In der guten, alten Zeit wäre das ein schöner Titel für ein Perry Rhodan-Heft gewesen. Aber Spaß beiseite.
Der kecke Herr Snowden nämlich hat ja zuletzt, was die Nachtruhe besorgter Demokraten angeht, ganz schön was angerichtet. Die Erregung über Datenschnüffelei erst der US-amerikanischen NSA, nun auch der Briten, will nicht abreißen; die Wächter von Freiheit und Privatsphäre sehen sich um den Schlaf gebracht.
Politiker und Medienkommentatoren überschlagen sich vor Empörung – nicht alle, gewiß; so findet’s Innenminister Friedrich gut, und auch deutscherseits wird ein ähnliches Vorgehen angedacht. Meistenteils jedoch erfreuen sich alle Beteiligten ihrer wohlfeilen Entrüstung, taten es eingangs betreffs der NSA besonders gern, denn nicht wahr, diese Amis mal wieder.
Auch daß laut Guardian Großbritannien nicht anders agiert und seine Nachbarn, bzw. deren Bevölkerung, bis in die hintersten Winkel ihrer Privatsphäre hinein bespitzelt, provoziert die routinierte Reaktion: Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sei entsetzt, hörte Herr Sathom gestern auf Tagesschau24 munkeln, gefolgt von entsprechenden Äußerungen der Genannten. Der betreffende Fernsehbeitrag endete mit dem Hinweis, daß all dies am britischen Parlament vorbei, also ohne demokratische Kontrolle geschehe. Und auch heute war auf Phoenix wieder von „Empörung“ der Ministerin die Rede.
Herr Sathom ist verwirrt. Über die aus ihrem Schlummer geschreckten EU-Parlamentarier, die an der US-Überwachung Anstoß nahmen, die medialen Kommentare, die Berichterstattung insgesamt.
War es nicht so, grübelt er, daß die EU (Herr Sathom berichtete) seit Jahren ein System namens Indect entwickeln und testen läßt, neben dem sich die jetzt ruchbar gewordenen Maßnahmen ausnehmen wie Reminiszenzen an den 50er-Jahre-Schinken Die tausend Augen des Dr. Mabuse? Und zwar, weil nicht nur Internetdaten abgefischt, sondern diese mit Kameraaufnahmen aus dem öffentlichen Raum, ggf. von Drohnen, abgeglichen und so Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile von Bürgern erstellt werden sollen? Ein Projekt, über das nicht etwa Verschwörungstheoretiker am Biertisch raunen, sondern durchaus seriöse Medien (u.a die „Zeit“) immer wieder berichteten, bis eine „Ethik-Kommission“ eingerichtet wurde, deren eigentliche Aufgabe in Geheimhaltung besteht? Eine Maßnahme, die beschlossen wurde, nachdem durchsickerte, daß Indect nach Personen suchen soll, die sich „abnormal“ verhalten, wobei Kriterien angelegt werden, die eher der Erzeugung von Konformitätsdruck und dem Aufspüren von Obdachlosen zu dienen scheinen, als der Terrorbekämpfung: u.a. auf dem Boden sitzen in öffentlichen Räumen, sich in „die falsche Richtung bewegen“, „Sich umsehen“ oder, besonders absurd, bereits Fluchen gelten dabei als atypisches Verhalten, das zum Anfangsverdacht führt (doch, ernsthaft: siehe hier). Und, ach ja: hat nicht ausgerechnet das bundesdeutsche BKA verkündet, sich von Indect fernhalten zu wollen wie der Teufel vom Weihwasser, weil das Ganze selbst manchen Sicherheitswächtern – jedenfalls, soweit sie Praktiker sind – zu spooky ist?
Herr Sathom jedenfalls ist stets aufs Neue irritiert, wenn sich Politiker erregen, daß Facebook oder Google nach Nutzerdaten angeln, als wäre es nicht Bestandteil des Indect-Projekts, daß ermittelte Daten an Privatunternehmen, die an der Entwicklung beteiligt waren, weitergegeben werden sollen (was übrigens, wie viele andere Projektdetails, im Widerspruch zu Behauptungen von Indect-Befürwortern steht, es würden keine Daten gespeichert – wobei hier natürlich eine anonymisierte Speicherung zu Marktforschungszwecken angestrebt sein kann); und auch jetzt wieder, wenn er die Äußerungen zu Aktivitäten der USA und der Briten wahrnimmt. Gilt hier das Motto, Haltet den Dieb! zu rufen, während die eigene Hand gerade im Marmeladenglas herumfischt? Oder herrscht in den Parlamenten Ahnungslosigkeit? Und die Medien? Regiert dort das kollektive Ultrakurzzeitgedächtnis?
Übrigens: die Lieferung von Überwachungstechnologie an repressive Regimes stellt einen Exportschlager deutscher Hersteller dar.
Sagen Sie doch zu alledem mal was, Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Vielleicht was Empörtes?
Quellen:
Zur aktuellen britischen Überwachungsaffäre:
Zu Indect:
(Die Quellen zu Indect sind älteren Datums, da wie o.a. in jüngster Zeit nichts Neues veröffentlicht wurde, jedenfalls soweit eine kurzfristige Recherche ergab)
Hier wird Indect immerhin mal erwähnt…
http://www.n-tv.de/politik/Wir-sind-mitten-im-Cyberkrieg-article10916346.html
Vielen Dank für den Hinweis. Auch ansonsten ein instruktiver Artikel.
Interessanterweise wurde Indect auch kürzlich in einer Folge von The Vice Reports (zdf.kultur) erwähnt, die sich mit Waffenhandel und in diesem Zusammennhang mit Drohnen beschäftigt.
In der ZDF-Mediathek liegt die betreffende Sendung noch nicht vor, dafür aber diese:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/startseite#/beitrag/video/1900956/The-VICE-Reports:-Sch%C3%B6ne-neue-Waffenwelt
Soweit ein kurzes Überfliegen (ähem) des Beitrags ergab, wird Indect darin nicht behandelt; dafür werden Quadcopter-Drohnen, wie sie dieses System einsetzen soll, etwas näher beleuchtet.
Ich werde ein Link auf den jüngeren Beitrag, der den Fokus eher auf das Interesse von Sicherheitskräften an neuen Technologien legt, hier nachtragen, sobald er in der Mediathek steht.