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:: Herr Matthies liest Wahlplakate. Herr Sathom liest Matthies.

Noch was Liegengebliebenes.

Herr Sathom arbeitet immer noch ab; diesmal etwas, das mit dem vorangegangenen Artikel in Verbindung steht. Dort ging es um die These, daß die immer noch sehr breite bürgerliche Mittelschicht nichts am Problem der Armut ändert; es von Teilen dieser Schicht sogar stabilisiert wird. Was natürlich nicht der Eigenwahrnehmung dieses, meist gut verdienenden und nach eigener Auffassung höher gebildeten, Bürgerstandes entspricht. Wie sieht diese aus? Lesen wir Zeitung.

Die Zufriedenheit des Bildungs-Mittelschichtlers mit dem Bestehenden, seine Verachtung derer, die es weniger gut getroffen haben, tropft einem ja auch gelegentlich aus seinen bevorzugten Presseorganen entgegen; denn der Durchschnittsjournalist stammt schließlich auch aus dieser Schicht. Das, was den Bürger der Mittelschicht vom Pöbel abhebt, ihn mithin legitimiert, materiell besser dazustehen als dieser, ist nach seiner eigenen Auffassung seine Bildung. Inwiefern diese aus mehr besteht als einigen Vorurteilen über den Rest der Menschheit, die er mal gehört und sich gut gemerkt hat, kann man fragen. Die Einstellung jedenfalls schimmert häufig durch; und sie paart sich manchmal mit einer habituellen, gemütlich-belustigten Herablassung bei der Betrachtung der Welt.

Will man eine Vorstellung davon gewinnen, wie dieser hochgebildete Bürger tickt, liest man am Besten die Glossen seiner Tagespresse. Als besonders ertragreich erweist sich hier immer wieder der Berliner „Tagesspiegel“; und dort geradezu als Fundgrube der unnachahmliche Bernd Matthies, seines Zeichens Chefredakteur.

Schon seit einigen Wochen lungert eine seiner Glossen auf Herrn Sathoms Zeitungsstapel herum (hier ist sie noch online). Der Autor hatte sich darin der überall sprießenden Wahlplakate vorgenommen; und von seinem Streifzug heimgebracht, was er nun in lustig-elaboriertem Sprachcode ausbreitete, ein Sammelsurium für den, der wiederum ihn in seinem Bau erforschen will.

Zugegeben: Wenn die Feder mächtiger ist als das Schwert, führt Herr Matthies eine gewitzte Klinge. Das liest sich flott, geschliffen formuliert, wenn auch zu routiniert geschrieben, um nicht fad zu schmecken; zu gefällig vielleicht, keineswegs so sperrig, daß es dem an die Stilgesetze des Deutschaufsatzes gewöhnten Leser weh täte. Erkenntnisgewinn bringt es keinen, denn was Herrn Matthies zu den Wahlplakaten, den Parteien und überhaupt zum Thema Wahlkampf bewegt, könnte auch beliebigen Passanten einfallen, die bloß kein öffentliches Forum dafür fänden. Kurz, es ist belanglos, gleichgültig, trägt nichts bei zu dem, was ohnehin allgemein über die Qualität heutiger Wahlkämpfe verlautet. Sich halbseitig in einer angesehen Hauptstadtpostille über das zu verbreiten, was andere nur stumm während der Pendelfahrt denken, scheint eines der Privilegien des gebildeten Meinungsmachers. (Oder vielleicht das eines Chefredakteurs? Dann hätte der’s aber fein, die Mitarbeiter müßten immer richtige Zeitungsartikel schreiben, doch er selbst fände stets ein Plätzchen für die Erleuchtungen, die einem neulich beim Sonntagsspaziergang kamen; hei, was da los wäre, dürfte Herr Sathom mal Chefredakteur sein! Wann immer er beim Computerspiel so eine Obermistbratze erledigt hat, wär da aber ein Leitartikel fällig!)

Man schmökert das flugs weg, findet tatsächlich ein, zwei originelle Redewendungen, und um den Gag mit Christian Lindners Bartschatten, den dieser hinterlassen kann wie die Katze aus Alice im Wunderland ein Grinsen, kann Herr Sathom den Herrn Matthies sogar beneiden. Die Glosse entlockt dem Leser, zumal wenn er dem Verfasser gleichgesinnt ist, gewiß das eine oder andere Grinsen zufriedener Übereinstimmung; und vielleicht ist das ja der Zweck des Ganzen. Was es soll, ob es einem Erkenntniszweck folgt und welcher, verdammt nochmal, das sein könnte, fragt man sich nach der Lektüre schon; hat aber, wenn schon keine anderen, so doch Erkenntnisse über den Verfasser gewonnen.

:: Der Speckgürtel vor der Wahl

Kürzlich erklärte jemand in einer Fernsehsendung (Herr Sathom ist so durchgezappt, weiß nicht mehr, in welcher), die meisten Menschen in Deutschland litten unter der falschen Vorstellung, daß die Gesellschaft pyramidal aufgebaut sei, also aus wenigen Reichen an der Spitze und einer großen Masse verarmter Menschen im untersten Stockwerk bestünde. Vielmehr gäbe es zwar wirklich einige wenige, sehr reiche Bürger, dann am unteren Ende halt so’n paar Millionen Arme, dazwischen jedoch eine gut aufgestellte, sehr breite Mittelschicht, wie eine dazugehörige Grafik zeigte. Kurz: Die deutsche Gesellschaft ist keine Pyramide. Sie ist ein Brummkreisel!

Das ist zunächst richtig; aber eben nicht tröstlich, sondern gerade das Problem. Der Brummkreisel steht auf dem Kopf, die Spitze zeigt nach oben; der verarmte Fuß ist doch recht breit. Das Leid und die Not der Minderlöhner, Aufstocker, Multijobber und ganz Abgehängten, der aufgrund ihrer sozialen und/oder ihres Migrationshintergrunds Diskriminierten, lindert das zudem keineswegs; diese Millionen (plus armutsgefährdeter Kinder) sind da, und es geht ihnen dreckig. Darüber hinaus stehen sie den Reichen eben nicht als Interessengruppe direkt gegenüber. Dazwischen sitzt eben jene Mittelschicht saturierter, mit dem Status Quo einverstandener, weil durch ihn privilegierter Bürger, die auch bei den anstehenden Wahlen gegen jede Veränderung, gegen „soziale Gerechtigkeit“ stimmen werden, weil sie nichts anderes interessiert als der Erhalt ihrer eigenen Position; einer, die nicht nur materiell erschwinglich ist, sondern ihnen auch ermöglicht, sich als „staatstragende Mitte“ wichtig, besser als die Versager da unten zu wähnen.

Statt von einem Brummkreisel könnte man auch von einer Speckschicht reden (auch diese Assoziation legt die Grafik nahe); einem Schmerbauch, feist und behäbig, selbstzufrieden und voller Eigendünkel, dessen Inhabern das Schicksal eines anderen Teils der Gesellschaft völlig gleichgültig ist. Und das ist kein ganz unzutreffendes Bild. Gewiß, das ist wichtig, beschreibt es nicht für die ganze „Mitte“, ist dieser Begriff doch einigermaßen unpräzise; allerdings wohl durchaus für diejenigen ihrer Kreise, die einen ausgeprägten Dünkel mit sich herumtragen, gründe dieser nun in materiellem Erfolg oder vermeintlicher kultureller Überlegenheit. Die sich als gebildet und höher kultiviert verstehende Mitte jedenfalls wähnt sich zurecht privilegiert; und findet es normal, sogar völlig richtig, wenn die zuschanden werden, die es angeblich durch Bildungsfaulheit und auch sonst mangelnde Anstrengung selbst verschuldet haben. Dabei profitiert sie in Wirklichkeit von der ungerechten Verteilung von Gütern und Chancen, von den Strukturen, an denen die „Unterschicht“ scheitert. In einem Staat, der selbst kaum in Bildung investiert, schickt sie ihre Sprößlinge auf Privatgymnasien, die sich Otto Minderlöhner nicht leisten kann, votiert wie einst in Hamburg gegen die Abschaffung eines selektiven Dreiklassenschulsystems; kann sich Anwälte leisten, die Lehrer und Schulen verklagen, bekommt das eigene Kind keine Gymnasialempfehlung. Ein Kind, nebenbei, das sich später die Masterarbeit von bezahlten Ghostwriting-Profis schreiben lassen kann, während andere sie sich neben dem Streß eines Studentenjobs mühsam abquälen. Ihr stehen qua Portemonnaie Wege und Chancen offen, die einem Teil der Gesellschaft verbaut sind – und durch ihr Verhalten, z.B. bei Wahlen, sorgt sie dafür, daß sie das auch bleiben.

:: Otto und Vanellope (I) – Der Geniemythos im Kapitalismus

Bedingt durch unschöne Zwischenfälle (zu bebloggende Ereignisse in Köln, Erkältungskrankheit, Notwendigkeit der Lohnarbeit) hier eine reichlich verspätete, durch Fernsehausstrahlungen zum Jahreswechsel angeregte kleine Miniserie, ehe Herr Sathom demnächst seine auch schon ewig währende Analyse der Walking Dead zu Grabe trägt.

Alsdann.

Was haben Comedy-Ikone Otto Waalkes und die putzige Vanellope von Schweetz aus dem Film Ralph reichts gemeinsam? Nicht die Stimme, keine Sorge.

Beide bedienen einen gesellschaftlichen Mythos; und zwar ein und denselben. Welchen? Nun, der Reihe nach.

Das Folgende betrifft, genau genommen, statt der Person Otto Waalkes die öffentliche Kunstfigur „Otto“; kürzlich feierte diese ihr fünfzigjähriges Bühnenjubiläum. Herr Sathom hat dazu einiges Interessante gelesen. Herr Waalkes, jubelte allein die Fernsehzeitschrift, sei Komiker, Cartoonist und einiges andere mehr; kurz, obwohl das heutzutage in Bezug auf Prominente so gern verwendete Wort nicht fiel, ein Multitalent. Herr Sathom hat sehr gegrinst.

Er erinnerte sich nämlich bei dieser Gelegenheit, daß er früher den Comic-Strip Ottos Ottifanten sehr gern gelesen hat, und zwar, weil er genau wußte, daß die frühen Ottifanten-Comics – die wirklich sehr vergnüglich waren – von Ully Arndt und Gunter Baars hergestellt wurden, zwei talentierten jungen Herren, die sich zuvor als Hersteller des Nerd-Comics Kosinus verdient gemacht hatten (eines der wenigen in damaligen Computerzeitschriften veröffentlichten Strips, die wirklich witzig waren). Inzwischen werden sie von deren Studio fabriziert, und was immer sie taugen mögen, inwieweit Otto Waalkes‘ Ideen dabei Eingang finden oder jemals fanden, ist unklar.

Halten wir also zuerst einmal fest: Herr Waalkes ist eher kein Cartoonist.

Dann fiel Herrn Sathom ein, daß er meinte, mal gelesen zu haben, Ottos berühmteste Nummern (vielleicht nicht alle, jedenfalls aber die aus der Zeit seines kometenhaften Aufstiegs in den 70ern) stammten nicht von ihm; Herr Sathom ging recherchieren, und siehe da. Sie wurden geschrieben von der sogenannten GEK-Gruppe, bestehend aus Robert Gernhardt, Bernd Eilert und Peter Knorr. Als Interpret von deren Einfällen ist Herr Waalkes hervorragend; aber ist er komisch in dem Sinne, daß ihm selbst Komisches einfiele? Nun ist das an sich noch kein Ding, denn auch andere Comedians sowie Kabarettisten schreiben ihre Nummern nicht selbst; ob er als Regisseur, Schauspieler und Synchronsprecher – weitere Ehrentitel, die ihm der Zeitschrifteneintrag verlieh – Großes vollbringt oder eher nervt, ist sicherlich Geschmackssache, man kann aber nicht leugnen, daß er sich auf diesen Gebieten immerhin betätigt.

So what? Warum erzählt Herr Sathom das alles?

Ginge es nur um Herrn Waalkes, darum, eine Einzelperson vorzuführen, könnte – und sollte, anständigerweise – man sich den Atem sparen. Doch Herr Waalkes soll hier nur als Beispiel dienen.

Damit wir uns also recht verstehen: Hier soll weder geleugnet werden, daß Otto – der ein unbestreitbares komisches Talent als Darsteller und Sprecher hat, und ein sympathischer Bursche ist – sein Erfolg zu gönnen sei, noch daß diejenigen, die es weit bringen, es aufgrund großer Leistung, Anstrengung und Talents täten. All das trifft sicher zu (auf die Pflegekraft, die sich totarbeitet, allerdings auch; sie taugt allerdings nicht zu der spezifischen Mythenbildung, um die es hier gehen wird, oder besser: sie spielt darin sehr undankbare Rolle).

Zunächst sei also bemerkt, daß der Mann, der Mensch Otto Waalkes ein feiner und verdienter Kerl sein mag; hier geht es um die Kunstfigur Otto, stellvertretend für viele Prominente, die uns nicht als sie selbst entgegentreten, sondern als von PR-Profis, Biographen und Medien gebastelte Scheinwesen.

Auch das wäre weder neu noch aufregend. Doch als nahezu omnitalentiert dargestellte Phantasiegestalten sind/waren sie, ob sie wollen oder nicht, Gegenstand eines gesellschaftlichen Mythos – eines, der bestimmte, bestehende Verhältnisse begründet und rechtfertigt.

Worin besteht dieser Mythos?

:: Nachtgedanken zu „PEGIDA“

Die Aktionen der „Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes“ („PEGIDA“) riefen anfangs hastig wirkende Erklärungsversuche, inzwischen, endlich, berechtigte Empörung und entschlossenen Widerstand hervor.

Die Deutungsmuster der Erklärungen sind altbewährt, reichen von „dumpfen“ Bedrohungsgefühlen und Ressentiments über das lustige Ostdeutschen-Bashing in der heute-show des ZDF, als ob es in den alten Bundesländern keine Ableger gäbe, bis hin zur Annahme, die Teilnehmer aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten seien irgendwie mit irgendwas unzufrieden, und lenkten ihre Wut auf Migranten um. Daran zumindest ist etwas dran. Als Erklärung des Phänomens „PEGIDA“jedoch ist diese Feststellung des Offensichtlichen unzureichend.

Herrn Sathom scheint, daß bei alledem ein wesentlicher Aspekt unbemerkt bleibt. Vielleicht, weil er der Wahrnehmung entzogen ist, einen blinden psychologischen Fleck darstellt; oder nicht wahrgenommen werden soll.

Richtig ist, daß die Teilnehmer der PEGIDA-Demonstrationen sich aus Bürgern unterschiedlichster Motivation und politischer Einstellung rekrutieren; daß sie aber offenbar in fremdenfeindlichen Ängsten den kleinsten gemeinsamen Nenner finden. Dumpf, irrational, weil unbegründet, ist die geäußerte Angst vor einer „Islamisierung“ sicher – nur, daß das nichts erklärt. Jedenfalls nicht, wie die ganz unterschiedlichen Ängste und Unzufriedenheiten dieser Menschen sich gemeinsam an ein Motiv hängen können; auch nicht, wieso sie gegen ein nachweislich nicht existentes Problem angehen sollten, was in Bezug auf ihre eigentlichen Klagen kontraproduktiv und wohl kaum „zielführend“ ist. Daß in der Gesellschaft xenophobe Vorstellungen vorhanden sind, gewissermaßen gebrauchsfertig vorliegen, ist unleugbar; ebenso, daß es einen latenten – oder auch gar nicht so latenten – Rassismus in Deutschland gibt. Daß aber jemand, der beispielsweise sozialen Abstieg befürchtet, oder gerade erleidet, zwingend auf rassistische Erklärungsmodelle verfallen muß (statt, beispielsweise, auf eine rationale Kapitalismuskritik), wird dadurch nicht erklärt – es sei denn, man nimmt pauschal an, daß alle Beteiligten Idioten sind. Eine Annahme, die – möglicherweise – Teil des Problems ist.

Dazu einige Vermutungen.

Sie sollen das, was da unter dem Kürzel „PEGIDA“ veranstaltet wird, weder beschönigen noch mit verständnisvoller Nachsicht behandeln; sondern drücken die Befürchtung aus, daß sich hier etwas äußert, das nicht nur Sache einiger, irgendwie zufällig halt fremdenfeindlicher Trottel ist, sondern Anzeichen eines gesellschaftlichen Zustands (oder Mißstands), der auch in die Reihen jener hineinreicht, die sich besten Gewissens als Gegner PEGIDAs, als tolerante, weltoffene Bürger betrachten.

Herr Sathom möchte seine Verdachtsmomente zunächst einzeln benennen und anschließend ausführlich erläutern. Sie lauten:

Erstens, die Teilnehmer der PEGIDA-Demonstrationen und ihre Gegner gleichen sich in einer Hinsicht. Beide teilen etwas; nämlich eine Haltung, die in unserer Gesellschaft maßgebliches Werkzeug der Errichtung und Aufrechterhaltung von Herrschaft, sowie der Abgrenzung sozialer Schichten darstellt. Es ist die Verachtung des anderen, insbesondere dessen, der zwar als bedrohlich gemalt, eigentlich aber als schwächer, wehrloser – also gefahrlos angreifbar – wahrgenommen wird.

Die PEGIDA-Bewegten rekrutieren sich – wenigstens teilweise – aus solchen Verachteten, den „Verlierern“ am „Rand“ Der Gesellschaft, zum anderen Teil als solchen, die fürchten, durch Abstieg bald der Verachtung anheimzufallen; doch sie zweifeln den Mechanismus der Verachtung nicht an; protestieren nicht dagegen, daß sie als sozial Deklassierte von den „höheren“ Schichten, dem Establishment, den „Eliten“ verachtet und unwürdig behandelt werden, noch dagegen, daß diese Form der Verachtung in unserer Gesellschaft überhaupt prägend für den Umgang geworden ist. Sie fordern schlicht, statt zu den Verachteten zu den Verächtern gehören zu dürfen. Sie müssen zu diesem Zweck eine Gruppe finden, von der sie intuitiv hoffen, diese sei gesellschaftlich noch weniger akzeptiert als sie selbst sind, oder sich wähnen.

Zweitens geht es ihnen folgerichtig nicht um eine Veränderung des Gesellschaftssystems bzw. der Herrschafts- und Verteilungsverhältnisse; noch um eine Änderung der Mechanismen (u.a. Verächtlichmachung), mittels derer diese gefestigt werden. Sie können daher gar nicht gegen die eigentlichen Ursachen ihrer Unzufriedenheit angehen; dazu müßten sie das System infrage stellen, innerhalb dessen sie ja selbst etabliert sein, bzw. wieder werden möchten. Insofern, als sie die Haltung der Verachtung teilen, d.h. zustimmen, daß es verachtenswerte Andere gebe, ist ihnen die Wahrnehmung derjenigen, von denen sie verachtet werden, als ihrem eigentlichen Gegner tatsächlich unmöglich. Psychologisch unmöglich, unabhängig von ihrer Intelligenz oder „Bildung“. Denn: sie wollen ja deren Platz einnehmen, oder sich wenigstens unter sie reihen.

Das Privileg, verachten zu dürfen, das die Eliten ihnen gegenüber ausüben, reklamieren sie für sich selbst.

Drittens: Daß sich Menschen, die aus verschiedensten Gründen erbittert, unzufrieden oder wütend sind, unter dem Banner radikaler Thesen oder im Gefolge sogenannter „Rattenfänger“ sammeln (Sprache der Verachtung: sie erklärt die Eingefangenen zu Ratten), daß sie sich dabei bizarre Verschwörungstheorien oder fremdenfeindliche Parolen zueigen machen, zu Recht diskreditierte Weltdeutungsmodelle; daß sie also in einem höchst dubiosen Umfeld in Erscheinung treten und sich äußern, stabilisiert gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse. Der gemeinsame Nenner des Rassismus, den die Gesellschaft als Auffangbecken bereithält und am Leben erhält (etwa, indem Angela Merkel im Verlauf der Eurokrise die Griechen pauschal als faul verunglimpfte), erfüllt mehrere Zwecke. Die rassistische Thesen übernehmen, sind an der Wahrnehmung der wirklichen Ursachen ihrer Probleme gehindert; sie sind leicht zu verurteilen, ohne nach diesen Ursachen zu fragen (sofern Politiker davon reden, ihre „Sorgen ernst zu nehmen“, können sie auf die rassistischen, unbegründeten Sorgen Bezug nehmen, statt auf die wirklichen); sie sind, unschädlich gemacht, da diskreditiert, in einem Auffangbecken versammelt, das ihren Protest entschärft und verpuffen läßt.

Der Nutzen solcher Proteste ist also der, daß sie Menschen mit unterschiedlichsten Anlässen zur Unzufriedenheit zusammenführen, in Gruppen, die leicht als bösartige Spinner abgehakt werden können; denen zuzuhören also unnötig ist (es sei denn, um eine restriktive Flüchtlingspolitik zu rechtfertigen, die jedoch die eigentlichen Probleme der meisten Protestierer weder löst, noch überhaupt berührt). Während von jenen, die sich nun als Islamgegner echauffieren, zugleich nicht mehr befürchtet werden muß, daß sie sich anderweitig engagieren, womöglich gar wirklich im Sinn ihrer Interessen.

Viertens (falls Sie noch dabei sind): Die PEGIDA-Demonstranten, irgendwelche andere Vor-Ort-Protestler gegen Flüchtlingsunterkünfte, liefern ein öffentliches Schauspiel; eines, das Herrschafts- und Sozialverhältnisse spiegelt, und zugleich rechtfertigt. Das Schauspiel nützt dem Publikum, das die Darbietung ablehnt, mehr als den Darstellern, auch wenn beiden Seiten der Charakter des inszenierten Spiels nicht bewußt ist, sondern dieses sich dynamisch aus ihren Haltungen/Einstellungen entwickelt.

Indem sich sozial Deklassierte durch Äußerung rassistischer Thesen diskreditieren, bestätigen sie selbst ungewollt den Anspruch der „höheren“ Klassen, sie zu unterdrücken, zu maßregeln, ihre Anliegen als ungerechtfertigt abzuhaken: der Mob muß in Schach gehalten werden.

Begründung

Einen von mehreren Ausgangspunkten der Thesen liefert die schon vor einiger Zeit auf zdf_neo gelaufene Dokumentation Der Rassist in uns, die ein Sozialexperiment begleitet. In dessen Verlauf gelingt es den Versuchsleitern, in einer Gruppe von Migranten binnen kürzester Zeit rassistische Vorurteile gegen eine andere Gruppe aufzubauen. Die „Opfer“ des Vorurteils ihrerseits, allesamt Einheimische, beginnen nach ebenso kurzer Zeit, sich den Vorurteilen entsprechend zu verhalten, oder vielmehr: sich so zu verhalten, daß die kurzzeitig rassistisch „gemachte“ Gruppe ihr Vorurteil bestätigt sieht. Wie gelingt das?
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:: Seltsam? Aber so steht es im Katalog! (Verschwörungstheorien I)

Leute, die Lage ist ernst. Die fundamental-islamistischen, von sinistren US-Finanzmogulen (deren wahre Hintermänner die Invasoren von der Wega sind) finanzierten, sozialistischen Freimaurer-Illluminaten (jetzt neu und verbessert auch als „Krypto-Illuminaten“ erhältlich) sind unter uns – und zwar direkt unter uns, angesiedelt in von den Templern und den Weisen von Zion aufgegebenen Katakomben, direkt nebenan von den Maulswurfsmenschen und den unter der Antarktis hausenden, nach dem Zweiten Weltkrieg dorthin geflohenen Nazis, die nur darauf warten, mit ihren Vril-getriebenen Flugscheiben die Weltherrschaft an sich zu reißen. Irgendwas ist aber auch wirklich immer.

Aber ernsthaft: wenn Herrn Sathom etwas aufregt, dann sind es – neben der schwarz-gelben Koalition, dem Brutalkapitalismus und tausenderlei anderem Zeugs – Verschwörungstheoretiker. Manchmal, das gesteht Herr Sathom zu, sind diese ja immerhin ganz amüsant; zu Unterhaltungszwecken und fröhlicher Erbauung goutiert Herr Sathom ihr Geschwafel sogar gern, so lang sie jedenfalls nur von außerirdischen Invasionsplänen, der wahren Entstehungsgeschichte der ägyptischen Pyramiden oder allerlei Tand über den 21.12.2012 schwafeln, einen Tag, an dem nämlich der Planet Fidibus – was? Wie? Ach so. Herrn Sathoms Gedankenkontrolleur teilt ihm grad mit, das Ding heiße Nibiru – über uns kommt, so daß man sich an selbigem Datum allem Vernehmen nach wohl besser vorsehen sollte, sofern man nicht über die richtigen feinstofflichen Veibräischns oder eine durchgeladene Phasenpistole verfügt.

Der Planet Nibiru meint's ernst
:: Leg Dich nich mit dem Planeten Nibiru an, Alter — (Bild Copyright © 2009 Sathom)

Sauer macht’s Herr Sathom jedoch, erfüllt ihn mit heiligem Zorn gar, wenn das nichtswürdige Pack sich ganz bestimmter Themen bemächtigt, nämlich solcher, die auch dem allgemein bewußt und kritisch denkenden Menschen am Herzen liegen müssen: nämlich etwa der Kapitalismus-, Herrschafts- und Medienkritik oder ökologischer Fragestellungen. Diese okkupiert das realitätsferne, aber veröffentlichungstechnisch sehr rege Völkchen, und vermischt sie mit seinen eigenen Spintisierereien, was wohl nachvollziehbarerweise  der ernsthaften Behandlung jener Fragen kaum nützlich ist – ihr eventuell, wie Herr Sathom aufzuzeigen gedenkt, sogar schadet. Und zwar dieweil viele die mit den Aussagen begründeter Kritik gewürzten Verschwörungstheorien möglicherweise nicht leicht von fundierten Aussagen zu scheiden wissen, und umgekehrt, weil sie den Apologeten kritikwürdiger Zustände ein Argument liefert, auch reflektierte, begründete Kritik einfach qua Hinweis auf die Ähnlichkeit in den Ruch von Konspirationsgefasel zu bringen.