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:: Ist Kapitalismuskritik verfassungsfeindlich?

Ich bin gewiß kein unkritischer Fan der beiden einzigen wirklich linken Tageszeitzungen im Land, des Neuen Deutschland (nd) und der jungen Welt (jW). Ich lese beide gelegentlich, weil sie Standpunkte und Fakten präsentieren, die in der bürgerlichen Presse eher nicht, oder nur unter „ferner liefen“ abgehandelt werden; damit bieten sie ein notwendiges Korrektiv zur Weltdeutung der meist bürgerlich geprägten Medien. Zugleich gibt es in beiden Blättern genug altlinke Vorzeitmarxistïnnen, die man als notorische (und schon regelrecht hörige) Putin- und Chinafans bezeichnen kann, um beide nicht vorbehaltlos unkritisch zu lesen. Wie jede andere Zeitung eben auch.

Nun ist es allerdings so, daß die junge Welt seit geraumer Zeit vom Verfassungsschutz beobachtet wird (ein ähnlich benanntes rechtsextremes Blatt, die Junge Freiheit, pikanterweise nicht). Auf eine Anfrage der Partei die Linke hin rechtfertigte das Bundesinnenministerium diese Überwachung jüngst mit einer Begründung, die man nur als kurios bezeichnen kann – und, was Pressefreiheit und Demokratieverständnis angeht, als gelinde gesagt beunruhigend.

Ich will hier nicht alle Punkte dieser „Begründung“ wiedergeben – es empfiehlt sich, diesen Artikel im betroffenen Blatt selbst zu lesen, da er alle „Argumente“ des Ministeriums en detail abhandelt (dazu auch ein Interview mit Amira Mohamed Ali, Kofraktionsvorsitzende der Partei Die Linke). Hier will ich nur auf einen speziellen Punkt eingehen, den ich für besonders prekär halte.

Noch einmal: Es ist nicht so, daß ich die junge Welt bruchlos geil fände; doch das Bundesministerium des Inneren präsentiert hier eine Argumentation, und ein dahinter stehendes Denken, die selbst demokratiefeindlich sind – obwohl sie sich als gegen die Feinde der Demokratie gerichtet ausgeben. Was somit nicht nur die jW als solche gefährdet.

Kurz gesagt behauptet das Ministerium, „die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit“ widerspräche „der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum ›bloßen Objekt‹ degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln.“

Diese Argumentation muß man sich allerdings mal auf der Zunge zergehen lassen.

Das Innenministerium sagt gewissermaßen: „Nicht diejenigen verstoßen gegen das Grundgesetz, die z.B. ihre Angestellten – etwa in Schlachthöfen, oder den Lagerhallen eines gewissen Online-Handelskonzerns – unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten lassen; nicht sie verletzen die Menschenwürde. Nein, die das kritisieren, tun es. Denn durch ihre Kritik fassen sie diese Leute ja nicht als „freie“ Individuen auf, sondern z.B. als „Klasse“, der sie pauschal übereinstimmende Ziele und Handlungen vorwerfen. Damit berauben sie sie ihrer Menschenwürde.“ (Daß die Betreffenden selbst zuvor objektiv andere ihrer Würde beraubten, ist gleichgültig; ebenso, daß ja sie die Angestellten zum „Kollektiv“ gemacht haben – dem der Ausgebeuteten nämlich).

Ich meine – ehrlich, Innenministerium? Die Gesellschaft ist objektiv in „produktionsorientierte Klassen“ aufgeteilt, und diejenigen, die diese Aufteilung vornehmen, und sie oft menschenverachtend ausgestalten, sind die Privilegierten; und Ihr sagt, wer das ausspricht, greift die Menschenwürde an? Wirklich?

In der Lesart des Ministeriums – und damit der Bundesregierung – degradieren also nicht ausbeuterische Arbeitsverhältnisse oder brutale Mieten die Menschen zu „bloßen Objekten“, und es sind auch nicht die Profiteure dieser Zustände, die das tun; sondern diejenigen, die solche Verhältnisse und deren Profiteure kritisieren. Denn sie behandeln die Beteiligten ja nicht als „grundsätzlich frei“.

Aber – „frei“ wozu eigentlich? Es ist ja nicht so, als könne ein Rumäne, der im Schlachthof Frondienste leistet, oder eine alleinerziehende Mutter mit drei Jobs, einfach weggehen. Der ökonomische Druck macht sie ja bereits unfrei. Die niedrigen Löhne, aufgezwungen von einer neoliberalen Politik, tun das. Und die Nutznießerïnnen dieser Unfreiheit – Aktionärïnnen z.B. – teilen ja nun einmal gemeinsame Ziele, wie etwa die Aufrechterhaltung dieser Form der Ausbeutung. Und sind ebenfalls durch strukturelle Bedingungen in diese Position gestellt, und insofern auch nicht „frei“ (gäben sie ihr Verhalten auf, winkte auch ihnen vielleicht die Armut).

Diejenigen, die objektiv vorhandene Unfreiheit benennen, sind also nach Auffassung des Innenministeriums Feindïnnen der Freiheit – weil, äh, warum noch gleich? Weil sie nicht so tun, als ob wir alle frei wären? Ah, ja.

:: Konzernregierung statt Demokratie?

Klingt wie ein überzogenes Angstszenario aus einem dystopischen Science-Fiction-Film der Cyberpunk-Ära: Statt demokratisch gewählter Regierungen beherrschen Konzerne die Welt; aus Staatsbürger*innen werden Angestellte, oder eher: Leibeigene – gleich denen der Feudalzeit.

Is aber so (herzlichen Glückwunsch zum 50. übrigens, Sendung mit der Maus). Oder jedenfalls vielleicht bald.

Im US-Staat Nevada wurde bereits im Februar eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, die Big-Tech-Konzernen ermöglichen soll, eigene Regierungen auf dem Gebiet dieses Staates zu installieren. Soll heißen: Auf einem Gebiet, das der Konzern aufkauft, ist die Autorität der gewählten Staatsregierung teilweise ausgehebelt; die Konzernführung kann u.U. Gesetze erlassen, jedenfalls eine eigene Gerichtsbarkeit unterhalten, Steuern eintreiben und das Schulwesen organisieren.

Zumindest anfangs sollen diese „Zonen“ noch als Bestandteil der Counties (kleinere Regierungsbezirke innerhalb eines Staates) agieren; diese sollen sich jedoch nach und nach aus der Verantwortung zurückziehen, um den Geschehnissen im nunmehr weitgehend unabhängigen Googlevanien oder Blockchainopia freien Lauf zu lassen.

Die letztliche Formulierung des Gesetzes ist noch nicht abzusehen, da es sich vorläufig um einen Entwurf handelt. Dieser reicht allerdings aus, Besorgnis zu erregen. Beispiel Gesetzgebung: Ob ein solcher Konzernstaat eigene Gesetzgebungsgewalt hätte, ist unklar. Technisch gälte er als eigenständiger County des Staates Nevada; Counties sind in den USA, je nach Staat, sehr unterschiedlich organisiert und besitzen teils eingeschränkte, teils keine legislativen Befugnisse. In Nevada haben zumindest bestimmte Stadtstaaten (Incorporated Towns) eingeschränkte Gesetzgebungsgewalt; ähnliches gilt für Counties (z.B. bei Zulassung oder Verbot von Prostitution). Wesentlich ist dabei, daß solche Gesetze nicht gegen die übergeordneten des Staates Nevada verstoßen (die allerdings sehr konzernfreundlich sind). Möglicherweise könnte sich ein Konzern-„County“, abhängig von den Freiräumen, die das Staatsrecht gewährt, z.B. die Arbeits- und Umweltgesetze selbst schreiben. Was das angesichts der längst geläufigen Methoden und Firmenphilosophien großer Konzerne – Union-Bashing etwa, die Bekämpfung von Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen, und skrupellose Umweltzerstörung wie z.B. beim Fracking – bedeuten würde, kann man sich vorstellen.

Würden nicht etablierte Medienoutlets über diese Gesetzesinitiative berichten – etwa die Nachrichtenagentur AP (hier), oder Stephen Colbert in seiner Late-Night-Show (hier) –, müßte man dieses Szenario für den feuchten Traum eines Verschwörungstheoretikers halten. Und natürlich könnte man es achselzuckend abtun, als exzessiven Vorstoß einiger Politiker, vermutlich böser Republikaner (aber denkste; siehe nächste Seite). Tatsächlich handelt es sich um den jüngsten Exzeß einer höchst gefährlichen, schon lange stattfindenden Entwicklung.

:: Big Brother is getting bigger

Kennen Sie diese lustigen Fitnessarmbänder, mit denen man ununterbrochen die eigene Pulsfrequenz und was nicht noch alles überwachen, und an irgendeine Datenkrake weiterleiten kann? Ein praktisches Accessoire für die weitere Steigerung des Selbstoptimierungswahns, der uns befallen hat. Seinen Anfang nahm der übrigens schon mit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft: Perfektibilisierung des Menschen hieß damals etwas umständlich das Streben, dem schon die frühen Aufklärer frönten, und das sich im Aufkommen der ersten, ihrerzeit noch so genannten „diätetischen“ Ratgeber niederschlug (auch Kant verfaßte welche). Scheinbar auf das „Vernünftigwerden“ der Gattung gerichtet, bezeichnete der Terminus auch das Projekt, sich so zuzurichten, daß man die angsterregenden Umbrüche möglichst erfolgreich überstehe – zielte also, wenn auch unreflektiert, auf die wirtschaftliche Nutzbarmachung des Menschen und die Bewältigung seiner diesbezüglichen Versagensängste. Eine historische Wurzel, die weiterhin austreibt, in Zeiten ökonomischer Verunsicherung immer besonders kräftig: sich fit zu machen für den Leistungsmarathon lautet bis heute die Parole.

Das aber nur am Rande. Am 11.02. brachte die Sendung quer des BR gleich zwei Beiträge, die zumindest beunruhigen sollten. Einer betraf die Forderung einiger Krankenkassen, die Daten besagter Armbänder sollten an sie übermittelt werden; der andere Pläne, die Höhe verfügbarer Bargeldsummen zu deckeln (aktuell bei angedacht maximal 5000,- Euro).

Was verbindet beide Berichte?

Zunächst der Anspruch, der hinter beiden Forderungen steht – der auf totale Überwachung und Kontrolle. Die Obergrenze (das wird noch Wort des Jahres) für abhebbare Geldsummen ist wohl nur der Anfang; es gibt Abzeichen dafür, daß das Ziel der Forderungen langfristig die komplette Abschaffung baren Zahlungsverkehrs ist. Die diesen Wunsch hegen, sind natürlich zuerst die Banken. Kann der Bürger über sein Geld nicht mehr verfügen, indem er es sich auszahlen läßt, steht z.B. der Weg offen, seine in Geiselhaft gehaltenen Konten mit Negativzinsen zu belasten, wie in Schweden und der Schweiz schon geschehen, ihm also für ein positives Guthaben Strafgebühren abzuknöpfen. Dabei ist der Begriff der Geiselnahme kein metaphorischer. Könnten die Kunden überhaupt nicht mehr an Bargeld gelangen, ihr Geld den Banken also nicht entziehen, würden sie bei der nächsten Finanzkrise selbst Geiseln der Kreditinstitute. Auf staatlicher Seite sind zunächst die Finanzämter interessiert, doch ließe sich dann auch feststellen, ob man im Erotik-Shop war, welche Zeitung welcher politischen Ausrichtung man am Kiosk kaufte, welche Bücher, kurz, ein komplettes Profil der Meinungen, politischen Einstellungen, privaten Neigungen erstellen. Mal so als dystopische Schreckensphantasie hingeworfen: Es wäre z.B. möglich, mit solchem Wissen mißliebige Personen öffentlich zu diskreditieren. Ein Besuch im Dominastudio? Interessant, Herr Gewerkschaftsfunktionär. Eine übertriebene Befürchtung? Dazu unten mehr.

Was die Armbänder angeht, locken Kassen bereits jetzt mit tariflichen Vergünstigungen für ihre Träger. Daraus könnte irgendwann durchaus eine tarifliche Strafe für diejenigen werden, die sie nicht tragen; letztlich ein Zwang, sie tragen zu müssen.

Das Muster, nach dem die aktuell gewünschten Neuerungen schmackhaft gemacht werden sollen, ist in beiden Fällen das Gleiche. Es wird mit Vorteilen gelockt; der Zwang, der Kontroll- und Herrschaftswunsch als Wohltat nahegebracht. Die Abschaffung des Bargelds soll Schwarzarbeit und kriminelle Geldwäsche verhindern (weil beim organisierten Verbrechen ja noch Trenchcoat-Männer mit Geldkoffern rumrennen, statt daß man seine Geschäfte über Scheinfirmen und vernetzte Konten abwickelt, warum auch nicht, so eine Drogenmillion hat man ja mal eben als Geldrolle in der Tasche). Auch bei Anne Will wurde am Sonntag die Verringerung des Bargeldverkehrs u.a. als Wundermittel zur Kriminalitätsbekämpfung propagiert. Die Kollegen von quer machten sich dagegen immerhin die Mühe, zu prüfen, welche Auswirkungen auf Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung und Geldwäsche die Maßnahme in Ländern wie Schweden oder der Schweiz bereits zeitigte (so gut wie keine), und welche Folgen sie für sämtliche Bürger stattdessen hat (siehe oben). Vor allem aber soll dadurch alles bequemer, schneller, einfacher werden. Und auch die Gesundheitsarmbänder werden als immenser Vorteil angepriesen. Herzinfarkt? Das Armband holt die Ambulanz.

:: Einige Einwände zu kürzlichen Verlautbarungen der bekannten Frau M.

„PEGIDA“ bestimmt weiterhin einen großen Teil der öffentlichen Debatte; nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo nur um so mehr.

In der vergangenen Woche forderte Bundeskanzlerin Merkel eine „demokratische Rückbesinnung“. Diskriminierung und Ausgrenzung dürften in der Gesellschaft keinen Platz haben; jeder „Generalverdacht“ verbiete sich. Das erinnert an die Neujahrsrede, in der sie den „PEGIDA“-Teilnehmern „Kälte im Herzen“ vorwarf. Gleichzeitig spricht sich die Kanzlerin unter dem Eindruck der Pariser Attentate für eine Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung aus – soviel zum Demokratieverständnis.

Demgegenüber ist noch einmal festzuhalten:

Erstens, flächendeckende Überwachung ist kein geeignetes Mittel, Terroristen an ihren Taten zu hindern, oder sie aufzuspüren. Dies ist auch nicht ihr angestrebter Zweck.

Professionelle Terroristen verfügen längst über Mittel und Methoden, sich solchen Überwachungstechniken zu entziehen; daß ihnen das wieder und wieder gelingt, dafür sind die Taten von Paris nur die letzten einer Vielzahl von Belegen. Zu solchen Mitteln gehören, wie medial oft erwähnt und berichtet, der Tausch von Handychipkarten, unverfängliche Gesprächsthemen als Codes u.v.m.

Offen lesbar wie ein Buch ist per totaler Überwachung nur einer: der ganz gewöhnliche, aber vielleicht politisch, gewerkschaftlich oder gesellschaftskritisch aktive Bürger. Dieser verfügt schlichtweg nicht über das know-how, sich der völligen Erfassung zu entziehen. Und ihm gilt auch die eigentliche Aufmerksamkeit.

So berichtete etwa der Guardian schon vor einiger Zeit von Forschungsprojekten amerikanischer Universitäten, die Methoden entwickeln sollen, potentielle politische Bewegungen (vergleichbar etwa mit der Friedensbewegung der 1980er Jahre oder Occupy, aber auch lokalen Bürgerinitiativen) frühzeitig zu erkennen, die Rolle einzelner Vertreter zu identifizieren, und die öffentliche Meinungsbildung zu Anliegen solcher Bewegungen zu steuern. Daß die Ausbreitung sozialer Bewegungen dabei als „Infektion“ (contagion) bezeichnet wird, verdeutlicht die Einstellung der Überwacher zu legitimen, demokratischen Aktivitäten der Bürger.

Die Sammelwut der Big-Data-Fetischisten gilt den Demokraten, nicht den Feinden der Demokratie.  Und die totale Erfassung dient neben politischen auch wirtschaftlichen Zwecken. Unter dem Eindruck der Taten von Paris einer verstärkten Überwachung das Wort zu reden, spielt gerade Jenen in die Hände, die Freiheit und Selbstbestimmung untergraben wollen.

Daß die Forderung nach stärkerer Überwachung ausgerechnet aus dem politischen Lager kommt, das durch Unterzeichnung von Abkommen wie TTIP eine de facto-Abschaffung der Demokratie zumindest zuläßt, wenn nicht betreibt, muß zu denken geben.

Zweitens: Wie hier bereits früher ausgeführt, dürfte die Erfahrung von Diskriminierung, Ausgrenzung und Generalverdacht neben Migranten auch den sozial Deklassierten unserer Gesellschaft – darunter jenen von ihnen, die bei „PEGIDA“ mitmarschieren – traurigerweise mehr als geläufig sein. Soweit sich unter den Anhängern „gebildete“ (zumindest ihrer eigenen Meinung nach) Bürger, oder Besserverdiener finden, geht ihnen vermutlich ein intuitives Verständnis dafür, daß auch ihnen im Fall des sozialen Abrutschens Gleiches droht, durchaus nicht ab.

Die „Kälte im Herzen“, von der die Kanzlerin spricht, erfahren Menschen in unserer Gesellschaft täglich am eigenen Leib. Dies gehört zur Normalität, zur Diktion der Verachtung, zur erniedrigenden Behandlung, die allgemein üblich geworden sind unter dem Vorzeichen des Radaukapitalismus. Der Generalverdacht gegen die Armen, der höhnische Blick von oben auf die „Verlierer“, der Zynismus, mit dem Gentrifikation betrieben wird und vieles mehr, sie gehen vom Establishment aus. Also von vielen derjenigen, die sich als Prominente über „PEGIDA“ empören.

Umgekehrt: In der abstrusen Furcht der „PEGIDA“-Demonstranten vor einer keineswegs drohenden „Islamisierung“ äußert sich natürlich Fremdenhaß; mit diesem geben sie jedoch nur die Verachtung weiter, die sie selbst längst erleben (oder noch zu erfahren fürchten). Beziehungsweise: sie suchen nach jemandem, dem gegenüber sie sich so schäbig verhalten können, wie der Umgang allgemein längst geworden ist. Mangels sozialen Status greifen sie dabei – unausweichlich – so tief in die Klamottenkiste des Primitiven wie möglich; ihre Auswahl an Opfern ist schlichtweg kleiner. Wer wohlhabend ist, hat eine größere: er kann wahlweise Hartz IV-Empfänger, „bildungsfernes“ Prekariat, jeden beliebigen Hausmeister verachten. Gegen Flüchtlingsheime in Nachbarschaft seiner Villa klagt er vor Gericht. Er hat es nicht nötig – und das ist Ausdruck seines „höheren“ Standes – sein menschenverachtendes Ressentiment so deutlich zu zeigen wie Jene.

Indizien: Das „Licht aus“ der Stadtverwaltungen, der symbolische „Kehraus“ der Gegendemonstranten. Sie verdeutlichen es, sagen: wir wollen euch nicht sehen; ihr seid Dreck. Sie stellen etwas anderes dar als eine (notwendige) Absage an Rassismus und Islamophobie. Sie bringen zum Ausdruck, daß die „Gerechten“ ihrerseits einen Abschaum benötigen, auf den sie spucken können.

So widerlich die Fremdenfeindlichkeit von „PEGIDA“ auch sein mag – in vieler Hinsicht ist die Bewegung letztlich die nur wenig häßlichere kleine Schwester der gutbürgerlichen Mittelschicht, und Enkelkind der höheren Klassen.

Diffamierung, Vorurteile – teilweise gleichlautend mit rassistischen; aus der warmen „Mitte“ der Gesellschaft verstoßen, oder von ihr abgelehnt zu werden; das erleben bei uns Arme und Migranten gleichermaßen. Ressentiment und kalte Verachtung – wer das Vorrecht hat, diese gegenüber Anderen zum Ausdruck zu bringen, darum geht es beim Konflikt zwischen „PEGIDA“ und Gutmenschen wirklich; nicht darum, Einstellungen, mittels derer in unserer Gesellschaft Gräben gezogen, Machtverhältnisse begründet werden, wirklich zu bekämpfen. „PEGIDA“ ist der Versuch, endlich wieder zugelassen zu werden zum Mob, der diese Grenzen ziehen darf. Die Gegenbewegung der, als auserlesener Kreis, dessen Ressentiment gestattet ist, unter sich zu bleiben.

Liest man den Forderungskatalog von „PEGIDA“, stellt man fest, daß viele der offiziellen, schriftlich fixierten Äußerungen moderat scheinen (während andere dezidiert antipluralistisch sind). Einige fordern sogar eine offenere Flüchtlingspolitik, als derzeit praktiziert. Allerdings unterscheidet auch „PEGIDA“ – wie etablierte Politiker ebenfalls, etwa Sigmar Gabriel – zwischen erwünschten und unerwünschten Flüchtlingen. Daß die Stoßrichtung dennoch aggressiver fremdenfeindlich, und von Vorurteilen durchtränkt ist, erweist – neben Ansichten und Verhalten der Demonstranten – auch die irrsinnige Selbstbenennung der „Bewegung“, die von einer „Islamisierung des Abendlandes“ faselt. Doch ist das, was sich da äußert, so verschieden vom Geist der Ablehnung, der das gesellschaftliche Gegeneinander überall prägt? Man muß begreifen, daß „PEGIDA“ der Gesamtgesellschaft einen Spiegel vorhält. Die häßliche Fratze, die diese darin erblickt, ist weitenteils auch ihre eigene.

Noch einmal: hier geht es nicht darum, „PEGIDA“ – oder auch bestimmte Kreise der AfD – nachsichtig zu verstehen, oder ihre Fremdenfeindlichkeit gar zu entschuldigen. Sondern um die Feststellung, daß „PEGIDA“ & Co. genau so unsolidarisch und sozial egoistisch sind wie ihre Gegner im bürgerlichen Lager. Wie die Grünen etwa, längst eine Partei der Besserverdiener und der sozialen Verachtung. Es sind die im Stich gelassenen, die das Establishment da aufstehen sieht. Daß diese Protestierenden keineswegs die Gerechten sind, sondern das Privileg anstreben, wieder auf Seiten der Ungerechten stehen zu dürfen – daß sie Opfer (Migranten, Flüchtlinge, Menschen, die „anders“ sind) suchen, gegen die sie so menschenverachtend reden und handeln dürfen, wie in unserer Gesellschaft gegen alle Schwächeren geredet und gehandelt wird, steht außer Frage. Nur: Das Establishment macht’s vor.

Den Demonstranten das vorzuwerfen, was man ihnen antat; selbst weiterhin tut; was jenseits der Sonntagsreden zum normalen Umgang miteinander in dieser Gesellschaft gehört: ist Heuchelei.

Die „PEGIDA“-Demonstranten ihrerseits rechtfertigt das nicht: denn statt gegen die Mechanismen der Verachtung zu protestieren, versuchen sie nur, aus der Position der Verachteten wieder in die von Verächtern zu gelangen. Jemand anders soll der ständig Beschimpfte, verächtlich gemachte, der Ausgeschlossene sein; nicht sie selbst.

Übrigens: Daß Lutz Bachmann jetzt beim Hitlergrüßen erwischt wurde (Ja sowas! Der Bachmann ein Rechter?! Wer hätte das gedacht!), ändert an dieser Einschätzung von „PEGIDA“ nichts. Gewiß werden sich nicht Wenige zufrieden zurücklehnen – aha, eben lauter tumbe Rassisten, wußten wir’s doch; Fall erledigt.

Daß die Motivlage der Pegidianer äußerst heterogen ist; daß sie sich unter dem falschen Banner vereinigen, der an die Wand gemalte Feind nicht existiert, daran bestand schon vorher kein Zweifel. Auch nicht daran, daß die Frage, warum sich solche Menschen ausgerechnet auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der Fremdenfeindlichkeit einigen, keineswegs dadurch beantwortet ist, daß man die Xenophobie der Parole halt feststellt.

Die Gefahr besteht, daß nun die Selbstgerechten mit der Entlarvung Bachmanns – die, mal im Ernst, niemanden überraschen kann und somit auch keine ist – auch die vielfältigen Anliegen, die „PEGIDA“-Demonstranten auf die Straße führten, als fein säuberlich abgehakt vom Tisch wischen. Eben alles nur Quatsch, und alle Teilnehmer rassistische Spinner. Daß erklärt wird, was immer die einzelnen wollten, auch jene, die dezidiert keine Islamophoben sind, sei diskreditiert und ihre Beschwerde damit gegenstandslos. Daß sie daran selbst Mitschuld tragen, wenn sie sich einem so fehlgeleiteten Motto anschließen, statt ihre jeweils separaten Interessen als eben solche zu artikulieren, unbenommen – daß dieses Abhaken dennoch falsch wäre, aber auch. Es führte nur zu weiter schwelendem Mißmut, der sich irgendwann wieder falsche Gräben bahnt.

 

:: Dawn of the Data Dealers

Zur Abwechslung wieder mal ein Hinweis auf ein Kickstarter-Projekt. Das Browsergame Data Dealer kann man vor dem Hintergrund der aktuellen Datensammeldebatte als besonders förderungswürdig erachten – oder auch einfach deswegen, weil es das Thema auf ungewöhnlich witzige, schwarzhumorige Weise satirisch auf den Kopf stellt (um es mit den Worten einiger Rezensenten zu sagen: Kritik durch Nachahmung übt).

Die zumeist österreichischen Macher der Firma Cuteacute bitten nun um finanzielle Unterstützung bei der Fertigstellung des Spiels, das sich seit zwei Jahren in der Entwicklung befindet (also keineswegs bloß die kürzlichen Enthüllungen zu PRISM & Co. ausnutzen will).

Data Dealer versetzt den Spieler in die Rolle eines Datenhais, der weltweit Daten von Privatpersonen und Firmen ausschnüffelt, diese verkauft, oder sich mit konkurrierenden Datenkraken herumbalgt. Ein Demo-Video und spielbare Demos überzeugen dabei durch schwarzen Humor, der an Klassiker wie Nuclear War erinnert, und zugleich, um ein Klischee zu bemühen, auf das man als Piefke sofort verfällt, „typisch österreichisch“ daherkommt, süffisant, bissig, ätzend, und doch mit jeder Menge Charme. Die Anspielungen aufs reale Leben sind witzig und gelungen: da wird die Sozialplattform Tracebook abgefischt oder die Suchmaschine Schmoogle; eigene Netzprojekte wie Partnerbörsen können initiiert werden, um die Kundschaft zur freiwilligen Preisgabe ihrer Daten zu verlocken, und es gilt, Psychologen zu deren Auswertung, „Werbe-Fuzzis“, andere Helfershelfer und, natürlich, Praktikanten anzuheuern; der datenjagende Spieler darf sich dabei so skrupellos wie möglich gebärden, um die Konkurrenz auszustechen (und, idealerweise, die Ergebnisse von deren Datenschnüfflei zu klauen). Wem das anstößig erscheint, der rufe sich den alten Satz ins Gedächtnis, daß Satire alles darf; und Data Dealer tut, was sie darf, mit großartigem Humor und äußerst unterhaltsam.

Das Browsergame wird free to play sein und soll unter Creative Commons-Lizenz veröffentlicht werden.

Eine schon existierende Demo-Version wurde bereits mit Preisen bedacht und erfreut sich hervorragender Presse; auch international, bis in die USA, fand das Projekt mediale Beachtung.

Herr Sathom wird selten enthusiastisch, aber Data Dealer und das sympathische (soweit sich das der Videobotschaft auf Kickstarter entnehmen läßt) Entwicklerteam, findet er, verdienen wirklich, wirklich Unterstützung – und die Welt ein Spiel wie Data Dealer.

Es sind noch fünf Tage Zeit – bleibt zu hoffen, daß die Endsumme bis dahin erreicht wird.

Übrigens: aufgrund entsprechender Nachfrage kann man Data Dealer alternativ auch via PayPal unterstützen, während Kickstarter nur Kreditkarten zuläßt.

Links:

Kickstarter-Seite

PayPal-Seite

Herstellerseite mit Demo-Video und spielbarer Demo-Version

Presse- und Medienspiegel

Artikel im New Yorker

Erwähnung in der Washington Post
(Anm.: der Artikel in der Rubrik Innovations befaßt sich mit mehreren solchen und beginnt mit einem astronomischen Thema; Data Dealer wird unter Punkt 3) erwähnt)

The Guardian – Technology Blog
(wiederum einer von mehreren Punkten im Artikel)

:: Die Schläfer der Macht

In der guten, alten Zeit wäre das ein schöner Titel für ein Perry Rhodan-Heft gewesen. Aber Spaß beiseite.

Der kecke Herr Snowden nämlich hat ja zuletzt, was die Nachtruhe besorgter Demokraten angeht, ganz schön was angerichtet. Die Erregung über Datenschnüffelei erst der US-amerikanischen NSA, nun auch der Briten, will nicht abreißen; die Wächter von Freiheit und Privatsphäre sehen sich um den Schlaf gebracht.

Politiker und Medienkommentatoren überschlagen sich vor Empörung – nicht alle, gewiß; so findet’s Innenminister Friedrich gut, und auch deutscherseits wird ein ähnliches Vorgehen angedacht. Meistenteils jedoch erfreuen sich alle Beteiligten ihrer wohlfeilen Entrüstung, taten es eingangs betreffs der NSA besonders gern, denn nicht wahr, diese Amis mal wieder.

Auch daß laut Guardian Großbritannien nicht anders agiert und seine Nachbarn, bzw. deren Bevölkerung, bis in die hintersten Winkel ihrer Privatsphäre hinein bespitzelt, provoziert die routinierte Reaktion: Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sei entsetzt, hörte Herr Sathom gestern auf Tagesschau24 munkeln, gefolgt von entsprechenden Äußerungen der Genannten. Der betreffende Fernsehbeitrag endete mit dem Hinweis, daß all dies am britischen Parlament vorbei, also ohne demokratische Kontrolle geschehe. Und auch heute war auf Phoenix wieder von „Empörung“ der Ministerin die Rede.

Herr Sathom ist verwirrt. Über die aus ihrem Schlummer geschreckten EU-Parlamentarier, die an der US-Überwachung Anstoß nahmen, die medialen Kommentare, die Berichterstattung insgesamt.

War es nicht so, grübelt er, daß die EU (Herr Sathom berichtete) seit Jahren ein System namens Indect entwickeln und testen läßt, neben dem sich die jetzt ruchbar gewordenen Maßnahmen ausnehmen wie Reminiszenzen an den 50er-Jahre-Schinken Die tausend Augen des Dr. Mabuse? Und zwar, weil nicht nur Internetdaten abgefischt, sondern diese mit Kameraaufnahmen aus dem öffentlichen Raum, ggf. von Drohnen, abgeglichen und so Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile von Bürgern erstellt werden sollen? Ein Projekt, über das nicht etwa Verschwörungstheoretiker am Biertisch raunen, sondern durchaus seriöse Medien (u.a die „Zeit“) immer wieder berichteten, bis eine „Ethik-Kommission“ eingerichtet wurde, deren eigentliche Aufgabe in Geheimhaltung besteht? Eine Maßnahme, die beschlossen wurde, nachdem durchsickerte, daß Indect nach Personen suchen soll, die sich „abnormal“ verhalten, wobei Kriterien angelegt werden, die eher der Erzeugung von Konformitätsdruck und dem Aufspüren von Obdachlosen zu dienen scheinen, als der Terrorbekämpfung: u.a. auf dem Boden sitzen in öffentlichen Räumen, sich in „die falsche Richtung bewegen“, „Sich umsehen“ oder, besonders absurd, bereits Fluchen gelten dabei als atypisches Verhalten, das zum Anfangsverdacht führt (doch, ernsthaft: siehe hier). Und, ach ja: hat nicht ausgerechnet das bundesdeutsche BKA verkündet, sich von Indect fernhalten zu wollen wie der Teufel vom Weihwasser, weil das Ganze selbst manchen Sicherheitswächtern – jedenfalls, soweit sie Praktiker sind – zu spooky ist?

Herr Sathom jedenfalls ist stets aufs Neue irritiert, wenn sich Politiker erregen, daß Facebook oder Google nach Nutzerdaten angeln, als wäre es nicht Bestandteil des Indect-Projekts, daß ermittelte Daten an Privatunternehmen, die an der Entwicklung beteiligt waren, weitergegeben werden sollen (was übrigens, wie viele andere Projektdetails, im Widerspruch zu Behauptungen von Indect-Befürwortern steht, es würden keine Daten gespeichert – wobei hier natürlich eine anonymisierte Speicherung zu Marktforschungszwecken angestrebt sein kann); und auch jetzt wieder, wenn er die Äußerungen zu Aktivitäten der USA und der Briten wahrnimmt. Gilt hier das Motto, Haltet den Dieb! zu rufen, während die eigene Hand gerade im Marmeladenglas herumfischt? Oder herrscht in den Parlamenten Ahnungslosigkeit? Und die Medien? Regiert dort das kollektive Ultrakurzzeitgedächtnis?

Übrigens: die Lieferung von Überwachungstechnologie an repressive Regimes stellt einen Exportschlager deutscher Hersteller dar.

Sagen Sie doch zu alledem mal was, Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Vielleicht was Empörtes?

Quellen:

Zur aktuellen britischen Überwachungsaffäre:

The Guardian

Zu Indect:

Die Zeit

Heise/Telepolis

Website „Stopp Indect“

Wikipedia

(Die Quellen zu Indect sind älteren Datums, da wie o.a. in jüngster Zeit nichts Neues veröffentlicht wurde, jedenfalls soweit eine kurzfristige Recherche ergab)

:: Extremismusverdacht

Herr Sathom hat neulich eine Karikatur gesehen. Aus dem Hörer eines am Telefon sitzenden Mannes klingt es: „Dieses Gespräch wurde abgehört und ist für sie kostenlos.“; blöde grinsend sagt der Betroffene: „Geil!“.

Das Verhältnis eines Teils der Bevölkerung zu staatlicher Überwachung beschreibt dies vermutlich zutreffend. Ein paranoides Sicherheitsbedürfnis, unterstützt von der dummdreist-pausbäckigen Vorstellung, wer sich nichts zuschulden kommen lasse, hätte ja nichts zu befürchten (und im Umkehrschluß: wer protestiere, habe wohl etwas zu verbergen), verleitet sicherlich viele dazu, Maßnahmen wie das jahrelange Abfassen von Handydaten durch die Berliner Polizei (s.u.) zu billigen. Daß diese Haltung naiv ist, zeigt die Anwendung eben dieser Methode, der sich die Berliner Polizei seit 2008 bediente, um Autobrandstifter zu ermitteln, auf Teilnehmer an Anti-Nazi-Demos in Dresden im Jahr 2011 (siehe hier).

So oder so – der Konflikt zwischen Überwachung und Datenschutz wird aktuell wieder kontrovers diskutiert. Ob es um das Ermitteln von Handyverbindungsdaten durch die Polizei geht, um Berliner Autobrandstifter zu fassen (was in keinem Fall gelang – der einzige ermittelte Verdächtige wurde zuletzt anders gefaßt), um das Versagen des Verfassungsschutzes gegenüber dem Rechtsterrorismus, um die Überwachung von Abgeordneten der Linkspartei durch den Verfassungsschutz, oder um den für die Berliner Polizei in Entwicklung befindlichen „Staatstrojaner“ – das Thema ist allgegenwärtig, überschattet von dem öffentlich kaum wahrgenommenen EU-Projekt INDECT, das eine umfassende Überwachung und Zusammenführung sämtlicher Daten aller Bürger ermöglichen soll (Herr Sathom berichtete).

Es gibt – soviel belegen Alltagsgespräche, die Herr Sathom führt – eine verbreitete Bereitschaft, staatliche Überwachung zu billigen (wie weit verbreitet diese Bereitschaft tatsächlich ist, läßt sich allerdings kaum eruieren; Herr Sathom fand keine jüngere oder aktuelle Statistik dazu als einen Artikel bei heise/Telepolis von 2004).

Welche Blüten die Extremismusfurcht in einer geeigneten (oder von den Verantwortlichen für geeignet gehaltenen) öffentlichen Stimmung unter Berufung auf Überwachungsmaßnahmen treiben kann, zeigte nun in der vorletzten Woche ein Bericht des Medienmagazins ZAPP des NDR.

Diesem zufolge unterstützte das Bundesfamilienministerium finanziell und durch ein Vorwort von Ministerin Kristina Schröder eine Schulbroschüre, die – an Lehrer und Schüler ausgegeben – für das Thema Linksextremismus „sensibilisieren“ soll. Als linksextremistische Publikation genannt wird in dieser Broschüre u.a. die linke Tageszeitung „Neues Deutschland“ (Darstellung des ND auf Wikipedia hier).

Eine Bewertung des ND kann durchaus zwiespältig ausfallen – der Vorwurf des „Linksextremismus“ erscheint dem Verfasser überzogen, mag für viele aber vielleicht plausibel sein, da dem Blatt in konservativen Kreisen noch der Ruch des früheren Zentralorgans der DDR-SED anhängen dürfte; das Blatt bezeichnet sich als „sozialistisch“, Berichterstattung und Kommentare sind natürlich kapitalismuskritisch, meistenteils kenntnisreich und reflektiert, wobei manche Leserbriefe und selten auch Artikel nach Herrn Sathoms Auffassung allerdings noch davon zeugen, daß deren Verfasser sich einen autoritären, aber versorgenden Staat zurückwünschen und deshalb angesichts der Fuckups des Kapitalismus in beinahe Schnitzlersche Häme zurückfallen. Unabhängig davon mutet ein auf Anfrage von ZAPP nachgeschobenes Argument der Ministerin, weshalb die Zeitung so eingeordnet werde, kurios an: sie würde in Verfassungsschutzberichten erwähnt.

Die Pointe: diese Berichte würden nicht existieren, so ZAPP zunächst. Zudem leugneten das Bundesamt für Verfassungsschutz und Länderbehörden, daß das „Neue Deutschland“ überwacht oder als linksextremistisch eingestuft würde.
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:: INDECT II: Konformitätszwang und totale Überwachung

Herr Sathom hatte sich im vorangehenden Artikel mit dem in Entwicklung befindlichen EU-Projekt INDECT beschäftigt, einem Überwachungssystem, das zukünftig Daten aus sämtlichen verfügbaren Quellen – von der Handyortung über Beobachtungskameras in öffentlichen Räumen bis zu Äußerungen in sozialen Netzwerken – zusammenführen und eine komplette Überwachung sämtlicher Bürger/innen, einschließlich Bewegungsprofilen, sozialen Kontakten u.v.m. ermöglichen soll. Zu entsprechenden Details, das Ausmaß der Überwachung betreffend, sowie dazu, wie die INDECT-Software Personen anhand ihres Verhaltens anhand bestimmter Kriterien auf einer Bewertungsskala als unterschiedlich gefährlich einstufen und deren schärfere Überwachung oder andere Maßnahmen veranlassen soll, verweist Herr Sathom auf diesen vorangegangenen Artikel.

Die Kenntnis desselben wird zum Verständnis des Folgenden allerdings als notwendig empfohlen. Denn Herrn Sathoms Besorgnis, um die es ihm im Folgenden geht, gilt im Lichte des dort Gesagten einer gesamtgesellschaftlichen Tendenz, die weit über das INDECT-Projekt hinausgeht, ja, deren Symptom ein solches Überwachungsstreben womöglich nur ist – was nicht heißt, daß am Ende nicht wieder auf INDECT selbst zurückzukommen sein wird.

Wofür also soll die Überwachungsmaschinerie, die da projektiert wird, symptomatisch sein, und wie ergibt sich dies aus den Kriterien, anhand derer sie „gefährliche“ oder „anormale“ Verhaltensweisen bzw. Pwersonen erkennen soll? Herr Sathom muß hierzu etwas weiter ausholen und bittet um Geduld, wenn er zunächst Themen streift, die mit INDECT in keinem direkten Zusammenhang stehen – er verspricht, daß sich das Ganze am Ende erhellen wird.

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:: INDECT I: Totale Überwachung aller EU-Bürger

In Zeiten zunehmender sozialer Unsicherheit, Entsolidarisierung und Existenzangst wächst ein Gefühl allseitiger und kaum kontrollierbarer Bedrohung und weckt entsprechende Rufe nach Kontrolle und Autorität bzw. eine gesteigerte Bereitschaft, diese hinzunehmen; paart sich dies mit der Unbedarftheit, mit der heutzutage intimste Daten in social networks und Internetplattformen preisgegeben werden, haben diejenigen, die an solchen Daten enormes Interesse zeigen, natürlich leichtes Spiel – harte Zeiten brechen hingegen für diejeinigen an, die in ein parallel immer enger werdendes Raster dessen, was als erwünscht gilt, nicht so recht hineinpassen wollen, und denen beispielsweise Personalchefs im Internet hinterherschnüffeln und es ihnen bereits als verdächtigen Mangel anrechnen, wenn sie dort nichts über sie finden.

Die Datenschnüffelei, die aus wirtschaftlichen Gründen im Internet stattfindet, wird oft genug kritisiert – und gerade in den letzten Monaten, da entsprechendes über Apple ruchbar wurde, Hacker lustig Personendaten bei Sony klauten und über Facebook und Konsorten immer wieder das eine oder andere verlautet, wird allenthalben beklagt, der Staat verschlafe die Entwicklung und hinke beim Schutz der Bürger den technischen Möglichkeiten wie auch beim Schließen bestehender Gesetzeslücken hinterher.

Allerdings, so meint Herr Sathom, hat „der Staat“ vielleicht auch nicht immer ein Interesse, der Datensammelwut entgegenzutreten, wie folgendes Beispiel verdeutlichen mag.

Herr Sathom gesteht zu, daß das Folgende wie eine aus Versatzstücken orwellscher Anti-Utopien zusammegebraute Verschwörungstheorie klingen mag, ja sogar ihn selbst beim nochmaligen Lesen wie eine solche anmutet; allein, umfängliche Online-Recherche bei verläßlichen Quellen (zu denen DIE ZEIT ebenso gehört wie das Heise-Portal, Quellen also, die man kaum der Zentralsteuerungshypothesenverliebtheit verdächtigen wird) widerlegte Herrn Sathoms anfänglichen Eindruck, die Sache, die ihm da bekannt geworden war, sei irgendein hirnverbrannter Schmu. Oder anders ausgedrückt: es mag zwar einer sein, doch gewissen Institutionen der Europäischen Union scheint es grimmer Ernst damit.

Um es kurz zu fassen: innerhalb der EU wird die totale On- und Offline-Überwachung aller Bürger geplant.

Klingt wie ein paranoides Orwell-Szenario? Wie Leser dieses Blogs wissen dürften, ist Herr Sathom Verschwörungstheorien (9/11 & stuff) extrem abhold, und wenn das Ganze irrwitzig erscheint, dann ist es dem Irrwitz der Macher geschuldet – Herr Sathom bittet daher, erst einmal weiterzulesen und sich selbst ein Urteil zu bilden.
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