiter aussagt, der Rache verschworen? Durchaus; und doch ist an dieser Heldin einiges anders, das sie weitaus interessanter macht als noch eine vollbusige Red Sonja; einiges davon zumindest schon zu ahnen bei ihrem bloßen Anblick.

Doch zunächst ein wenig zu ihrem Hintergrund – was könnte Black Beth, einen hierzulande vermutlich kaum oder gar nicht bekannten Comic, für Leserïnnen interessant machen?

Ein (beinahe) verschollenes Artefakt

Auch ehemalige Kobra-Fans dürften sie nicht kennen, es handelt sich bei Black Beth um eine Serie, die damals überhaupt nicht dort erschien (und auch nicht im britischen Pendant Vulcan). Sie war für das Horrormagazin Scream! konzipiert, während dessen kurzer Laufzeit allerdings nicht mehr veröffentlicht worden (Nachdrucke erschienen Jahre später in einem Scream! Holiday Special, der eigenartigerweise Jahre nach der Einstellung des Magazins herauskam, und als Füllmaterial in der Serie Slaine the King).

Tatsächlich existiert aus der damaligen Zeit nur eine einzige Geschichte – Beths Origin Story, eine Pilotfolge, wenn man so will; vielleicht ein Versuchsballon, um zu testen, ob Hauptfigur und Konzept beim Publikum ankommen würden. Rebellion hat diese nun Jahrzehnte später mit neuen, zeitgenössischen Stories um die wiederbelebte Schwertkämpferin zusammengefaßt.

Dafür, diesen damals erst angekündigten Band vorzubestellen, gab es drei Gründe: Erstens interessieren mich obskure, verschollene oder halb verschollene Comics grundsätzlich; zweitens erinnerte mich der Zeichenstil der neuen Abenteuer vage an die spanische Schule des 20. Jahrhunderts, wie man sie z.B. bei Carlos Giménez, dem Zeichner von Dani Futuro, findet. Ich hege ein gewisses Faible für diesen Stil, wobei ich vorab sagen muß, daß es sich wirklich um bloße Ähnlichkeit handelt – es gelingt der aktuellen Zeichnerin, die unter dem Pseudonym DaNi agiert, einen durchaus eigenen, sehr originären und faszinierenden Stil zu kreieren (Einflüsse aus verschiedensten Richtungen wird es nach Jahrzehnten der Comicgeschichte natürlich immer geben). Und drittens erweckte die Vorabwerbung den Eindruck, es bei Black Beth zur Abwechslung einmal mit einer Schwertheldin zu tun zu haben, die nicht den genretypischen Klischees entspricht; einer wirklich realistisch gezeichneten zum Beispiel, aber auch einer, die charakterlich interessant ist. Nebenbei: Daß eine Jahrzehnte lang auf Eis gelegte Figur wiederbelebt wird, spricht dafür, daß die Herausgeber ihr ein gewisses Potential unterstellen; und tatsächlich hat die Protagonistin – optisch wie erzählerisch – die Fähigkeit, einen in ihren Bann zu schlagen. Es hat einen Grund, daß ich damals sofort auf sie aufmerksam wurde.

Nun – hat sich die Bestellung gelohnt? Vorab: An sich ja. Wobei ich mit dem „Rivival“ ein kleines Problem habe, das ich allerdings mit einigen Comics der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte habe – soll heißen, weniger mit Black Beth, als mit einem allgemeinen, m.E. unglücklichen Trend. Aber der Reihe nach.

:: R.I.P. Jean-Jacques Sempé

Leider muß ich heute nun doch noch einen weiteren Nachruf schreiben: Der Zeichner Jean-Jacques Sempé, der zusammen mit René Goscinny den „Kleinen Nick“ erschuf, ist tot.

Tatsächlich kenne ich Sempé – wie sicherlich viele meiner Generation – hauptsächlich durch diese Kinderbuch-Reihe (die sich, genau genommen, auch oder sogar zuerst an Erwachsene richtet). Ich bin mit diesen Büchern aufgewachsen und sogar mit der Originalfassung Le petit Nicolas in Französisch unterrichtet worden.

Zugleich war Sempés Werk viel umfangreicher; trotz ihres zauberhaft poetischen Strichs waren seine eigenen Geschichten und Zeichnungen oft gesellschaftskritisch, entlarvten z.B die Dekadenz der französischen Elite und die hohlen Phrasen bourgeoiser Gespräche ebenso wie die aufgesetzte Munterkeit und Freundlichkeit der New Yorker Kreativszene (so in dem hervorragenden Band Air Mail, den zu besitzen ich mich wohl glücklich schätzen darf, denn die Wikipedia-Seite zum Künstler listet dieses Werk nicht mehr unter den erhältlichen Titeln). Was alles nicht heißt, daß nicht auch die „einfachen Leute“ ihr Fett wegbekamen, oder die Kleinbürger, oder die Linke. Dabei wurde Sempés Blick nie verächtlich oder menschenfeindlich. „Mensch zu sein braucht enorm viel Tapferkeit. Es ist schwer.“ sagte er der Süddeutschen Zeitung in einem Interview von 2009; die Menschen betrachtete er mit melancholischer Sympathie. Denn der griesgrämig blickende Mann, dem man auf der Straße begegnet, ist eben kein unsympathischer Miesepeter: Vielleicht bedrückt ihn alles mögliche, oder es ist nur seine Müdigkeit und die Hitze des Tages, oder sein Job – doch er muß „immer weitergehen, immer weiter. So etwas berührt mich sehr.“ Seine zerbrechlichen Helden sind, wie der Kolumnist Imre Grimm fand, in der Welt permanent überfordert; wobei, das ist Teil von Sempés anrührender wie auch beißender Darstellung, sie sich selbst in Szenen, in denen sie vor prahlerischen Monsterbauten oder Straßenschluchten winzig und hilflos wirken, für den Nabel der Welt halten – sei es aus Selbstschutz, oder aus Selbstüberschätzung.

Comic-Zeichner im eigentlichen Sinn ist Sempé nie gewesen, denn „diese kleinen Rechtecke“ waren nicht sein Ding, wie er im o.a. Interview sagte; doch ein Schöpfer von Bildgeschichten, und dann was für welchen.

Den Umfang seines Werks habe ich immer wieder einmal, doch bis heute nicht komplett erforscht; wie gesagt, war er für mich die meiste Zeit meines Lebens vornehmlich der Zeichner des „Kleinen Nick“. Wobei seine Kinderdarstellungen eine bessere Kindheit als seine eigene imaginieren sollten, das Zeichnen für ihn überhaupt eine Art des Entkommens war. So oder so hat er meine Kindheit geprägt und sicher die vieler Menschen meiner Generation, und das mit nur einem Werk; und ein soviel größeres hinterlassen. Ruhe in Frieden, und danke.


P.S. Ein schöner Abriß von Leben und Werk findet sich im Nachruf der FAZ; darüber hinaus sei auf das oben verlinkte Interview und den Wikipedia-Artikel verwiesen.

:: Comic-Kritik: Jörg Buttgereits Captain Berlin

Puh. Ich glaube, das wird ein Comic-Monat. Und warum nicht? Sommer, Urlaub, Comics lesen – so wir früher in den Schulferien. Das Leben kann gut sein.

Meine Erinnerungen an Sommertage im Schatten eines Apfelbaums beziehen sich hauptsächlich – wenn auch nicht ausschließlich – auf Marvel-Comics, und was wäre da eine bessere Reminiszenz als Jörg Buttgereits Superheld Captain Berlin?

Wer Buttgereit ist, muß ich hoffentlich nicht erklären (ansonsten lest’s hier nach); für unsere Zwecke reicht es, zu wissen, daß er ein absoluter Fan von Trash und trivialer Unterhaltung ist. Seine Kunstfigur Captain Berlin feierte ihr Debüt in einem 1982 in West-Berlin gedrehten Kurzfilm; ihm folgten ein weiterer Film sowie Hörspiele und ein Theaterstück. Der Comic entstand eigentlich als Beigabe zur DVD-Veröffentlichung dieses 2007 entstandenen Theaterstücks, Captain Berlin vs. Hitler, und ging 2013 in Serie.

Das damals am Hebbel-Theater aufgeführte Stück wird uns noch kurz beschäftigen; doch wer oder was ist nun eigentlich Captain Berlin, und was kann er?

Captain B. – der als Cape eine Berlinflagge trägt – ist zu Beginn der Geschichte ein vom deutschen Widerstand erschaffener Supersoldat, der Adolf Hitler ausknipsen soll; das klappt nicht so ganz (ein gewisses Bombenattentat kommt dazwischen), und nach einigen Irrungen und Wirrungen (die ich hier nicht verraten will) landet er in Japan, wo er durch den Atombombenabwurf von Hiroshima verstrahlt wird (also Captain Berlin, nicht Hitler). Sein veränderter Metabolismus absorbiert die Strahlung, und erst jetzt wird er von einem eher an Captain America erinnernden Vigilanten mit gesteigerten menschlichen Fähigkeiten zu einem „echten“ Superhelden, der u.a. fliegen kann.

Was ihn jedoch eigentlich von anderen Helden unterscheidet, ist sein enorm verlangsamter Alterungsprozeß – dieser ermöglicht es Buttgereit und seinem Team, den Captain durch alle Jahrzehnte hindurch an wesentlichen Ereignissen in der Mauerstadt, und später Hauptstadt, teilhaben zu lassen. Das geschieht nicht immer chronologisch – die einzelnen Hefte springen jeweils in die Zeit, in der eine Story spielen soll; das läßt Rätsel und Lücken in der Biographie des Helden, die den Fans Gelegenheit zum Rätseln geben, und von den Autoren nach und nach aufgefüllt werden. Womit es sich nicht eigentlich um Handlungslücken handelt – eher um ein Mittel, Spannung aufzubauen, und zugleich eines, das den Autoren ermöglicht, immer die Geschichten zu erzählen, auf die sie gerade Lust haben. Und diese Lust merkt man den Stories an, die Geschichten machen Freude, weil die Macher welche hatten.

Uns so verhindert Captain Berlin mal ein frühes Attentat auf Rudi Dutschke, begegnet dann einer Parodie auf Nicholas Cage, oder bekommt es mit Aleister Crowley zu tun – stets im Kampf gegen seine Erzfeinde, die Altnazis Ilse von Blitzen und Otto Todt, die von Robotern über Schwarze Magie bis zu Zombies alles aufbieten, was die Gruselkiste hergibt.

Die für ein solches Projekt geeigneten Mitstreiter hat Buttgereit bei Weissblech Comics gefunden – einem Verlag, in dessen Programm nicht nur einige trashig-splatterige Horror-Comics vorkommen, sondern auch ein weiterer Superheld namens Zombieman und diverse vollbusige Heroinen, die sich von der Steinzeit bis in die ferne Zukunft durch diverse, manchmal pornographische Szenarien kämpfen.

Ich will hier nicht verhehlen, daß ich einen Teil des Verlagsprogramms, jedenfalls die „erotischen“ Titel, für pubertären Schrott halte – eben das übliche Zeug für „Erwachsene“, deren Persönlichkeitsentwicklung irgendwann einen Auffahrunfall erlitten hat. Das paßt zu einem manchmal nervigen Gehabe der Verlagsleute, die wie kichernde Halbwüchsige darauf hinweisen, daß dieser oder jener Comic – hihihi – vielleicht spießige Normalos schockieren könnte (übrigens: daß ich in diesem Beitrag aufs Gendern verzichte, liegt daran, daß bei Weissblech (fast) nur Männer aktiv sind). Andererseits scheinen die Horrorcomics teilweise recht intelligent, und bürsten sogar gelegentlich etablierte Handlungsklischees gegen den Strich; ein gemischtes Vergnügen also.

Das gilt allerdings nicht für Captain Berlin. Hier führt die – durchaus augenzwinkernde – Liebeserklärung an den Trash, gepaart mit Nostalgie für entsprechende Produkte, zu ausgezeichneten Ergebnissen. Was wiederum Weissblech zum richtigen Partner für Buttgereit macht, der diese Liebe eindeutig teilt. Das äußert sich nicht immer so deutlich wie in der Story Der schreckliche VHS-Mann, in der ein Superschurke die Berlinerïnnen durch Strahlen dazu bringt, sich wie die amoklaufenden Zombiehorden aus Videofilmen zu verhalten; zieht sich aber deutlich spürbar durch viele Geschichten.

:: Comic-Kritik: Spirou oder die Hoffnung Band 1 – 4

Es ist Sommer 2022, ich habe Urlaub, und ich habe endlich den letzten Band der vierteiligen Comicreihe Spirou oder die Hoffnung gelesen; es war eine lange Reise, seit die Serie 2018 begann – ja, vier Jahre lang, und die Reise hat sich gelohnt. Zeit für eine Rezension.

Vielleicht zuerst eine Erklärung: Spirou oder die Hoffnung ist u.a. das Resultat einer Tendenz, die sich schon länger im frankobelgischen Comicmarkt etabliert hat; nämlich die Schaffung von Hommagen, teilweise auch Umdeutungen alter Helden und Heldinnen. Unabhängig davon, ob Serien noch laufen oder nicht, nehmen sich unterschiedliche Autorïnnen und Zeichnerïnnen der bekannten Figuren an, um ihre eigene Version dieser Ikonen zu schaffen. Diese Neufassungen laufen außerhalb der „normalen“ Serien (meist unter dem Übertitel Le Spirou de …, Le Valerian de … etc., bei Carlsen auf deutsch meist als „Spezial“). Sie kommen manchmal als Hommage daher, wie Ralph Königs jüngstes Lucky Luke-Album, manchmal aber auch als komplette Neufassung oder Umdeutung. Der kommerzielle Hintergrund ist natürlich der, daß die betreffenden Serien entweder offiziell eingestellt sind und man anders kein neues Material herausbringen kann, oder daß sie, falls sie noch laufen, so oft „modernisiert“ wurden, daß inzwischen erwachsene Fans sie nicht wiedererkennen (während die Originalfolgen heutzutage altbacken oder überholt wirken). Man will also erwachsene Leserïnnen, Nostalgikerïnnen, vielleicht auch neue Fans ansprechen, die mit dem alten Material nichts anfangen könnten.

Im Fall von Spirou und Fantasio äußert sich das so, daß manche Autorïnnen und Zeichnerïnnen voll auf der Retroschiene fahren. Z.B. verlegen Schwartz & Yann mit Die Leopardenfrau und Der Meister der schwarzen Hostien die Abenteuer der beiden Helden zurück in die Nachkriegsjahre, nah an ihren Ursprung (Spirou entstand 1938, also ein Jahr vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs); der Zeichenstil imitiert nicht direkt den von Spirou-Erfinder Rob Velter, sondern wirkt wie eine moderne Fassung des Strichs des sehr frühen Franquin, und damit zugleich authentisch und aktuell.

An sich bin ich kein Freund solcher Aktivitäten. Verlagsseitig drückt sich darin (auch) ein inzwischen typisches, kapitalistisches Ausschlachtungsinteresse aus, das noch den letzten Tropfen Leben aus jedem Gut herausquetschen will; das gewissermaßen das neoliberale Mantra von Erfolgs-Coaches umformuliert zu „Wenn dein Pferd tot ist, steig nicht ab“. Was sich z.B. auch im Bereich von TV-Serien und Filmfranchises zeigt (wo es uns in jüngerer Zeit ein so erbärmliches Schauspiel wie Star Trek: Picard beschert hat). Das Ganze ist dennoch mehr als ein bloßes Geschäftsmodell; denn es gibt Kreativen Gelegenheit, ihren Enthusiasmus für ikonische, vielleicht in der Kindheit geliebte Figuren auszudrücken und der eigenen Phantasie freien Lauf zu lassen. Manchmal stecken echte Begeisterung, und gute Ideen dahinter; wenn das der Fall ist, kann man sich nur freuen.

Die Ergebnisse solcher Experimente fallen also unterschiedlich aus – manchmal sind sie ganz amüsant, manchmal interessant; und manchmal großartig. Womit wir endlich zu Spirou oder die Hoffnung kommen.

Autor und Zeichner Émile Bravo unternimmt hier ein gewagtes Unterfangen: Er verlegt die Abenteuer von Spirou und Fantasio in die Zeit der deutschen Besatzung Belgiens – in den zweiten Weltkrieg. In eine sehr düstere Zeit also, die eine angemessene Erzählweise und Perspektive verlangt; wobei aber andererseits die Markenzeichen der Serie – Abenteuer und Humor – doch zu ihrem Recht kommen müssen.

Dieser Spagat gelingt ihm mit Bravour. Was den Humor angeht, ist er stellenweise deutlich schwarz und makaber: Im ersten Band herrscht im Hotel, in dem Spirou als Page arbeitet, eine Bombenstimmung, und Fantasio – der hier teilweise noch unbeherrschter, prahlerischer und dabei inkompetenter erscheint als in Franquins frühen Erzählungen – ist auf skurrile Weise mitverantwortlich für die Eroberung der belgischen Festung Eben-Emael durch die Deutschen; dennoch gelingt es Bravo, Tragik und Leid zu zeigen, ohne sie durch den Humor abzuschwächen, vielleicht auch, weil dieser Humor eine bittere, doch gerade darum mitfühlende Note erhält.

:: Onkel Rolf und Onkel Rudolf

Ach ja, Fi** und Fo**i. Richtig, ich kann mir diesen pornographischen Pennälerwitz nur halb verkneifen. Aber mir ist grad so, aus Gründen, die gleich folgen.

Also jetzt ganz ernsthaft: Man weiß ja schon seit geraumer Zeit, daß Rolf Kauka, Verleger der zwei halbstarken Fuchsbengel, politisch ein eher dubioser Charakter war (oder sagen wir es offen: Er war stramm rechts). Aber wie das so ist, wenn Leute nachforschen, neues Material zutage fördern und dann Bücher schreiben – manchmal zeigt sich dann: Es ist alles noch viel schlimmer.

Also, Rolf Kauka. Mal wieder. Schon als Kind hegte ich eine Art Haßliebe zu Fix & Foxi, einer notdürftig mit frankobelgischen Comics aufgehübschten Ramschpublikation (in der auch schon mal frech behauptet wurde, Comics wie Spirou und Fantasio (dort: Pit und Pikkolo) oder Lucky Luke stammten tatsächlich aus Kaukas Feder – wohl, um seinen Ruf als „deutscher Walt Disney“ zu mehren). Was mich aber wirklich zeitweise verstörte, waren die einleitenden Grußworte von „Onkel Rolf“ an seine „Lieben Freunde“ (heute würde man Editorial dazu sagen).

Daß er die DDR meinte, wenn er in einem dieser Ergüsse von deutschen Brüdern und Schwestern sprach (oder so ähnlich, die Erinnerung verschwimmt), die nebenan quasi in Sklaverei gehalten würden, habe ich mit sechs Jahren nicht mal verstanden; frage mich aber bis heute, was dieser apokalyptische Text, mag man ihm auch zustimmen, in einer Publikation für kleine Kinder zu suchen hatte. „Onkel“ Rolf war, was seine Art angeht, sich an das gerade schulfähige Lesepublikum zu wenden, manchmal regelrecht wie entfesselt – völlig distanzlos und ohne realistische Einschätzung, was man Kindern zumuten kann. Oder würden Sie wollen, daß ein fremder „Onkel“ zur Tür hereinspaziert und ihren Kindern erzählt, daß gleich die roten Gruselmonster kommen, um sie aufzufressen?

Nach dem Motto „Das erklären wir dir, wenn du größer bist“ bzw. „das verstehst du noch nicht“ wurden wir ja damals noch zur Ahnungslosigkeit erzogen – wußten also als Fünf- bis Sechsjährige vermutlich nicht einmal, wovon genau die Rede war. Kauka, den das nicht zu kümmern schien, fiel mit Wortgewalt über seine unschuldige Leserïnnenschaft her, um sie früh zu indoktrinieren. Dazu gleich noch mehr; aber jetzt zum Eigentlichen.

Daß Kauka die gallischen Helden Asterix und Obelix zu Germanen namens Siggi und Babarras umsynchronisierte, war ja schon bekannt; was an sich nicht so schlimm wäre (nur irgendwie scheiße), hätte er es dabei belassen. Aber nichts da. Den Römern wurde ein anglo-amerikanischer Akzent verpaßt, um sie den von Kauka so gesehenen „Besatzern“ anzuähneln, Obelix‘ (bzw. Babarras‘) Hinkelstein in einem Dialog als „Schuldkomplex“ gedeutet, den man in Germanien endlich mal loswerden müßte, und unsympathische bzw. verräterische Gestalten durch eine „jiddische“ (oder was die Redakteure dafür hielten) Sprechweise als Juden dargestellt. Das führte zu einem Skandal, der den Entzug der deutschen Rechte an der Serie zur Folge hatte – und Asterix-Erfinder Goscinny veranlaßte, die erste von Gudrun Penndorf für den Ehapa-Verlag übersetzte Asterix-Folge ins Französische rückübersetzen zu lassen, nur um sicherzugehen, was die Boches da womöglich wieder trieben.

Aber das wußte man alles schon – das Meiste davon jedenfalls. Auch, daß Kauka – womit wir wieder beim lieben Onkel wären – in einem Weihnachtsgruß kaum verhüllt (er redet von „unschuldig Gefangenen in Spandau“) den Wunsch nach Freilassung von Rudolf Heß äußerte.

Aber jetzt ist da dieses Buch. Es fügt dem Bekannten einiges hinzu; einiges, das auch über die Person Kaukas hinaus bedeutend ist, indem es ein politisches Sittenbild der damaligen Bundesrepublik zeichnet.

Was steht drin?

:: R.I.P. Nichelle Nichols

„Yes, Ms. Nichols, I am your greatest fan.“
Martin Luther King

Dies hier ist ein Artikel, den ich nicht gerade heute zu schreiben erwartet habe – obwohl das Ereignis, das er behandelt, irgendwann eintreten mußte. Die Nachricht hat mich dennoch unvorbereitet getroffen, und so sitze ich hier, unvorbereitet, und tippe einen Artikel, den ich eigentlich nicht schreiben will.

An sich wollte ich solche Nachrufe überhaupt nicht mehr schreiben. Einmal, weil seit 2015, als das große Sterben alter Größen in einer regelrechten Explosion begann, die Zahl der Abschiede nach und nach überforderte; zum Anderen, weil mich das Gefühl beschlich, daß der Nachruf ein eigenes, unterschwelliges Bedürfnis nach Selbstdarstellung befriedigt, das den Verstorbenen unangemessen, und pietätlos ist.

Es ist also nichts, das ich schreiben will; aber muß. Denn uns trifft Verlust, der nicht unangesprochen bleiben darf.

Nichelle Nichols, bekannt als Lt. Uhura aus der originalen Star Trek-Serie, ist am Samstag, dem 30.07.2022, im Alter von 89 Jahren verstorben.

Photo by Alan Light; gemeinfrei (s.u.)

Nichelle Nichols 1979

Es ist ein schmerzlicher Verlust für viele Menschen weltweit, und sicherlich der schwerste für ihre Freunde und Angehörigen, denen mein tiefes Mitgefühl gilt.

Doch warum ist Nichols so wichtig?

Natürlich unter Anderem, weil ihr Auftreten in Star Trek ein starkes Statement gegen Rassismus war; so stark, daß ihr Martin Luther King persönlich ausredete, die Serie zu verlassen, um eine Broadway-Rolle anzunehmen. Das war gewiß nicht allein ihr Verdienst, denn die gesamte Serie – in der Kirk einen mehrfach auftretenden schwarzen Admiral als Vorgesetzten hatte – war daraufhin konzipiert, eine Welt zu entwerfen, in der Angehörige verschiedenster Völker friedlich zusammen leben und arbeiten. So, wie sie auch – innerhalb der Grenzen, die Geldgeber bzw. Senderbosse erlaubten – Frauen in gehobenen Rängen und hochqualifizierten Tätigkeiten zeigte (auch wenn man Uhura „nur“ am Funkgerät sitzen sah, war sie immerhin Lieutenant, und damit teil der höheren Kommandokette). Doch um die Botschaft zu vermitteln, benötigte man gerade damals eine hervorragende Botschafterin – und wer hätte diesen Anspruch besser erfüllen können als Nichelle Nichols?

Immerhin reden wir von einer Zeit, in der unsympathische schwarze Protagonistïnnen die rassistischen Vorurteile eines weißen Publikums automatisch bestätigt hätten; Uhura zeigte ein durchweg positives Bild einer schwarzen Frau, und das in mehrfacher Hinsicht: Kompetent, sympathisch, intelligent und fähig. Man kann das als Zugeständnis an den damaligen Rassismus werten; doch vermutlich war die Botschaft nicht anders zu vermitteln. Daß Nichelle Nichols schön war – und ich meine keineswegs nur attraktiv, sexy oder etwas dergleichen – half dabei sicherlich; und war durchaus keine oberflächlicher Faktor.

Um die Wirkung und Bedeutung ihrer Darstellung zu verdeutlichen, muß ich nun doch von mir erzählen; davon, welchen Eindruck Nichelle Nichols auf das fünfjährige Kind machte (denn ich war fünf, als ich sie das erste Mal sah; die Serie wurde vom ZDF ab 1972 ausgestrahlt). Ich war fasziniert von Raumschiff Enterprise und der für mich oft unheimlichen Handlung, die ich meist nur halb verstand (den Tech Babble verstand ich gar nicht, und folglich auch die Lösung mancher Probleme nicht – warum zum Teufel konnte die Enterprise den Klingonen entkommen, weil Scotty ein Stück Halskette einer Alien-Prinzessin in den Antrieb montierte?); doch ich saß wie gebannt vor dem Bildschirm, wann immer Nyota Uhura ins Bild kam. Schlicht, weil ich es nicht fassen konnte, wie schön diese Frau war. Oder wie es überhaupt jemanden geben konnte, der so schön ist. Dieser Eindruck transzendiert für mich bis heute ihre ungeheure Attraktivität; denn sicherlich sah sie schön aus, doch diese Art Anziehungskraft ist nichts, das einen Fünfjährigen interessiert. Etwas in Nichols‘ Auftreten, Habitus, Darstellung vermittelte den Eindruck einer Frau, die auch innerlich schön war – einer Person, der man, würde man ihr begegnen, unmittelbar vertrauen würde. Den einer starken, positiven Persönlichkeit, ohne daß ich begründen könnte, woher dieser Eindruck rührte. Ich weiß nur, daß ich jetzt, fünfzig Jahre später, wieder fünf Jahre alt bin – und es noch immer nicht fassen kann. Nyota Uhura wirkte wie eine Fee aus der Zukunft; eine Frau, die man als Kind nur bestaunen, und später nur bewundern konnte.

Die Wucht, mit der sie mich als Kind traf, hat nie ganz nachgelassen; und es war eine Wucht, die den noch ungeformten Geist eines kleinen Kindes vielleicht nicht völlig, aber doch immens davor schützte, rassistisches Ideengut überhaupt zu entwickeln, oder von den Erwachsenen zu übernehmen. Und was immer ich später über sie hörte und las, hat mir nur bestätigt, daß sie eine beeindruckende Persönlichkeit war.

Bild ursprünglich von Super Festivals auf Flickr gepostet; gemeinfrei (s.u.)

Nichelle Nichols 2019

Nichelle Nichols war sicherlich mehr als nur Lt. Uhura. Sie war Sängerin, Tänzerin, später auch Produzentin und Choreographin, Synchronsprecherin für Animationsserien, und auch nach Star Trek weiterhin schauspielerisch tätig; und sie arbeitete mit der NASA an einem höchst erfolgreichen Projekt, Frauen und Angehörige von Minderheiten für die Space Agency zu rekrutieren. In den 1980ern engagierte sie sich darüber hinaus beim National Space Institute, einer Non-Profit-Organisation, die sich für die Erforschung des Weltalls einsetzt. Daß ein Asteroid nach ihr benannt wurde, ist eine verdiente Anerkennung solcher Leistungen.

Auch der Tod anderer Darsteller der Originalserie hat mich getroffen, und wenn ich es – aus den genannten Gründen – versäumt habe, ihnen Nachrufe zu widmen, möchte ich das hier nachholen: R.I.P. De Forest Kelley, R.I.P. James Doohan; und noch einmal einen Gruß an Leonard Nimoy, der damals noch einen Nachruf erhielt.

Dieser hier ist keiner, den ich schreiben will; aber muß. Eine traurige Pflicht: Einer Frau, die auf mein leben und das Vieler eine solche Wirkung hatte, die Ehre zu erweisen.

Ihr Tod hat mich schwer getroffen, und sicherlich viele Andere, die ihr Nahestehenden am Meisten; ihre Bedeutung läßt sich kaum in Worte fassen.

Live long and prosper, heißt es bei Star Trek; heute aber muß es heißen: Lebwohl, Nichelle Nichols. Lebe für immer. In unseren Herzen.


Urheberrechtsnotiz:

Nichelle Nichols 1979:
Quelle: https://www.flickr.com/photos/alan-light/4505899674/
Photo by Alan Light; Nutzung gestattet bei Nennung des Photographen

Nichelle Nichols 2019:
Quelle: https://www.flickr.com/photos/superfestivals/49134192366/
Bild ursprünglich von Super Festivals auf Flickr gepostet; Nutzung lizensiert unter Creative Commons Attribution 2.0 Generic License (CC BY 2.0)