Archiv der Kategorie: Diverses

:: TV-Tipp: Infiniti

TV-Tipps schreiben sich recht fix, daher trotz der kürzlich angesprochenen Situation schnell das: Die franko-belgische SF-Serie Infiniti verbindet Elemente harter, technisch realistischer Science-Fiction, des Polit-Thrillers und einer faszinierenden Mystery-Story, in der kausale bzw. temporale Paradoxa eine Rolle zu spielen scheinen – und ihr gelingt, keines dieser Elemente zu kurz kommen zu lassen. Im Gegenteil verbinden sich politische Machtspiele konkurrierender Groß- und Supermächte, die vorgeben, friedlich kooperieren zu wollen, eine dramatische Thriller-Handlung, und seltsame Ereignisse zu einem Ergebnis, das in sich stimmig, atmosphärisch dicht und spannend ist.

Da die Story auf mehreren Zeitebenen erzählt wird, bleibt sie in der ersten Folge, die insgesamt etwas sperrig wirkt, noch schwer zugänglich. Je mehr man mit den Charakteren und ihren Motivationen vertraut wird, während die Handlungselemente sich zu rätselhaften, zugleich spannenden Fäden verknüpfen, entwickelt die Geschichte ab der zweiten Folge einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann.

Zur Handlung kurz so viel: Eine russische Raumkapsel kollidiert beim Andockmanöver mit der Raumstation ISS, die daraufhin schwer beschädigt um die Erde kreist. Doch warum findet man Leichen der Besatzungsmitglieder, die anscheinend schon vor ihrem Start zur Raumstation auf der Erde starben – möglicherweise ermordet wurden? Wieso kommen zugleich eindeutige Lebenszeichen von der ISS? Und was bewirkte den Zustand der Körper auf der Erde, die ohne Kopf und in einem bizarren Zustand aufgefunden werden?

Die französische Astronautin Anna Zarathi und der kasachische Polizist Isaak Turgun versuchen, das Rätsel zu lösen – und dabei nicht in die Schußlinie professioneller Söldner zu geraten, die auch vor Folter und Mord nicht zurückschrecken. Irgendwer hat irgend etwas zu verbergen, und keinerlei Skrupel – auch sympathische, handlungstragende Figuren sind nicht davor sicher, ihm zum Opfer zu fallen. Mit jeder Folge steigert sich die Spannung, da die Protagonistïnnen um ihr Leben kämpfen (bzw. rennen); Mystery-Aspekte, politische Spannungen und Thriller-Elemente unterlegen die Story mit einem satten, ebenso spannungsreichen Hintergrund.

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:: Kurze Erklärung für lange Abwesenheit

Eine kurze Erklärung dafür, daß ich nun schon längere Zeit nur sehr selten etwas veröffentlicht habe: Es liegt, wie immer, an der Arbeit. Nur daß die Situation durch den immer extremeren Personalmangel langsam absurde Züge annimmt. Ich kann auch nicht versprechen, daß sich das in absehbarer Zeit stark maßgeblich ändert. Doch nach Wochen eines regelrechten Dienstplan-Chaos habe ich nun wenigstens eine regelmäßige Struktur – Überstunden bleiben, sind jedoch planbar, die Arbeitszeiten ändern sich z.B. nicht mehr schlagartig von einem Tag auf den nächsten.

Ich finde diese Situation selbst höchst unbefriedigend; in den letzten Wochen und Monaten ist einiges an m.E. notwendiger politischer Analyse und Meinungsäußerung angefallen, das ich gerne behandeln bzw. abarbeiten würde – das sogar, meiner Ansicht nach, dringend bearbeitet werden müßte. Da gerade solche Artikel ein Mindestmaß an Recherche und Muße erfordern, liegt damit manches auf Eis, das mir unter den Nägeln brennt. Einfacher zu schreibende Stücke über Populärkultur würde ich gerne verfassen, einfach, weil es Spaß macht, mich zu meinen Hobbies zu äußern. Kurz, ich würde gerne mehr und häufiger bloggen, doch zur Zeit geht es einfach nicht.

Es geht hier nicht um ein paar Überstunden, auf die ein gewisser Herr Lindner (FDP) doch wieder „Freude machen“ will, nötigenfalls per „Mentalitätsreform“. (Das allein ist eine Sache, zu der einiges zu sagen wäre – d.h. zur momentanen Propagandaoffensive neoliberaler und konservativer Politiker, die eine gesellschaftliche Spaltung zwischen „Fleißigen“ und „Faulen“ (sprich Armen) herbeireden wollen. Und dazu, wie solche Offensiven organisiert und strukturiert werden.) Es geht um eine Überlastung, die deutlich alle intellektuellen, emotionalen und körperlichen Reserven aufzehrt. Aber immerhin ist das Chaos (vorläufig) beendet. Neben diesem Versuch, eine neue Diffamierungskampagne gegen notleidende Menschen zu starten (der bisher anscheinend seltsam erfolglos zu bleiben scheint, verglichen mit ähnlichen Kampagnen um die Jahrtausendwende, die u.a. die Haretz-IV-Politik begleiteten) wären der weiter stattfindende Rechtsruck im Land, die jüngste Abtreibungsdebatte, und das immer häufigere, vorauseilenede Zurückrudern der Regierung vor den antizipierten Wutattacken aus dem (rechts)konservativen Lager Themen, die ich nur mit Bauchschmerzen unkommentiert lassen würde.

Ich hoffe, in den folgenden Wochen wenigstens einige davon aufgreifen zu können, da wie gesagt zwar immer noch die Arbeit alles dominiert, aber wenigstens etwas Ruhe und Planbarkeit eingekehrt sind. Ich denke aber nicht, daß ich es auf mehr als einen Artikel pro Woche bringen werde, wenn überhaupt. Vielleiiiicht läßt sich auch mal wieder was zum Thema Comics unterbringen. Also sehr vielleicht. Ich werde es versuchen – also, keine Versprechungen, aber Herr Sathom tut sein bestes.

Na ja. Soviel dazu; Over and Out.

:: Die Deutschen und ihr Streikrecht

Die Bahn streikt. Die Lokführergewerkschaft GDL, genau gesagt. Und die Deutschen sind sauer. Also alle. Angeblich.

Dabei ist laut einer neuen YouGov-Umfrage lediglich jede fünfte Person in Deutschland überhaupt vom Streik betroffen; d.h. 75% der Bevölkerung spüren die Auswirkungen – nach eigener Aussage – überhaupt nicht. Das wundert auch nicht – schließlich entfällt derzeit nur ein Fünftel der gesamten Verkehrsleistung hierzulande auf den sogenannten Umweltverbund, öffentliche Verkehrsmittel also.

Dennoch lehnen 60% der Bevölkerung den Streik ab.

Auch das verwundert kaum; denn wie schon in der Vergangenheit wird der Streik von einer massiven Medienkampagne begleitet, die Wut und Ablehnung erzeugen soll. Allen voran engagiert sich dabei natürlich die Springer-Presse; aber auch die sonstige journalistische Aufbereitung – nun, sie ist seltsam. Aber dazu gleich mehr. Einstweilen springen wie gewohnt manche Politikerïnnen auf den medialen Stimmungszug und fordern Einschränkungen des Streikrechts bei kritischen Infrastrukturen, z.B. das zwingende Vorausgehen eines Schlichtungsversuchs, ehe gestreikt werden darf. (Diese Idee birgt ihre eigenen Probleme; Schlichtungen setzen nämlich voraus, daß ein „schlichtungsfähiger“ Vorschlag auf dem Tisch liegt. Stellt sich z.B. die Arbeitgeberïnnenseite stur, kann gar nicht geschlichtet werden – wenn ein vorheriger Schlichtungsversuch aber die Voraussetzung dafür ist, streiken zu dürfen, könnten Arbeitgeberïnnen Streiks einfach verhindern, indem sie eine Schlichtung verunmöglichen. Was vielleicht die Absicht hinter dieser Forderung ist.)

Aber woran liegt das? Wir haben ein verfassungsrechtlich verbrieftes Streikrecht – doch jedes Mal, wenn Arbeitnehmerïnnen es nutzen, kommt es zu einer merkwürdigen Diskussion.

Dürfen die das?

Niemand würde sich hinstellen und offen fordern, das Streikrecht abzuschaffen – gar deswegen das Grundgesetz zu ändern. Stattdessen wird immer, wenn es genutzt wird, ein merkwürdiges Ritual zelebriert. Es dient dazu, die moralische Legitimität des Streiks zu leugnen. Der Ablauf folgt stets demselben Muster. Zuerst werden beliebige Leute auf der Straße befragt, was sie vom Streik halten – ob diese nun mittelbar, unmittelbar oder gar nicht von den Auswirkungen betroffen sind. Die Befragten, aber auch die fragenden Reporterïnnen beklagen dann stets, welche negativen Auswirkungen der Streik doch für Dritte hätte. Und ja, die gibt es. Nur werden diese stets höher bewertet als die Anliegen der Streikenden. Da können Leute bei Amazon lausig bezahlt werden, wie Strafgefangene elektronisch überwacht werden und gezwungen sein, und in Flaschen zu pinkeln – Protest dagegen wird als unrechtmäßig oder übertrieben dargestellt, darauf verwiesen, daß diese Leute ja z.B. das Weihnachtsgeschäft gefährden, und daß da Kinder ganz doll traurig sein werden, wenn der Coca-Cola-Opa Weihnachtsmann die X-Box nicht bringt.

Man scheint der Auffassung: Ganz gleich wie miserabel und zermürbend die Arbeitsbedingungen; ganz gleich, wie erbärmlich das Gehalt, und ob die Beschäftigten davon leben können; die Bequemlichkeit Dritter wiegt schwerer, und die Streikenden hätten eigentlich die Pflicht, tapfer die Zähne zusammenzubeißen und alle Qualen zu erdulden.

Kurz: Den Streikenden wird das moralische Recht abgesprochen, zu streiken. Sie werden eines moralischen Verbrechens beschuldigt, wenn sie ein ihnen zustehendes Recht in Anspruch nehmen.

Mediale Schelte

Die Rolle der Medien ist dabei ebenfalls, na, sagen wir: kurios. Daß Springer & Co. Stimmungsmache betreiben, muß niemanden wundern. Doch auch die „seriösen“ bürgerlichen Medienschaffenden, sowohl private wie öffentlich-rechtliche, gebärden sich eigenartig.

Deutsche Journalistïnnen haben es nicht leicht, was Einkommen und Arbeitsbedingungen angeht, besonders die Freien unter ihnen; und sie sind gewerkschaftlich organisiert (bei ver.di). Dennoch wird bei fast jedem Streik – egal ob von Lehrerïnnen, Kinderbetreuerïnnen, Krankenhaus- oder Pflegepersonal – zunächst die völlig legitime Inanspruchnahme des Streikrechts durch Angehörige anderer Branchen infrage gestellt.

Gewerkschaftsvertreterïnnen müssen sich Interviews stellen, in denen sie noch einmal explizit darauf verwiesen werden, welchen „Schaden“ ihr Streik anrichtet; erbarmungslos wird nachgehakt, ob das denn angesichts der Konjunkturlage ratsam sei, ob Lohnerhöhungen nicht Preiserhöhungen für die Kundïnnen zur Folge hätten, wie z.B. die Bahn das denn bezahlen soll, wo sie doch eh gerade soviel am Schienennetz zu reparieren hat, usw. Diese Interviews erinnern an Verhöre.

:: Positiv überrascht

Manchmal bin ich doch – und, gebe ich zu, trotz meines allgemeinen Pessimismus – positiv überrascht.

Wann? Wenn es z.B. eine Reaktion gibt, die ich nicht erwartet hätte.

Am 10. Januar 2024 enthüllte die Rechercheplattform Correctiv ein Geheimtreffen nahe Potsdam, bei dem es um nichts Geringeres ging als das, was Rechtsextreme „Remigration“ nennen – also die Massendeportation von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland. Pläne dafür schmiedeten bei diesem Treffen Politikerïnnen von AfD und CDU bzw. Werteunion, Rechtsradikale, und wohlhabende „brave Bürgerïnnen“ – Vertreterïnnen der gehobenen Mittelschicht, denen offenbar die Aufgabe finanzieller Förderung zugedacht war.

Man muß sich das Ausmaß dieser Pläne klarmachen, um die Brisanz zu verstehen. Es geht nicht darum, Asylsuchende abzuschieben, deren Anträge mehr, weniger oder gar nicht begründet sind. Sondern langfristig um die totale Vertreibung aller Menschen, die einen „Migrationshintergrund“ haben – also keine reinweißen „Biodeutschen“ im Sinn der „völkischen“ Ideologie sind. Menschen, die in dritter vierter, oder irgendwann vielleicht in zehnter Generation (siehe unten) Deutsche sind, nämlich die Staatsbürgerschaft besitzen, sollen ebenso vertrieben werden. Es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger als den Plan einer völligen „ethnischen Säuberung“.

Langfristige Pläne

Das läßt sich natürlich nicht so eben über Nacht bewerkstelligen. Zuvor sollte – so der Wille der Beteiligten – in Deutschland eine Stimmung erzeugt werden, die dazu führt, daß die Bevölkerung ein solches Vorgehen immer stärker akzeptiert. Und die umgekehrt dazu führt, das Land für zuwanderungswillige Menschen unattraktiv zu machen (hallo Fachkräftemangel). Zum Beispiel, weil sie mit einer feindseligen Stimmung und Benachteiligungen rechnen müssen, sollten sie doch kommen.

Dazu bedarf es sogenannter Metapolitik (wir hatten das Thema hier schon) – etwas, das man früher schlicht Stimmungsmache nannte. Entsprechend langfristig planten die Beteiligten: Es geht um die finanzielle Förderung rechter Influencerïnnen (auch „Hatefluencerïnnen“ genannt), die auf YouTube häufig demonetarisiert, also von Werbeeinnahmen ausgeschlossen werden; um die Gründung einer Agentur und andere Maßnahmen, jüngere Menschen konsequent mit rechter Propaganda zu bespielen. Gut vernetzte Akteurïnnen sollen gezielte Kampagnen fahren, bei denen unterschiedliche Kanäle und Hatefluencerïnnen gemeinsam agieren und die Vertreibungsagenda populär machen. Hätte man erst einmal parlamentarische Macht gewonnen, sollte das Vorhaben durch „maßgeschneiderte Gesetze“ begünstigt werden – laut Teilnehmer Martin Sellner, Ex-Sprecher der österreichischen „Identitären Bewegung“ und rechter Aktivist, ein „Jahrzehnteprojekt“. Weshalb es eben, wie gesagt, alle treffen kann – auch Menschen, die dann eben schon seit Jahrzehnten Staatsbürgerïnnen sind.

Wer da alles mit wem vernetzt ist und wie weit dieses Geflecht reicht, ist ziemlich komplex – es umfaßt bürgerliche Kreise, in der Vergangenheit gut beleumundete Unternehmer, finanzstarke Unterstützerïnnen. Neben dem Originalartikel bei Correctiv kann man Details hier bei netzpolitik.org (Verbindungen zur IT-Branche, Aufbau von Online-Einfluß) und hier bei Belltower (Thema Social Media) finden. Zumindest die Beiträge von Correctiv und netzpolitik.org sind ziemlich leseintensiv und ich verlinke sie lieber, als dieses Spinnennetz hier noch einmal zu entknäueln. Denn es geht hier um etwas Anderes – etwas Positives.

Die Überraschung

Ich hatte eigentlich erwartet, daß die deutsche Öffentlichkeit diesem Anschlag auf die eigenen Mitbürgerïnnen mit Gleichgültigkeit begegnen würde. Daß das Thema Rassismus ignoriert, verharmlost, die Betroffenen im Stich gelassen würden, wäre ja nicht ohne Beispiel. Stattdessen das.

:: Von den Toten nur Gutes?

„De mortuis nihil nisi bene“ – so lautet die lateinische Übersetzung einer ursprünglich griechischen Wendung: Von Verstorbenen sei nur in guter Weise zu sprechen.

Und nur selten findet man einen Nachruf auf Politikerïnnen oder andere Personen des öffentlichen Lebens, der so freimütig titelt wie der Rolling Stone über den neulich verstorbenen Henry Kissinger: „Henry Kissinger, War Criminal Beloved by America’s Ruling Class, Finally Dies“ („Henry Kissinger, von der herrschenden Klasse Amerikas geliebter Kriegsverbrecher, stirbt endlich“) heißt es da unter dem Übertitel „Good Riddance“ (sinngemäß etwa „Ab mit Schaden“).

Man kann über Mr. Kissingers Verdienste oder Verbrechen sicherlich unterschiedlicher Meinung sein (Herr Sathom tendiert eher in die Richtung, die auch der Rolling Stone einschlägt); aber von offizieller Seite wird man in einem solchen Fall hauptsächlich Lobeshymnen (oder kurze Kommentare, die sich allzuviel Lob verkneifen) hören.

Und das bringt uns zu Wolfgang Schäuble. Klar, so viel auf dem Kerbholz wie Kissinger hatte er nicht – allerdings auch weder die nötige Macht noch den internationalen Einfluß dafür. Aber immerhin: Er galt als einer der bedeutendsten deutschen Politiker; und so lange er noch neben Angela Merkel in der CDU-Parteispitze saß, landete er regelmäßig auf Platz 1 in der Beliebtheitsskala deutscher Politikerïnnen, die das ZDF an Freitagabenden regelmäßig ausstrahlt. Die Bevölkerung hielt große Stücke auf ihn; und anläßlich seines kürzlichen Todes fanden sowohl Parteifreundïnnen als auch ehemalige politische Gegnerïnnen warme, lobende Worte für den Mann.

Herr Sathom fragt sich bloß: Warum? Und er gibt zu, es ärgert ihn ein bißchen – so wie ihn auch der erste Platz im Politranking regelmäßig ärgerte, so lange Wolfgang Schäuble noch maßgeblichen politischen Einfluß ausübte.

Also, warum? Man muß einen Toten nicht posthum mit Schmähreden überziehen, zumal er nicht mehr antworten kann; doch anstelle irgendwelcher lobender Nachreden sollte man einen nüchternen Blick auf sein Leben und Wirken richten. Bei Wolfgang Schäuble ernüchtert dieser Blick.

Schäuble war nicht nur in die CDU-Spendenaffäre Anfang 2000 verwickelt, und sein Finanzministerium reagierte äußerst träge auf erste Hinweise auf die Cum-Ex-Affäre; dergleichen gilt heutzutage schon als Lappalie, und immerhin haben wir auch einen Bundeskanzler, der sich diesbezüglich der Gnade der partiellen Amnesie erfreut. Wenigstens war Schäuble wegen der Parteispenden-Enthüllungen noch von seinen damalige Ämtern zurückgetreten und hatte sich beim Bundestag – auch für Lügen, die er in dem Zusammenhang erzählt hatte – entschuldigt (mehr ist ihm allerdings auch nicht passiert).

Folter, Haft, Unschuldige: Zurück in die Vergangenheit

Aber das ist nicht das Anstößige an der Person Schäuble, nicht der Grund, weshalb seine Beliebtheit im Grunde skandalös ist. Nicht das, was Wolfgang Schäuble eigentlich als Politiker weitaus größerer Kritik hätte aussetzen sollen. Es sind seine politischen Auffassungen.

Als Bundesinnenminister schlug Schäuble vor, die Aussagen Gefolterter – etwa Gefangener in Guantanamo – für die Ermittlungsarbeit deutscher Sicherheitsbehörden zu verwenden.

2009 sprach er sich in einem Interview dagegen aus, Terrorverdächtige bei erwiesener Unschuld freizulassen – denn gerade, weil sie unschuldig eingesessen hätten, könnten sie ja deswegen Aggressionen und Rachegelüste aufgebaut haben (um so mehr – denn damals ging es um die Freilassung von Gefangenen aus Guantanamo – wenn sie gefoltert worden wären).

Foltergeständnisse nutzen, wenn man nur selbst nicht gefoltert hat, es aber praktischerweise Andere taten; Unschuldige festhalten, weil sie unschuldig sind, Menschen wegen potentiell möglicher, zukünftiger Motive inhaftieren – Wolfgang Schäuble demonstrierte immer wieder ein Rechtsverständnis, das ihn eigentlich für den Posten des Bundesministers des Inneren hätte disqualifizieren müssen; Ansichten, die ihn für jedes politische Amt hätten disqualifizieren müssen.

:: Fatale Ursachen, fatale Wirkung

Manchmal ist es nicht nur frustrierend, sondern fürchterlich, sich nicht getäuscht zu haben.

Herr Sathom hatte kürzlich in einem Beitrag über den Israel-Hamas-Krieg drei Thesen geäußert:

  1. Daß es sich bei dem brutalen Terrorangriff der Hamas um eine Propagandaaktion à la 9/11 handelt, die das Ziel verfolgt, den Gegner zu einer Überreaktion zu provozieren, mit der er sich u.a. selbst diskreditiert.

  2. Daß die Hamas diesen Angriff gerade jetzt durchführte, weil ihr Einfluß auf die palästinensische Bevölkerung in Gaza schwindet bzw. sie sogar auf offene Ablehnung stößt.

  3. Daß die Hamas und die Netanjahu-Regierung skrupellos nicht nur die Leben der „gegnerischen“, sondern auch der eigenen Bevölkerung opfern, um sich an der Macht zu halten.

Mit der ersten These folgte ich einer Einschätzung des YouTubers Beau of the Fifth Column, der regelmäßig sehr gute Analysen militärischer und geopolitischer Aktionen liefert; die zweite war eine eigene Spekulation, die auf einer Last Week Tonight-Episode beruhte. Dieser zufolge regte sich in Gaza bis kurz vor dem Angriff wachsender Widerstand gegen die Hamas. Denn im Gegensatz zu internationalen „Free Palestine“-Ruferïnnen betrachteten die Palästinenserïnnen die Hamas noch kürzlich keineswegs als legitime Vertretung, die einen Freiheitskampf für sie führt – sondern als Terrorregime, das sie mit Folter und Mord verfolgt. Noch im Sommer diesen Jahres war es in Gaza zu Anti-Hamas-Demonstrationen gekommen, und erst kurz vor dem Angriff gaben 73% der Palästinenserïnnen an, eine friedliche Übereinkunft mit Israel zu wünschen. Die Vermutung war daher, daß die Hamas eine israelische Überreaktion herausfordern wollte, um die z.T. offen feindselige Bevölkerung wieder auf ihre Seite zu ziehen.

Und jetzt? Neue Umfragen in Süd-Gaza und im Westjordanland (West Bank) ergaben, daß sich die Unterstützung für die Hamas in der Bevölkerung verdreifacht hat. Knapp zwei Monate – und über 10.000 tote Zivilistïnnen – später halten 72% der Palästinenserïnnen die Hamas-Attacke vom 07.10. für gerechtfertigt. Die Zustimmung im Westjordanland liegt mit 82% höher als in Gaza (57%). Auffällig ist also, daß im Westjordanland – wo die Palästinenserïnnen unter den Übergriffen radikaler Siedlerïnnen leiden – die Zustimmung weit höher ausfällt als in Gaza, wo die Bevölkerung wiederum unmittelbare Erfahrung mit der Hamas hat. Zugleich ist die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland, die anders als die Hamas international anerkannt ist, bei der Bevölkerung in Ungnade gefallen (genaue Zahlen finden sich hier).

Was bedeutet das?

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:: Jan Böhmermann zensiert

TRIGGER-WARNUNG:
DER FOLGENDE ARTIKEL BEFASST SICH MIT AUSWIRKUNGEN PHYSISCHER UND PSYCHISCHER GEWALT – WER SOLCHE ERLITTEN HAT ODER AUF DEREN ERÖRTERUNG SENSIBEL REAGIERT, SOLLTE NICHT WEITERLESEN.

Manchmal gibt es Themen, bei denen ich mich im Nachhinein ärgere, nichts darüber geschrieben zu haben – sei es aus Zeitmangel, beruflicher Überlastung, oder welchen Gründen auch immer. Besonders, wenn das Thema eigentlich ins Spektrum meiner Interessen und Kenntnisse fallen sollte. Doch dazu unten mehr.

Dabei hatte ich geahnt, daß es Ärger geben würde – damals, als Jan Böhmermann im Rahmen des ZDF Magazin Royale eine besondere Verschwörungstheorie aufgriff. Und zwar die, daß es ein weit verzweigtes Netzwerk satanistischer Kulte gäbe, die für die meisten Fälle sexuellen Kindesmißbrauchs verantwortlich sind.

Diese Sendung ist nun vom ZDF-Fernsehrat aus der Mediathek entfernt worden. Offenbar ging der Entscheidung, die nur eine knappe Mehrheit fand, eine hitzige Debatte voraus. Anlaß waren zwei Programmbeschwerden, von denen eine von der „Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ ausging (das wird noch wichtig werden).

Worum ging es in der Sendung? Böhmermann attackierte vornehmlich eine Psychotherapeutin namens Michaela Huber, die seit Jahren mit der sogenannten „Rituelle Gewalt Mind-Control“-Theorie hausieren geht. Im Wesentlichen geht es dabei um die Behauptung, Netzwerke satanischer Kulte würden in großem Umfang rituellen Mißbrauch an Kindern verüben, was bei den Betroffenen zu Dissoziativer Persönlichkeitsstörung (DIS) führe. Dabei werden den Mißbrauchsopfern, die eine multiple Persönlichkeit entwickeln, teilweise übernatürliche Fähigkeiten angedichtet: Wenn sie die Persönlichkeit wechseln, würden z.B. körperliche Verletzungen, die der vorherigen Persönlichkeit zugefügt wurden, spurlos verschwinden – weshalb sich z.B. keine Folterspuren nachweisen ließen. Zu der Vorstellung, daß es weit verzweigte Netzwerke satanischer Kulte gäbe, die solche Mißbräuche in großer Zahl verüben, tritt außerdem die Idee der „Mind Control“, der Gedankenkontrolle: Die Täterïnnen wären in der Lage, die Persönlichkeit ihrer Opfer zu spalten und einzelne Spaltpersönlichkeiten zu „programmieren“, was ihnen eine dauerhafte Kontrolle über die Opfer verschaffe.

Der Teufel hat die Hand im Spiel

Kurz, während Untersuchungen darauf hinweisen, daß Mißbrauch meist im Nahumfeld der Opfer, z.T. in der eigenen Familie stattfindet, malen Huber und ihre Anhängerïnnen das Bild äußerer Feinde – Satanistïnnen, Sekten usw. – von denen das Böse ausgeht. Sie lauern hinter jedem Busch und sind verantwortlich für jeden einzelnen Mißbrauchsfall – immer.

Huber, die ausgesprochen umstritten ist und teilweise extrem esoterische Ansichten vertritt, will z.B. bei Personen mit DIS sogar Phänomene wie Telepathie beobachtet haben. Und sie hat auf der Verbreitung dieser Theorie eine beachtliche Karriere aufgebaut. Tatsächlich hat sie es verstanden, sich einen Ruf als Expertin zu „erarbeiten“, der einflußreiche Kreise und Institutionen zuhören. 2008 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz, 2011 den Bertha-Pappenheim-Preis der Deutschen Gesellschaft für Trauma und Dissoziation e.V.; was zeigt, daß sie über über beste Verbindungen verfügt, solche z.B. während der Regierungszeit Angela Merkels zum Bundesfamilienministerium unterhielt.

Der Vorwurf an Huber und andere Vertreterïnnen der Ritualgewalt-These lautet, daß sie ihren Patientïnnen die erinnerten Erlebnisse einreden – sie durch Suggestivfragen und andere Techniken dazu manipulieren, die gewünschten „Erinnerungen“ zu produzieren.

:: Die wahre „Sprachpolizei“

Guten Tag.

Zunächst eine kurze Erklärung, warum Herr Sathom in letzter Zeit nicht gebloggt hat – mit schönen Grüßen an alle „Querdenkerïnnen“, Impfgegnerïnnen und Covid-Leugnerïnnen: Corona existiert. Ja, es ist wahr – nachdem ich mich drei Jahre lang erfolgreich gedrückt habe, hat die Seuche mich doch noch fast zwei Wochen lang aufs Lager gestreckt. War jetzt nicht verheerend schlimm, aber auch nicht soo lustig, und darum halt. In diesem Sinne:

Da sind die Bastarde.

Naja. Weitere, damit in keinerlei Zusammenhang stehende Nachrichten: Nachdem Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein das Gendern in Schulen, Behörden etc. bereits seit einiger Zeit verboten haben, geht es jetzt in Hessen weiter. Im Rahmen der Koalitionsgespräche zwischen SPD und CDU heißt es in einem Sondierungspapier, man wolle „festschreiben“, daß staatliche und öffentlich-rechtliche Institutionen wie Schulen, Universitäten, oder Rundfunkanstalten auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichten sollen. Das geht, wie schon vorherige Verbote, nicht ohne Widerstand ab – ob und inwieweit sie überhaupt rechtlich bindend sind, ist dabei strittig. Oft hängt es vom Anwendungsbereich ab; zweifelhaft ist z.B., ob man Journalistïnnen, auch bei den Öffentlich-Rechtlichen, das Gendern überhaupt verbieten kann – oder ob Schülerïnnen ggf. gegen schlechtere Benotungen klagen könnten (Schülerïnnen, die in ihren Texten gendern, können in den bisher betroffenen Ländern mit Punktabzug bestraft werden).

Offiziell beruft man sich bei solchen Vorstößen gern auf den „Rat für deutsche Rechtschreibung“. Der allerdings hatte 2021 lediglich das Gendern aktuell nicht empfohlen, wenngleich darauf hingewiesen, daß die Schaffung einer geschlechtergerechten Sprache durchaus eine gesellschaftliche Aufgabe sei; zu keinem Zeitpunkt hat der Rat – der als zwischenstaatliche Institution mit deutscher, österreichischer, schweizerischer und liechtensteinerischer Beteiligung ohnehin nichts verbindlich bestimmen kann – zum Ausdruck gebracht, daß man nicht gendern dürfe oder es verboten gehöre.

Doch warum ist das wichtig?

Guten Tag, wird sind die Hessische Sprachpolizei

Konservative und ganz rechte Kreise fabulieren gern von einer woken oder politisch korrekten „Sprachpolizei“, die ihnen allerhand verbietet. Rassistische Soßenbezeichnungen; frauenfeindliche Formulierungen; und, na ja, was man halt sonst noch gern so daherredet: „Nichts darf man mehr sagen“. Armer Thomas Gottschalk.

Tatsächlich ist jedoch das Gegenteil der Fall. Niemand verbietet, das Z-Wort für die rote Plempersoße zu verwenden, geschweige denn, daß eine „Sprachpolizei“ kommt und dich verhaftet, wenn du es doch tust – nur mußt du, wenn du es benutzt, eben mit Kritik und Widerspruch rechnen. Also damit, daß die Anderen von ihrer Meinungsfreiheit ebenso Gebrauch machen, wie du.

Aber: Beim Gendern ist es tatsächlich etwas komplizierter – wenn auch nicht so schlimm, wie es rechte oder konservative Medienoutlets darstellen. Das betrifft das Gendern an Universitäten. Hier geben viele Unis in Deutschland mittlerweile vor, daß eine genderneutrale Sprache erwünscht sei – daß es zu Punktabzügen oder schlechteren Noten führt, wenn Studentïnnen nicht gendern, beschränkt sich aber auf Eigenmächtigkeiten einzelner Dozentïnnen oder Fachbereiche. Die Uni selbst darf, als staatliche Institution, hier gar keine Pflichtvorgaben machen – wobei diese aber in bestimmten Fächern sogar rechtmäßig sein können (Hochschulen dürfen für schriftliche Arbeiten formale Kriterien festlegen, etwa verpflichtende Zeilenabstände, Schriftgrößen oder Ränder, und Genderschreibung kann in diese Kategorie fallen, wenn sie fachrelevant ist).

Um es klar zu sagen: Obwohl ich selbst wild drauflos gendere, halte ich einen „Genderzwang“ für falsch. Ein Genderverbot jedoch ebenfalls. In beiden Fällen werden formale Kriterien vorgeschoben, um eine Haltung zu bestrafen – eine Meinung.

:: Opfer und Täter

Ich habe das Thema bisher gemieden; denn es scheint einigermaßen schwierig, sich angemessen dazu zu äußern. Schwierig, auf das Leiden der Bevölkerung in Gaza hinzuweisen, ohne zum Parteigänger der Hamas erklärt zu werden; schwierig, dem Leiden der israelischen Bevölkerung Genüge zu tun, ohne als Befürworter der inhumanen Politik der Netanjahu-Regierung zu gelten.

Medien, Politik und Prominente sind derzeit bemüht, sich eindeutig zu positionieren; es wird klare Parteinahme verlangt. Wer sind für dich ausschließlich Täterïnnen, wer einzig und allein Opfer? Wer sind die „Guten“, wer die „Bösen“? Es wird z.T. gefordert, daß man jetzt kritiklos jede Maßnahme des Netanjahu-Regimes unterstützen müsse, bevor man überhaupt noch von anderen Themen reden darf.

Manche vermuten hinter jeder Kritik an Israels Netanjahu-Regierung Antisemitismus; Andere verbreiten tatsächlich antisemitische Hetze. Sie nehmen sämtliche Jüdinnen und Juden weltweit in Sippenhaft dafür, was eine bestimmte israelische Regierung tut, und schmeißen ihnen die Schaufenster ein. Wer gleich richtig ausrasten will, sieht auch noch die Ukraine, die Echsenmenschen, und die angeblichen Architektïnnen eines „Great Reset“ in alles verstrickt.

Wie also spricht man über den Krieg zwischen Israel und der Hamas?

Es scheint, daß auch dieses Mal erst ein Comedian – diesmal John Oliver seiner Sendung Last Week Tonight vom 03.11. – kommen muß, um eine angemessene Sichtweise zu präsentieren. Eine, die von umfassender Recherche geprägt, Mitgefühl für die Leidenden beider Seiten zeigt; und zeigt, daß das ohne Parteinahme geht.

Oder genauer gesagt, daß man anders Partei nehmen muß. Weil die „Guten“ und die „Bösen“ nicht die sind, die wir erwarten würden. Denn, Spoiler: Weder die Hamas noch die Netanjahu-Regierung sind die „Guten“.

Was wir – wenn man Oliver folgen darf, und ich habe seine Darstellung durch eigene Recherche gegengecheckt – tatsächlich vorfinden: Zwei Regierungen – Hamas und Netanjahu – die jederzeit bereit sind, Leben und Wohlergehen der eigenen Bevölkerung aufs Spiel zu setzen; Menschen zu opfern. Mit dem Ziel, die eigene Macht zu erhalten.

Ich kann den Beitrag Olivers und seines Teams nur empfehlen (Englischkenntnisse erforderlich; eine weitere, ebenfalls hervorragende und deutschsprachige Einordnung findet sich hier bei Belltower News). Betrachten wir seine These und steigen wir dabei – unterfüttert von zusätzlichen Quellen – etwas tiefer in die Geschichte Israels und Gazas ein.

Irrtümer und Hintergründe

Um gleich den Elefanten aus dem Raum zu schieben: Der Angriff der Terror-Organisation Hamas, dem über eintauschend unschuldige Menschen zum Opfer fielen – darunter Kinder, sogar Säuglinge – ist ein verbrecherischer, grausamer, widerwärtiger Akt gegen die Menschlichkeit, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Nichts. Punkt, Absatz.

„Aber, aber Herr Sathom – wehren sich die Palästinenserïnnen nicht gegen eine jahrzehntelange kolonialistische, menschenrechtswidrige Politik Israels und ist der Kampf der Hamas nicht eigentlich ein legitimer Befreiungskampf?“

Ääh … Na schauen wir mal, wie die Menschen in Gaza selbst das sehen. Oder in Israel.

Denn hier nun das eigenartige. Die einfachen Leute vor Ort – sowohl Israelis als auch Palästinenserïnnen – scheinen den Konflikt, auch den aktuellen Krieg, weitaus differenzierter zu sehen. Ihn anders wahrzunehmen als diejenigen, die aus sicherer Entfernung die ihnen jeweils genehme Partei bejubeln.

Da ist zum Beispiel das: Nach dem Hamas-Überfall vom 07.10. wollten Angehörige der Netanjahu-Regierung Verwundete im Krankenhaus besuchen. Sie wurden, teils von Angehörigen, teils sogar vom Krankenhauspersonal, wütend verjagt (und ich meine verjagt – wie dieses Video ab ca. Minute 14:30 bei Last Week Tonight zeigt): „Ihr seid verantwortlich!“ – „Ihr ruiniert dieses Land!“ – „Ihr habt alles ruiniert!“, bekamen sie zu hören.

Was meinen die Leute? Nun, hauptsächlich, daß Regierung und Geheimdienst den bevorstehenden Angriff katastrophal verschlafen haben. Oder vielleicht auch die Siedlungspolitik in der Westbank. Oder die Politik der „kollektiven Bestrafung“, die Israel seit Jahrzehnten betreibt, und die sowohl gegen die Genfer Konvention, als auch gegen das Haager Abkommen verstößt. Oder einen anderen, weit größeren Skandal – doch dazu später.

Aber die Palästinenserïnnen? Nehmen sie die Hamas als legitime Vertretung wahr, die für sie einen „Befreiungskampf“ führt?

:: Klimakleber-Fazit I: Die Hüter der Hochkultur

Guten Tag.

Es wird Zeit, mit der Klima-Serie in die letzte Runde zu gehen; wie angekündigt damit, daß wir uns mit den Motiven befassen, die Gegnerïnnen der „Letzten Generation“ bewegen könnten, ihre Kritik auf nachweislich falschen Vorwürfen aufzubauen – und an diesen Vorwürfen festzuhalten, auch wenn diese längst widerlegt sind. Beginnen wir mit den Attacken auf Kunstwerke (genauer gesagt: auf die Glasscheiben vor den Kunstwerken).

Wir hatten ja schon festgestellt, daß in fast allen Fällen keinerlei Schäden an den Kunstwerken – meist Bilder „alter Meister“ in Gemäldegalerien – entstanden; einmalige Ausnahme war die Beschädigung eines Bilderrahmens, was ich persönlich auf Inkompetenz/Dummheit der Aktivistïnnen zurückführen würde, nicht auf böse Absicht (wie hier begründet).

Dennoch, das hatten wir auch gesehen, wurde die Kritik in den Medien stets so gefaßt, als hätten tatsächliche Beschädigungen stattgefunden; selbst Wochen oder Monate nach den Taten wurden Schlagzeilen noch entsprechend formuliert, auch wenn die Artikel selbst inzwischen korrekt berichteten.

Gut, schön, Herr Sathom – aber das hatten wir ja alles schon. Gibt’s was Neues?

Yep. Die Frage nach dem Warum.

Schützt die Kultur, verdammte Kacke

Journalistische Kritik kam vornehmlich von bürgerlichen Medien, gleich, ob sie sich bürgerlich-konservativ oder bürgerlich-liberal geben. Für Medien also, die sich ihrerseits an ein Publikum wenden, das sich als kulturinteressiert identifiziert – als Teil eines gebildeten Bürgertums also. Die Macherïnnen dieser Medien wiederum zählen sich meist auch zu diesem „Bildungsbürgertum“. Das wird noch wichtig werden.

Warum also behandelten Intellektuelle, und bildungsbürgerliche Kommentatorïnnen, politische wie journalistische, die vermeintlichen Beschädigungen oft wie Fakten?

Bei genauerer Betrachtung fällt eines auf. Es werden nämlich nicht nur dieangeblichen Sachbeschädigungen als solche kritisiert. Stattdessen dienen sie dazu, weitreichende Folgerungen über die Aktivistïnnen zu ziehen, deren Charakter, ihre Einstellung zur Kultur – um dann, von dieser vermeintlichen Geisteshaltung ausgehend, eine größere, umfassendere Bedrohung an die Wand zu malen, die von der „Letzten Generation“ ausgehen soll.

Und diese Bedrohung kann gar nicht verheerend genug dargestellt werden. In Meinungskolumnen und Kommentaren wird gewarnt, die Aktivistïnnen würden gegen die Aufklärung kämpfen; um die „Barbarei“ der „Letzten Generation“ zu brandmarken, wird man stellenweise selbst rabiat: Da vergleichen Manche die Aktivistïnnen schon mal mit den Taliban oder gleich den Nazis, oder bezeichnen sie als „Abschaum“.

Kurz, unterstellt wird, daß die „Letzte Generation“ nicht einzelne Gegenstände wie z.B. Bilder angreife, sondern die Kultur selbst gefährde, wie dieser – durchaus nicht unkritische, aber zur Abwechslung wohltuend besonnene – Tagesspiegel-Artikel feststellt; daß sie also kulturfeindlich sei. Und somit barbarisch.

Der Grund? Die Aktivistïnnen seien „arrogant“, „borniert“, neigten – so ein häufig anzutreffender Vorwurf – zur „Selbstermächtigung“ und „Machtanmaßung“; seien sogar, so Talkshow-Soziologe Harald Welzer, „antidemokratisch“.

Der Gedankengang scheint dabei in etwa, daß die Kunstgeschichte des Abendlandes untrennbar verwoben sei mit der Aufklärung, den Traditionen rationalen Denkens, der Demokratie, kurz, all dessen, was unsere Zivilisation ausmacht. Indem die Aktivistïnnen Farbe oder Kartoffelbrei gegen Glasscheiben vor Gemälden werfen, so die Konstruktion, attackieren sie das alles auf einmal. Sie sind Barbarïnnen.

Hier wird eine Bedrohung konstruiert, die die Fiktion zerstörter Kunstwerke benötigt – man könnte eine solche Bedrohung der abendländischen Kultur nicht behaupten, ohne wirkliche Schäden vorzuzeigen. Sie symbolisieren die vermeintliche Verrohung der Aktivistïnnen. Hat man diese erst einmal plausibel verleumdet, kann man sich selbst als Bollwerk gegen diese Barbarei zu verkaufen.

Wie genau geht das vor sich? Was sind die möglichen Motive dieses Vorgehens? Das wollen wir auf den nächsten Seiten erörtern.