Bisher in diesem Theater: Teil I („Empty Skull Island“) und Teil II („Der Geistesgnom vom Kleinkunstfriedhof oder: Panik am Bahnhofskiosk“)
And now to the fucking Fazit.
Vorsicht, es wird ein bißchen redundant; aber ich wollte einige angerissene Punkt noch einmal schärfer herausarbeiten.
Zunächst: Es mag ein wenig merkwürdig erscheinen, daß ich mich im ersten Teil an einer zwei Jahre alten Sendung von Dieter Nuhr abarbeite; abgesehen davon, daß mich der damalige Auftritt noch lange negativ beschäftigt hat, denke ich aber, daß dieses ältere Programm und der Bogenschlag zur kürzlichen Hasters-Debatte zeigen, daß wir es bei Nuhr mit einer umfassenden, über Jahre unveränderten Agenda und Ideologie zu tun haben, nicht um einzelne Irrtümer, Ausrutscher oder Überspitzungen eines Kabarettisten. Das Gerechtigkeits-Programm von 2018 zeigt Nuhrs Methode und Weltanschauung wie unter einem Brennglas; man könnte auch sagen: Das ist nichts, was ihm, wie jedem Satiriker, mal passieren kann; sondern in allen von Nuhrs Programmen eben – Programm.
Das in den vorangehenden Artikeln skizzierte Problem besteht darin, daß es dabei eben nicht nur um Dieter Nuhr geht; daß er lediglich für ein größeres, umfassenderes Problem steht, das den gesamten gesellschaftlichen Diskurs verzerrt. Das nämlich, daß ein privilegiertes, gutsituiertes Bürgertum von einer stark ausgeprägten sozialen Ungerechtigkeit profitiert bzw. diesen Zustand leugnet; während es zugleich seine glücklichere Stellung für gerechtfertigt, weil vernünftig begründet hält. Denn Dieter Nuhr erklärt den Leuten ja nichts (wie es etwa Volker Pispers, Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig oder Günther Schramm versuchten); er erzählt ihnen bloß, was sie ohnehin schon denken. Und verstärkt dieses Denken, indem er sich als Inbegriff kühler, entspannter Ratio präsentiert: Die Stimme der Vernunft, die euch recht gibt.
Ironisch daran ist, daß die konservativen Bürger*innen sich zugleich für die einzige Personengruppe halten, die beurteilen kann, daß die bestehenden Herrschafts- und Verteilungsverhältnisse „vernünftig begründet“ sind; denn nur sie verfügen, so ihre Selbsteinschätzung, über die zum Urteil befähigende Vernunft. Sie ist, gewissermaßen, ihr Eigentum; als Beleg dafür gilt ihnen ihr sozialer Status. Das ist etwa so, als würde sich ein Schüler im Jahreszeugnis eine Eins in Mathematik geben, ganz gleich, wie viele Dreien und Vieren er bei schriftlichen Tests produziert hat – und dies damit begründen, daß er eben „wisse“, daß er ein Genie in Mathe sei (und zwar, weil er ja eine Eins habe). Kurz, nur man selbst – als Angehöriger einer bestimmten Schicht – verfügt über die nötige Vernunft, zu befinden, was vernünftig sei; und siehe da, zufällig ist es das, was zum eigenen Vorteil gereicht.
Dieter Nuhr ist es gelungen, sich als besonnenen, aufgeklärten Mann zu präsentieren, der ruhig nachdenkt, bevor er spricht, der abwägt, rational argumentiert; kurz, den idealtypischen Vertreter des aufgeklärten, mitteleuropäischen Bürgertums. Daß er das bewerkstelligen konnte, wirkt um so bizarrer, als er seine Berufung auf die Wissenschaft immer wieder Lügen straft, indem er deren Ergebnisse verzerrt darstellt, wenn seine vermeintlich rationalen Ausführungen nicht gleich kompletter Bullshit sind.
Tatsächlich vermochte Nuhr, sich als Mann mit solchen Qualitäten darzustellen, indem er sie einfach nur behauptet; er wird nicht müde, in Interviews oder auf der Bühne von sich als einem Vertreter wissenschaftlichen, rational-aufgeklärten Denkens zu reden. Er vollführt das Kunststück, sich hinzustellen und einfach zu sagen „ich denke rational und wissenschaftlich“, um dann den größten Quatsch zu erzählen – und es funktioniert.
Interessant diese Kontroverse um Nuhr wenn man ihn schon länger kennt. Ich habe noch Dieter Nuhr CDs aus den 90ern, wie auch viele andere Comedy-Programme aus der Zeit. Damals mochte ich das ironische „alter Mann versteht die moderne Welt nicht“ Thema. Wenn er z.B. beschreibt wie er versucht bloß einen Laufschuh zu kaufen (z.B. die ihn überfordernde Frage „Was wollen Sie denn damit machen“).
Eigentlich macht er wohl noch immer das gleiche Programm aber statt harmlose Themen über die man leicht schmunzeln konnte, hat sich das im Laufe der Zeit anscheinend immer mehr politisiert.
Hab sein Programm später allerdings nur noch am Rande mitbekommen, evtl mal zufällig im TV reingezappt oder so. Eher mehr über ihn gesehen als ihn selber.
Anscheinend sucht er aus Marketinggründen die Kontroverse, das hält seinen Namen bekannt. Aber ob das der richtige Weg ist…
Mittlerweile schüttele ich meist nur noch traurig den Kopf und denke mir „Ach Dieter…“
Geht mir auch so. An sich war ich früher, na ja, nicht direkt ein Riesenfan, aber die Nummern und der Humor haben mir schon gefallen. Wenn in irgendeiner Sendung Dieter Nuhr dabei war, hab ich mich immer gefreut und mich dann meistens auch gut amüsiert.
Irgendwann kam dann langsam und schleichend so ein Umschwung; ich kann gar nicht wirklich den Finger auf einen konkreten Zeitpunkt legen (die erwähnte Weltreisennummer hat mich zunächst bloß etwas irritiert), aber nach und nach kam er mir immer verbissener und irgendwie auch giftiger vor.
Und bei mir war es auch so, daß ich zuletzt eher nur noch zufällig in seine Programme gezappt habe, absichtlich hab ich mir das gar nicht mehr angetan. Weshalb es auch eine Quälerei war, das jetzt ganz bewußt zu machen, um meine mit der Zeit gesammelten Eindrücke noch einmal zu überprüfen.
Ob das Marketing ist oder Ideologie, oder eine Mischung aus beidem? Keine Ahnung. Es wär mal interessant, bei solchen Entwicklungen mehr über die Biographie der Leute zu wissen, ob es konkrete Anlässe gab, die sie in diese oder jene Richtung lenkten, oder ob das als Tendenz schon immer da war, etc. Aber man steckt da halt nicht drin, und so bleibt mir auch nur ein trauriges Kopfschütteln …