Es kommt einem alles so bekannt vor.
Die Alarmglocken schrillen: Die Deutschen würden zu wenig arbeiten, und das sei die Ursache für die schwächelnde Wirtschaft; lieber lägen sie faul in der Hängematte und würden Bürgergeld auf sich herabregnen lassen, statt fleißig das BPI zu steigern. So tönt es schon länger landauf, landab; und nach ersten, vorsichtigen Versuchen, dieses Narrativ in Talkshows und Interviews zu etablieren, ging Christian Lindner kürzlich in die Offensive. Das 12-Punkte-Programm der FDP liegt auf dem Tisch.
Und – freundlich souffliert von der CDU, namentlich Philipp Amthor – lautet die Hauptforderung: Wir sollen gefälligst mehr arbeiten. Also noch mehr. Die Arbeitszeitdebatte läuft.
Lindner z.B. will „Lust auf die Überstunde“ machen, als ob wir davon nicht genug schieben würden; daß seine Steuerbegünstigung schon daran scheitert, daß ca 50% der Überstunden hierzulande nicht bezahlt werden, vergißt er praktischerweise. Im „Pressclub“ bei phoenix phantasiert Julia Löhr von der FAZ von japanischen Unternehmen, deren Angestellte nachts auf Pritschen nächtigen, also den Arbeitsplatz überhaupt nicht mehr verlassen; in den USA habe man nur 11 Tage Urlaub, soso, aha. Millionen Arbeitnehmerïnnen wird derzeit erklärt, daß sie, überarbeitet, ausgebrannt und längst über der Belastungsgrenze, wie sie sind, eigentlich faule Säue wären; daß sie noch mehr ackern müßten – und länger. Demnächst bis 70 vielleicht. Wir werden auf harte Zeiten eingestimmt.
Einseitige Medienpropaganda
Und die Art und Weise kommt einem tatsächlich bekannt vor. Sofern man die 2000er Jahre bewußt miterlebt hat, jedenfalls. Als man damals der Bevölkerung die Agenda 2010 und Hartz IV schmackhaft machen wollte, wurden im Fernsehen japanische Firmen, deren Angestellte morgens die Firmenhymne singen, als Vorbild hingestellt. Die vollständige Identifikation mit der Firma, ein Samurai-Kodex, in den Medien als positives Gegenbeispiel zur Haltung deutscher Arbeitnehmerïnnen präsentiert. Wer keine Arbeit fand, war schlicht faul. Einmal, erinnert sich Herr Sathom, wurde in einer Dokumentation ein deutsches New-Economy-Unternehmen (heute nennt man das Startup) vorgestellt: Die Agenda des Inhabers bestand darin, daß die Angestellten außerhalb der Firma keine privaten Kontakte oder Beziehungen haben durften; Freizeit, private Freundschaften, sollten nur innerhalb des Kollegenkreises stattfinden, oder gar nicht. Während Herr Sathom, der damals noch Religionswissenschaft studierte, sofort „sektenähnliche Strukturen“ dachte, war der mediale Beitrag enthusiastisch: Rund um die Uhr nur für den Job leben – lag hierin die Zukunft der Arbeitswelt?
Sprichwörter und anderer Unfug
Die derzeitige Debatte folgt also einem erprobten Muster. Heute wie damals begleiten bürgerliche Medien – ob öffentlich-rechtlich oder privat – die Forderung nach einem „gesellschaftlichen Wandel“, einer „Wende“ mit vielleicht nicht absichtlicher, zumindest aber leichtgläubiger Propaganda.
Nach dem Ende des GDL-Streiks etwa, bei dem u.a. eine 35-Stunden-Woche gefordert wurde, fand beim Sender tagesschau 24 ein interessantes Gespräch statt. Der Moderator sprach mit einem Arbeitsmarktexperten und behauptete dabei, „die Amerikaner“ sagten „oft“ folgendes: „Wir leben, um zu arbeiten, ihr Europäer arbeitet, um zu leben.“ Könnte das, fragte er, der Grund für den größeren wirtschaftlichen Erfolg der USA sein? Eine Erklärung, auf der er beharrte, auch als der Experte zu relativeren versuchte.
Nun kennt Herr Sathom dieses vermeintlich amerikanische Sprichwort von früher – als deutsches nämlich. Daß die Deutschen leben, um zu arbeiten, die anderen Europäer dagegen nicht, lautete es, so lange er sich erinnern kann. Wie kommt der Moderator zu diesem „neuen“, quasi mundgerecht veränderten, Wortlaut? Vielleicht hat er ihn erfunden; vielleicht erinnert er sich falsch; vielleicht hat er ihn irgendwo gehört. Jedenfalls beharrt er – trotz komplexerer Gegenmeinung des Experten – auf dieser simplen, eingleisigen „Erklärung“ für den ökonomischen Vorsprung der USA. Woher immer die vermeintliche amerikanische Floskel stammt – der Moderator glaubt jedenfalls, oder behauptet wenigstens, „die“ Amerikanerïnnen würden so etwas „oft“ sagen. Also ständig quasi. Eine gängige Redewendung.