:: TV-Tipp: Onkel Schicklgruber

Am Wochenende zeigte arte eine Dokumentation, die am 02.05.2010, leider um 3:00 Uhr nachts, weshalb Interessierte sich wohl der Mühe werden unterziehen müssen, das Bildwerk aufzuzeichnen, wiederholt wird; Herr Sathom findet es allerdings der Mühe wert, vermittelt „Lieber Onkel Hitler – Briefe an den Führer“ doch verstörende, aber eben auch sehr erhellende  Einblicke in die Wahrnehmung des Diktators durch sein damaliges Volk und in die bizarren Gefühle, die es ihm entgegenbrachte – eben ein Psychogramm der Deutschen in jenen Tagen.

Vorgeführt wird eine Auswahl aus über 100.000 Briefen, Postkarten und Telegrammen, die der Schandbube vom Zeitpunkt der Machtübernahme bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs aus der deutschen, österreichischen und sonstwo siedelnden deutschstämmigen Bevölkerung erhielt – von Kindern, Verehrern und Verehrerinnen, Prominenten und strammen Parteigenossen. Die Botschaften, die man getrost als Fanpost bezeichnen kann, reichen von schwülstigen, die seitens der Verfasser gehegte Anbetung des Angeschriebenen ausdrückenden Gedichten über schleimscheißerische Anbiederungsnoten solcher Charaktere wie Leni Riefenstahl bis hin zu Schreiben ganz „normaler“ Leute, von denen Herr Sathom nicht so recht wußte, ob er sie urkomisch oder erschreckend finden sollte (die damalige Normalität des an sich Lächerlichen und zugleich Verabscheuungswürdigen im sogenannten „Volksempfinden“ bescherte ihm eine eigene Art von Grauen) – Schreiben, die zwischen pathologischer Verehrung, ja gar Verliebtheit, und biedermännischer Potentatenhuldigung schwanken: da macht sich eine verliebte Dame anheischig, sich vom Führer schwängern zu lassen, Kinder schreiben, daß sie ihn liebhaben, ein Friseur möchte ihn gerne mal treffen und bei der Gelegenheit frisieren dürfen, und alte Damen und Herren schicken selbstgestrickte Socken oder möchten ihm ein aufopferungsvoll gebasteltes Modell vom Obersalzberg überreichen, hei, wäre das eine Krönung des Lebensabends.

Es ist ein Verdienst der Macher, aus der Unzahl der Zuschriften eine Auswahl getroffen zu haben, die einen Querschnitt unterschiedlichster Motive der Verfasser präsentiert, und somit ein einseitiges Bild vermeidet: neben der Mehrzahl der Schreiben, aus denen einen Mischung von Nationalismus, Rassismus/Antisemitismus und tumber Ikonenverehrung trieft, finden sich – besonders traurig und bestürzend – Mitteilungen indoktrinierter Kinder, die für den Onkel Adolf beten, daß der liebe Gott ihn behüten möge (derlei findet sich allerdings auch in Schreiben Erwachsener) und ihm Schokolade schicken, Versuche früherer Bekannter, sich an den mittlerweile Erfolgreichen heranzuasseln, aber auch eindeutig pathologische Anschreiben, etwa von amourös und sexuell fixierten Damen oder von Herren, die meinen, wertvolle militärische Tipps (etwa in Gestalt verstiegener Ideen wie der, durch künstliche erzeugte Sandstürme Flugzeugturbinen des Feindes zu verstopfen – da werden die Tommies aber gucken) für den Endsieg liefern zu können. Das Ausmaß an narzißtischer Identifikation, das aus vielen Schreiben spricht, ist erschreckend, wobei jedoch nicht der Eindruck entsteht, daß einfach alle, die dem Herrn Schicklgruber geschrieben haben, im klinischen Sinne gestört gewesen wären; noch weitaus erschreckender ist , daß in der Hauptsache eine in der Breite der Bevölkerung vorherrschende Verehrung der Macht und schwärmerische Identifikation mit deren Repräsentanten sichtbar wird, daß aus dem, was gesagt und wie es gesagt wird, eine Verquickung von sich an seiner Ergebenheit und Rolle als „kleiner Mann“ oder „kleine Frau“ erfreuendem Untertanengeist mit Bösartigkeit – etwa den Juden gegenüber – spricht, eine biedere, pausbäckige Unmenschlichkeit bei quasireligiöser Verherrlichung, die eben, wie die Vielzahl entsprechender Post belegt, nicht die psychopathologische Ausnahme, sondern die Regel, die Normalität darstellte.

Eher traurig – wenn auch angesichts dessen beinahe schon wieder wohltuend – nehmen sich dagegen vereinzelte Bittschreiben aus, deren Verfasser tatsächlich gemäß dem Motto „wenn das der Führer wüßte“ treuen Glaubens sind, dieser würde sicher etwas gegen die Judenverfolgung unternehmen oder Papa aus dem KZ freilassen, wen man ihm nur mitteilte, was da vorgeht; oder wenn sich die Verfolgten selbst an den Wahnsinnigen wenden in der irregeleiteten Annahme, der Verweis auf ihre deutschnationale Gesinnung oder darauf, daß sie so gar nicht „jüdisch“ drauf seien, brächte ihnen Rettung.

Kurzum, ein Panoptikum, das einen durchaus aufklärerischen Zweck erfüllt, indem es Einblick in die geistige Verfassung jener Zeit gewährt, darin, was damals an Empfinden, Wahrnehmung und Einstellungen „normal“ war; Herr Sathom empfiehlt das Werk darum.

Nebenbei: Herr Sathom erwarb vor langen Jahren vom Grabbeltisch vor der Uni ein Büchlein, betitelt „Aus den Schulheften eines Volksschülers – 1940 – 1943“, verfaßt von einem Herrn Heinz Rentmeister (Düsseldorf: Erb, 1985), von dem er beim besten Willen nicht sagen kann, ob es noch aufgelegt wird oder wo es erhältlich sei (ggf. wird man antiquarisch herumschnüffeln müssen). Es verdeutlicht anschaulich, wie Kinder damals schulisch systematisch indoktriniert wurden (etwa mittels der beständigen Anwesenheit von Kriegspropaganda bereits in ganz alltäglichen Rechtschreibdiktaten), und wird, so es dem oder der Interessierten irgendwo in die Hände fällt, von Herrn Sathoms Seite darum ebenfalls sehr empfohlen.



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