:: Ersatz-Begriff „Wohnungsnot“

Eines der großen Themen der letzten Jahre: Die Wohnungsnot in deutschen Städten.

Bezüglich der Berichterstattung dazu ist Herrn Sathom schon vor einiger Zeit aufgefallen, daß der Begriff der „Wohnungsnot“ den der Gentrifizierung in aufschlußreicher Weise ersetzt hat. Daß also Politik und Medien – bürgerliche jedenfalls, wenn auch nicht durchgängig – die ursprüngliche Bezeichnung für das Phänomen ausgetauscht haben.

Zwar taucht sie noch hier und dort auf, scheint aber im Allgemeinen von der jüngeren Bezeichnung verdrängt worden zu sein.

Sich dafür zu interessieren, mag Wortklauberei scheinen, doch ist der Unterschied keineswegs bedeutungslos. Denn damit, daß der lange Jahre für die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten aus den Innenstädten verwendete Terminus Gentrifizierung zuletzt aus der öffentlichen Debatte fast völlig verschwunden ist, geht eine Uminterpretation des Problems einher; und ihr folgen Lösungsvorschläge, die es eher zementieren denn lösen.

Wann genau der neue den alten Begriff verdrängte, läßt sich im Rückblick schwer sagen; es scheint allerdings, daß es etwa zeitgleich mit der allgemeinen „Entdeckung“ des Problems durch bürgerliche Medien und Politiker geschah. Vorher – in den Nuller Jahren und etwa bis 2015 – waren Mietpreissteigerungen, Vertreibung einkommensschwacher Mieter und die Verwandlung oft multikultureller Stadtbezirke in wohlhabende, weiß-protestantische Monokultur, bestenfalls ein Thema für politische Aktivisten. Diese behandelten es eben als Gentrifizierung (die vom Berliner Tagesspiegel bekannt gemachte Frage „Wem gehört die Stadt?“ ist älter und stammt aus dieser Phase). Die Rede von der Wohnungsnot setzte etwa zu dem Zeitpunkt ein, zu dem breite Bevölkerungsschichten ihren Unmut artikulierten, genauer: als die bürgerliche Mittelschicht entdeckte, daß die Verdrängung sie keineswegs verschonen und nur „die da“ betreffen würde – Hartzer, Ausländer, die schmuddeligen Leute mit ihren schmuddeligen Kindern halt, ihren Spielhallen und Döner-Treffpunkten; so daß hinterher nur ach so schicke Stadtviertel zurückblieben, in denen wohl flanieren ist. Als also auch die meist ja nur dieser Schicht verpflichteten Politiker, und die ihr entstammenden Journalisten das Problem endlich ernst (oder überhaupt zur Kenntnis) nehmen mußten. Eines, das vorher sogar oft als durchweg positive Entwicklung präsentiert wurde, denn, nicht wahr, die Innenstädte, gerade auch die der Hauptstadt, wurden ja immer schicker; die Frage, wohin die Bewohner der zuvor putzblätternden ostberliner Mietskasernen verschwanden, bewegte kaum jemanden.

Doch während „Gentrifizierung“ – von engl. Gentry, bessere Gesellschaft – ein soziales Problem bezeichnet, nämlich die Vertreibung bestimmter Bevölkerungsschichten (Gering- bis Normalverdiener, kulturell gemischte Bevölkerungen etc.) durch „bessere“, eben besser verdienende, suggerieren die Begriffe „Wohnungsnot“ bzw. „Wohnungsmangel“ ein reines Unterbringungsproblem; einen Mangel an Platz in Form verfügbaren Wohnraums, der sich durch Baumaßnahmen leicht beheben läßt.

Sicher: darum geht es auch. Aber eben nicht ausschließlich. Wenn in den Innenstädten straßenzugweise Wohnungen leerstehen, da sie nicht als Wohnraum, sondern als Geldanlage dienen; wenn die „Lösung“ des Problems darin bestehen soll, die aus diesen Innenstädten vertriebenen Menschen in Wohnbunker in Randlagen umzusiedeln; wenn die durch Neubauorgien geschaffenen Sozialwohnungen ja irgendwann auch wieder aus der nur befristeten Sozialbindung fallen werden, so daß das Problem bezahlbaren Wohnraums nur in die Zukunft verschoben wird; dann zeigt sich, daß die Wahl der Begrifflichkeit nicht nur Teile des Problems verschleiert bzw. umdeutet, sondern damit auch die Wahl der Lösungsansätze beeinflußt. Und zwar solche hervorbringt, die das Problem fortschreiben: Eine endlose Wiederholung der Zyklen von Verdrängung, Mitsteigerung, Immobilienspekulation und schließlich Neubau, der den nächsten Zyklus vorbereitet.