Die Aktionen der „Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes“ („PEGIDA“) riefen anfangs hastig wirkende Erklärungsversuche, inzwischen, endlich, berechtigte Empörung und entschlossenen Widerstand hervor.
Die Deutungsmuster der Erklärungen sind altbewährt, reichen von „dumpfen“ Bedrohungsgefühlen und Ressentiments über das lustige Ostdeutschen-Bashing in der heute-show des ZDF, als ob es in den alten Bundesländern keine Ableger gäbe, bis hin zur Annahme, die Teilnehmer aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten seien irgendwie mit irgendwas unzufrieden, und lenkten ihre Wut auf Migranten um. Daran zumindest ist etwas dran. Als Erklärung des Phänomens „PEGIDA“jedoch ist diese Feststellung des Offensichtlichen unzureichend.
Herrn Sathom scheint, daß bei alledem ein wesentlicher Aspekt unbemerkt bleibt. Vielleicht, weil er der Wahrnehmung entzogen ist, einen blinden psychologischen Fleck darstellt; oder nicht wahrgenommen werden soll.
Richtig ist, daß die Teilnehmer der PEGIDA-Demonstrationen sich aus Bürgern unterschiedlichster Motivation und politischer Einstellung rekrutieren; daß sie aber offenbar in fremdenfeindlichen Ängsten den kleinsten gemeinsamen Nenner finden. Dumpf, irrational, weil unbegründet, ist die geäußerte Angst vor einer „Islamisierung“ sicher – nur, daß das nichts erklärt. Jedenfalls nicht, wie die ganz unterschiedlichen Ängste und Unzufriedenheiten dieser Menschen sich gemeinsam an ein Motiv hängen können; auch nicht, wieso sie gegen ein nachweislich nicht existentes Problem angehen sollten, was in Bezug auf ihre eigentlichen Klagen kontraproduktiv und wohl kaum „zielführend“ ist. Daß in der Gesellschaft xenophobe Vorstellungen vorhanden sind, gewissermaßen gebrauchsfertig vorliegen, ist unleugbar; ebenso, daß es einen latenten – oder auch gar nicht so latenten – Rassismus in Deutschland gibt. Daß aber jemand, der beispielsweise sozialen Abstieg befürchtet, oder gerade erleidet, zwingend auf rassistische Erklärungsmodelle verfallen muß (statt, beispielsweise, auf eine rationale Kapitalismuskritik), wird dadurch nicht erklärt – es sei denn, man nimmt pauschal an, daß alle Beteiligten Idioten sind. Eine Annahme, die – möglicherweise – Teil des Problems ist.
Dazu einige Vermutungen.
Sie sollen das, was da unter dem Kürzel „PEGIDA“ veranstaltet wird, weder beschönigen noch mit verständnisvoller Nachsicht behandeln; sondern drücken die Befürchtung aus, daß sich hier etwas äußert, das nicht nur Sache einiger, irgendwie zufällig halt fremdenfeindlicher Trottel ist, sondern Anzeichen eines gesellschaftlichen Zustands (oder Mißstands), der auch in die Reihen jener hineinreicht, die sich besten Gewissens als Gegner PEGIDAs, als tolerante, weltoffene Bürger betrachten.
Herr Sathom möchte seine Verdachtsmomente zunächst einzeln benennen und anschließend ausführlich erläutern. Sie lauten:
Erstens, die Teilnehmer der PEGIDA-Demonstrationen und ihre Gegner gleichen sich in einer Hinsicht. Beide teilen etwas; nämlich eine Haltung, die in unserer Gesellschaft maßgebliches Werkzeug der Errichtung und Aufrechterhaltung von Herrschaft, sowie der Abgrenzung sozialer Schichten darstellt. Es ist die Verachtung des anderen, insbesondere dessen, der zwar als bedrohlich gemalt, eigentlich aber als schwächer, wehrloser – also gefahrlos angreifbar – wahrgenommen wird.
Die PEGIDA-Bewegten rekrutieren sich – wenigstens teilweise – aus solchen Verachteten, den „Verlierern“ am „Rand“ Der Gesellschaft, zum anderen Teil als solchen, die fürchten, durch Abstieg bald der Verachtung anheimzufallen; doch sie zweifeln den Mechanismus der Verachtung nicht an; protestieren nicht dagegen, daß sie als sozial Deklassierte von den „höheren“ Schichten, dem Establishment, den „Eliten“ verachtet und unwürdig behandelt werden, noch dagegen, daß diese Form der Verachtung in unserer Gesellschaft überhaupt prägend für den Umgang geworden ist. Sie fordern schlicht, statt zu den Verachteten zu den Verächtern gehören zu dürfen. Sie müssen zu diesem Zweck eine Gruppe finden, von der sie intuitiv hoffen, diese sei gesellschaftlich noch weniger akzeptiert als sie selbst sind, oder sich wähnen.
Zweitens geht es ihnen folgerichtig nicht um eine Veränderung des Gesellschaftssystems bzw. der Herrschafts- und Verteilungsverhältnisse; noch um eine Änderung der Mechanismen (u.a. Verächtlichmachung), mittels derer diese gefestigt werden. Sie können daher gar nicht gegen die eigentlichen Ursachen ihrer Unzufriedenheit angehen; dazu müßten sie das System infrage stellen, innerhalb dessen sie ja selbst etabliert sein, bzw. wieder werden möchten. Insofern, als sie die Haltung der Verachtung teilen, d.h. zustimmen, daß es verachtenswerte Andere gebe, ist ihnen die Wahrnehmung derjenigen, von denen sie verachtet werden, als ihrem eigentlichen Gegner tatsächlich unmöglich. Psychologisch unmöglich, unabhängig von ihrer Intelligenz oder „Bildung“. Denn: sie wollen ja deren Platz einnehmen, oder sich wenigstens unter sie reihen.
Das Privileg, verachten zu dürfen, das die Eliten ihnen gegenüber ausüben, reklamieren sie für sich selbst.
Drittens: Daß sich Menschen, die aus verschiedensten Gründen erbittert, unzufrieden oder wütend sind, unter dem Banner radikaler Thesen oder im Gefolge sogenannter „Rattenfänger“ sammeln (Sprache der Verachtung: sie erklärt die Eingefangenen zu Ratten), daß sie sich dabei bizarre Verschwörungstheorien oder fremdenfeindliche Parolen zueigen machen, zu Recht diskreditierte Weltdeutungsmodelle; daß sie also in einem höchst dubiosen Umfeld in Erscheinung treten und sich äußern, stabilisiert gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse. Der gemeinsame Nenner des Rassismus, den die Gesellschaft als Auffangbecken bereithält und am Leben erhält (etwa, indem Angela Merkel im Verlauf der Eurokrise die Griechen pauschal als faul verunglimpfte), erfüllt mehrere Zwecke. Die rassistische Thesen übernehmen, sind an der Wahrnehmung der wirklichen Ursachen ihrer Probleme gehindert; sie sind leicht zu verurteilen, ohne nach diesen Ursachen zu fragen (sofern Politiker davon reden, ihre „Sorgen ernst zu nehmen“, können sie auf die rassistischen, unbegründeten Sorgen Bezug nehmen, statt auf die wirklichen); sie sind, unschädlich gemacht, da diskreditiert, in einem Auffangbecken versammelt, das ihren Protest entschärft und verpuffen läßt.
Der Nutzen solcher Proteste ist also der, daß sie Menschen mit unterschiedlichsten Anlässen zur Unzufriedenheit zusammenführen, in Gruppen, die leicht als bösartige Spinner abgehakt werden können; denen zuzuhören also unnötig ist (es sei denn, um eine restriktive Flüchtlingspolitik zu rechtfertigen, die jedoch die eigentlichen Probleme der meisten Protestierer weder löst, noch überhaupt berührt). Während von jenen, die sich nun als Islamgegner echauffieren, zugleich nicht mehr befürchtet werden muß, daß sie sich anderweitig engagieren, womöglich gar wirklich im Sinn ihrer Interessen.
Viertens (falls Sie noch dabei sind): Die PEGIDA-Demonstranten, irgendwelche andere Vor-Ort-Protestler gegen Flüchtlingsunterkünfte, liefern ein öffentliches Schauspiel; eines, das Herrschafts- und Sozialverhältnisse spiegelt, und zugleich rechtfertigt. Das Schauspiel nützt dem Publikum, das die Darbietung ablehnt, mehr als den Darstellern, auch wenn beiden Seiten der Charakter des inszenierten Spiels nicht bewußt ist, sondern dieses sich dynamisch aus ihren Haltungen/Einstellungen entwickelt.
Indem sich sozial Deklassierte durch Äußerung rassistischer Thesen diskreditieren, bestätigen sie selbst ungewollt den Anspruch der „höheren“ Klassen, sie zu unterdrücken, zu maßregeln, ihre Anliegen als ungerechtfertigt abzuhaken: der Mob muß in Schach gehalten werden.
Begründung
Einen von mehreren Ausgangspunkten der Thesen liefert die schon vor einiger Zeit auf zdf_neo gelaufene Dokumentation Der Rassist in uns, die ein Sozialexperiment begleitet. In dessen Verlauf gelingt es den Versuchsleitern, in einer Gruppe von Migranten binnen kürzester Zeit rassistische Vorurteile gegen eine andere Gruppe aufzubauen. Die „Opfer“ des Vorurteils ihrerseits, allesamt Einheimische, beginnen nach ebenso kurzer Zeit, sich den Vorurteilen entsprechend zu verhalten, oder vielmehr: sich so zu verhalten, daß die kurzzeitig rassistisch „gemachte“ Gruppe ihr Vorurteil bestätigt sieht. Wie gelingt das?
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